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EPIDEMIE/192: COVID-19 - Studie zur Vorgeschichte (idw)


Sonderforschungsbereich 668 - 05.05.2020

Bedeutungsvolle Frage nach dem Ursprung der Corona-Pandemie

Neue wissenschaftliche Studie zur Vorgeschichte der Coronavirus-Pandemie


Wann immer ein neuer Virustyp auftritt, ist es wichtig zu verstehen, woher das neue Virus stammt, das heißt die Quelle der Viren zu identifizieren sowie die Details der Ausbreitung zu studieren, um auf diese Weise wichtige Informationen als Grundlage für gegenwärtige und zukünftige Maßnahmen zu gewinnen, so die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO). Eine Studie zur Vorgeschichte der Coronavirus-Pandemie sowie zu den Risiken der sogenannten "gain-of-function" Forschung liefert einen Beitrag zur derzeitigen Diskussion um den Ursprung der Coronavirus-Pandemie.

Laut der WHO [25] und auf der Grundlage bekannter Berichte aus den Fachzeitschriften [10] und Medien startete die Coronavirus-Pandemie an einem Punkt, der Stadt Wuhan in China, gegen Ende des vergangenen Jahres. Ein Wildtiermarkt im Zentrum dieser Stadt wurde und wird bis heute am häufigsten als mögliche Quelle der neuartigen Coronaviren genannt. Die genetische Analyse der neuen SARS-CoV-2 Viren, welche von Menschen mit einer COVID-19 Erkrankung entnommen wurden, weist eine sehr hohe Verwandtschaft zu Coronaviren in Fledermäusen nach, ähnlich wie im Falle der bereits bekannten SARS-Viren, welche für die SARS-Epidemie 2003 verantwortlich waren. Es wird vermutet, dass die Coronaviren über ein Wildtier als Zwischenwirt letztlich auf den Menschen übertragen worden sein könnten.

Es gibt allerdings viele Argumente, die gegen diese weitläufige Annahme sprechen:
  • Coronaviren, die ursprünglich auf Fledermäuse zurückgehen, führen nicht so leicht zu Infektionserkrankungen beim Menschen6, erst recht nicht in der Ausprägung, wie wir es derzeit in der Coronavirus-Pandemie erleben. Virologen sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Anpassungsbarriere".
  • Mutationen von Coronaviren könnten in Zwischenwirtstieren stattgefunden haben und schließlich auf Wildtiermärkten auf den Menschen übertragen worden sein. Dagegen spricht allerdings, dass es bereits seit Jahrtausenden Wildtiermärkte in China gab und bis in die jüngste Vergangenheit tausende dieser Märkte in allen Städten Chinas existierten. Viele fragen sich deshalb, warum gerade jetzt eine solche Coronavirus-Pandemie von der Stadt Wuhan ausgegangen ist?

In der Wissenschaft ist die Stadt Wuhan in den vergangenen Jahren in erster Linie durch seine Forschung auf dem Gebiet der Virologie in Erscheinung getreten, nicht zuletzt durch zahlreiche Veröffentlichungen in führenden interdisziplinären wissenschaftlichen Zeitschriften wie "Nature" und "Science", aber auch in Fachjournalen wie dem "Journal of Virology". Dabei spielte das Wuhan Institut für Virologie seit vielen Jahren eine führende Rolle auf dem Gebiet der Coronaviren-Forschung, welche vor ca. 16 Jahren dort begann und in der Folgezeit teilweise in enger Kooperation mit mehreren amerikanischen und australischen Forschungsgruppen durchgeführt wurde [1,2,5,7,8,9]. Die Quelle der Coronaviren für die virologische Forschung waren dabei unterschiedliche Arten von Fledermäusen, welche von dem Wuhan-Forschungsteam in Höhlen verschiedener chinesischer Provinzen im Rahmen zahlreicher Expeditionen eingesammelt wurden. Die Coronaviren wurden dann am Wuhan Institut für Virologie isoliert, vermehrt und deren Wechselwirkung mit tierischen und menschlichen Zellen untersucht [1,2]. In einer 2013 in der Zeitschrift "Nature" erschienenen Veröffentlichung [5] berichten die Forscher über das erfolgreiche Andocken der "Zacken" der Coronavirus-Krone an menschliche ACE2-Zellrezeptoren. Dabei wurden sogenannte Hufeisenfledermäuse aus der chinesischen Provinz Yunnan als Quelle von SARS-ähnlichen Coronaviren verwendet. Kurze Zeit später erschien ein weiterer Artikel in der Zeitschrift "Nature Medicine", der belegt, dass gentechnische Veränderungen von Coronaviren von Hufeisenfledermäusen zu neuen, künstlich erzeugten "Hybridviren" führen, welche in besonders effizienter Weise an menschliche Atemwegszellen ankoppeln können [7]. Diese Experimente bauen auf einer bereits 2008 von der Wuhan-Forschungsgruppe im "Journal of Virology" publizierten Arbeit auf [1], in der bereits gezeigt werden konnte, wie man mit gentechnischen Veränderungen Viren dazu bringen kann, menschliche Zellen zu infizieren unter Verwendung eines HIV-basierten Pseudovirus.

In der Folgezeit entzündete sich eine heftige Diskussion unter Wissenschaftlern darüber, ob die aus solchen Experimenten gewonnenen Erkenntnisse das potentielle Risiko einer Pandemie rechtfertigen [22,23]. Ein bekannter Virologe des Institut Pasteur in Paris stellte fest, dass die Forscher des Wuhan-Instituts ein neuartiges Virus geschaffen haben, das sich in menschlichen Zellen bemerkenswert gut vermehrt und fügte hinzu: "Wenn das Virus entweichen würde, könnte niemand die Ausbreitung vorhersagen". Ein Molekularbiologe fügte hinzu: "Die einzige Bedeutung dieser Studie ist die Erzeugung einer Labor-basierten, neuen, nicht-natürlichen Gefahr" [22].

Die amerikanische Regierung, die u.a. auch die Forschung am Wuhan Institut für Virologie finanziell unterstützte, unterbrach vor sechs Jahren zeitweise die Förderung von Studien, die das Ziel haben, Viren auf künstlichem Weg für den Menschen gefährlicher, d.h. ansteckender und tödlicher zu machen als sie in ihrer natürlichen Form sind [21]. Zu diesem Zeitpunkt wurde in erster Linie Bezug genommen auf zwei wissenschaftliche Arbeiten internationaler Forschergruppen aus dem Jahre 2012, welche zeigten, wie man durch gentechnische Veränderungen H5N1-Viren für Menschen ansteckender machen kann [3,4]. Auch nach diesen Veröffentlichungen schloss sich bereits eine kritische Diskussion über den Sinn dieser sogenannten "gain-of-function" Forschung sowie den Albtraum einer möglichen Pandemie an, verursacht durch das versehentliche Austreten von künstlich erzeugten Viren aus gentechnischen Laboren, mit unüberschaubarem Gefahrenpotential für die Menschheit [11-21]. Eine Gruppe von über 50 Wissenschaftlern wandte sich damals an den Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, mit der Bitte, die Gefahren verbunden mit gentechnisch veränderten Viren, welche für den Menschen tödlicher sein können als natürlich vorkommende Viren, zu evaluieren [16]. Tatsächlich ist die Gefahr, welche durch biotechnologische Labore selbst der höchsten Sicherheitsstufe ausgehen, nicht zu unterschätzen, was zahlreiche Berichte auch der jüngsten Vergangenheit [24] aus verschiedenen Ländern belegen. So wurde u.a. bereits vor zwei Jahren vor Sicherheitsrisiken im Wuhan Institut für Virologie gewarnt, wie aus bekannten Berichten von US-Diplomaten in China hervorgeht.

Diese Vorgeschichte ist noch kein Beweis dafür, dass das neuartige Coronavirus tatsächlich aus dem Wuhan Institut für Virologie stammt und die gegenwärtige Pandemie ihren Ursprung in einem Sicherheitsleck eines biotechnologischen Hochsicherheitslabors der Stadt Wuhan hat. Der Ruf nach einer Aufklärung der wahren Hintergründe der derzeitigen Pandemie durch eine unabhängige internationale Kommission dürfte jedoch in den kommenden Tagen und Wochen immer lauter werden. Die größte Gefahr besteht letztlich darin, der Frage nach der Ursache für die gegenwärtige Pandemie nur halbherzig oder gar nicht nachzugehen. "Für politische Entscheidungsträger macht es unbestreitbar einen Unterschied, ob sie Wildtiermärkte oder Hochrisikoforschung mit gentechnisch manipulierten Viren weltweit verbieten sollen. Diese Frage muss verstärkt in den Vordergrund rücken, ansonsten könnten Coronaviren noch ein viel größeres Gefahrenpotential entwickeln, nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Zukunft", so der Leiter der Studie.

(a) wissenschaftliche Originalliteratur mit internationaler Begutachtung ("Peer-review"):

[1] W. Ren et al., Journal of Virology 82, 1899 (2008)
[2] Y. Hou et al., Arch.Virol. 155, 1563 (2010)
[3] M. Imai et al., Nature 486, 420 (2012)
[4] S. Herfst et al., Science 336, 1534 (2012)
[5] X.-Y. Ge et al., Nature 503, 535 (2013)
[6] B. He et al., Journal of Virology 88, 7070 (2014)
[7] V. D. Menachery et al., Nature Medicine 21, 1508 (2015)
[8] B. Hu et al., PLoS Pathogens 13(11), e1006698 (2017)
[9] P. Zhou et al., Nature 556, 255 (2018)
[10] X. Wang et al., Cellular & Molecular Immunology, https://doi.org/10.1038/s41423-020-0424-9

(b) Kommentare in wissenschaftlichen Fachzeitschriften:

[11] D. Butler, Nature 480, 421 (2011)
[12] D. Butler, Nature 481, 417 (2012)
[13] E. Yong, Nature (2012), doi:10.1038/nature.2012.10875
[14] E. Yong, Nature 485, 13 (2012)
[15] B. Maher, Nature 485, 431 (2012)
[16] H. Ledford, Nature (2013), doi:10.1038/nature.2013.14429
[17] D. Butler, Nature 493, 460 (2013)
[18] D. Butler, Nature 503, 19 (2013)
[19] Nature 510, 443 (2014)
[20] S. Reardon, Nature (2014), doi:10.1038/nature.2014.16211
[21] S. Reardon, Nature 514, 411 (2014)
[22] D. Butler, Nature (2015), doi:10.1038/nature.2015.18787

(c) sonstigeQuellen:

[23] J. Akst, The Scientist (Nov. 16, 2015)
[24] D. Grady, The New York Times, Aug. 5 (2019)
[25] Webseite der WHO: https://www.who.int/health-topics/coronavirus


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution563

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Sonderforschungsbereich 668 - 05.05.2020
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2020

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