RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung - 17.03.2020
Empfehlungen zum Corona-Krisenmanagement im Gesundheitswesen
Die industrialisierte Welt erlebt zurzeit aufgrund der von SARS-CoV-2 ("Corona-Virus") ausgelösten Pandemie eine einmalige Krisensituation. Sie stellt insbesondere das Gesundheitswesen vor eine große Herausforderung. Das RWI stellt in einer "RWI Position" sieben Empfehlungen für eine umfassende Strategie zum Umgang mit der aktuellen Situation im deutschen Gesundheitswesen auf. Sie zeigt, wie die Situation abgemildert werden kann, wenn ein gedämpfter Bedarf für Behandlungskapazitäten auf ein erweitertes und effizient gesteuertes Angebot trifft.
Die wichtigsten Empfehlungen:
Empfehlung 1:
Nach Schweregraden bedarfsgerecht versorgen, keine Kapazitäten blockieren
Um einen erhöhten Anstieg der Neuerkrankungen zu bewältigen, ist
konsequent auf eine bedarfsgerechte Versorgung zu achten. Hierzu gehören
neben der Bereitstellung von Intensivbetten mit Beatmungsgeräten
zusätzliche Überwachungs- und Beatmungskapazitäten für schwere, aber nicht
intensivpflichtige Fälle jenseits der Intensivstation. Die Entscheidung
über die Zuordnung der Patienten muss von den Ärztinnen und Ärzten vor Ort
medizinisch vollständig eigenverantwortlich getroffen werden.
Empfehlung 2:
Ausrüstungsreserven identifizieren, Produktion priorisieren, Zuteilung zentral koordinieren
Um die Krankenhäuser mit ergänzenden Beatmungsgeräten auszustatten,
sollten bestehende Reserven aktiviert werden. Die Bestandsaufnahme sollte
die Bundeswehr und den Katastrophenschutz einbeziehen und auch
medizinisches Material erfassen, das für den Schutz von Ärzteschaft und
Pflegekräften benötigt wird. Mit Blick auf die Herstellung solcher
Produkte sollte während der Zeit der akuten Krise das Vergaberecht
ausgesetzt werden. Bei der Zuordnung von Beatmungsgeräten ist eine
zentrale Koordination sinnvoll.
Empfehlung 3:
Bürokratie vollständig aussetzen, verantwortungsvoll lokale Lösungen finden
Um schnelles Handeln zu ermöglichen, ist für die Zeit der akuten Hochphase
der Pandemie jegliche hemmende Bürokratie durch Vorgaben rund um die
Betreuung von CoviD-Patienten auszusetzen. Ärzte vor Ort sollten
grundsätzlich ausschließlich anhand medizinischer Kriterien entscheiden
können, wie und mit welchen Ressourcen die Behandlung vorgenommen wird.
Die Einhaltung arbeitszeitrechtlicher Vorgaben darf die Versorgung nicht
behindern, sie sollten für das Krankenhauspersonal befristet ausgesetzt
werden.
Empfehlung 4:
Budgetsicherheit für Krankenhäuser gewährleisten
Um die für die Behandlung schwerer Krankheitsverläufe notwendigen
Kapazitäten freizuschaufeln, sollten Krankenhäuser geplante, medizinisch
nicht unmittelbar notwendige so genannte elektive Eingriffe zeitlich
verschieben. Um drastische wirtschaftliche Einbußen zu verhindern, sind
kurzfristig liquiditätsstützende Maßnahmen für Krankenhäuser nötig. Zudem
sollten die entstandenen Kosten für über Leasingfirmen eingesetztes
ärztliches und pflegerisches Personal in voller Höhe refinanziert werden.
Empfehlung 5:
Ruhendes Personal aktivieren, Personalressourcen umlenken, Laienreserve ertüchtigen
Um die Versorgungskapazität in der akuten Krisenphase zu erhöhen, sollten
sämtliche Personalreserven soweit wie möglich aktiviert werden.
Teilzeitkräfte könnten vorübergehend zu Vollzeit animiert und Eltern aus
der Elternzeit reaktiviert werden. Fachkräfte aus anderen Bereichen,
Personal aus Rehabilitationskliniken sowie derzeitige Medizinstudierende
könnten in der intensivmedizinischen Betreuung unterstützend eingesetzt
werden. Denkbar ist zudem die Einrichtung eines Freiwilligendienstes.
Empfehlung 6:
Transparenz über lokale Ressourcen schaffen, Engpässe frühzeitig identifizieren
Um in Echtzeit auf lokaler Ebene das Angebot von und den Bedarf an
Ressourcen identifizieren zu können, sollten alle Leistungserbringer eine
zentrale Plattform nutzen. Neben Intensiv- und Beatmungskapazitäten müssen
Geräte, Laborkapazitäten, wichtige Engpassartikel und Personalressourcen
ebenso erfasst werden wie geheilte Mitarbeiter. Ebenso zu erfassen ist der
Ressourcenverbrauch, vor allem die Anzahl der hospitalisierten
Corona-Patienten und der jeweilige Anteil der intensivpflichtigen Patienten.
Empfehlung 7:
Keine Vollbremsung der Volkswirtschaft provozieren An der Strategie, dem
akuten Anstieg der Neuerkrankungen durch das Unterbinden von
Sozialkontakten die Spitze zu brechen, führt kein Weg vorbei. Aber weder
lässt sich eine lang anhaltende Vollbremsung der Volkswirtschaft
durchhalten, noch wäre ohne die Immunisierung der Bevölkerung ein
dauerhaft stabiler Zustand erreicht. Die Strategie, in langsamem Tempo
eine "Durchseuchung" der Bevölkerung zuzulassen, muss jedoch mit
Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen verbunden
werden.
Zu den derzeit notwendigen Maßnahmen im Gesundheitswesen sagt RWI-Gesundheitsexperte Boris Augurzky: "Es geht jetzt kurzfristig darum, die zu erwartenden Entwicklungen auf der Angebots- und Nachfrageseite fortlaufend und bis hinunter in die kommunale Ebene abzuschätzen und dadurch vorausschauend zentrale Stellschrauben sowie etwaige Engpässe zu identifizieren. Auf diese Weise wird das deutsche Gesundheitssystem bestmöglich durch die zu erwartende Herausforderung kommen." RWI-Präsident Christoph M. Schmidt ergänzt zur Gesamtsituation: "Im Zentrum des Krisenmanagements stehen jetzt vor allem die Gesundheitsversorgung und der Versuch, dem akuten Anstieg der Neuerkrankungen durch das Unterbinden von Sozialkontakten die Spitze zu brechen. In der aktuellen Situation halte ich es aber für richtig, dass die Bundesregierung den Rest der Volkswirtschaft nicht aus dem Auge verliert und den Unternehmen nach dem Prinzip 'Liquidität geht vor Rentabilität kurzfristige und umfassende Unterstützung zugesagt hat."
Dieser Pressemitteilung liegt die RWI Position "Corona-Krisenmanagement im
Gesundheitswesen - Kernpunkte einer Strategie zum Umgang mit SARS-CoV-2"
zugrunde. Sie kann unter
http://www.rwi-essen.de/publikationen/rwi-positionen/ heruntergeladen werden.
Über die Inhalte der Position berichtet die
"Rheinische Post" heute unter der Überschrift "Sieben-Punkte-Plan des RWI
gegen den Gesundheitskollaps".
Originalpublikation:
http://www.rwi-essen.de/media/content/pages/publikationen/rwi-positionen/pos_076_corona-krisenmanagement_im_gesundheitswesen.pdf
Weitere Informationen finden Sie unter
Weitere aktuelle Informationen zu den Auswirkungen der Corona-Krise sind unter
http://www.rwi-essen.de/presse/corona abrufbar.
Zu dieser Mitteilung finden Sie Anhänge unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/de/attachment79518
RWI Position #76: Corona-Krisenmanagement im Gesundheitswesen
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution145
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung - 17.03.2020
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2020
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