Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → KRANKHEIT


DEMENZ/471: Kennen Sie das Demenzdorf Tönebön am See? (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 3/2019
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Kennen Sie Tönebön am See?

von Monika Kaus


Während eines Besuchs im Bundesgesundheitsministerium bei Staatssekretärin Sabine Weiss tauchte die Frage auf, ob es Demenzdörfer in Deutschland gäbe. Ja, es gibt derzeit ein etabliertes Demenzdorf: Tönebön am See. Der Ort liegt in der Nähe von Hameln und wir fahren gemeinsam dorthin, um herauszufinden, was sich hinter dem Slogan "Lebensraum für Menschen mit Demenz" verbirgt.


Als Tochter einer demenzkranken Mutter, die 15 Jahre in einer stationären Einrichtung lebte, hatte ich eher zurückhaltende Erwartungen. Wir, die wir tagtäglich mit Menschen mit Demenz in Berührung kommen, kennen die Aussage "Ich will solange wie möglich zuhause leben und in der gewohnten Umgebung bleiben". Das ist ein Wunsch, den fast jeder hat. Demenzdorf - ist das nicht die Vorspiegelung einer nicht realen Welt? In diesem Fall wurde ich eines Besseren belehrt.

Sechs ebenerdige, barrierefreie Villen gruppieren sich um einen Garten der Sinne. Jede Hausgemeinschaft gliedert sich in einen großen Wohn- und Küchenbereich und besteht aus zwölf bzw. 13 Einzelzimmern. Alles ist überschaubar und familienähnlich, eng angelehnt an die frühere Häuslichkeit und Normalität. Zentrales Element jeder Hausgemeinschaft ist das Wohnzimmer mit der offenen Wohnküche, in der täglich individuell die Mahlzeiten in der jeweiligen Hausgemeinschaft zubereitet werden - selbstverständlich unter Einbeziehung der Bewohnerinnnen und Bewohner. Teilhabe und das aktive Tun bei allen Alltagstätigkeiten wie Gemüse putzen, Kuchen backen, Blumen gießen, Gartenpflege usw. ist gewünscht und selbstverständlich.

Die Villen mit den Namen "Reiterhof" (Zimmer mit Blick auf den angrenzenden Reiterhof), "Villa am See" oder "Hastebach", "Ziegelhof", "Wiesengrund" und "Kastanienhof" sind unterschiedlich farblich gestaltet und eingerichtet. Das Café, ein Minimarkt und der Friseursalon befinden sich im Eingangsgebäude. Das Café steht den Bewohnern und ihren Gästen zur individuellen Nutzung zur Verfügung.

Hier können auch größere Events gefeiert und Aktivitäten unternommen werden. Vor jeder Terrasse erstreckt sich ein großer Garten mit Ruhezonen, Beeten zum Riechen und Ertasten, mit diversen Wegen in Schleifenform (ohne Sackgassen) und unterschiedlichen Bodenbelägen sowie gemütlichen Sitzgelegenheiten. Das Herzstück der Anlage ist der zur Terrasse des Cafés hin angelegte Dorfplatz. Hier gibt es einen Brunnen, einen Pavillon, eine Vogelvoliere und einen Kaninchenstall.

In dieser Anlage fühlen sich nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner wohl und sicher. Im Gespräch mit den Mitarbeitenden habe ich erfahren, dass sie sich als wichtige Bezugspersonen und "Strukturgeber" sehen und hier gerne arbeiten. Die Abläufe sind bewohner- und die Prozesse mitarbeiterorientiert, das heißt ein Miteinander zum Wohl aller ist Inhalt der Konzeption. Am kontinuierlichen Verbesserungsprozess werden alle beteiligt.

Auf dem Gelände gibt es auch eine Tagespflege, untergebracht in einem denkmalgeschützten, schön restaurierten Gebäude. Die Gäste der Tagespflege haben Vorrang auf der Warteliste für einen Villenplatz.

In der stationären Einrichtung, in der meine Mutter lebte, gab es auch einen Minimarkt, einen Friseur, einen angelegten Garten und zum Teil Zimmer mit Hafenblick. Nur lagen die Zimmer an einem langen Gang, und gekocht wurde leider nicht vor Ort. So viel anders sieht ein Demenzdorf nicht aus, doch die Normalität in den Hausgemeinschaften fördert die zwischenmenschlichen Kontakte. Die damit verbundene Empathie steigert die Lebensfreude auch für das Pflegepersonal und die Alltagsgestalter. Nach meinem Besuch in Tönebön am See kann ich sagen: Ein Demenzdorf ist auch eine gute Möglichkeit, ein imaginäres selbstbestimmtes Leben weiterhin zu führen - mitunter gemeinsam mit dem Partner oder mit neuen Bezugspersonen. Einziger Nachteil: Angehörige aus entfernteren Orten haben einen langen Anfahrtsweg.


Monika Kaus, 1. Vorsitzende der DAlzG

Kontakt: Tel: 061 23 - 705 01 19
info@alzheimer-rheingau-taunus.de

Weitere Informationen: www.toeneboen-stiftung.de

*

Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 3/19, S. 21
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
Friedrichstraße 236, 10969 Berlin
Telefon: 030/259 37 95-0, Fax: 030/259 37 95-29
Alzheimer-Telefon: 030/259 37 95-14
E-Mail: info@deutsche-alzheimer.de
Internet: www.deutsche-alzheimer.de
 
Das Alzheimer Info erscheint vierteljährlich.
Jahresabonnement: 12,00 Euro, Einzelheft: 3,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang