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DEMENZ/416: Demenz, Digitalisierung und Technik (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 4/18
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Demenz, Digitalisierung und Technik

von Winfried Teschauer


Seit Ende des 20. Jahrhunderts befinden wir uns im Zeitalter der "Digitalen Revolution". Sie wird so genannt, weil die Digitalisierung so viele Aspekte des menschlichen Lebens verändert hat, wie davor zuletzt die Industrielle Revolution Ende des 18. Jahrhunderts. Mit Digitalisierung ist einerseits die Umwandlung von "analogen" in "digitale" Daten gemeint, also die Umwandlung in Daten, die von einer Maschine gelesen und verarbeitet werden können. Mittlerweile wird der Begriff "Digitalisierung" aber auch verwendet, um die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalen Revolution zu bezeichnen. Im Bereich Demenz begegnet uns die Digitalisierung vor allem in Form neuer technischer Möglichkeiten. Viele dieser Neuerungen werden von einigen Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen bereits völlig selbstverständlich genutzt: Zum Beispiel Smartphone-Apps mit Erinnerungsfunktion, Videotelefonie, GPS-gestützte Orientierungshilfen und Selbsthilfenetzwerke im Internet. Auch bei der Pflege und Versorgung durch Profis sind digitale Lösungen heute Standard: Digitalisierte Patientenakten und Pflegedokumentation, Computerspiele zur Beschäftigung und Aktivierung. Genauso verbreitet sind nicht-digitalisierte technische Hilfsmittel, zum Beispiel eine automatische Abschalteinrichtung für den Herd oder Klingelmatten vor dem Bett, die Pflegekräfte darauf aufmerksam machen, wenn Bewohner in der Nacht aufstehen. Die Entwicklung im Bereich Digitalisierung und Technik ist rasant und bringt immer neue, spannende Produkte mit sich. Für Menschen mit Demenz, die zu Hause leben, ist zum Beispiel die Idee des "Smart Home" interessant: Eine intelligente Umgebung, die sich den Bedürfnissen der Bewohner anpasst, sie im Alltag unterstützt und für Sicherheit sorgt. Heizung, Licht und andere technische Geräte sind miteinander vernetzt, zur Steuerung muss man keine Tasten drücken, sondern es reichen Sprachbefehle. Wie gut Spracherkennung bereits funktioniert, hat der Konzern Amazon mit seinem sprachgesteuerten Assistenten "Alexa" gezeigt. Ein weiteres potenzielles Anwendungsgebiet für Spracherkennung ist autonomes Fahren. Nach Einschätzung von Experten wird dies in rund 30 Jahren möglich sein. Auch diese Entwicklung könnte für Menschen mit Demenz nützlich sein.

Auch im Bereich der Virtuellen Realität (VR) sind die Möglichkeiten enorm gewachsen. Sogenannte VR-Brillen können den Träger in eine alternative Realität versetzen. Die Technik ist so weit fortgeschritten, dass man sich in den virtuellen Räumen sogar bewegen und darin handeln kann. Die Anwendung im Bereich Demenz, zum Beispiel bei der Biografiearbeit, ist naheliegend. Im vergangenen Jahr nutzte ein großer Elektromarkt das Thema Demenz bei der Werbung für eine VR-Brille. Der umstrittene Werbespot zeigt, wie die Brille einem demenzkranken Mann dabei hilft, seine Tochter wiederzuerkennen. Doch es werden auch ernsthafte Forschungsprojekte mit dem Einsatz von VR-Brillen für Menschen mit Demenz durchgeführt.

Besonders emotional werden Robotik-Anwendungen diskutiert. Roboter werden dank künstlicher Intelligenz immer menschenähnlicher. Sie könnten in Zukunft mehr Aufgaben bei der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz übernehmen. Intelligente Roboter arbeiten nicht nur zuvor festgelegte Schritte ab, sondern entwickeln selbst passende Lösungen. Sie sind lernfähig, können also Informationen über ihr Gegenüber sammeln, diese mit Informationen über die Versorgung von Menschen mit Demenz abgleichen und ihr Verhalten entsprechend anpassen. Ein solcher Roboter, die japanische Robbe "Paro", wird bereits in Pflegeheimen eingesetzt. Bei allen Vorteilen werfen diese technischen Möglichkeiten auch neue, ethische Fragen auf, vor allem in Bezug auf Privatsphäre und Datenschutz. Dürfen wir Menschen mit Demenz ohne ihr Wissen rund um die Uhr überwachen? Dürfen wir ihnen eine falsche Realität vorspielen? Welche sensiblen Daten werden durch kostenlose Smartphone-Apps, durch "Alexa" oder "Paro" erhoben? Was passiert danach mit diesen Daten? Und: Verbessert die neue Technik das Leben von Menschen mit Demenz tatsächlich? Sollte sie den Kontakt zu anderen Menschen (teilweise) ersetzen? Angehörige und alle anderen, die Menschen mit Demenz pflegen und versorgen, müssen sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Es stellt sich allerdings nicht die Frage, ob wir die neuen Systeme "wollen". Sie werden sich auch ohne unser Zutun durchsetzen und sicher auch viel Gutes bringen. Wichtig ist außerdem, dass Menschen mit Demenz in die Entwicklung eingebunden werden. Wir müssen aber unseren Umgang damit reflektieren. In diesem Sinne haben auch die Deutsche Alzheimer Gesellschaft und ihre Mitgliedsgesellschaften die Aufgabe, die Entwicklung kritisch zu begleiten und dabei die Interessen von Menschen mit Demenz im Blick zu behalten.


Dr. Winfried Teschauer,
Wissenschaftlicher Leiter der Ingenium-Stiftung und Mitglied im Vorstand der DAlzG

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 4/18, S. 1 u. 3
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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Das Alzheimer Info erscheint vierteljährlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2019

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