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AIDS/1035: Menschen mit HIV oder Aids fühlen sich im Alltag diskriminiert (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2016

AIDS
Scham und Vorurteil

Von Dirk Schnack


Zum 30-jährigen Bestehen der Lübecker Aids-Hilfe wurde in der Hansestadt ein Fachtag ausgerichtet.


Menschen mit HIV oder Aids fühlen sich im Alltag noch immer diskriminiert. Auf dem Fachtag in Lübeck wurde deutlich, dass sie ausgerechnet im Gesundheitswesen häufig auf Vorurteile treffen - dort, wo sie eigentlich Hilfe und Unterstützung erwarten.

Stattdessen erleben sie im Alltag immer wieder Situationen, die bei ihnen Kopfschütteln, zum Teil auch Entrüstung hervorrufen. Ein Problem für sie ist der Datenschutz: Häufig erfahren nach ihrer Wahrnehmung viel mehr Menschen von ihrer Erkrankung, als dies für die Behandlung eigentlich erforderlich wäre, etwa durch auffällige Markierungen ihrer Patientenakte. Betroffene berichteten aber auch, dass sie etwa Termine beim Zahnarzt grundsätzlich erst eine halbe Stunde nach Praxisschluss erhalten. Sie argumentieren, dass ihre Behandlung bei Einhaltung der Hygienevorschriften auch mitten in der Sprechstunde kein Problem darstellt. Sie berichten auch von einer Operation, die kurzfristig abgesagt wurde, obwohl sich die Patientin schon zum fest vereinbarten Termin in der Klinik befand. Oder von einem Betriebsarzt, der einen Beschäftigten grundlos zum Zwangs-Outing drängen wollte.

Zum 30-jährigen Bestehen der Lübecker Aids-Hilfe machten Betroffene aus ganz Deutschland deutlich, dass sie nicht gewillt sind, solche Situationen hinzunehmen. Sie forderten ein Umdenken insbesondere von Beschäftigten im Gesundheitswesen. Von Ärzten erwarten sie, dass sie sich besser informieren und sich fortbilden, damit den Betroffenen solche Situationen künftig erspart bleiben.

"Es gibt wenige Beschäftigte im Gesundheitswesen, die entspannt sind", sagte Ute Krackow von der Kieler Aids-Hilfe am Rande der Tagung. Bemängelt wurde in Lübeck insbesondere geringes Wissen über das Infektionsrisiko. Daraus resultieren im Alltag für die Betroffenen viele diskriminierende Situationen. Dabei haben die Betroffenen schon selbst genug damit zu tun, die Infizierung oder die Erkrankung für sich zu akzeptieren. So berichteten Mitarbeiter der Lübecker Aids-Hilfe, dass immer wieder hilfesuchende Menschen an ihrer Tür klingeln. Wenn sich diese aber nicht sofort öffnet, sind die Menschen verschwunden aus Scham, dass jemand sie an dieser Tür sehen könnte. Eine Patientin berichtete, wie sie jahrelang mit den Gedanken kämpfte, was wohl ihr Gegenüber von ihr hält, nachdem dieser von ihrer HIV erfahren hat.

Aus dieser Selbststigmatisierung wollen die Betroffenen herauskommen durch Aufklärung und Transparenz. "Offen und wertfrei miteinander reden", wurde auf dem Fachtag gefordert, um eine Tabuisierung zu vermeiden. Dafür hoffen die Betroffenen auf aufgeschlossene Ärzte, die sie natürlich auch kennengelernt haben. Tabuisierung vermeiden helfen soll auch eine Aktion der Lübecker Aids-Hilfe, bei der Unternehmen der Region sich offen dafür aussprechen, Menschen mit HIV zu beschäftigen. Die bisherige Resonanz ist positiv. Zum Fachtag unterzeichnete auch die Lübecker Universität eine entsprechende Erklärung, wie zuvor schon über 20 andere Unternehmen. Ein Vorbild in Braunschweig hat gezeigt, dass dieser Weg erfolgreich sein und dazu führen kann, dass bei auftretenden Problemen offener miteinander gesprochen wird. Zur Enttabuisierung beitragen soll auch eine Tragetasche mit Motiven, die eine Jury aus mehreren Vorschlägen ausgewählt hat.

In Deutschland gibt es rund 84.000 Menschen, die mit dem HI-Virus leben. Rund 3.000 infizieren sich pro Jahr, die meisten von ihnen durch ungeschützten Geschlechtsverkehr. In Schleswig-Holstein werden laut Aids-Hilfe rund 50 Neuinfektionen im Jahr gemeldet. Die tatsächliche Zahl ist aber höher, da viele Betroffene sich an Gesundheitseinrichtungen in Hamburg wenden.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201611/h16114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, November 2016, Seite 14
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2016

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