Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → KRANKHEIT


AIDS/981: HIV/Aids-Prävention zwischen den Kulturen (Spektrum - Uni Bayreuth)


Spektrum 1/2015 - Universität Bayreuth

HIV/Aids-Prävention zwischen den Kulturen
Herausforderungen im subsaharischen Afrika und in der Karibik

Von Martina Drescher und Ramona Pech


Mit der Entwicklung anti-retroviraler Therapien (ARV) ist HIV/Aids in den westlichen Ländern von einer tödlichen zu einer gut behandelbaren chronischen Krankheit geworden. Anders sieht die Situation in der Karibik und in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern Afrikas aus. Hier haben Infizierte und Erkrankte oft nur eingeschränkten Zugang zu ARV-Therapien. Wie jüngste Schätzungen von UNAIDS belegen(1), ist die Immunschwächekrankheit in diesen Ländern nach wie vor ein großes medizinisches und gesundheitspolitisches Problem - mit weitreichenden sozialen und ökonomischen Folgen.


Prävention durch Aufklärung

Vor diesem Hintergrund kommt vorbeugenden Maßnahmen, insbesondere der Aufklärung über die Krankheit und ihre Infektionswege, weiterhin eine entscheidende Rolle zu. Prävention beruht auf der Annahme, risikobehaftetes Verhalten sei einem Mangel an Wissen geschuldet. Wer über die erforderlichen Informationen verfüge, unterlasse es, sich selbst und andere zu gefährden. Die Verbreitung von Wissen über HIV und seine Ansteckungswege ist daher von der Hoffnung getragen, dass sich das Sexualverhalten verändert und die Zahl der Neuinfektionen in der Folge zurückgeht.

Diese Annahme ist jedoch keineswegs unumstritten. Denn sie setzt ausschließlich auf kognitive Faktoren und lässt wichtige affektive und psychosoziale Faktoren unberücksichtigt. Auch in Deutschland zeigen Kampagnen, etwa gegen Übergewicht oder Rauchen, dass das Wissen um die Schädlichkeit eines Verhaltens nicht zwangsläufig zu seiner Aufgabe führt. Die Dringlichkeit der Situation und das Fehlen von Alternativen gebieten es jedoch, in den subsaharischen Schwellen- und Entwicklungsländern am Grundsatz der Prävention durch Aufklärung festzuhalten. Entsprechende Maßnahmen sind dabei soweit wie möglich zu optimieren, insbesondere durch einen angemessenen Zuschnitt auf die jeweilige Zielgruppe.


Kampagnen: Im Norden konzipiert, im Süden umgesetzt

Stellt eine zielgruppengerechte Ausrichtung an sich schon eine schwierige Aufgabe dar, so kommen im subsaharischen Afrika und in der Karibik weitere Herausforderungen hinzu. Die HIV/Aids-Prävention, die in diesen Regionen zumeist von internationalen Nichtregierungsorganisationen getragen wird, steht hier zwischen verschiedenen Kulturen. Aufklärungskampagnen werden vor allem in den Ländern des globalen Nordens konzipiert und mit europäischen oder US-amerikanischen Mitteln finanziert. Die zuständigen Stellen in den Ländern des Südens haben auf diese Prozesse nur einen geringen Einfluss, sie sind hauptsächlich für die Umsetzung der Kampagnen zuständig. Infolgedessen stoßen zwangsläufig unterschiedliche, kulturell geprägte Vorstellungen von Krankheit und Krankheitsursachen, von Vorsorge und Heilung aufeinander.


Tabus und Traditionen

HIV/Aids ist eine Krankheit, die primär sexuell übertragen wird und die in vielen Ländern nach wie vor potenziell tödlich ist. Damit rührt sie an zwei stark tabuisierte Lebensbereiche, über die in vielen Gesellschaften nicht oder nur sehr eingeschränkt öffentlich kommuniziert werden kann. Oft lassen sich entsprechende Erfahrungen nur indirekt thematisieren, etwa in Form von Analogien und Bildern. Daraus erwächst eine gewisse Spannung zur expliziten Sprache, die vielen Präventionsmaßnahmen zu eigen ist.

Hinzu kommen kulturspezifische Formen der Virusübertragung, zum Beispiel durch nicht desinfizierte Instrumente im Rahmen von Beschneidungszeremonien, die ebenfalls nur mit Einschränkungen öffentlich angesprochen werden können. Nicht zuletzt können auch traditionelle Vorstellungen zur Entstehung von Krankheiten, die häufig im Übersinnlichen oder Magischen verankert sind, eine auf westlichen Denkmodellen basierende Aufklärung erschweren.


Sprachliche Herausforderungen

Für die an Präventionskampagnen beteiligten Akteure ist die Vielzahl der Sprachen in den Ländern südlich der Sahara ein weiteres Problem. Wenn wie etwa in Kamerun annähernd 250 Sprachen gesprochen werden, drängt sich die Frage auf, in welcher Sprache die Zielgruppe zu erreichen ist. Diese Frage ist keineswegs trivial, hängt doch das Verständnis der Botschaft und damit der Erfolg der Maßnahmen ganz wesentlich von der Entscheidung für die richtige Sprache ab. Meistens fällt die Wahl auf die Amtssprache, in der Regel eine ehemalige Kolonialsprache wie Französisch, Englisch oder Portugiesisch. Allerdings wird Französisch selbst in den Ländern, in denen es Amtssprache ist, nur von einem geringen Teil der Bevölkerung gesprochen, der außerhalb der Städte oft unter zehn Prozent liegt.

Eine Übersetzung der Botschaften ist angesichts der Vielzahl der afrikanischen Sprachen keineswegs einfach zu bewältigen. Konkrete und lebensnahe Dinge finden vergleichsweise leicht Eingang in die jeweiligen Sprachen und Kulturen. Für "Kondom" beispielsweise wird aus dem Französischen das Wort capote entlehnt, oder man verwendet Metaphern wie chaussette ("Strumpf"), parapluie ("Regenschirm"), couverture ("Decke"). Weil die Vorstellungen von Körper, Krankheit, Ansteckung und Sexualität teilweise erheblich divergieren, reicht es häufig jedoch nicht aus, ein Wort gegen ein anderes Wort auszutauschen. Vielmehr sind weitreichende inhaltliche Anpassungen nötig. So gibt es in der Regel keine direkten Entsprechungen für zentrale biomedizinische Begriffe wie Virus, Immunsystem, serodiskordant - Konzepte, deren Kenntnis von Präventionsmaßnahmen in der Regel vorausgesetzt werden.

Obwohl der sprachlich-kommunikative Aspekt bei der Vermittlung biomedizinischer Zusammenhänge entscheidend ist, erfährt er häufig nicht die ihm gebührende Beachtung. Dies ergab eine Untersuchung von Schulungen, die im Vorfeld einer HIV/ Aids-Präventionskampagne in Burkina Faso stattfanden. Die einwöchige Ausbildung richtete sich an künftige Multiplikatorinnen und Multiplikatoren und sollte in erster Linie komplexes biomedizinisches Wissen zu HIV/Aids vermitteln. Unterrichtssprache war Französisch, die Amtssprache Burkina Fasos. Obwohl manchen Teilnehmerinnen und Teilnehmern die nötige sprachliche Basis dafür fehlte, wurden sie bei der Übersetzung der Inhalte allein gelassen. So standen sie vor der schwierigen Aufgabe, neben dem Wissenstransfer auch den sprachlichen Transfer zu bewerkstelligen. Insofern erstaunt es nicht, wenn es bei der Übermittlung der Botschaft oftmals nicht nur zu einem Verlust von Information, sondern auch zur Verkürzung oder Verdrehung von Inhalten kommt.


Kampagnen und ihre Medien

Öffentliche Kampagnen zur HIV/Aids-Prävention stützen sich in westlichen Industrieländern hauptsächlich auf Plakate, Radio, Fernsehen, Film und zunehmend auch auf das Internet. Meistens werden verschiedene Medien miteinander kombiniert und zielgruppenspezifisch eingesetzt. In Afrika jedoch sind zahlreiche Regionen südlich der Sahara nicht oder nur unzureichend von den Medien abgedeckt. Viele Menschen sind weiterhin Analphabeten. Daher kommen hier Vermittlungsformate wie die Erzählung von Geschichten, Gruppendiskussionen oder Theaterstücke zum Einsatz. Häufig werden kostengünstige und flexibel einsetzbare Plakate verwendet, die sich ad hoc leicht herstellen lassen. Aufgrund ihres hohen visuellen Anteils eignen sie sich auch für Zielgruppen, die kaum oder überhaupt nicht lesen und schreiben können.


Ein international verfestigter Diskurs: Erfahrungen in der Karibik

In ihrer kurz vor dem Abschluss stehenden Dissertation analysiert Ramona Pech eine HIV/Aids-Präventionskampagne in der spanischsprachigen Dominikanischen Republik. Beim Vergleich mit Kampagnen in französischsprachigen Ländern Westafrikas zeigt sich: International ist mittlerweile ein stark verfestigter Aids-Diskurs entstanden, der über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg bis in die Formulierungen hinein Ähnlichkeiten aufweist. Diese Vereinheitlichung wird durch weltweit tätige Organisationen begünstigt, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort mit identischen Leitfäden und Materialien ausstatten. Sie läuft jedoch der Forderung nach einer kultursensitiven und zielgruppenspezifischen Prävention zuwider.

Die Effizienz vieler direkter Aufklärungsmaßnahmen ist auch dadurch eingeschränkt, dass sie sich am Modell des schulischen Frontalunterrichts orientieren. Ein Wechselspiel von Fragen und Antworten mag der Wissenskontrolle im Unterricht dienen. Im Rahmen der HIV/Aids-Prävention erweist sich diese Strategie, die allein auf das Memorieren und Reproduzieren von Wissen abzielt, jedoch als Pseudokommunikation. Die erforderliche Aneignung und Integration der so erworbenen Kenntnisse in die jeweils eigene Lebenswelt wird dadurch sicher nicht begünstigt.


Fazit und Ausblick

Eine sprach- und kommunikationswissenschaftlich ausgerichtete Forschung kann also für Probleme sensibilisieren und so dazu beitragen, dass Maßnahmen des Wissenstransfers zur HIV/Aids-Prävention optimiert werden. Insbesondere im Hinblick auf die Länder des globalen Südens gilt:

  • Aufklärungskampagnen sollten genauer auf die sprachlichen und kulturellen Gegebenheiten einzelner Länder und Regionen zugeschnitten werden und die Spezifika unterschiedlicher Zielgruppen stärker in den Blick nehmen. Dies dürfte die Umsetzung der propagierten Verhaltensänderungen fördern.
  • Zudem empfiehlt es sich, die Maßnahmen nicht zu stark auf einen einseitigen Transfer von Wissen im Rahmen pseudokommunikativer Gesprächspraktiken auszurichten. Deutlich erfolgversprechender ist eine interaktive Wissenskommunikation, die nicht nur Sachwissen vermittelt, sondern auch Raum für affektive und psychosoziale Aspekte lässt.

Eine neue Aktualität hat die Thematik durch den Ausbruch des Ebola-Fiebers in Westafrika erhalten. Zwar unterscheidet sich das Krankheitsgeschehen in seinem Verlauf klar von HIV/Aids. Bei dem Versuch, die Ausbreitung des Ebolavirus einzudämmen, sind jedoch kultursensible Aufklärungsmaßnahmen von zentraler Bedeutung. Insofern haben Forschungsarbeiten zu HIV/Aids exemplarischen Charakter, da die gewonnenen Erkenntnisse auch bei der Bekämpfung anderer Seuchen von Nutzen sein können.


KASTEN
 
Forschung zur HIV/Aids-Prävention an der Universität Bayreuth

Gesundheitskommunikation und speziell HIV/Aids-Prävention sind seit vielen Jahren ein Schwerpunkt am Lehrstuhl für Romanische und Allgemeine Sprachwissenschaft. Es bestehen enge Kooperationen mit Forschungspartnern in Afrika und Europa sowie mit Expertinnen und Experten aus der Praxis. Inhalte und Ergebnisse der Forschungsprojekte, aus denen zahlreiche Publikationen hervorgegangen sind, fließen in die Lehre ein. Mehrere Dissertationen befassen sich mit Aspekten der HIV/Aids-Prävention in verschiedenen regionalen Kontexten.
Internationale Tagungen zu "Wissenstransfer und Public Health" (2004) sowie "Gesundheitskommunikation" (2009) förderten den Dialog zwischen Fachleuten aus Linguistik, Psychologie, Medizin, Public Health und weiteren Disziplinen. Im Jahr 2014 wurde gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Germanistische Linguistik die Tagung "HIV/AIDS. Interdisziplinäre Perspektiven" veranstaltet.


Autorinnen

Prof. Dr. Martina Drescher hat an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Romanische und Allgemeine Sprachwissenschaft inne und ist Vice Dean der Bayreuth International Graduate School of African Studies (BIGSAS).

Ramona Pech M.A. ist Doktorandin am Lehrstuhl für Romanische und Allgemeine Sprachwissenschaft der Universität Bayreuth. Sie beendet derzeit ihre Dissertation zum Thema "Wissen in der Interaktion. Die HIV/Aids-Prävention in der Karibik am Beispiel der Dominikanischen Republik." Für ihre Forschungsarbeiten erhielt sie ein Stipendium der Bayerischen Eliteförderung.


Anmerkung

(1) vgl. www.unaids.org/en/regionscountries/countries


Literaturhinweise

• Martina Drescher: Contextualizing Local Knowledge: Reformulations in HIV/AIDS Prevention in Burkina Faso. In: Christina Higgins, Norton Bonny (eds.): Language and HIV/AIDS. Bristol etc.: Multilingual Matters (2010), S. 197-213.

• Martina Drescher: Zwischen Nichtwissen und Wissen: Plakate als Medium der HIV/Aids-Prävention im frankophonen Afrika. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik (2015) 63, im Druck.

• Ramona Pech: Versprachlichte Körperlichkeit. Eine Fallstudie zur HIV/AIDS-Prävention in der Dominikanischen Republik. In: Teresa Hiergeist et al. (Hg.): Corpus. Beiträge zum 29. Forum Junge Romanistik. Frankfurt am Main 2014, S. 341-357.


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Bildunterschriften von im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Improvisiertes Theater zur HIV/Aids-Prävention in Burkina Faso. Vor allem in den ländlichen Regionen des Landes können zahlreiche Menschen nicht oder nur unzureichend lesen. Aufklärungskampagnen können sich daher nicht auf geschriebene Texte stützen, sondern müssen andere Formate einsetzen

- Plakat zur HIV/Aids-Prävention in Kamerun

- Plakat einer HIV/Aids-Aufklärungskampagne in Mali. Es ist in Bambara verfasst

- Frontalunterricht zur HIV/Aids-Aufklärung in einem halbstädtischen Armenviertel im Großraum Santo Domingo, Dominikanische Republik

- Mitarbeiterinnen der HIV/ Aids-Prävention in Burkina Faso

*

Quelle:
Spektrum-Magazin der Universität Bayreuth
Ausgabe 1 - Juni 2015, Seite 34-37
Herausgeber: Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Telefon: 0921/55-53 56, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de
 
Spektrum erscheint ein- bis zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang