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ARTIKEL/1121: Medizinische Versorgungszentren in Schleswig-Holstein (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2009

MVZ im Norden
Ärzte schwanken zwischen Ablehnung und Anstellung

Von Dirk Schnack


250 Ärzte aus Schleswig-Holstein arbeiten in Medizinischen Versorgungszentren und schöpfen dabei alle gesetzlichen Möglichkeiten aus.

Ein Klinik-Verwaltungschef, niedergelassene und angestellte Ärzte sind bester Laune: Das neue MVZ Brunsbüttel ist gerade offiziell eröffnet worden. Die Beteiligten sind überzeugt, mit dem neuen Versorgungszentrum in Trägerschaft des regionalen Krankenhauses für die Patienten, für die Ärzte und für die Klinik die bestmögliche Lösung gefunden zu haben.

Ortswechsel: Bad Segeberg, Abgeordnetenversammlung der KVSH vor wenigen Monaten: Der Abgeordnete Dr. Horst Hilpert aus Uetersen nimmt öffentlich Stellung zu Vorwürfen von Kollegen aus seiner Umgebung. Stein des Anstoßes: Hilpert hat seinen Kassenarztsitz an eine Klinik verkauft, arbeitet seitdem als angestellter Arzt und kann nach Auffassung mancher Kollegen damit nicht mehr die Interessen der niedergelassenen Ärzte als Abgeordneter vertreten. Die beiden Beispiele zeigen, wie unterschiedlich das Thema MVZ unter niedergelassenen Ärzten in Schleswig-Holstein derzeit diskutiert wird. Auf der einen Seite Praxisinhaber, die mit dem Vordringen der Krankenhäuser in die ambulante Versorgung in erster Linie Konkurrenz und Fremdbestimmung vorhersagen und die ärztliche Freiberuflichkeit in Gefahr sehen. Auf der anderen Seite Ärzte, die für ihren Kassenarztsitz nur noch Kliniken als Käufer finden, in der Versorgung durch MVZ-Ärzte keine Nachteile sehen und denen die Anstellung in einem MVZ Möglichkeiten eröffnen, die sich vorher nicht boten. Zwischen Ablehnung oder Anstellung existieren inzwischen zahlreiche Modelle, die trotz aller Bedenken im Alltag funktionieren und die ein konstruktives Miteinander von Praxisinhabern und Krankenhäusern zulassen.

Ein Beispiel dafür ist das MVZ Dr. Lehmann in Neumünster. Dort halten drei niedergelassene Ärzte die Mehrheit am MVZ, das Friedrich-Ebert-Krankenhaus (FEK) ist über seine Belegklinik Dr. Lehmann Minderheitengesellschafter. "Wir haben einen Fuß in der Tür zur ambulanten Versorgung. Mit unserem Engagement haben wir alle Ziele erreicht - auch eine 100-prozentige Beteiligung wäre für uns nicht erfolgreicher", sagt FEK-Geschäftsführer Alfred von Dollen. Das Sagen im MVZ Dr. Lehmann haben die niedergelassenen Ärzte: Der ärztliche Leiter Dr. Norbert Spilok und seine chirurgischen Kollegen Dr. Gerhard Schubert und Dr. Frank Supke halten zusammen 75 Prozent der Anteile an der MVZ-GbR. Vierter Arzt im Hause ist der angestellte Dr. Andreas Losch, dessen Gehalt aus den Gewinnanteilen des Minderheitsgesellschafters FEK bezahlt wird.

Zusammen bieten die vier Chirurgen des MVZ Dr. Lehmann das gesamte Spektrum chirurgischer und unfallchirurgischer Basisversorgung an - von der konservativen Traumatologie über die kleine Handchirurgie bis hin zur chirurgischen Notfallversorgung und Behandlung von Arbeitsunfällen. Entstanden ist das MVZ wie so oft: im Zuge der Nachfolgeregelung für einen ausscheidenden Kollegen kamen die Praxisinhaber und das örtliche Krankenhaus ins Gespräch. "Wir hatten ein gemeinsames Ziel, nämlich die ambulante Versorgung vor Ort zu erhalten", sagt der ärztliche Leiter Dr. Norbert Spilok. Weil das Krankenhaus zudem wenig Interesse an einer Mehrheit im MVZ zeigte, wurden sich Klinik und niedergelassene Ärzte einig. Das führt dazu, dass die im MVZ behandelten Patienten für Klinikeinweisungen heute auf Nachfrage von den Ärzten je nach Eingriff weiterhin die Empfehlung bekommen, die sie für die beste für den Patienten halten. Rund jeder zweite Patient, schätzt Spilok, lässt sich im FEK stationär behandeln. Viele hören bei der Empfehlung auch auf ihren Hausarzt, haben eigene Erfahrungen gesammelt oder vertrauen auf den Rat von Freunden und Angehörigen. Ein solch buntes Bild hätte sich nach Einschätzung der niedergelassenen Ärzte nicht ergeben, wenn ein konkurrierender Klinikbetreiber den Sitz übernommen hätte. Dann, so schätzt Spilok, wären sicherlich mehr Patienten aus Neumünster in andere Einrichtungen außerhalb der Stadt überwiesen worden.

Damit ist auch für von Dollen ein wichtiges Ziel des MVZ-Engagements erreicht. Neben der Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten ist für ihn wichtig, dass er sich im Wettbewerb gegen Konkurrenten positionieren konnte. Für die niedergelassenen Ärzte im MVZ ergeben sich aus der Kooperation mit dem Krankenhaus in erster Linie Kostenvorteile. Ein gemeinsamer Einkauf etwa von Materialien wie Gips und eine gemeinsame Buchhaltung haben Einsparungen bewirkt. Allein für den Materialeinkauf sind dies zwischen 20.000 und 30.000 Euro im Jahr. Als leichten Nachteil empfindet Spilok, dass die früher kurzen Entscheidungswege der Ärzte in der Gemeinschaftspraxis heute nicht mehr möglich sind - durch den externen Partner sind dafür längere Wege und Fristen erforderlich.

Nicht bei jedem niedergelassenen Arzt kam die vor vier Jahren erfolgte Umwandlung der Gemeinschaftspraxis in ein MVZ gut an. Spilok, der auch KV-Kreisvorsitzender in Neumünster ist, erinnert sich an einige Unmutsäußerungen seiner Kollegen. "Es gab starke Vorbehalte, bis hin zu Verratsvorwürfen", sagt Spilok, der versucht hat, den Bedenken mit Transparenz und Fakten zu begegnen. Schließlich ist im Gesellschaftsvertrag geregelt, dass gegen die Mehrheit der niedergelassenen Ärzte keine Entscheidung getroffen werden kann. Und Spilok ist als leitender Arzt im MVZ weisungsbefugt gegenüber dem angestellten Kollegen. Eine so reibungslose Zusammenarbeit, wie sie die Ärzte in Neumünster bislang pflegen, ist aber nicht selbstverständlich. Die Skepsis bei vielen niedergelassenen Ärzten ist ungebrochen groß. Dies zeigt eine Pressemittelung des Ärztenetzes Hamburg Nordwest, in der die Vorteile von Ärzteverbünden gegenüber MVZ mit angestellten Ärzten herausgestellt werden. "Der angestellte Arzt im MVZ hat eine ganz andere berufliche Motivation als der niedergelassene Arzt. Sein Interesse an der Patientenbindung ist geringer, da er im Schichtdienst tätig ist und der Patient beim nächsten Termin unter Umständen von einem Kollegen behandelt wird", schreibt darin der niedergelassene Lungenfacharzt Dr. Ralf Oertel. Zugleich heben die Praxisinhaber im Hamburger Norden auf den Verdacht ab, dass MVZ Patientenströme im Sinne des Klinikträgers lenken könnten - und zum Teil sogar unberechtigte Einweisungen vornehmen. "So mancher ambulanter Patient des MVZ kann ohne dringenden Grund stationärer Patient der angeschlossenen Klinik werden. Die Neuregelung der Klinikvergütungen über Fallpauschalen zwingt wirtschaftlich denkende Kliniken geradezu zu diesem Schritt", behaupten die Netzärzte. Der Netzvorsitzende Dr. Hans-Jürgen Juhl sieht in der wachsenden Zahl von MVZ eine Gefahr auch für die Kosten im Gesundheitswesen: "Die Patienten werden aus wirtschaftlichen Gründen vom ambulanten in den stationären Bereich umgeleitet."

Noch kann man in Schleswig-Holstein nicht von einer breiten MVZ-Bewegung sprechen. Im Oktober gab es in unserem Bundesland 49 Medizinische Versorgungszentren, in denen insgesamt 250 Ärzte tätig sind. 27 dieser Zentren befinden sich in Klinikträgerschaft. Damit sind Kliniken als MVZ-Träger in Schleswig-Holstein deutlich aktiver als im Bundesdurchschnitt. Dies betrifft sowohl kommunal geführte wie auch private Träger. Die von den Praxisinhabern empfundene Bedrohung ist unabhängig davon, ob ein Krankenhaus privat oder kommunal geführt wird. Von den MVZ-Ärzten in Schleswig-Holstein sind 179 angestellt und 71 niedergelassen. Hausärzte sind in MVZ eine Minderheit. In Klinik-MVZ gibt es erwartungsgemäß nur wenige Vertragsärzte, nämlich 18. Solche Konstellationen finden sich u. a. im MVZ Brunsbüttel. Anka Behrens etwa war 17 Jahre lang in Marne in einer Einzelpraxis niedergelassen. Als die Frauenärztin vom geplanten Versorgungszentrum der Westküstenkliniken Heide/Brunsbüttel am Standort in der Elbstadt hörte, zögerte sie nicht lange und verlegte ihren Kassenarztsitz dorthin. Sie hat den Schritt nicht bereut. "Ich muss mir Gedanken um die Zukunft machen und diese Chance kommt nicht wieder. Es gibt schließlich immer mehr Kollegen in unserer Region, die keinen Nachfolger finden", sagt Behrens. Bedenken, dass ihre Patienten damit weitere Wege zum Arzt haben, kann sie widerlegen - viele von ihnen stammen aus dem Umland und haben es nach Brunsbüttel nicht weiter als zum früheren Praxisstandort Marne. Dort ist nun nur noch eine Frauenärztin tätig. Für Behrens ändern sich zwar Standort und die neue Arbeit im Team unter einem Dach, aber sie behält ihren Kassenarztsitz als Minderheitsgesellschafterin in der MVZ-Gesellschaft. Zugleich bietet ihr die Westküstenklinik als Mutter des MVZ-Trägers WestDoc die Option, ihren Sitz später zu kaufen - eine Sicherheit, die sie ohne die Verlegung nicht gehabt hätte. Sofort verkauft hat dagegen Dr. Frank Wurms aus Meldorf. Der 67-jährige Gynäkologe hat schon seit Jahren vergeblich nach einem Nachfolger gesucht. "Die Kollegen empfinden Dithmarschen offenbar nicht als attraktiv", fasst er seine Bemühungen zusammen. Er selbst stammt von dort und war 31 Jahre lang niedergelassen. Nun ist er angestellter Arzt im MVZ, kann seine Arbeitszeit reduzieren und aufhören, wann er möchte - denn die Nachbesetzung ist Sache des MVZ-Trägers. Wie vielfältig die Möglichkeiten für Ärzte in einem MVZ sein können, zeigt Dr. Sandra Rauen. Die zuvor angestellte Klinikärztin arbeitet nun als niedergelassene Gynäkologin und ist ärztliche Leiterin des MVZ in Brunsbüttel. Zugleich schöpft sie die gesetzlichen Möglichkeiten aus und ist noch bis zu 13 Stunden auf Honorarbasis für die Klinik im Einsatz. Sie hält die zahlreichen Kombinationen im MVZ für ideal: "Diese Mischung bietet viele Möglichkeiten." WKK-Verwaltungschef Harald Stender sieht die Möglichkeiten des MVZ damit noch immer nicht ausgeschöpft. Er plant weitere Ergänzungen und neue Fachrichtungen und hält die Tür für weitere Ärzte offen: "Hier kann fast jeder mitmachen." Er hat versucht, vor der Gründung die niedergelassenen Ärzte so zu informieren, dass keine Konkurrenzängste aufkommen. Zugleich weiß er um die Bedenken vieler Praxisinhaber, die die Aktivitäten des regionalen Krankenhauses misstrauisch beobachten und den umtriebigen Manager manchmal auch als Bedrohung empfinden. Deshalb steht für ihn fest, dass das MVZ keine hausärztlichen Sitze bekommt und nur das bestehende Angebot des WKK ergänzen darf: "Es muss zum Sortiment passen."

Wenig Verständnis bringt Stender für die Absicht der Koalition auf, dass nur noch Ärzte die Mehrheit an einem MVZ halten sollen. Denn seine Erfahrungen in Dithmarschen zeigen, dass immer weniger Ärzte bereit sind, noch Geld für Praxissitze auf dem Land auszugeben - so dass oft nur das regionale Krankenhaus als Interessent für den Kassenarztsitz bleibt.

Für Anka Behrens steht fest, dass sie sich richtig entschieden hat. Eine Tätigkeit als angestellte Ärztin kommt für sie derzeit aber noch nicht in Frage. Wichtig war für sie, dass sie vor der Praxisverlagerung von der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein beraten wurde. Von der Klinik hat sie sich zusichern lassen, dass sie die von ihr geforderten Freiheiten behält. Die Ärztin stellt klar: "Einweisungsquoten und Therapieverpflichtungen durch die Klinik sind No Goes."

Dies zeigt die Sensibilität, mit der niedergelassene Ärzte auf die MVZ-Gründungen durch Kliniken reagieren. Im jüngsten Versorgungsbericht schreibt die KV SchleswigHolstein denn auch treffend: "Noch geht von den Krankenhaus-MVZ keine Gefährdung der bestehenden guten hausärztlichen Versorgung in Schleswig-Holstein aus." Zugleich macht die Körperschaft aber auch deutlich, dass unter dem Gesichtspunkt Versorgung jeder Standort, den Krankenhaus-MVZ errichten, hinterfragt werden muss. Denn es fällt auf, dass die von den Krankenhäusern betriebenen MVZ bislang kaum in der Fläche zu finden sind: "Sie bevorzugen mehrheitlich Standorte in der Landeshauptstadt, den Kreisstädten sowie im Hamburger Umland", gibt die KV im Versorgungsbericht zu bedenken. Die KV prognostiziert deshalb: "Die wachsende Zahl von Medizinischen Versorgungszentren bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Versorgungssituation vor Ort."

Wie uneinheitlich aber die Ärzte selbst und Kliniken auf die MVZ reagieren, zeigt ihre Bewertung der entsprechenden Pläne in der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP auf Bundesebene. Dort ist festgehalten, dass MVZ nur noch unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen werden sollen. Eine davon: Das MVZ soll von Ärzten verantwortlich geführt werden und die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte soll Ärzten zustehen. Nur für den Bereich unterversorgter Gebiete soll eine Öffnungsklausel für Krankenhäuser formuliert werden - wenn keine ärztlichen Interessenten zur Verfügung stehen. Ob diese Absichtserklärung in Gesetzesform gegossen wird, blieb bis Redaktionsschluss offen. Fest steht dagegen, dass die Beteiligten vor Ort diese Regelung je nach Situation in ihrer Region teils ablehnen - wie etwa in Brunsbüttel - teils aber auch - wie in Neumünster - für sinnvoll erachten.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Dr. Norbert Spilok: Niedergelassene Ärzte als Mehrheitsgesellschafter im MVZ.
- Anka Behens verlegte ihren Praxissitz in ein MVZ, behält aber ihren Kassenarztsitz.
- Dr. Sandra Rauen: Von der Klinikangestellten zur ärztlichen Leiterin eines MVZ.
- Dr. Frank Wurms fand keinen Nachfolger und verkaufte an ein MVZ. Jetzt ist er angestellt.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200912/h09124a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2009
62. Jahrgang, Seite 14 - 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -188
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2010

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