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ARTIKEL/1024: Warnung vor der e-Card (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 1/2009

Warnung vor der e-Card


Schon gibt es rund eine halbe Millionen Menschen, die mit ihrer Unterschrift gegen die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, der so genannten e-Card, protestieren. Knapp 36.000 Bürger haben sich einer Sammelklage dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht angeschlossen - Zahlen, wie sie jüngst genannt wurden beim Arbeitskreis Interdisziplinäres Ethik-Seminar am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).

Die in Hamburg niedergelassene Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Silke Lüder beschäftigt sich nach eigener Aussage seit gut zwei Jahren mit dem Thema, sie ist Sprecherin der Aktion "Stoppt die e-Card". Sie ist überzeugt: "Würde diese Karte tatsächlich eingeführt, wäre sie geeignet, unsere Arbeit als Ärzte völlig umzukrempeln!" Die im Deutschen Bundestag 2004 beschlossene Karte soll die jetzt gültige Versicherungskarte ersetzen. Aufgrund der zahlreicher gewordenen diagnostischen Möglichkeiten, so die Befürworter der Karte, gebe es eine unvorstellbare Flut von Daten. Nur die Telematik sei in der Lage, dieser Flut Herr zu werden. Silke Lüder: "Hier wird aus meiner Sicht ein Popanz aufgebaut, allein mit dem Ziel, die multimediale elektronische Patientenakte aufbauen zu können." Andererseits sei dies ein "Projekt der Pannen und Pleiten", noch immer sei die Karte nicht eingeführt, offenbar sei es schwieriger als gedacht, die geplante Vernetzung in den Griff zu bekommen. Nun sei sie 2009 erst einmal für Nordrhein-Westfalen vorgesehen. Die Kosten für die e-Card, nicht ganz unwichtig, belaufen sich nach regierungsamtlichen Angaben auf 1,5 Milliarden Euro. Andere Berechnungen kommen zu dem Ergebnis: Sieben bis zwölf Milliarden werden es ganz locker sein. Gegen die Karte spricht nach Angaben von Silke Lüder, dass es nach wie vor keine Kosten-Nutzen-Analyse gebe. Stattdessen werden lediglich gebetsmühlenartig Vorteile genannt, etwa eine bessere Versorgung der Patienten und eine Minderung von deren Risiken. Gewarnt werden müsse aber vor der zentralen Vernetzung, "auf die bei dieser Art von Telematik Interessierte jederzeit zurückgreifen können". Gefragt werden könne auch: "Wo bitteschön, mangelt es denn tatsächlich bei der Kommunikation zwischen Arzt und Patient?" Die Versicherten sollten auch wissen, dass sie die hauptsächlichen Kostenträger, neben den Ärzten, bei diesem Projekt seien, "allein wenn es um die notwendige Verschlüsselung aller Daten geht". Firmen wie IBM, Siemens oder auch eine Tochter der Deutschen Telekom seien überaus interessiert, dass die Karte endlich komme.

Alternativen zur e-Card

"Wir meinen hingegen", so Silke Lüder, dass es genug Alternativen gibt, genannt seien World Medical Card, Medocard oder Maxidoc - "für diejenigen, die so etwas haben möchten oder brauchen. Einen Zwang zur Kontrolle und eine Störung der Arzt-Patienten-Beziehung brauchen wir jedenfalls nicht!" Zu dem immer wieder behaupteten Mehr an Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen werde es mit dieser Karte nicht kommen, denn "Die angeblichen Doppeluntersuchungen haben sich dank der DRGs längst aufgelöst. Und im ambulanten Bereich haben wir Budgets, die zu häufige Doppeluntersuchungen verhindern." Also mehr Qualität durch verbesserte Kommunikation? Dafür gibt es bislang keinen Beleg in den bisherigen Testregionen. Stattdessen: "Es dauert sehr lange, ehe ein elektronisches Rezept erstellt ist, nicht zuletzt wegen der sechsstelligen PIN-Nummer, die künftig jeder haben muss." Silke Lüder sagte, das Arzt-Patienten-Verhältnis brauche Schutz: "Was soll denn jetzt transparent werden - die Ärzte, die Patienten, die Krankheiten, das System? Für wen?!" Erwähnt werden müsse, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis zur Privatsphäre gehöre. Leider habe beim jüngsten Deutschen Ärztetag der Vorstand der Bundesärztekammer offensichtlich nicht verstanden, "dass eine Mehrheit der Basis der e-Card zumindest kritisch gegenüberstehe", stellte Silke Lüder fest. Und: "Das Gesundheitswesen darf nicht einfach in eine Gesundheitswirtschaft gemodelt werden!" Ärztliches Handeln, warf Prof. em. Dr. Winfried Kahlke vom Arbeitskreis Interdisziplinäres Ethik-Seminar ein, "ist eine der letzten Domänen, die nicht digitalisiert werden sollte. Mit der e-Card kommen wir an eine Grenze, die nicht überschritten werden darf".

Wenig speichern heißt mehr Sicherheit

Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsspeicherung erklärte, zu den auf der e-Card anfallenden Daten gehöre die Identität des Patienten, Ort und Zeit des Arztbesuchs, Ort und Zeit des Apothekenbesuchs, Behandlungen, Medikamente, Diagnose, Unverträglichkeiten "das ist die befürchtete elektronische Patientenakte!" Immerhin könnten alle Daten in falsche Hände gelangen, sei es durch Irrtümer, Datenunfälle, Einzelfallmissbrauch durch unmittelbar Beteiligte, übergeordneten Missbrauch, also solcher, der beabsichtigt ist (siehe das Beispiel der Bespitzelung bei der Telekom). Daten könnten weitergegeben werden an Behörden, und zwar ohne gesetzliche Grundlage, es könnten notfalls aber auch gesetzliche Grundlagen geändert werden. "Wer seine Daten verlässlich schützen will, dem bleibt nur eines: Er darf sie nicht speichern lassen", stellte Kai-Uwe Steffens fest und zitierte damit einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung. Auch die Frage "Was heißt eigentlich freiwillige Herausgabe von Daten?" sollte bedacht werden. Kai-Uwe Steffens stellte ebenfalls fest, dass Daten wie die genannten die Privatsphäre betreffen; würden sie missbräuchlich verwendet, könne es zu Störungen im Familien- und Freundeskreis kommen. Nachteile am Arbeitsplatz bis hin zum Verlust seien denkbar. Finanzielle Nachteile für den Betroffenen könnten entstehen und insgesamt eine Beschädigung des sozialen Sicherungssystems, da die anfallenden Daten das Sozialverhalten beeinträchtigen. Bei spektakulären Fällen würden Verhaltensänderungen eintreten, ebenso wie durch Unsicherheit und Furcht vor Datenausbrüchen (der nächste Arztbesuch falle dann vielleicht flach oder auch der Gang zur Aids-Beratung). Als Alternativen zur geplanten e-Card nannte Kai-Uwe Steffens: "Die Daten bleiben beim Arzt, bei Bedarf können sie versandt werden. Einen Einzelzugriff kann es bei Bedarf und nach Genehmigung des Patienten geben. Und wenn diese und andere Alternativen nicht greifen, kann man durchaus auf Datensammlungen verzichten! So schwer manchem auch eine solche Vorstellung fallen mag. Ich halte es jedenfalls für wichtiger, die Privatsphäre zu schützen, statt fragwürdigen wirtschaftlichen Vorteilen nachzujagen."

Schön wäre es, wenn das Thema Datenschutz und -vorratsspeicherung in unserer Bevölkerung ähnlich lebhaft diskutiert würde wie am Ende dieser Veranstaltung! (wl)

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 1/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200901/h090104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Dr. Silke Lüder
- Kai-Uwe Steffens

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Januar 2009
62. Jahrgang, Seite 65 - 66
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Karl-Werner Ratschko (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-119, -127, Fax: -181
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2009

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