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MELDUNG/585: Ebola-Epidemie in Westafrika - Deutsche Regierung muss endlich mehr tun (Ärzte ohne Grenzen)


Ärzte ohne Grenzen - 17. September 2014

Ebola-Epidemie: Deutsche Regierung muss endlich mehr tun



Berlin, 17. September 2014. Die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen kritisiert die bisherige Reaktion der deutschen Regierung auf die Ebola-Epidemie in Westafrika als unzureichend. "Anstatt mit aller Entschlossenheit die in Deutschland vorhandenen Kapazitäten zu nutzen, beschränkt sich das deutsche Engagement bislang lediglich auf die finanzielle Unterstützung vor Ort tätiger Organisationen", schreiben der Geschäftsführer und der Vorstandvorsitzende der deutschen Sektion heute in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zur Bekämpfung des Ausbruchs müssten sofort der deutsche Katastrophenschutzapparat und andere geeignete Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Angesichts des Ausmaßes der Krise sei die bisherige Antwort der Staatengemeinschaft kläglich.

"Wir rufen Sie dazu auf, dringend benötigte Ressourcen zum Aufbau und Betrieb von Isolierzentren, insbesondere ausgebildetes Personal sowie Labor- und Transportkapazitäten, umgehend in die betreffenden Regionen zu entsenden", schreiben Florian Westphal und Tankred Stöbe. "Das betrifft sowohl zivile als - in diesem Ausnahmefall - auch militärische Teams; letztere dürfen aber nur für medizinische Zwecke eingesetzt werden. In Abstimmung mit den betroffenen Ländern und unter Koordination der Vereinten Nationen ist eine schnellstmögliche, konkrete Umsetzung der von der Weltgesundheitsorganisation erarbeiteten Roadmap dringend geboten. Deutschland hat hier eine politische und humanitäre Verantwortung."

Ärzte ohne Grenzen ist seit März 2014 im Ebola-Einsatz in Westafrika. Derzeit arbeiten rund 210 internationale und 1.650 lokale Mitarbeiter der Organisation in Guinea, Liberia, Sierra Leone, Nigeria und Senegal. Sie betreiben fünf Ebola-Behandlungszentren mit einer Kapazität von insgesamt 457 Betten. Seit März hat Ärzte ohne Grenzen 2.615 Patienten aufgenommen, von denen 1.408 positiv auf Ebola getestet wurden. 342 Menschen wurden gesund.

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OFFENER BRIEF an
Frau Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin

Berlin, 17. September 2014


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

die aktuelle Ebola-Epidemie in Westafrika stellt eine in dieser Art nie dagewesene Katastrophe dar. Dieser Ausbruch bedroht die Menschen und die ökonomische und soziale Ordnung sowie die Sicherheit einer ganzen Region. Wir bitten Sie heute erneut eindringlich darum, den deutschen Katastrophenschutzapparat und andere geeignete Ressourcen sofort zur Bekämpfung des Ausbruchs in Westafrika zur Verfügung zu stellen.

Angesichts des Ausmaßes der Krise ist die bisherige Antwort der Staatengemeinschaft kläglich. Obwohl einzelne Staaten, wie beispielsweise die USA, ihre Hilfsprogramme deutlich aufgestockt haben, liegt eine effektive und angemessene Reaktion zum jetzigen Zeitpunkt immer noch in weiter Ferne.

Die Bundesregierung hat bisher kaum auf die Epidemie reagiert. Anstatt mit aller Entschlossenheit die in Deutschland vorhandenen Kapazitäten zum Aufbau und Betrieb von Isolierstationen und anderer medizinischer Maßnahmen in Westafrika zu nutzen, beschränkt sich das deutsche Engagement bislang lediglich auf die finanzielle Unterstützung vor Ort tätiger Organisationen (darunter auch ÄRZTE OHNE GRENZEN). In Deutschland ist die Aufnahme eines Mitarbeiters der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die medizinische Versorgung in Hamburg ein Schritt in die richtige Richtung.

ÄRZTE OHNE GRENZEN warnt seit Monaten davor, dass die Epidemie außer Kontrolle gerät; seit Wochen ist überdeutlich, dass sie ohne ein massives Eingreifen der Staatengemeinschaft nicht eingedämmt werden kann. Auch die bereits betroffenen Staaten und die WHO richten sich mit immer dramatischeren Apellen und Hilfegesuchen an die Geberländer und auch an Deutschland, wie der eindringliche Brief der Präsidentin von Liberia, Ellen Johnson Sirleaf, an Sie zeigt. Passiert ist bislang wenig, während alleine in Monrovia mindestens 1.000 zusätzliche Betten für Patienten gebraucht werden.

Die Zahl der infizierten Menschen und der Toten steigt täglich weiter an. Isolierstationen und Behandlungszentren sind überfüllt, und unsere Mitarbeiter müssen schrecklicherweise Patienten abweisen. Leichen liegen offen in den Straßen. Das Gesundheitspersonal der betroffenen Länder erkrankt und stirbt in erschreckender Zahl. Gesundheitssysteme sind zusammengebrochen, sodass ganzen Regionen jegliche medizinische Versorgung fehlt. Behandelbare Krankheiten, Schwangerschaftskomplikationen und andere Notfälle fordern so zusätzliche Todesopfer.

Wir rufen Sie dazu auf, dringend benötigte Ressourcen zum Aufbau und Betrieb von Isolierzentren, insbesondere ausgebildetes Personal sowie Labor- und Transportkapazitäten, umgehend in die betreffenden Regionen zu entsenden. Das betrifft sowohl zivile als - in diesem Ausnahmefall - auch militärische Teams; letztere dürfen aber nur für medizinische Zwecke eingesetzt werden. In Abstimmung mit den betroffenen Ländern und unter Koordination der Vereinten Nationen ist eine schnellstmögliche, konkrete Umsetzung der von der WHO erarbeiteten Roadmap dringend geboten. Deutschland hat hier eine politische und humanitäre Verantwortung. Das Leiden und die Angst der Menschen in den betroffenen Regionen sind unvorstellbar. Nur durch eine sofortige und entschlossene Reaktion Deutschlands und der internationalen Gemeinschaft kann die Katastrophe gestoppt werden.


Mit vorzüglicher Hochachtung

Florian Westphal
Geschäftsführer ÄRZTE OHNE GRENZEN E.V.

Dr. Tankred Stöbe
Vorstandsvorsitzender ÄRZTE OHNE GRENZEN E.V.


Kontakt:
Florian Westphal
E-Mail: Florian.Westphal@berlin.msf.org
www.aerzte-ohne-grenzen.de

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen e. V. / Medecins Sans Frontieres
Am Koellnischen Park 1 - 10179 Berlin - Germany
Pressestelle: Telefon: + 49 (30) 700 130 - 230
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Internet: www.aerzte-ohne-grenzen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2014