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FINANZEN/632: Krankenhaus-Notaufnahmen sind und bleiben unterfinanziert (idw)


Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. - 12.02.2019

Krankenhaus-Notaufnahmen sind und bleiben unterfinanziert


Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) begrüßt die zusätzlichen Mittel für Notaufnahmen im Rahmen des Notfallstufenkonzeptes des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Die Fachgesellschaft weist jedoch darauf hin, dass es auch mit den neuen Zuschlägen für die an der Notfallversorgung teilnehmenden Kliniken bei einer Unterfinanzierung der Notaufnahmen bleibt. Zudem spricht sie sich für die Teilhabe von Orthopäden und Unfallchirurgen an der Notaufnahme-Leitung aus. Denn durchschnittlich ein Drittel der Diagnosen in der Notaufnahme betreffen das Fach Orthopädie und Unfallchirurgie.

Eine Studie (doi.org/10.1007/s00113-018-0577-5) zeigt zudem jetzt erstmals genaue Zahlen für eine Großstadt: Im Untersuchungsgebiet München mussten 43 Prozent der Notfallpatienten am Muskel-Skelett-System behandelt werden. Bei den meisten Fällen handelt es sich um Verletzungen. "O und U ist ein wesentlicher Bestandteil in der Notfallmedizin. Dem müssen wir mit orthopädischer und unfallchirurgischer Fachkompetenz und gut ausgestatteten Notaufnahmen begegnen", sagt Prof. Dr. Paul Alfred Grützner, Präsident der DGOU und der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie e.V. (DGU).

"Die Vergütung der Versorgung innerhalb der Notaufnahmestrukturen ist seit Jahren nicht ausreichend und bildet nicht die hohen Vorhaltekosten ab", sagt Prof. Dr. Dietmar Pennig, stellvertretender DGOU-Generalsekretär. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auf den Weg gebrachte Regelung zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern sieht nun Verbesserungen vor: Zukünftig sollen Krankenhäuser der Stufe eins für die Basisnotfallversorgung 153.000 Euro, Krankenhäuser der Stufe zwei für die erweiterte Notfallversorgung 459.000 Euro und Krankenhäuser der Stufe drei für die umfassende Notfallversorgung 688.500 Euro jährlich erhalten. Darüber hinaus reduziert sich jede einzelne DRG-Fallpauschale jedes vollstationären Patienten in einer Klinik, die nicht an der Notfallversorgung teilnimmt. Der sogenannte Rechnungsabschlag beträgt 60 Euro. "Das liegt weit hinter unseren Erwartungen und den Notwendigkeiten", kritisiert Professor Dr. Andreas Seekamp, DGOU-Vorstandsmitglied und Mitglied des Fachbeirates Chirurgie in der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Damit blieben die Notaufnahmen mit ihren hohen Vorhaltekosten weiter unterfinanziert. Insbesondere für schwerverletzte Patienten seien aber modernste Diagnostikeinheiten wie Ultraschall, Computertomografie und MRT sowie qualifiziertes Personal mit ausreichenden Schockraum-Kapazitäten für schnelle Diagnostik und Therapieentscheidungen an 365 Tagen rund um die Uhr notwendig.

Außerdem sieht das neue Notfallstufenkonzept eine Neuerung bei der Organisation der Notaufnahme vor: Demnach verfügt der Leiter einer Notaufnahme neben seiner Facharztqualifikation über die neue Zusatzweiterbildung "Klinische Notfall- und Akutmedizin". Ein bundesweit einheitliches Leitungsmodell ist jedoch nicht vorgesehen. Allerdings plädiert die DGOU für die Beteiligung eines Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie an der Leitung einer Notaufnahme unter Beachtung der Vorgaben der gesetzlichen Unfallversicherung. "Ungeachtet der Organisation der Notaufnahme ist deshalb zu gewährleisten, dass die Versorgung von Arbeitsunfallverletzten in den Zuständigkeitsbereich des Durchgangsarztes fällt", so Prof. Grützner.

Wie die Münchner Studie zeigt, stellt die orthopädische und unfallchirurgische Kompetenz eine der Schlüsselqualifikationen in der Notaufnahme dar. Ziel ist es daher, die Kompetenz und personelle Ausstattung sowie die Gestaltung der Dienstpläne und damit Vorhaltung von Ärzten entsprechend dem Patientenaufkommen zu optimieren. "Dies kann mit einem klug durchdachten Leitungsmodell gelingen, bei dem in einem Notaufnahmeboard die Fächer berücksichtigt werden, die einen hohen Anteil an Notfallpatienten versorgen", sagt Seekamp, Direktor der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Zudem spricht sich die Fachgesellschaft dagegen aus, dass Notaufnahmen als gesonderte Kliniken mit eigener Chefarztposition etabliert werden. Denn das G-BA-Papier (§ 6 Satz 2) lässt viel Spielraum offen bei der Organisation einer Notaufnahme: Es heißt lediglich, dass die Notaufnahme eine eigenständige Organisationseinheit sein müsse. Daher warnt Seekamp: "Eine Klinik in der Klinik führt zu einer Entkopplung von Notfallbehandlung und fachqualifizierter Versorgung und schafft zusätzlich Schnittstellenprobleme."

Dass es für Orthopäden und Unfallchirurgen in der Notfallmedizin viel zu tun gibt, zeigt jetzt erneut die Münchner Studie mit dem Titel "Stellenwert der Unfallchirurgie für die Notaufnahme einer deutschen Millionenstadt - eine Auswertung von 524.716 Notfallpatienten": Wissenschaftler des Klinikums rechts der Isar (MRI) der Technischen Universität München und des Instituts für Notfallmedizin und Medizinmanagement (INM) des Klinikums der Universität München (LMU) untersuchten in ihrer Studie alle Patienten, die sich in einer von 14 Münchner Notaufnahmen im Beobachtungszeitraum zwischen Juli 2013 und Juni 2014 vorgestellt hatten. Von insgesamt 524.716 Notfallpatienten konnten 393.587 in die Studie eingeschlossen werden. 169.208 davon wurden aufgrund eines orthopädisch-unfallchirurgischen Krankheitsbildes behandelt - das sind 43 Prozent. Die Patienten stellten sich rund um die Uhr vor, wobei die Hauptaufnahmezeit unter der Woche zwischen 8 bis 14 Uhr lag und sich am Wochenende in die Abendstunden verlagerte. Hauptdiagnose ist die Verletzung des Kopfes, gefolgt von Verletzungen der Hand und des Unterarms sowie des Knöchels. 20 Prozent der Patienten erlitten eine Fraktur. "Das ist die bisher weltweit größte Notfallstudie", erklärt Studienautor Professor Dr. Peter Biberthaler, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie an der TU München. "Bisher gab es keine harten Zahlen über den Anteil von orthopädischen und unfallchirurgischen Diagnosen in den Notaufnahmen einer Großstadt in Deutschland", ergänzt Dr. Heiko Trentzsch, Wissenschaftler am INM, Co-Autor der Studie und stellvertretender Leiter der DGU-Sektion Notfall- und Intensivmedizin, Schwerverletztenversorgung (NIS).

Referenzen:

1) "Stellenwert der Unfallchirurgie für die Notaufnahme einer deutschen Millionenstadt - eine Auswertung von 524.716 Notfallpatienten", Der Unfallchirurg, 1-2019
https://link.springer.com/article/10.1007/s00113-018-0577-5
Die Studie kann als pdf-Dokument angefordert werden unter: presse@dgou.de

2) Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung im Krankenhaus - Fallkostenkalkulation und Strukturanalyse, Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin und Management Consult Kestermann GmbH, 2015
https://www.dkgev.de/media/file/19401.2015-02-17_Gutachten_zur_ambulanten_Notfallversorgung_im_Krankenhaus_2015.pdf

Weitere Informationen:
www.dgou.de

Originalpublikation:

https://link.springer.com/article/10.1007/s00113-018-0577-5

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1739

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. - 12.02.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2019

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