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ARTIKEL/1280: Forschung - Nicht ausreichende Mittel führen zu Standortnachteilen im Norden (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 8/2012

Forschung
Nicht ausreichende Mittel führen zu Standortnachteilen im Norden

Von Horst Kreussler


Prof. Uwe Koch-Gromus, Dekan der medizinischen Fakultät und UKE-Vorstand, verweist im Gespräch auch auf die Probleme der zunehmenden Spezialisierung.


Beobachtungen auf Bundesebene deuten darauf hin, dass unter anderem in den Lebenswissenschaften in Deutschland ein Nord-Süd-Gefälle besteht. Aber auch ubiquitäre sozioökonomische Faktoren wie eine Tendenz zur Ökonomisierung haben zu Quantität und Qualität speziell der medizinischen Forschung Fragen aufgeworfen, die beantwortet werden müssen. Aus Sicht der größten medizinischen Fakultät im Norden ging der Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Hamburg und UKE-Vorstand Prof. Uwe Koch-Gromus im Gespräch mit diesem Blatt auf einige Aspekte in diesem Zusammenhang ein.

Dass der Norden in der medizinischen Grundlagenforschung und der klinischen Forschung noch zulegen könnte, sei es bei Forschungseinrichtungen, forschendem Personal oder letztlich bei den Forschungsergebnissen, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Der "Standortnachteil" lässt sich wohl am einfachsten forschungsökonomisch an der Finanzausstattung erkennen, die seit Jahren zu wünschen übrig lässt: "Typisch ist, dass wir in Hamburg ab 2014 eine Zuwachsrate unseres Budgets haben (0,88 Prozent), die deutlich unter der Inflationsrate liegt", monierte Koch-Gromus. Damit könne sich die Hamburger Universitätsmedizin insgesamt nicht dauerhaft unter den Top Ten etablieren.

Gewiss, es gebe Spitzenforschung in Schwerpunkten der Neurowissenschaften (z.B. um Prof. Christian Büchel) oder in der Kardiologie und anderen Sonderforschungsbereichen und Teilgebieten, dazu in der Nähe drei bekannte Forschungsinstitute der Leibniz-Gemeinschaft (Bernhard-Nocht-Institut, Heinrich-Pette-Institut und Forschungsinstitut Borstel). Lichtblick: Ein gutes Forschungsklima könne den Standortnachteil etwas kompensieren, so der Dekan.

"Typisch ist, dass wir in Hamburg ab 2014 eine Zuwachsrate unseres Budgets haben, die deutlich unter der Inflationsrate liegt."
Prof. Uwe Koch-Gromus

Als weiteres Problem erscheint aber die Hoch- bis Überspezialisierung, die in der Natur des hochkomplexen Forschungsgegenstandes mit Tausenden von Krankheiten und immer mehr Kausalfaktoren liegt. Die kaum vermeidbare Folge wird allerdings dahingehend kritisiert, dass dem einzelnen Forscher und dem eventuell unzureichend zusammengestellten Team der Blick für "das Ganze" verlorengehe. Das heißt, für den kranken Menschen als ganzes wie auch für die Gesamtheit der zuständigen Disziplinen mit Einschluss der Sozial- und Geisteswissenschaften (SHÄ 2/2011, S. 56, Ex-Wissenschaftssenator Prof. Klaus Meyer-Abich). Allerdings, so Koch-Gromus, habe ein Antrag auf Forschungsförderung heute kaum Chancen, der nicht die erforderliche interdisziplinäre Beteiligung beinhalte. Der Eppendorfer Forscher suche normalerweise zuerst in seinem Klinikum (UKE), dann in der Universität insbesondere mit der MIN-Fakultät, dann in der Region, zumal mit der TU Harburg oder der Universität Lübeck, und dann darüber hinaus: "Wir arbeiten wirklich gut mit unseren Partnern in der Region zusammen, etwa mit der Lübecker Medizin."

Speziell in Hamburg fällt schon lange auf, dass zwischen der Medizin (in Eppendorf konzentriert) und dem übrigen Uni-Campus in Rotherbaum nicht sehr viel Verbindung herrscht. Gewiss laufen seit einigen Jahren erfolgreiche Projekte mit Kooperationen über die Hochschulverwaltung hinaus, etwa in Biologie, Chemie, Physik (Nanophysik), so der Dekan. Doch Gesundheits-, Bioethik- oder Präventionsforschung etwa könnten stärker mit der klinischen Forschung vernetzt sein.

In die angesprochene Richtung - Konzentration auf große, aktuell als vorrangig angesehene Forschungsgebiete und Zurückstellung anderer - scheinen auch weitere Faktoren zu wirken, wie eine gewisse Ökonomisierung des Forschungsbetriebs, ein starkes Karrierestreben und entsprechend auf der politischen Ebene eine selektive Forschungsförderung. Unter Ökonomisierung kann verstanden werden, nicht nur die medizinischen Aufgaben so kostengünstig wie möglich zu erledigen (Kosteneffizienz), sondern wie in zahlreichen Krankenhäusern zur Existenzsicherung Erträge zu steigern (Gewinnoptimierung). Bei nicht ausreichenden DRGs für Universitätskliniken und einer immer knapperen öffentlichen Finanzierung bleibt die Möglichkeit der Steigerung der Drittmittel. Diese sind aber offenbar von Industrieseite nur mit kommerziell interessanten und von anderer Seite (DFG, BMBF, Stiftungen, EU) eher mit aktuellen Mainstream-Projekten zu erreichen, also auf beiden Seiten eher bei Volkskrankheiten als bei einer der vielen kleinen "Waisenkinder"-Krankheiten. Positive Ausnahmen gibt es sicher auch, etwa die Erforschung seltener Stoffwechselkrankheiten durch Prof. Kurt Ullrich und Prof. Victor-Felix Mautner (UKE).

Ob und wie weit der heute schon im Kindesalter beginnende Lebenswettkampf auch die Forschungsmoral beeinträchtigt und die Wahl von Forschungsthemen im materiellen Sinne beeinflusst, ist möglicherweise schon von Wissenschaftssoziologen angegangen worden. Wenig bekannt ist auch - außer in wenigen spektakulären Fällen - über die Prävalenz und Inzidenz wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Kommt es hier zu Reaktionen der Wissenschaftsethik? Ist die deutsche medizinische Forschung auf dem Wege, alle nennenswerten Interessenkonflikte offenzulegen und soweit nötig selbst für Begrenzungen zu sorgen, wie es etwa durch die Harvard Medical School geschieht (Lieb-Klemperer-Ludwig, Interessenkonflikte in der Medizin, 2011, S. 261)? Sind Bevorzugungen von Steckenpferd- oder Modethemen durch einen kleinen Kreis von Spitzen-Forschungsmanagern, die in eigener Person oder mittelbar in mehreren einflussreichen Gremien gleichzeitig vertreten sind, auszuschließen?

Die staatliche Forschungsförderung etwa des Bundesforschungsministeriums versucht zumindest nach eigenem Bekunden, rational vorzugehen und die für den Steuerzahler erforderliche Transparenz herzustellen. Leicht ist es indes nicht, hinter der Hochglanz-PR für spektakuläre Großprojekte wie die sechs Zentren für Gesundheitsforschung die vollständige Aufteilung der Fördermittel auf Institutionen, Regionen und vor allem Morbiditätsbereiche festzustellen. Als Arbeitshypothese ist auch hier davon auszugehen, dass die Politik lieber mit großen, raschen Erfolg versprechenden Einheiten umgeht als langfristig eine differenzierte, kleingliedrige, aber vielleicht bedarfsgerechtere Forschungslandschaft zu pflegen.

So ergibt sich, dass ein Diskurs über die Ausrichtung der medizinischen Forschung nach den Notwendigkeiten der künftigen Versorgung wohl kaum weniger wichtig erscheint als eine Priorisierungsdebatte zur Krankenversorgung. Für den Berichterstatter wurde ein solcher landesweiter Diskurs bereits angestoßen von der früheren UKE-Forschungs-Prodekanin und renommierten Biochemikerin Prof. Ulrike Beisiegel bei ihrem Weggang ins Präsidium der Universität Göttingen im Januar 2011. Sie hatte weniger wirtschaftlichen und bürokratischen Druck auf Forscher gefordert, mehr akademische und menschliche Kultur, weniger "Schaufensterforschung": "Gute und kritische Wissenschaftler bleiben (bei der Forschungsförderung) oft auf der Strecke."

Solche und andere kritische Beobachtungen von Experten verdienen es, unvoreingenommen näher überprüft zu werden. Wer hier "mauert" und sich nur reflexartig über Nestbeschmutzung empört, fördert nicht das Transparenzprinzip und die Freiheit der Wissenschaft.

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 8/2012 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2012/201208/h12084a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt August 2012
65. Jahrgang, Seite 26 - 27
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2012

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