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AUSLAND/2024: Pakistan - Taliban kidnappen Ärzte in Grenzregionen, Patienten haben das Nachsehen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Dezember 2013

Pakistan: Taliban kidnappen Ärzte in Grenzregionen - Patienten haben das Nachsehen

von Ashfaq Yusufzai


© Bild: Ashfaq Yusufzai/IPS

Protest gegen die Entführung eines Arztes in Peshawar
© Bild: Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 17. Dezember (IPS) - Die Ärzte in den pakistanischen Grenzprovinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan leben in ständiger Angst, entführt zu werden. Allein in diesem Jahr wurden etwa 45 Mediziner verschleppt. Die Polizei vermutet hinter den Lösegelderpressern Banden, die den Schutz der radikalislamischen Taliban genießen. Die Übergriffe gehören zu den vielen Herausforderungen, mit denen sich das Land im Kampf gegen Terrorismus, ethnische Konflikte und Sektierertum konfrontiert sieht.

Angesichts der vielen Streiks, die die Regierung zum Handeln bewegen sollen, und der Entscheidung vieler Ärzte, an sicheren Orten neu anzufangen, hat die Versorgung der Patienten in beiden Provinzen, in denen ein Sechstel der rund 185 Millionen Pakistaner lebt, erheblich gelitten, wie Shah Sawar, der Vorsitzende der Ärztevereinigung PDA, berichtet. Normalerweise arbeiten Ärzte an Vormittagen im Krankenhaus und nachmittags in privaten Praxen.

Bei fast allen Entführungen geht es um die Erpressung von Lösegeld. Nachdem Amjad Taqweem am 3. Dezember verschleppt worden war, traten die Ärzte an den staatlichen Hospitälern in Khyber Pakhtunkhwa in den Streik. Der einzige Rheumatologe am 'Lady Reading Hospital' (LHR) ist laut PDA der zwölfte Mediziner, der seit Anfang des Jahres in der Provinz verschleppt worden ist.


Regierung soll handeln

Das Krankenhaus mit 1.650 Betten blieb geschlossen, obwohl dort im Durchschnitt 500 Patienten pro Tag aufgenommen werden. Das LHR ist eines der größten Hospitäler der Provinz und beschäftigt etwa 500 Spezialisten. "Die Ärzte wollen den Patienten nicht schaden. Aber nur so lässt sich Druck auf die Regierung aufbauen, damit sie die Entführten rettet."

Anfang des Monats streikten die Ärzte im Medizinischen Komplex Hayatabad in Peshawar. Sawar zufolge sind von den etwa 700 Spezialisten in Khyber Pakhtunkhwa - Chirurgen, Psychiater oder Kinderärzte - mindestens 20 in den vergangenen sechs Monaten aus Angst, entführt zu werden, nach Islamabad umgezogen.

Die Polizei vermutet, dass die meisten Kidnapper zu der Extremistengruppe 'Tehreek Taliban Pakistan' gehören. Der Polizeibeamte Abidullah Shah berichtet über den Fall von Manzoor Ahmed, der aus Kanada in seine Heimat zurückgekehrt war, um Hilfe zu leisten. Er wurde im Mai in Hayatabad entführt und gegen eine Lösegeldzahlung von 100.000 Dollar freigelassen.

"Am nächsten Tag reiste er wieder nach Kanada ab, Hunderte Patienten waren sich selbst überlassen", berichtet Shah, der den Fall untersucht hat. Laut Gesundheitsinspektor Musa Kaleem haben die Ärzte, die die Stadt nicht verlassen haben, Leibwächter engagiert. "Die meisten leben in ständiger Angst, weil sie 'weiche Ziele' sind."

Der Polizeichef von Peshawar, Ijaz Ahmed, sicherte den Medizinern vollen Schutz zu. "Wir stellen nahe privaten und staatlichen Krankenhäusern eine schnelle Eingreiftruppe bereit, um Entführungen einzudämmen." Die Regierung berate zudem über ein Gesuch von Ärzten, Waffen tragen zu dürfen, so Ahmed. Die meisten Opfer würden nach Sonnenuntergang verschleppt.

Der Arzt Mushtaq Khan, der im Februar entführt worden war, erzählte seinen Verwandten, dass er von seinen Entführern nach der Übergabe des Lösegeldes gefragt worden sei, wo man ihn absetzen solle. "Binnen weniger Minuten war er wieder in seinem Haus in Hayatabad", berichtet sein Cousin. Offenbar sei er in der Nähe festgehalten worden.

Ärzte in der Provinz Belutschistan protestierten gegen die Entführung von 27 Kollegen im vergangenen Jahr, wie die regionale Medizinervereinigung PMA mitteilt. 26 Opfer werden noch vermisst. Ein Entführter kam frei, nachdem fast eine halbe Million Dollar Lösegeld gezahlt worden waren. "Er war am 17. September verschleppt und am 1. Dezember wieder freigelassen worden. Seine Familie ist traumatisiert", erklärt der Vorsitzende von BMA in Balutschistan, Sultan Tareen.


Akuter Fachärztemangel

Dem Experten zufolge gibt es in der ganzen Provinz mit etwa zehn Millionen Einwohnern nur noch etwa 200 Fachärzte. Belutschistan, die größte Provinz Pakistans, nimmt 44 Prozent der Landesfläche ein. Menschen, die in abgelegenen Gebieten leben, haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung.

"Etwa zehn Ärzte haben Quetta, Pishin, Kalat und andere Städte verlassen. Fehlende Sicherheit begünstigt den Braindrain", so Tareen. Der Augenarzt Abdur Rehman, der im vergangenen Januar entführt worden war, hat seine Arbeit seit seiner Freilassung im Juni stark eingeschränkt, wie sein Assistent Subhan Ali berichtet.

Vorher hatte Rehman jeden Tag etwa 500 Patienten versorgt, die meisten unentgeltlich. Sie erhielten von ihm kostenlose Medikamente und Sehhilfen. Da in der Region mehrere Banden ihr Unwesen treiben, will sich der Mediziner nun aber keinen Risiken mehr aussetzen. Die Leidtragenden sind die Kranken, die auf kostenfreie Untersuchungen angewiesen waren. (Ende/IPS/ck/2013)


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http://www.lrh.gov.pk/
http://www.ipsnews.net/2013/12/doctor-abductions-leave-patients-helpless/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Dezember 2013