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AUSLAND/1958: Syrien - Gesundheitssektor zwischen den Fronten, Bevölkerung terrorisiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2013

Syrien: Gesundheitssektor zwischen den Fronten - Bevölkerung terrorisiert

von Katelyn Fossett


Bild: © Zac Brophy/IPS

Kinder syrischer Flüchtlinge in einem Auffanglager im Nordlibanon
Bild: © Zac Brophy/IPS

Washington, 15. Mai (IPS) - In Syrien ist auch das Gesundheitswesen zur Zielscheibe des Bürgerkriegs geworden. Damit wird es immer schwieriger, die humanitäre Krise und das Flüchtlingsdrama im Lande anzugehen. Etwa ein Drittel aller Krankenhäuser im Lande wurden bereits dem Erdboden gleichgemacht.

Bei einem jüngsten Treffen mit US-Präsident Barack Obama betonte der britische Premierminister David Cameron die Schwierigkeit, den traumatisierten Menschen zu helfen, Folteropfer zu behandeln sowie syrischen Familien den Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen.

Die systematischen Angriffe in Syrien hätten sicherlich auch der Zerstörung der Gesundheitsstrukturen gedient, meinte Stephen Cornish, Chef des Kanada-Büros der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, kürzlich bei einer Podiumsdiskussion in Washington. "Viele medizinische Fachkräfte sind geflohen und eine große Zahl von Krankenhäusern wurde zerstört. Das hat die Gesundheitsversorgung unterbrochen."


Rund 15.000 Ärzte vertrieben

Nach Angaben des Zentrums zur Dokumentation von Gewalt, einer syrischen Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Damaskus, sitzen derzeit etwa 470 Gesundheitsarbeiter in Syrien hinter Gittern. Tom Bollyky von der Denkfabrik 'Council on Foreign Relations' schätzt, dass etwa 15.000 Ärzte aus dem Land vertrieben worden sind.

Der Analyst sieht die Angriffe als Zeichen für einen beunruhigenden globalen Trend, der darauf hinausläuft, medizinische Einrichtungen und ihr Personal zunehmend zu Zielen in Konfliktgebieten zu machen. In einem im März erschienenen Bericht beschuldigt die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission zu Syrien sowohl das Regime von Präsident Baschar al-Assad als auch Oppositionsgruppen, Krankenhäuser gezielt zu attackieren.

"Medizinisches Personal anzugreifen ist eine Methode, um die Bevölkerung zu terrorisieren und ihr die humanitäre Unterstützung zu nehmen, die sie benötigt", sagte Bollyky. Er verwies auf ähnliche Vorfälle in anderen Teilen des Nahen Ostens und in Asien, etwa die Angriffe der Taliban auf Mitarbeiter von Polio-Impfkampagnen in Afghanistan und Pakistan. Inzwischen haben die Extremisten angekündigt, ihre jahrelange Sabotage der Impfaktionen in den beiden Ländern zu beenden.

Die Genfer Konventionen verbieten Gewalttätigkeiten gegen Hilfskräfte. Wie Bollyky hervorhob, stehen Ärzte und Pfleger unter dem vollständigen Schutz des Völkerrechts. Dennoch würden sie in Syrien von zwei Seiten attackiert.

Nicht nur die Kriegsverletzten bleiben ohne die dringend benötigte Behandlung. Auch haben sich die Missstände bei der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen jenseits der syrischen Grenzen weiter verschärft. Mehr als eine Million Syrer wurden bislang durch den Krieg aus ihrem Land vertrieben. Die Vereinten Nationen warnen davor, dass die Zahl bis Ende dieses Jahres auf 1,5 Millionen ansteigen könnte. Weitere 4,2 Millionen sind innerhalb der Grenzen ihres Landes in die Flucht geschlagen worden.

Die medizinischen Einrichtungen in Syrien werden zudem häufig zu militärischen Zwecken zweckentfremdet. Der Arzt Zahir Sahloul von der Syrisch-Amerikanischen Ärztegesellschaft berichtete vor Kurzem über Plünderungen in den beiden größten Krankenhäusern der Stadt Aleppo, die jetzt als Stützpunkte für Militärbataillone dienen.

Sahloul kritisierte ferner, dass auch die sanitäre Grundversorgung zusammengebrochen sei. "Die Hygiene ist schlecht, da es keinen Strom, keinen Diesel und manchmal auch kein Wasser mehr gibt. Deshalb sind Epidemien ausgebrochen, die es vorher hier nicht gab."

Chronische Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck, die vor dem Krieg relativ leicht zu behandeln waren, führen jetzt viel häufiger zum Tod. Cornish spricht in diesem Zusammenhang von "stillen Todesfällen". Diese Patienten können nicht außer Landes gebracht werden, da sie nicht als Notfälle eingestuft werden. In Syrien können sie aber aufgrund der zerstörten medizinischen Infrastruktur nicht mehr behandelt werden.


Krebskranke ohne Chemotherapien

"Die Krebskranken, deren Chemotherapie unterbrochen wurde, können nur noch palliativ behandelt werden", warnte Cornish. "Und mit jedem Tag nähern sie sich dem Tod." Gesundheitsarbeiter seien zu schlecht ausgerüstet, um mit diesen zunehmenden Problemen fertig zu werden. Laut Sahloul bringen sich Ärzte, die Patienten "von der anderen Seite" behandeln, zudem in akute Lebensgefahr.

Beobachter fordern die internationale Staatengemeinschaft auf, den Druck auf beide Seiten zu erhöhen, um die Angriffe auf die syrischen Krankenhäuser zu stoppen. Tom Bollyky hält eine Verhandlung dieser Verbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof für den richtigen Weg. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.msf.org/
https://www.vdc-sy.info/index.php/en/
http://www.genevacall.org/
http://www.ipsnews.net/2013/05/syrian-attacks-on-health-care-system-terrorising-population/

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IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2013