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AUSLAND/1660: Gesundheitsversorgung in Simbabwe - Interview mit Itai Rusike (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5/6, November/Dezember 2010

"Offene Kritik war schwierig"

Interview mit Itai Rusike (CWGH)


Itai Rusike arbeitet für die "Community Working Group on Health" (CWGH), ein zivilgesellschaftliches Netzwerk, das sich in Simbabwe für eine funktionierende und gerechte Gesundheitsversorgung einsetzt. Der Direktor des Projektpartners von medico international war im Herbst 2010 in Deutschland und berichtete von der Lage in Simbabwe sowie dem Einsatz der CWGH für das Recht auf Gesundheit.


MEDICO: Können Sie uns bitte kurz über die aktuelle Situation in Harare informieren?

ITAI RUSIKE: Als ich letzte Woche Simbabwe verließ, hatte sich nicht viel an der Stimmung der Menschen dort verändert. Die Menschen sind immer noch unsicher, in welche Richtung das Land nun gehen wird. Ich meine damit vor allem die Vereinbarungen, die getroffen wurden, als die neue Regierung der Nationalen Einheit in 2008 geformt wurde, aus den drei Parteien MDC-T, die von Morgan Tsvangirai geführt wird, MDC-M, die von Arthur Mutambara geführt wird, und der Zanu-PF von Robert Mugabe.

Generell haben die Menschen ihre Hoffnungen darauf gesetzt, dass ihre alltäglichen Bedürfnisse wie Gesundheit, Bildung, Ernährung und auch Arbeit von der neuen Regierung befriedigt werden. Grundsätzlich kann man sagen, dass im Moment eine Situation existiert, in der diese Hoffnungen verloren gehen.

MEDICO: Können Sie denn auch positive Entwicklungen feststellen, zum Beispiel in Bezug auf die Nahrungssituation?

ITAI RUSIKE: Wir haben sehr positive Veränderungen beobachtet dahingehend, dass Nahrung nun wieder verfügbar ist. Aber die Herausforderung sind die hohen Kosten für das Essen, da die Menschen ein sehr niedriges Einkommen haben. Aber es gibt viele positive Veränderungen im Hinblick auf Dienstleistungen. Zum ersten Mal fahren Müllabfuhren wieder durch die Stadt, außerdem gibt es Verbesserungen, was das Trinkwasser angeht. In einigen Bezirken wurde das Straßenlicht wieder hergestellt. Stromausfälle treten allerdings noch häufig auf.

MEDICO: Wie sieht es denn mit der Gesundheitssituation aus? Können Sie relevante Veränderungen erkennen, seit die Koalition von MDC und Zanu-PF ihre Arbeit in 2009 aufgenommen hat? ITAI RUSIKE: Es ist traurig zu sehen, dass das in den 1980er-Jahren existente Gesundheitssystem vollständig kollabiert ist. Als die neue Regierung in 2008 antrat, bildete Gesundheit eine ihrer Schlüsselprioritäten. Und tatsächlich: Verbesserungen traten ein, vor allem im Bereich der Verfügbarkeit und des Zugangs zu Medikamenten. Außerdem konnten wir beobachten, dass einige Gesundheitsarbeiter, die das Land verlassen hatten [aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Lage hatten die meisten Fachkräfte in den letzten Jahren entweder ihren Job aufgegeben, oder das Land verlassen; Anm. d. Verf.], wieder zurückkommen. Die Ausstattung in manchen Krankenhäusern wurde überholt, und Krankenhäuser, die geschlossen waren, haben wieder geöffnet. Die Verbesserungen waren aber nicht so weitreichend und schnell, wie wir gerne gewollt hätten. Aber immerhin sieht man momentan Elemente eines funktionierenden Gesundheitssystems.

MEDICO: Die Regierung zahlt den Angestellten im öffentlichen Sektor nur eine sehr niedrige Aufwandsentschädigung, anstelle eines Gehalts. Ärzte erhalten - nachdem der Simbabwe-Dollar wegen der Hyperinflation abgeschafft wurde - 200 US-Dollar pro Monat. Was sind die Konsequenzen für die Patienten?

ITAI RUSIKE: Die Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, sind frustriert wegen der niedrigen Bezahlung. Dies trifft letztendlich die Patienten, weil die Moral der Gesundheitsarbeiter an einem Tiefpunkt angekommen ist und die Angestellten teilweise während ihrer Arbeitszeit noch Zweitjobs erledigen, um über die Runden zu kommen. Die meisten Menschen haben keine private Krankenversicherung. Das bedeutet, dass sie auf den öffentlichen Gesundheitssektor vertrauen müssen, der aber aus den geschilderten Gründen nicht gut funktioniert. Wenn Patienten aber Gesundheitsdienste woanders aufsuchen, müssen sie mehr bezahlen. Zum Beispiel müssen sie zu Missionskrankenhäusern, wo der Service besser ist, weit reisen. Oder aber ihr gesamtes Hab und Gut verkaufen, um sich medizinische Behandlung in privaten Kliniken leisten zu können. Allgemein muss das Thema der pauschalen Bezahlung dringend angegangen werden, da es die Qualität der Dienstleistungen stark beeinträchtigt.

MEDICO: Gesundheit ist ein hoch politisches Thema in Simbabwe. Wie verorten Sie die Arbeit der CWGH zwischen Kooperation und Konfrontation mit dem Staat? Können Sie den Staat und dessen mangelhafte Pflichterfüllung kritisieren?

ITAI RUSIKE: Für uns als Zivilgesellschaft war es immer sehr schwierig, das System offen zu kritisieren, vor allem da die Regierung diese Art von Austausch mit der Zivilgesellschaft nicht gewöhnt ist. Aber zu einem gewissen Grad hat sich mit dem neuen Gesundheitsminister, der der MDC angehört, etwas Spielraum eröffnet. Er hat die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen (NRO) als Partner anerkannt. Wir haben festgestellt, dass der Gesundheitsminister die staatlichen Gesundheitsstrukturen, die auf verschiedenen Ebenen existieren, umstellt, um die Beteiligung der Zivilgesellschaft und der NRO sicherzustellen. Und wir haben das Gefühl, dass das der richtige Weg ist, denn so kann ein Dialog und demokratische Partizipation der verschiedenen Interessengruppen stattfinden.

MEDICO: Sehen Sie eine Gefahr darin, Ihre Unabhängigkeit zu verlieren, wenn Sie zu eng mit der Regierung zusammenarbeiten?

ITAI RUSIKE: Wir kooperieren mit der Regierung, aber wir wurden nicht von ihr absorbiert. Wir bleiben unabhängig. Wir sind eine kritische Organisation, die politische Themen diskutiert. Aber das hält uns nicht automatisch davon ab, in Dialog mit der Regierung zu treten, und manche Probleme können schließlich über den Dialog auch gelöst werden. Aber was unseren Fokus angeht, bleiben wir auf unsere Agenda konzentriert, sodass wir nicht als Diener der Regierung enden.

MEDICO: Die Community Working Group on Health arbeitet in ländlichen Gegenden. Können Sie uns bitte über konkrete Aktivitäten informieren?

ITAI RUSIKE: In den Gemeinden führen wir das Governance for Health-Programm durch, das von medico international finanziert wird und das Ziel hat, die lokale Partizipation zu stärken. In Health Centre Committees, die im Rahmen dieses Programms aufgebaut werden, arbeiten Gesundheitsarbeiter mit lokalen Autoritäten und Bürgervertretern zusammen und entscheiden selbständig über ihre Prioritäten und Aktivitäten. So werden Gemeinden in die Lage versetzt, Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen und sich verfügbare Gesundheitsressourcen anzueignen. Wir haben ein Wasser- und Sanitärprogramm aufgebaut, damit jeder Haushalt wenigstens eine Toilette hat. Dies ist ein Instrument, um Infektionskrankheiten wie Cholera, zu vermeiden. Über unsere gemeindenahen Strukturen führen wir zudem ein Gesundheitsbildungsprogramm durch, das Gemeinden über ihre Rechte aufklärt. Die Menschen lernen ihre Rechte einzufordern und lokale Gesundheitsprobleme anzusprechen. Außerdem konnten wir erreichen, dass staatliche Budgetprozesse wesentlich transparenter und partizipativer ablaufen. Die Planung und Verwendung des öffentlichen Gesundheitsbudgets wird von der kommunalen bis zur nationalen Ebene durch Bürger überwacht und begleitet, um die sachgerechte Einsetzung zu gewährleisten und politische Vertreter in die Pflicht zu nehmen.

MEDICO: Die CWGH hat eine Kampagne gestartet, damit das Recht auf Gesundheit in die neue Verfassung aufgenommen wird. Können Sie uns ein bisschen mehr über die Aktivitäten diesbezüglich schildern?

ITAI RUSIKE: Wir haben die Kampagne für das Recht auf Gesundheit als Teil der People's Health Movement gestartet. Eine konkrete Kampagnenidee entstand nach der Bildung der neuen Regierung, als diese entschied, eine neue Verfassung zu entwerfen. Wir haben unsere Gemeinden und Strukturen nach ihren Beiträgen gefragt, um den Prozess der Verfassungsreform zu beeinflussen und das Recht auf Gesundheit einzubringen. Aufbauend auf diesen Vorschlägen haben wir ein Positionspapier formuliert. Als Organisation liegt unser Fokus auf der Durchsetzung des Rechts auf Gesundheit, wir wollen die universelle Versorgung und den Zugang zu medizinischer Behandlung erreichen. Wir hoffen, dass nach Abschluss der aktuellen landesweiten Sammlung von Beitragen zur Verfassungsreform durch die Parliamentary Outreach Teams ein Entwurf formuliert wird, und dass dieser das Recht auf Gesundheit beinhaltet. Danach wird es eine Volksabstimmung geben und wenn die Menschen für die neue Verfassung stimmen, werden in 2011 die nächsten Wahlen stattfinden. So wichtig es ist, das Recht auf Gesundheit in der Verfassung zu haben, zählt unterm Strich die Implementierung - denn ohne diese hat das Recht an sich keinerlei Wert, wie das Beispiel Südafrikas zeigt.

MEDICO: Sie haben schon erwähnt, dass die CWGH Teil von globalen und regionalen Netzwerken ist, die sich für einen gerechten Zugang zu Gesundheit einsetzen, wie der in vielen Ländern aktiven People's Health Movement und dem afrikanischen Gesundheitsnetzwerk Equinet. Stärken diese Netzwerke Ihre Arbeit?

ITAI RUSIKE: Ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass uns die Zusammenarbeit mit diesen regionalen und globalen Bewegungen sehr viel genützt hat. Innerhalb von Equinet koordiniert CWGH das "social empowerment cluster", welches alle zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenbringt, die sich in der Gesundheitsbildung engagieren. Diese Solidarität ist entscheidend. Und wir finden es wichtig, dass die Entwicklungen auf Gemeindeebene Einfluss haben auf die Entscheidungen, die auf globaler Ebene getroffen werden.

MEDICO: Wie sehen Sie die Aussichten für die zukünftige Entwicklung Simbabwes? Was sind die wichtigsten Schritte, um Veränderungen zu erreichen?

ITAI RUSIKE: Ich denke, dass das wichtigste Thema neben der Gesundheit der Arbeitsmarkt ist. Zurzeit haben wir eine Wirtschaft, in der 80 Prozent der Menschen arbeitslos sind. Und die 20 Prozent, die Arbeit haben, sind unterbezahlt. Es herrscht eine Ungewissheit in politischer Hinsicht, in der alles passieren kann. Wir erleben außerdem eine Situation, in der die Menschen ihre Hoffnungen, die sie mit der neuen Regierung der Nationalen Einheit verbanden, verlieren. Aber wir glauben noch immer daran, dass Simbabwe das Potenzial hat, sich von dieser Situation zu erholen, und wenn die Politiker ihre Versprechen ernst nehmen, wird sich Simbabwe wieder entwickeln können.


Interview vom 23.09.20 10, geführt von Anne Jung und Anna Schumacher
Übersetzung und Bearbeitung: Juliane Gross und Anna Schumacher


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 5/6, November/Dezember 2010, S. 30 - 31
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org

"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2011