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UMWELT/589: WHO und IAEO - 50 Jahre Verharmlosung von Gesundheitsgefahren (IPPNWforum)


IPPNWforum | 117|18 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Eine verhängnisvolle Verbindung: Die WHO und die IAEO
50 Jahre Verharmlosung von Gesundheitsgefahren

Von Angelika Wilmen


Ein 50 Jahre altes Abkommen mit der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) hindert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an einer uneingeschränkten Berichterstattung über Gesundheitsrisiken von Strahlung.


Am 28. Mai 1959 verabschiedeten IAEO und WHO auf der 12. Weltgesundheitsversammlung die Resolution WHA12-40. Laut dieser besitzt die IAEO die Hauptverantwortung für atomare Forschungsprojekte. Zwar wird der WHO das Recht zugestanden, sich in allen Aspekten dem gesundheitlichen Fortschritt der Völker zu widmen und diesen voranzubringen. Das Abkommen verlangt aber auch, dass bei Vorbereitungen aller Programme und Aktivitäten, die von erheblichem Interesse für die jeweils andere Organisation sind oder sein können, WHO und IAEO ein gegenseitiges Einverständnis in dieser Sache erreichen sollen. Das heißt im Klartext: Der IAEO wurde ein wirkungsvolles Veto-Recht zu allen Tätigkeiten der WHO garantiert, die in irgendeinem Bezug zur Atomkraft stehen. Die Weltgesundheitsorganisation wird daran gehindert, eine tragende Rolle bei der Erforschung der Gefahren der Nuklearstrahlung für die Gesundheit des Menschen einzunehmen. Das unterstreicht auch die folgende Fußnote in den WHO "Documents Fondamentaux", 40. Ausgabe, aus dem Jahr 1994: "Die IAEO und die WHO sind sich bewusst, dass es notwendig sein könnte, restriktive Maßnahmen zu treffen, um den vertraulichen Charakter gewisser ausgetauschter Informationen zu wahren (...)".

Die IPPNW setzt sich bereits seit langem für eine Aufhebung dieses Abkommens ein. Wir kritisieren, dass die IAEO bei ihren Untersuchungen über die gesundheitlichen Folgen der Tschernobyl-Katastrophe kritische Informationen unterdrückt. Beispielsweise waren die Gesundheitsfolgen von Tschernobyl das Thema zweier größerer UN-Konferenzen, 1995 in Genf und 2001 in Kiew. Die vollständigen Berichte dieser beiden Konferenzen blieben jedoch unveröffentlicht.

Veröffentlicht wurde hingegen der Bericht des von der IAEO dominierten Tschernobyl-Forums aus dem Jahr 2005, der im Vergleich zu anderen Studien von einer viel geringeren Opferzahl ausging. Eine Vielzahl von epidemiologischen Forschungen, die eine weit höhere Sterblichkeit und eine Zunahme genetischer Schäden belegen, wurden ignoriert. In einer Pressemitteilung zum 20. Tschernobyl-Jahrestag teilte die IAEO mit, dass auch künftig höchstens mit 4.000 zusätzlichen Krebs- und Leukämietoten zu rechnen sei. Tatsächlich wird selbst in dem der Pressemitteilung zugrunde liegenden Bericht der WHO von rund 8.930 künftigen Toten ausgegangen. Überprüft man schließlich noch die im WHO-Bericht angegebene Literaturquelle, so ergeben sich laut dem Präsidenten der Gesellschaft für Strahlenschutz, Sebastian Pflugbeil, sogar 10.000 bis 25.000 zusätzliche Krebs- und Leukämietote.

Der britische Strahlen-Biologe Keith Baverstock leitete von 1991 bis 2003 die Abteilung Strahlung und Gesundheit bei der WHO am Europäischen Zentrum für Umwelt und Gesundheit in Rom. Er wurde mit sofortiger Wirkung entlassen, nachdem er seinem Vorgesetzen darlegt hatte, dass neue epidemiologische Untersuchungen von Atomtest-Veteranen und Soldaten, die abgereichertem Uran ausgesetzt waren, darauf hindeuten, dass die vorhandenen Modelle zu den Risiken von atomarer Strahlung die wahren Gefahren zu niedrig beziffern.

Chris Busby, wissenschaftlicher Sekretär des Europäischen Komitees für Strahlungsrisiken und Autor zahlreicher Artikel und Forschungsveröffentlichungen zur Niedrigstrahlung, fasst die Problematik folgendermaßen zusammen: "Die Unterordnung der WHO unter die IAEA durch den Vertrag ist ein Schlüsselelement der systematischen Falschinformationen zu den atomaren Risiken, die es seit Hiroshima gibt. Der Vertrag ist verantwortlich für einen nicht hinnehmbaren Interessenkonflikt. Er ordnet die UN-Organisation, die für den Schutz unserer Gesundheit verantwortlich ist, einer Organisation unter, deren Hauptinteresse die Verbreitung von Atomenergie ist. Den WHO-IAEA-Vertrag aufzulösen, ist der erste notwendige Schritt, um die unabhängige Forschung der WHO zu den wahren Folgen der ionisierenden Strahlung wiederherzustellen und um ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen."

"Einige Geburtstage verdienen eine Feier - dieser gehört nicht dazu. Nach fünf Dekaden ist es an der Zeit, dass die WHO ihre Freiheit zur unabhängigen Vermittlung von objektiven Gutachten zu den Gesundheitsrisiken von radioaktiver Strahlung wieder zurück erhält," schrieb der Journalist Oliver Tickell am 28. Mai 2009 anlässlich des 50jährigen Bestehens des Abkommens in der britischen Tageszeitung Guardian.


Kampagne für die Unabhängigkeit der WHO:
www.independentwho.info


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Quelle:
IPPNWforum | 117|18 | 09, S. 7
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2009