Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

TRANSPLANTATION/431: Pankreas- und Inselzelltransplantationen (Diabetes Journal)


Diabetes-Journal 11/2009 - aktiv gesund leben

Pankreas- und Inselzelltransplantation:
Die besten Erfolge bei kombinierter Transplantation

Von Prof. Dr. med. Rüdiger Landgraf und Dr. med. Christoph Dieterle


Mit einer Transplantation dauerhaft den Blutzucker normalisieren - davon träumen viele Menschen mit Diabetes: keine Messungen mehr, keine Angst mehr vor Folgeerkrankungen. Wie weit sind die Verfahren, welche Erfolge hat man, und wer kommt dafür in Frage?


Die gesunden insulinproduzierenden Betazellen in den Langerhansschen Inseln der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) sind ständig als Glukosemessfühler tätig; sie bilden das Insulin und schütten es entsprechend den aktuellen Glukosekonzentrationen in das Blut aus, das unmittelbar in die Leber fließt. Dieses Regel-System ist bisher technisch nicht annähernd nachahmbar. Nur der Betazellersatz durch eine Transplantation der gesamten Bauchspeicheldrüse oder durch eine Implantation isolierter Langerhansscher Inseln in die Leber kann zur kompletten Normalisierung des diabetischen Stoffwechsels führen.


Nr. 1: die Pankreastransplantation

Durch gute operative Techniken, intensive Patientenbetreuung und neue "immunsuppressive Behandlungsmöglichkeiten" (dazu später mehr) wurden die Ergebnisse der Pankreastransplantation immer besser; so stellt die gleichzeitige Nieren- und Pankreastransplantation heute die Standardtherapie bei Typ-1-Diabetikern mit Nierenversagen dar; sie ist als therapeutische Maßnahme auch in den Richtlinien der deutschen Ärztekammer verankert.


Weltweite Erfahrungen

Bis Ende 2008 sind weltweit über 30.000 Transplantationen an das internationale Pankreastransplantationsregister gemeldet worden. Die Zahl der Transplantationen betrug in den letzten Jahren in den USA etwa 1400 pro Jahr. In Europa wurden im letzten Jahr 256 und in Deutschland 139 Pankreastransplantationen durchgeführt.

Etwa 70 bis 90 Prozent aller Pankreastransplantationen erfolgen gleichzeitig mit einer Nierentransplantation: Bei der simultanen Nieren-Pankreastransplantation liegen die 1-Jahres-Patientenüberlebensraten bei 95 Prozent, die der Transplantatniere zwischen 89 und 92 Prozent und die des Transplantatpankreas bei 85 Prozent. Die Pankreastransplantation ist damit ein sicheres und erfolgreiches Verfahren.

Viel seltener wird eine Pankreastransplantation erst nach Nierentransplantation ("PAK"/pancreas after kidney) oder nur eine singuläre Pankreastransplantation ("PTA"/pancreas transplantation alone) durchgeführt. In den USA liegen die 1-Jahres-Überlebensraten für die PAK und PTA bei 78 bzw. 76 Prozent, in Europa für die PAK bei 85 und für die PTA bei 76 Prozent.


Die chirurgische Technik

Bei Typ-1-Diabetikern bleiben die eigene Bauchspeicheldrüse und die nicht mehr funktionierenden Nieren an Ort und Stelle. Die zu transplantierenden Organe werden zusätzlich verpflanzt. Dabei erfolgt die Ableitung, die "exokrine Drainage" des Verdauungssaftes aus dem Pankreas (täglich werden hier 1 bis 1,5 l davon produziert), durch Anlage einer Verbindung zwischen Bauchspeicheldrüse und Zwölffingerdarm (als Spenderorgane) und Dünndarm des Empfängers (Abbildung). Die "endokrine Drainage" der Hormone, die von den Langerhansschen Inseln der transplantierten Bauchspeicheldrüse freigesetzt werden (wie Insulin, Glukagon etc.), erfolgt entweder in das allgemeine Venensystem oder über die Lebervene direkt zur Leber.


Die Komplikationen

Verglichen mit einer alleinigen Nierentransplantation sind die Komplikationsraten nach simultaner Nieren-/Pankreastransplantation höher. Denn zusätzliche Komplikationen, die im Pankreastransplantat entstehen können, sind beispielsweise Entzündungen. Die Rate der Pankreastransplantatverluste liegt zwischen 6 und 10 Prozent. Solche Komplikationen können eine weitere Operation nötig machen. Hervorzuheben ist aber, dass die Bauchspeicheldrüsenverpflanzung das Nierentransplantat nicht gefährdet.


Die Immunsuppression

Jeder Organempfänger muss eine lebenslange Abstoßungstherapie ("Immunsuppression") durchführen. Prinzipiell unterscheidet sich diese bei der Nieren-/Pankreastransplantation nicht wesentlich von der bei alleiniger Nierentransplantation. Die durch Abstoßung bedingten Pankreastransplantatverluste sind mit unter 10 Prozent relativ selten geworden. Derzeit wird die Medikamentenkombination von Tacrolimus und Mycophenolat-Mofetil (MMF) am häufigsten verwendet. Wegen der vielen Nebenwirkungen versuchen die meisten Zentren, auf eine längerfristige zusätzliche Gabe von "Glukokortikoiden" zu verzichten.


Die Auswirkungen

Nach erfolgreicher Pankreastransplantation sind die Patienten unabhängig von Insulin und müssen nicht auf besondere Einschränkungen der Ernährung achten. Der Verzicht auf Insulininjektionen und Blutglukoseselbstkontrollen ist ein nicht zu unterschätzender Gewinn für die Lebensqualität und führt auch zu einer wesentlichen Kostensenkung. Natürlich gibt es auch kaum noch, und wenn, nur leichte Hypoglykämien.

Die Auswirkungen der Pankreastransplantation auf die Diabeteskomplikationen wurden fast ausschließlich untersucht nach simultaner Nieren-/Pankreastransplantation bei Typ-1-Diabetikern mit einer Diabetesdauer von im Mittel 25 Jahren. Hier liegen meist schwere Diabeteskomplikationen vor: 94 Prozent der Patienten, die auf die Warteliste zur simultanen Nieren-/Pankreastransplantationaufgenommen werden, haben eine schwerwiegende diabetische Nervenerkrankung, bei 80 Prozent waren schon Laserbehandlungen wegen diabetischer Netzhauterkrankung notwendig, und alle Patienten hatten eine weit fortgeschrittene Einschränkung der Nierenfunktion. Bei fast allen Patienten fand sich auch eine Erkrankung der herz- und gehirnversorgenden Arterien. Ziel der Pankreastransplantation ist deshalb vor allem eine Stabilisierung, also Nichtverschlechterung der bestehenden Komplikationen (Tabelle 1).


Tab. 1: Einflüsse einer Pankreastransplantation auf bestehende 
 Diabeteskomplikationen
Prävention von:
Stabilisierung von:
Verbesserung von:
Nephropathie
(Erkrankung
der Niere)



Nephropathie
Neuropathie
Retinopathie
Stütz- und Bindegewebe
Lebensqualität

Neuropathie
Retinopathie
Mikrozirkulation
Stütz- und Bindegewebe
Makroangiopathie/Arteriosklerose
Lebensqualität

Die Überlebenswahrscheinlichkeit

Alle Studien zum Langzeitüberleben zeigen einen deutlichen Vorteil der simultanen Nieren-/Pankreastransplantation im Vergleich zu alleinigen Nierentransplantationen. So beträgt das mittlere 10-Jahres-Langzeitüberleben nach alleiniger Nierentransplantation 43 Prozent und nach Doppeltransplantation von Niere und Pankreas 77 Prozent. Dagegen ist die Überlebenschance eines Diabetikers auf der Warteliste zu einer Organtransplantation eher schlecht: Nach großen Statistiken liegt das 1-Jahres-Überleben bei 87 und nach vier Jahren nur noch bei 46 Prozent.


Wer kommt in Frage?

Die simultane Nieren-/Pankreastransplantation ist die Therapie der Wahl bei Typ-1-Diabetikern mit (prä)terminaler Niereninsuffizienz (Tabelle 2). Die Vorteile gegenüber einer singulären Nierentransplantation sind eine höhere Lebensqualität, die Reduktion akuter Stoffwechselentgleisungen, der positive Einfluss auf eine Reihe diabetischer Sekundärfolgen und vor allem eine wesentliche bessere Überlebenschance.


Tab. 2: Gesicherte und diskutierte Indikationen zur
Pankreastransplantation

Transplantationsmodus
Anerkannte Indikationen:
Typ 1 Diabetes mellitus
(Prä)terminale Niereninsuffizienz

extrem instabiler Diabetes
Hypoglykämiewahrnehmungsverlust

Pankreas und Niere simultan
oder: Pankreas nach Niere
Pankreas allein
Pankreas allein
Vorerst nur diskutierte Indikationen:
Typ 1 Diabetes mellitus
beginnende Nephropathie
schwere Polyneuropathie

Pankreas allein
Pankreas allein
Typ 2 Diabetes mellitus
mit terminaler Niereninsuffizienz


Pankreas und Niere simultan
oder: Pankreas nach Niere

Prinzipiell ist auch nach singulärer Nierentransplantation eine spätere Pankreastransplantation möglich. Bedingt durch die guten Ergebnisse und die zunehmende Zahl von Nierentransplantationen durch die Lebendspende wird die Option Pankreastransplantation nach Nierenlebendspende häufiger werden.

Bei geplanter Nierentransplantation ist ohnehin eine immunsuppressive Behandlung notwendig; die generell möglichen, aber nicht zwingenden Nebenwirkungen der immunsuppressiven Behandlung sind bekannt: erhöhtes Tumor- und Infektionsrisiko, potentielle Nierenschädigungen durch bestimmte Immunsuppressiva. Bei der alleinigen Pankreastransplantation müssen diese Nebenwirkungen der immunsuppressiven Behandlung sehr sorgfältig mit den zu erwartenden Vorteilen einer Bauchspeicheldrüsenverpflanzung aufgewogen werden. Eine alleinige Pankreastransplantation ist nur bei wenigen Typ-1-Diabetikern indiziert - zum Beispiel wegen sehr schwerer Hypoglykämien bei Hypoglykämiewahrnehmungsstörungen.


Auch bei Typ-2-Diabetes?

Da die simultane Nieren-/Pankreastransplantation für niereninsuffiziente Typ-1-Diabetiker gute Ergebnisse ergab, wird diese therapeutische Option auch für jüngere Typ-2-Diabetiker mit Niereninsuffizienz erwogen. Dazu gibt es aber keine Untersuchungen; also sollte die simultane Nieren-/Pankreastransplantation bei gesichertem Typ-2-Diabetes nur im Rahmen kontrollierter Studien erfolgen.


Nr. 2: die Inselzelltransplantation

Eine Inselzelltransplantation sollte nur bei erwachsenen Typ-1-Diabetikern erwogen werden,

• die eine ausgeprägte Hypoglykämiewahrnehmungs- und Gegenregulationsstörung haben,
• die eine terminale Niereninsuffizienz mit Dialysebehandlung haben und auf ein Nierentransplantat warten,
• die bereits nierentransplantiert sind oder eine andere Organtransplantation (wie Herz oder Leber) hinter sich haben
 oder erwarten und aus diesem Grunde ohnehin Immunsuppressiva erhalten.

In allen Fällen muss sorgfältig mit dem Patienten abgewogen werden, ob nicht eine gegenwärtig noch erfolgssichere Pankreasorgantransplantation anzustreben ist.


Die Techniken

Nach Injektion einer Enzymlösung ("Kollagenase") in das Gangsystem der Spender-Bauchspeicheldrüse erfolgt zunächst eine enzymatische und mechanische Auflösung des Pankreas und dann eine Aufreinigung der dabei herausgelösten Langerhansschen Inseln. Deren Qualitätskontrolle umfasst unter anderem die Bestimmung von Inselmenge und Inselreinheit. Die Inseln werden dem wachen Patienten in Lokalanästhesie durch Punktion der Leberpfortader (computertomogramm- oder ultraschallgesteuert) in das Gefäßsystem der Leber übertragen. 25 Prozent der Patienten erhielten eine, 50 Prozent zwei, 23 Prozent drei und 2 Prozent vier Transplantationen in unterschiedlichen zeitlichen Abständen, um eine möglichst große Anzahl funktionierender insulinproduzierender Inseln zu implantieren.


Bisherige Erfahrungen enttäuschen

Weltweit wurden von 1999 bis 2007 insgesamt 717 Inseltransplantationen bei 378 Patienten durchgeführt. 85 Prozent der Eingriffe wurden als alleinige Inseltransplantation bei Patienten mit Störungen der Hypoglykämiewahrnehmung und 15 Prozent im Zusammenhang mit einer Nierentransplantation vorgenommen. Nach enttäuschenden Langzeitergebnissen mit zu selten erreichter Insulinunabhängigkeit nach einem Jahr ist die Anzahl der Inseltransplantationen in den USA, aber auch in Europa rückläufig.


Voraussetzung: keine Betazellfunktion mehr

Inseltransplantationen werden nur bei Typ-1-Diabetikern vorgenommen, die gesichert keine Betazellrestfunktion mehr haben (C-Peptid im Plasma von <0,2 ng/ml). Von einem partiellen Inseltransplantationserfolg wird dann gesprochen, wenn danach die basale C-Peptid-Plasmakonzentration ≥ 0,5 ng/ml beträgt, auch wenn dabei keine völlige Unabhängigkeit von Insulininjektionen erreicht wurde. Gemessen an diesem Kriterium liegen die 1-Jahres-Überlebensrate von Inseltransplantaten gegenwärtig bei ca. 80 Prozent, die Insulinunabhängigkeitsrate bei 44 Prozent und die Patientenüberlebensrate bei 98 Prozent. Fünf Jahre nach erfolgreicher Inseltransplantation liegt die Insulinfreiheit jedoch nur noch bei ca. 10 Prozent.

Es hat sich gezeigt, dass schon eine nachweisbare Betazellfunktion - auch ohne Insulinunabhängigkeit - Vorteile für den transplantierten Patienten haben kann. So wurde berichtet, dass sich die Rate schwerer Unterzuckerungen bei den Patienten mit Störungen der Hypoglykämiewahrnehmung von 76 Prozent vor Transplantation auf 10 Prozent nach drei Jahren senken ließ und dass es zu einer Stabilisierung von Retinopathie, Neuropathie und anderen Gefäßveränderungen kommt.


Probleme und Perspektiven

Die Gründe für die rasch abnehmende Betazellfunktion nach Inseltransplantation sind unklar. Sie können immunologischer, autoimmunologischer oder entzündlicher Art sein. Hoffnungen bestehen auf dem Gebiet der "Immuntoleranzinduktion". Es wird auch versucht, die Inseln durch Mikroverkapselung vor einer Abstoßung zu schützen. Wegen der Knappheit an Spenderorganen wird auch an der Möglichkeit geforscht, insulinproduzierende Zellen von Tieren (z. B. vom Schwein) zu verwenden.


Die Perspektive: Stammzellen?

Dem Prinzip nach stellt die Transplantation von Betazellen die optimale Therapie des insulinpflichtigen Diabetes mellitus dar.

Als aussichtsreichste Alternative dazu erscheint die Herstellung großer Mengen von Betazellen aus Stammzellen. Die Stammzelltherapie beim Diabetes mellitus steht aber, wie bei den meisten anderen Erkrankungen, noch in der Entwicklungsphase. So kann die entscheidende Frage, ob embryonale oder adulte Stammzellen oder genetisch modifizierte Nichtbetazellen die Fähigkeit besitzen, in voll funktionsfähige Betazellen auszureifen, noch nicht abschließend beantwortet werden. Auch der Differenzierungsweg der Stammzelle zur ausgereiften Betazelle muss bis ins Detail entschlüsselt werden, bevor eine Anwendung beim Menschen möglich wird.

Erst wenn die im Versuch hergestellten und geprüften Betazellen alle Eigenschaften von gewachsenen reifen Betazellen besitzen - Speicherung des Insulins und exakt regulierte glukoseabhängige Insulinsekretion -, können sie als Quelle für Betazellen dienen, um Patienten mit Diabetes mellitus damit zu behandeln. Aber auch dann muss immer noch ausgeschlossen werden, dass diese Zellen nicht bösartig entarten.


Kontakt:
Prof. Dr. med. Rüdiger Landgraf
Deutsche Diabetes-Stiftung
Staffelseestraße 6
81477 München
E-Mail: ruediger.landgraf@gmx.de

Dr. med. Christoph Dieterle
Schwerpunktpraxis Diabetologie und Endokrinologie
Ärztehaus Harlaching
Isenschmidstraße 19
81545 München
E-Mail: dieterle@aerztehaus-harlaching.de


*


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Verbindung (Anastomose) zwischen Dünndarm des Empfängers sowie Zwölffingerdarm und Bauchspeicheldrüse des Spenders.

Die eigene Bauchspeicheldrüse und die nicht mehr funktionierenden Nieren bleiben an Ort und Stelle. Zu transplantierende Organe werden zusätzlich verpflanzt.

Inselzelltransplantation: Langzeitergebnisse sind enttäuschend. Kurzfristige Erfolge: weniger schwere Unterzuckerungen und Stopp des Fortschreitens von Folgeerkrankungen.

Herstellung großer Mengen von Betazellen aus Stammzellen? Das befindet sich noch in der Entwicklungsphase.

Langerhanssche Insel (Mikroskopaufnahme).


*


Quelle:
Diabetes-Journal 10/2009, Seite 32 - 37
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
Kaiserstr. 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/960 70 30, Fax: 06131/960 70 90
E-Mail: info@kirchheim-verlag.de
Internet: www.diabetes-journal.de

Das Diabetes-Journal erscheint monatlich.
Einzelheft: 3,80 Euro
Jahres-Abonnement: 38,40 Euro

Diabetes-Journal gibt es auch auf CD als
Daisy/MP3-Hörzeitschrift für Blinde und Sehbehinderte:
Westdeutsche Blindenhörbücherei
Harkortstr. 9, 48163 Münster, Tel.: 0251/71 99 01


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2009