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GESCHICHTE/541: Forschungsprojekt - Gesundheit im Mittelalter in der deutsch-dänischen Grenzregion (idw)


Christian-Albrechts-Universität zu Kiel - 16.04.2012

Menschen, Population und Krankheiten im Mittelalter

Interreg-Projekt "Bones4Culture": erstmals Analyse von 700 Schleswiger Skeletten



Das deutsch-dänische Interreg-Projekt "Bones4Culture" erforscht für die kommenden drei Jahre das Leben, die Gesundheit und die Kultur der Bevölkerung, die im Mittelalter (AD 1050-1536) in der deutsch-dänischen Grenzregion lebte. Speziell die Skelette mittelalterlicher Schleswiger dienen als Basis. Aber auch Skelette aus anderen Teilen Deutschlands und Dänemarks werden analysiert.

Insgesamt werden mehr als 1.000 menschliche Skelette unter anderem auf Krankheiten untersucht, aus etwa 350 Skeletten werden Proben für detaillierte Analysen entnommen. Das Projekt wird mit 530.000 Euro aus der EU-geförderten Initiative INTERREG4A finanziert. Weitere Mittel in Höhe von 280.000 Euro stellen die Partnereinrichtungen Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), University of Southern Denmark (SDU) und Schloss Gottdorf bereit.

Seit dem 6. Jahrhundert bedrohten ethnische und politische Konflikte die Herzogtümer der deutsch-dänischen Grenzregion. Dieser Zustand verschärfte sich, als Schleswig zum Herzogtum wurde und immer mehr nach Unabhängigkeit vom Dänischen Souverän strebte. Seit dieser Zeit wurde die Region immer deutscher. Bis zum ersten Weltkrieg sollte Schleswig und sein Umland ein Konfliktherd bleiben. Erst 1920 wurde das Herzogtum mittels eines Referendums geteilt: der Norden war nun dänisch, der Süden deutsch. Seitdem herrscht Frieden zwischen den Nachbarländern und das deutsch-dänische Grenzgebiet ist heute ein Beispiel für ein kulturelles Miteinander in einer vielseitigen Region.

Vor diesem Hintergrund stellt sich spannende Frage: Woher kamen die Ahnen der heutigen Schleswiger? Wurden sie in Schleswig geboren und sind dort aufgewachsen, oder kamen sie aus anderen Gebieten Deutschlands, Dänemarks oder gar aus dem entfernteren Ausland? Bisher liegen nur lückenhafte Kenntnisse über die Geschichte und Identität der hiesigen einfachen Bevölkerung vom frühen Mittelalter bis zur Renaissance vor. Diese Lücken im Verständnis der gemeinsamen Geschichte beider Länder sollen im Rahmen des Projekts "Bones4Culture" geschlossen werden. Mit gänzlich neuartiger Technologie wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der historischen Bevölkerung zu Leibe rücken und sie zur am besten erforschten Population der Welt machen. Forscherinnen und Forscher der SDU tragen die Projektleitung. Deutsche Projektpartner sind die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), das GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und das Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie (ZBSA) vom Landesmuseum Schloss Gottdorf.

Untersuchungen an den Zähnen eines Schädels: Das länderübergreifende Forschungsprojekt 'Bones4Culture' geht der deutsch-dänischen Ahnengeschichte nach. - Foto: © pur.pur

Bildunterschrift:
Auf den Zahn gefühlt: Das länderübergreifende Forschungsprojekt 'Bones4Culture' geht der deutsch-dänischen Ahnengeschichte nach.
Foto: © pur.pur

"Als erstes haben wir in Bones4Culture eine Basis für die anthropologischen Identifizierungen und Analysen aller exhumierter Skelette aus fünf Schleswiger Friedhöfen geschaffen", erklärt der Projektleiter Professor Jesper Boldsen von der SDU. Auf dieser Basis haben wir zum Einen Skelette für eine weitergehende chemische Untersuchung ausgewählt und zum Anderen eine Datenbank erstellt, die das anthropologische Wissen über die mittelalterliche Bevölkerung Schleswigs enthält. Die Datenbank erlaubt bereits wichtige Rückschlüsse auf Alter und Geschlecht der Skelette. Noch wichtiger aber, sie ermöglicht eine Untersuchung der am meisten gefürchteten Krankheit im Mittelalter: Lepra. So scheint es, dass die so genannte Hansen-Krankheit zwar im frühen Mittelalter eine gewöhnliche Erkrankung, aber ihre Verbreitung bis zum späten Mittelalter abnahm. Das bedeutet, dass der erste Meilenstein des Projekts erfolgreich abgeschlossen ist und wir völlig neue Einblicke in die mittelalterliche Bevölkerung erreicht haben."

Die ausgewählten Knochenproben werden dann mit neuesten chemischen Analyseverfahren auf Quecksilber-, Blei- und Strontium getestet. "Quecksilber und Blei sind schon in kleinen Mengen für den Menschen toxisch. Dennoch wurde Quecksilber früher zur Behandlung von Krankheiten verwendet und Blei als Glasur bei alltäglichen Haushaltsgegenständen eingesetzt", so Professor Kaare Lund Rasmussen von der SDU. Die Erfassung dieser Elemente erlaube somit Einblick in die mittelalterlichen Krankheiten, die medizinische Behandlung und die damalige Schwermetallbelastung.

Strontium/Calcium-Analysen, die anhand von Zahnmaterial vorgenommen werden, geben außerdem Aufschluss über die Ernährungsweise. "Es lässt sich damit in Erfahrung bringen, wer sich eher vegetarisch oder nichtvegetarisch ernährt hat. Die Strontiumisotope geben zudem Auskunft über Mobilität und Sesshaftigkeit, da sie charakteristische regionale Unterschiede aufweisen", so Professor Anton Eisenhauer vom GEOMAR. Radiokarbon-Datierungen zur historischen Einordnung sowie Kohlenstoffverhältnis- (δ13C) und Stickstoffverhältnisanalysen (δ15N) ergänzen die Informationen über die Ernährungsgewohnheiten. Diese Analysen werden am Leibniz-Labor für Altersbestimmung und Isotopenforschung an der CAU vorgenommen.

Professor Claus von Carnap-Bornheim, Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie, Schloss Gottorf, erklärt: "Somit werden Alter, Krankheiten, Ernährungsweise und Siedlungsmuster der mittelalterlichen Bevölkerung der Grenzregion erfasst und zu einem Gesamtbild zusammengetragen. Das Projekt soll damit neue Erkenntnisse über die damalige Grenzbevölkerung liefern, die an die heutige Bevölkerung sowie an Touristen in der Grenzregion weiter gegeben werden sollen."


Weitere Informationen zum Projekt:
www.interreg4a.de/wm340013

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-kiel.de/aktuell/pm/2012/2012-098-interreg-bones.shtml

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution235

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Dr. Boris Pawlowski, 16.04.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2012