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GESUNDHEIT/799: Wechseljahre - Das wohltemperierte Hormon (welt der frau)


welt der frau 5/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Das wohltemperierte Hormon
Wechseljahre zwischen heiss und kalt

Von Julia Kospach


Die Hormonersatztherapie galt lange Zeit als Wundermittel, um die körperlichen und seelischen Veränderungen des Wechsels auszugleichen. Aber sie ist in Verruf geraten. Soll man Hormone nun nehmen oder nicht? Was sind die Alternativen?


"Es beginnt eigentlich schon mit dem Begriff 'Hormonersatztherapie'", kritisiert Sylvia Groth, Medizinsoziologin und Leiterin des Grazer Frauengesundheitszentrums, und schlägt stattdessen den neutraleren Ausdruck Hormonbehandlung vor. Warum das? "Im Wort Hormonersatztherapie ist die Annahme enthalten, dass etwas fehlt, das ersetzt werden muss. Man hat aber in den Wechseljahren keinen Hormonmangel. Wir sind so gemacht, dass der weibliche Zyklus mit 13, 14 beginnt und mit den Wechseljahren aufhört. Uns fehlt nichts, wir verändern uns nur", sagt Groth.


Heiss umkämpfte Frage

Die Frage "Hormonersatztherapie - ja oder nein?" ist heiß umkämpft. Die Meinungen von Feministinnen treffen hier auf die überzeugter SchulmedizinerInnen. KrebsspezialistInnen sehen sie meist anders als AllgemeingynäkologInnen. Frauen, die stark von Beschwerden betroffen sind, wollen plötzlich Hormone, obwohl ihnen davon abgeraten wird. Andere bekommen sie verschrieben, wollen aber eigentlich keine. Wieder andere machen beste Erfahrungen mit der homöopathischen Behandlung ihrer Beschwerden und manche erleben die Änderung ihres Lebensstils durch mehr Bewegung, Gewichtsabnahme und bessere Ernährung als große Erleichterung.


Jungbrunnen durch Hormone?

Über Jahrzehnte und vor allem in den 1990er-Jahren galt die Hormontherapie, sprich die Behandlung mit Östrogen-Gestagen-Präparaten, als Allheilmittel: Nicht nur, so lautete das ziemlich durchgängig propagierte frauenärztliche Credo, bringe sie Wechselbeschwerden erfolgreich zum Verschwinden, sie sei auch ein Jungbrunnen und eine wunderbare Anti-Aging-Methode - ein Wundermittel gegen Knochenschwund, fahle Haut, Schlaganfall, Herzinfarkt, erhöhte Blutfettwerte und sogar Alzheimer. "Dieses Generalisieren war im Rückblick falsch", sagt Edgar Petru, Gynäkologe und Krebsspezialist von der Universitätsklinik Graz. Tatsächlich hat die Begeisterung für Hormonbehandlungen inzwischen deutlich nachgelassen. Den Umschwung brachte eine groß angelegte amerikanische Studie aus dem Jahr 2002, die vom US-amerikanischen National Institute of Health beauftragte WHI-Studie ("Women's Health Initiative"): Ihre Ergebnisse besagten, dass die Nachteile und Nebenwirkungen einer Hormonbehandlung in den Wechseljahren gegenüber dem Nutzen bei Weitem überwiegen.


Problematische Nebenwirkungen

Hormonbehandlungen können das Risiko von Thrombosen, Herzinfarkten, Schlaganfällen und Brustkrebs erhöhen. Das Gegenargument, dass es sich zum Beispiel bei Brustkrebs absolut gesehen um gar nicht so viele Fälle handle (nämlich 38 auf 10.000 Frauen mit Hormonbehandlung gegenüber nur 30 auf 10.000 Frauen ohne Hormonbehandlung pro Jahr), lässt Ingrid Mühlhauser, Gesundheitswissenschaftlerin und Fachärztin für Innere Medizin von der Universität Hamburg, nicht gelten: "Absolut gesehen sind das vielleicht nicht so viele Ereignisse, aber wenn man bedenkt, dass man die Medikamente Frauen im Wechsel gibt, die ja eigentlich gesund sind, dann ist das schon beträchtlich."

Unbestritten positive Effekte der Hormontherapie gibt es allerdings auch: ein geringeres Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, und die Vorbeugung gegen Knochenschwund. Insgesamt aber scheint ein vorsichtiger und umsichtiger Umgang mit Hormonbehandlungen bei Wechselbeschwerden durchaus angezeigt.


Lieber weniger Hormone?

Große Zurückhaltung empfiehlt Gyno-Onkologe Edgar Petru von der Universitätsklinik Graz. Für ihn gilt: Wenn Hormonbehandlung, dann "niedrig dosiert und so kurz wie möglich, sprich maximal ein bis zwei Jahre", und erst, wenn alles andere - wie Lebensstilveränderungen, Gewichtsabnahme, mehr Sport, weniger Alkohol und Nikotin oder auch leichte Antidepressiva - nicht wirkt und der Leidensdruck der betroffenen Frau groß ist.


Zurückhaltender dosieren

Anders Ludwig Wildt von der Universitätsfrauenklinik Innsbruck: Er gehört zu denen, die sich auch weiterhin für den regelmäßigen, durchaus auch mehrjährigen Einsatz von Hormonen aussprechen: "In der Praxis sieht es schon so aus, dass man einem Großteil der Patientinnen, die unter Beschwerden leiden, eine Hormonbehandlung verschreiben wird." Den Unterschied zu früher sieht Wildt darin, dass die verschriebenen Dosen heute sehr viel geringer sind. In den überhitzten Anti-Hormon-Debatten der letzten Jahre, so Wildt, sei "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet" worden. Das habe allerdings auch sein Gutes: "Jetzt ist man zu einer vernünftigen Art des Umgangs mit Hormonbehandlungen übergegangen." Eines ist für ihn klar: "Die Diskussion gegen Hormonbehandlungen war genauso überzogen, wie die Diskussion vor 20 Jahren es war, als es hieß, dass man einen Kunstfehler begeht, wenn man auch nur einer Frau im Wechsel keine Hormone gibt."


Selbst Entscheiden

Den Frauen mit Wechselbeschwerden macht diese für Laien schwer zu durchschauende Situation die Entscheidung für oder gegen Hormonbehandlung nicht gerade einfacher. Im Letzten entscheidet die betroffene Frau über die Art ihrer Behandlung. Voraussetzung dafür: beste Betreuung und Information durch die ÄrztInnen und Informationsstellen. Dazu gehört natürlich auch eine ausführliche Risiko-Nutzen-Aufklärung und die Information, dass man Wechselbeschwerden, so man dazu neigt, durch die Einnahme von Hormonen zwar verschwinden lassen, sich aber womöglich trotzdem nicht ganz ersparen kann: Nach Absetzen des Präparats können sie wiederkommen, vor allem, wenn man es nicht langsam ausschleicht.

Insgesamt aber hilft ein Satz der Wiener Gynäkologin Beatrix Urbanek: "Beides - Hormonbehandlung und die alternativmedizinische Behandlung von Wechselbeschwerden - hat seine Berechtigung. Es kommt darauf an, wie die Beschwerden sind. Auf jeden Fall möchte ich nicht, dass irgendeine Frau unter ihren Wechselbeschwerden leidet. Das muss nicht sein."


Hormone sind kurzfristig nützlich

"Wenn eine Frau so starke Beschwerden hat, dass sie ihr tägliches Leben nicht normal führen kann, dann soll sie die Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen und überlegen, kurzfristig und niedrig dosiert Hormone zu nehmen", sagt Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser. Diese Haltung gegenüber der Hormonbehandlung von Wechselbeschwerden scheint sich weitgehend durchgesetzt zu haben. Allerdings: Galt die Hormonbehandlung früher als lebensverlängernd und krankheitsverhütend, ist nunmehr ihre Indikation eingeschränkt worden allein auf die typischen Menopausebeschwerden wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche und Scheidentrockenheit. Diese neue Richtlinie wird offiziell von der EMEA, der Europäischen Arzneimittelbehörde, vertreten. Auch die Deutsche Menopause Gesellschaft, so Mühlhauser, die über die Jahre sehr für den Hormonersatz geworben hat, sei inzwischen davon abgekommen und habe sich in ihrer letzten Leitlinie sehr kritisch geäußert. Mühlhauser hält das für einen echten Richtungswechsel.


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Alternative Hilfe im Wechsel
ROTKLEE UND NACHTKERZEN
Phytohormone unterstützen bei Wechselbeschwerden


Viel hängt tatsächlich davon ab, wie sich eine Frau in den Wechseljahren selbst wahrnimmt. Als Mangelwesen, das langsam aufhört, Frau zu sein? Oder als Beobachterin eines Wandlungsprozesses des eigenen Körpers, mit dem Schwankungen natürlich einhergehen? Oder als Frau an der Schwelle zu einem neuen Lebensalter? Das Hadern mit dem Verlust der Fruchtbarkeit ist für viele Frauen ein Thema, erzählt die Wiener Gynäkologin Beatrix Urbanek aus ihrer Praxis. Deshalb sei es so wesentlich, die psychosozialen Folgen der Wechseljahre auch in die Behandlung mit einzubeziehen und mit den Frauen über den neuen Lebensabschnitt zu sprechen. Einen Nachweis, wie richtig sie damit liegt, sieht Urbanek in den guten Erfahrungen, die sie mit der Behandlung mit Nachtkerzenöl gemacht hat, das sie ihren Patientinnen als Kapseln, Öl oder in Form von Globuli verschreibt. "Davon ist interessanterweise nirgendwo die Rede. Nachtkerzenöl spricht die Nerven an, und Nerven und Hormone spielen bei Wechselbeschwerden eng zusammen."

Pflanzliche Stoffe unterstützen

Seit die Hormonbehandlung mit synthetischem Östrogen und Gestagen so in Verruf geraten ist, erleben auch Phytohormone einen Höhenflug. Dabei handelt es sich um pflanzliche Hormone, die vor allem aus Pflanzen wie Soja oder Rotklee gewonnen werden. Der Verein für Konsumenteninformation hat einige der gängigsten Phyto-Präparate, die zumeist als Nahrungsergänzungsmittel rezeptfrei in der Apotheke abgegeben werden, getestet. Das Ergebnis: "Derzeit auf dem Markt befindliche pflanzliche Präparate zur Behandlung von Wechseljahrbeschwerden können aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage nicht empfohlen werden." Edgar Petru von der Uni Graz bestätigt das: "Phytohormone sind im Allgemeinen wenig wirksam, und die Studien, die mir bekannt sind, sind sehr widersprüchlich."

Zuerst die Alternativen, dann die Hormone

Die Wiener Gynäkologin Beatrix Urbanek weiß von diesen Vorbehalten, kann sie aber nicht bestätigen: "In meiner Praxis sehe ich, dass Frauen schon von Phytohormonen profitieren können." Sie habe die Erfahrung gemacht, dass Soja und Rotklee eher bei Hitzewallungen, Schlafstörungen und in der Osteoporosevorbeugung wirksam seien, hingegen Präparate aus dem Wurzelstock der Traubensilberkerze tendenziell besser gegen Verstopfung, Darmbeschwerden, Knochenschmerzen oder Depressionen einsetzbar sind. "Allerdings reagieren manche Frauen überhaupt nicht darauf, da gibt es dann homöopathische Mittel." Wenn es allerdings gar nicht geht mit Phytohormonen oder Homöopathie, so Urbanek, "gebe ich schon auch für ein Jahr oder so Hormone, allerdings mit der Anmerkung, dass sich die Frau mit der Situation ihrer Wechseljahre beschäftigen soll."


DIE SYMPTOME DES WECHSELS

Der Wechsel beginnt in der Regel zwischen 45 und 50. Ein Drittel aller Frauen merkt kaum eine Veränderung, ein Drittel reagiert mit leichten Beschwerden, ein Drittel leidet sehr. Die klassischen Symptome: Schweißausbrüche, Hitzewallungen, Scheidentrockenheit - in der Folge spielen auch Dinge wie Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, depressive Verstimmungen, Gelenksschmerzen, Nervosität, Harnwegsbeschwerden oder Libidoveränderungen eine Rolle. Die Menstruation wird unregelmäßig, die Hormonproduktion der Eierstöcke nimmt ab, vor allem werden deutlich weniger Östrogene gebildet. "Östrogene stabilisieren die Temperaturregulation. Fallen diese Einflüsse weg, kommt es zu Hitzewallungen. Eine zweite unmittelbare Folge ist die Trockenheit der Scheide. Chronische Spätfolgen, die erst nach zehn oder fünfzehn Jahren spürbar werden, sind die Beschleunigung des Knochenabbaus und die Beeinträchtigung des Herz-Kreislauf-Systems", erklärt Ludwig Wildt, Leiter der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin der Universitätsfrauenklinik Innsbruck.


BUCH-TIPP:
Elisabeth Tschachler: "Wechseljahre", VKI - Verein für Konsumenteninformation
118 Seiten, 14,90 Euro

Der neue VKI-Ratgeber informiert umfassend über alle Vor- und Nachteile der Hormonbehandlung und den aktuellen Stand der Debatte. Inklusive Literaturverzeichnis, Glossar, Adressen und Links.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Mai 2010, Seite 42-47
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2010