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FORSCHUNG/2042: Gesundheitswissenschaften - Enger Austausch mit der Praxis (Uni Bielefeld)


BI.research 34.2009
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Enger Austausch mit der Praxis
Die Fakultät für Gesundheitswissenschaften und ihr breites Spektrum an Kooperationspartnern

Von Dr. Hans-Martin Kruckis


"Gesundheitswissenschaftliche Forschung ist Grundlagen- und Anwendungsforschung zugleich", so das Statement der Dekanin der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Prof. Dr. Claudia Hornberg. Der Bedarf, Ergebnisse in die Praxis umzusetzen, ist jedoch weitaus größer als in anderen Fächern und aufgrund der interdisziplinären Ausrichtung vor allem sehr viel komplexer. Acht Arbeitsgruppen mit ihrem jeweils fachspezifischen Profil zählen inzwischen zum festen Kern der in dieser Organisationsform in Deutschland immer noch einmaligen Fakultät. "Dabei arbeiten wir so themen- und handlungsfeldübergreifend wie möglich, denn 'Gesundheit und Krankheit' durchdringen bekanntermaßen sämtliche Lebensbereiche. Wir generieren wissenschaftliche Ergebnisse, sind dann aber wiederum auf die Rückkopplung aus und mit der Praxis angewiesen, um unsere theoretische Arbeit reflektieren und weiterführen zu können." Dabei geht es nicht zuletzt darum, wissenschaftliche Erkenntnisse so aufzuarbeiten, dass sie für die Praxis - zum Beispiel im Bereich der Gesundheitsversorgung - verwendbar sind. Das Erfordernis eines ständigen Dialogs mit Akteuren aus der Praxis, begründet den hohen Stellenwert von Kommunikation in unserem Arbeitsfeld", erklärt die Wissenschaftlerin.


Lebendige Kooperationen

In mehr als 20 Kooperationsvereinbarungen mit außeruniversitären Partnern unterschiedlichster Einrichtungen und Handlungsfelder realisiert die Fakultät derzeit ihren hohen Anspruch eines Theorie-Praxis-Transfers. Dass die Universität keine Medizinische Fakultät hat, sei demzufolge auch weniger als Manko zu betrachten, sondern charakterisiere vielmehr das besondere Profil der Fakultät. Als "essentiell wichtig" bezeichnet Claudia Hornberg die Zusammenarbeit mit zahlreichen Krankenhäusern, u.a. in Bielefeld, Gütersloh und Bad Oeynhausen. Die Kooperation bezieht sich aber auch auf die Gesundheitswirtschaft in Ostwestfalen-Lippe sowie auf Gesundheitsämter. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise die methodische Weiterentwicklung der Schuleingangsuntersuchungen, die Optimierung der Strukturen kommunaler Gesundheitsversorgung oder die Entwicklung neuer Konzepte für Ernährung und Bewegung an offenen Ganztagsschulen zu nennen. Jede AG der Fakultät unterhält zudem internationale Kooperationen, etwa im Kontext der Thematik "Migration und Gesundheit". Besonders stolz ist die Fakultät auf ihre Auszeichnung als Collaborating Center for Child and Adolescent Health Promotion der Weltgesundheitsorganisation WHO. "Diese Mitgliedschaft in einem weltumspannenden Netzwerk von Kollaborationszentren zeigt die hohe Wertschätzung, die unserer Arbeit entgegengebracht wird. Gleichzeitig ist sie Ansporn und Motivation, unsere Arbeit ständig zu überprüfen, denn als Collaborating Center müssen wir uns regelmäßigen Evaluations- und Selektionsprozessen unterziehen." Aus der engen Zusammenarbeit mit der WHO, so Claudia Hornberg, würden sich nicht zuletzt auch für die Studierenden große Chancen auf einen Auslandsaufenthalt und ein Praktikum zum Beispiel in einem Department der WHO in Europa eröffnen.

Im Zusammenhang mit dem für die Fakultät sehr wichtigen interdisziplinären Transfer über Ländergrenzen hinweg berichtet die Dekanin über ihre Erfahrungen als Expertin für Hygiene und Umweltmedizin. So ist sie über eine palästinensische DAAD-Stipendiatin in eine internationale Arbeitsgruppe eingebunden, die über Fragen der Wasseraufbereitung und -verteilung im Westjordanland berät. Unter Beteiligung von Vertretern aus der EU, aus Israel, Palästina und Jordanien habe das ursprünglich aus ingenieur- und gesundheitswissenschaftlicher Perspektive angegangene Thema rasch die Form eines politischen Diskurses angenommen, der die Facetten des Nahost-Konflikts und dessen internationale Tragweite reflektiere. Derart komplexe politische Hintergründe sind allerdings nicht nur im internationalen Kontext - etwa bei der Gesundheit von Migranten -, sondern auch auf nationaler Ebene von Bedeutung, zum Beispiel in Hinblick auf die Struktur und die Organisationsprozesse in nationalen und internationalen Gesundheitssystemen mit ihren nur schwer überschaubaren Konstellationen divergierender Interessengruppen. "Jede AG ist daher in irgendeiner Form auch in der Politikberatung tätig", berichtet die Dekanin, "was uns wiederum die Möglichkeit bietet, bestimmte Themenfelder in der Politik zu platzieren oder zu fokussieren." Sie selbst wurde erst zu Beginn des Jahres vom Präsidenten des Umweltbundesamtes in Berlin als Expertin in die Deutsche Humanbiomonitoring-Kommission berufen. Und ihre Kollegin Prof. Dr. Doris Schaeffer hat gerade wichtige Vorschläge zur Reform der Pflegeversicherung an die Bundesregierung übermittelt.


Praxisbezug auch in der Lehre

Im Rahmen der Diskussion über die geplante Gründung der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld Anfang der 1990er Jahre prophezeite ein damaliger Senator dem neuen Fachbereich ein hohes Drittmittelaufkommen. Und er sollte Recht behalten. In der Tat ist der Drittmittelerwerb gemessen an der überschaubaren Größe der Fakultät und im Vergleich zu anderen Fachbereichen bedeutsam - nicht zuletzt dank der vielfältigen Kooperationen mit Partnern aus der Praxis. Claudia Hornberg betont die damit auch für die Qualität der Lehre bestehenden Vorteile: "Viele unserer Kooperationen ermöglichen uns eine sehr praxisnahe Ausbildung unserer Studierenden!" Als Beispiel nennt sie Abschlussarbeiten im Studiengang "Bachelor of Health Communication", die vielfach in enger Zusammenarbeit mit Partnern der Region erstellt würden. Sehr deutlich wird der Praxisbezug auch in den Weiterbildungsstudiengängen, die an der Fakultät angesiedelt sind und von Beginn an deren besonderes Profil charakterisieren.

Die Anfänge der Fakultät gehen auf einen weiterbildenden Studiengang - damals noch unter der Bezeichnung "Diplom Gesundheitswissenschaftler", heute "Master of Public Health" - zurück, "und dieses für uns wichtige Feld hat sich in den zurückliegenden Jahren mehr und mehr ausdifferenziert. Hier kann ich allen Interessierten nur einen Blick auf unsere Homepage empfehlen, um sich über die vielfältigen Weiterbildungsmöglichkeiten zu informieren." Für die Fakultät bedeuten diese Weiterbildungsangebote laut Aussage von Claudia Hornberg einen enormen Mehrwert, da die Studierenden über eine in der Regel ausgeprägte Berufsbiographie und vielfältige Studien- und Praxiserfahrungen verfügen. Kontroverse Diskussionen, die zum Beispiel dann entstehen, wenn Studierende aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern aufeinander treffen, würden auch die Lehrenden an der Fakultät zu ständiger Reflexion ihrer Arbeit veranlassen und zudem neue praxisrelevante Impulse setzen.


Kooperationspartner ZIG

Ein wichtiger Stützpfeiler der Aktivitäten der Bielefelder Gesundheitswissenschaftler ist das 1999 gegründete Zentrum für Innovation in der Gesundheitswirtschaft (ZIG). "Das ZIG", heißt es in einer Selbstbeschreibung, "verbindet die Kompetenzen der Region, bündelt Ressourcen und realisiert Entwicklungsprojekte. Es engagiert sich gemeinsam mit seinen Mitgliedern für die Region und sorgt durch Öffentlichkeitsarbeit und Marketingaktivitäten dafür, dass Ostwestfalen-Lippe zum Markenzeichen für die Gesundheitswirtschaft wird." Zu den Mitgliedern des ZIG zählt auch die Fakultät für Gesundheitswissenschaften. "Gesundheit", so die Geschäftsführerin des ZIG Brigitte Meier, "ist ein zentraler Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor in Bielefeld und Ostwestfalen-Lippe." Allein im Evangelischen Johanneswerk und den von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel arbeiten über 12000 Menschen. Zudem hat keine andere Region in Deutschland eine derartige Dichte an Heilbädern aufzuweisen. Seit Jahren baut die Region ihre Kompetenzen als Qualifizierungszentrum für akademische und nichtmedizinische Berufe im Gesundheitsbereich erfolgreich aus.

"Als Kontaktplattform und Netzwerkstelle für Projektentwicklung und Transfer hat das ZIG so etwas wie eine Wegweiserfunktion. Und dazu gehört, immer wieder auf die Universität als Produzent von Know-How für die Praxis aufmerksam zu machen", betont Brigitte Meier und bezieht sich dabei sowohl auf die Gesundheitswissenschaften als auch auf medizinisch relevante Forschungen in anderen Fakultäten der Universität einschließlich der Ausbildungs- und Qualifizierungsangebote. Eine sehr beliebte "Kontaktbörse" ist das vom ZIG organisierte und einmal im Jahr stattfindende OWL Forum Gesundheitswirtschaft für den Austausch unter Fachleuten. Zusammen mit der Fakultät für Gesundheitswissenschaften veranstaltet das ZIG in dreimonatlichen Abständen auch das Gesundheitspolitische Forum. Auf beiden Veranstaltungen werden aktuelle Fragen aus dem Gesundheitssektor diskutiert, vom Einsatz der Telematik in der Medizin über die Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung und die Wiederkehr von Infektionskrankheiten bis zur Verbindung von stationärer und ambulanter Pflege. Brigitte Meier, früher selbst an der Fakultät beschäftigt, lobt die gut funktionierenden Kooperationsbeziehungen und setzt darauf, das besondere Kompetenzprofil der Universität im Handlungsfeld "Gesundheit" in Zukunft noch transparenter nach außen darzustellen. Die Perspektiven der Fakultät für Gesundheitswissenschaften für den weiteren Transfer ihrer Kompetenzen und Ergebnisse in die Praxis sowie die Nachfrage nach gesundheitswissenschaftlichem Fachwissen sind jedenfalls mehr als gut zu bewerten. Denn wie hat Arthur Schopenhauer es bereits treffend formuliert: Gesundheit ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Gesundheit!


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Quelle:
BI.research 34.2009, Seite 52-57
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld
Herausgeber: Universität Bielefeld, Referat für Kommunikation
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. September 2009