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ETHIK/831: Bericht vom Dritten Bonner Ethik-Forum "Umwelt und Gerechtigkeit" am 7.6.2010 (IWE-Brief)


IWE Brief Nr. 1/2010
IWE - Institut für Wissenschaft und Ethik der Universität Bonn

Drittes Bonner Ethik-Forum "Umwelt und Gerechtigkeit"
7. Juni 2010, Bonn

Von Kathrin Rottländer und Marie Schmetz


Am 7. Juni 2010 haben IWE und DRZE im Universitätsclub Bonn das Dritte Bonner Ethik-Forum veranstaltet. Nachdem das letztjährige Symposium der "Perfektionierung des Menschen" gewidmet war, trugen diesmal Referenten unterschiedlicher Disziplinen ihre Überlegungen zu Fragen von "Umwelt und Gerechtigkeit" vor.


In seiner Eröffnung wies Dieter Sturma (IWE, DRZE, INM-8) die Verknüpfung der beiden Bereiche Umwelt und Gerechtigkeit als einen Hauptaspekt für den menschlichen Umgang mit der Natur aus. Eine erfolgreiche Normsetzung in diesem Sektor verlange dabei die fächerübergreifende Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen, insbesondere in der Klärung grundlegender Fragen nach dem Verhältnis des Menschen zur Natur, nach unterschiedlichen Naturverständnissen und nach der Wertigkeit der Natur. Besondere Bedeutung komme dem Konzept der "Nachhaltigkeit" als leitendem Zentralprinzip des Umweltschutzes zu. Dieses erweise sich zumindest in motivationaler Hinsicht dann als besonders wirkmächtig, wenn es nicht auf die Interessen zeitlich weit entfernter Generationen beschränkt bleibe, sondern auch auf die Interessen der aktuell lebenden jüngsten Generationen bezogen werde.

In seinem Vortrag "Technik und Zivilisationsdynamik" machte Michael Jischa (TU Clausthal) deutlich, dass die genaue Bedeutung des Nachhaltigkeitsbegriffs vom zugrunde liegenden Gerechtigkeits- und Naturverständnis des Sprechers abhänge. "Nachhaltigkeit" erweise sich daher als ein diffuser Begriff, der erst durch gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen über Zielprioritäten handlungsleitend werden könne. In diesem Zusammenhang seien nicht zuletzt Natur- und Ingenieurswissenschaftler zu transparenter Begriffsverwendung aufgefordert. Ein charakteristisches Problem des Umweltschutzes liege in der besonderen Konstellation eines wachsenden Risikopotentials menschlicher Technologien einerseits und einer defizitären Reichweite menschlichen Wissens andererseits. Dies mache ein geeignetes Wissensmanagement notwendig, das den bestehenden Unsicherheiten Rechnung trage. Schließlich stellte Jischa konkrete Ansätze für globalen Umweltschutz und globale Gerechtigkeit vor, darunter das Projekt DESERTEC, dessen Ziel eine intensive Gewinnung von Solarenergie in der nordafrikanischen Wüste ist. Dieses Projekt sei u.a. deshalb richtungsweisend, weil es durch seine dezentrale Struktur echte partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern ermögliche.

Dietmar von der Pfordten (Universität Göttingen) widmete sich in seinem Beitrag "Globale Gerechtigkeit und Naturzerstörung" einer systematischen Überprüfung des Gerechtigkeitsbegriffs in Bezug auf aktuelle umweltpolitische Fragestellungen. Seinen Ansatz formulierte er als normativen Individualismus, der nicht zukünftig lebende Kollektive oder Generationen, sondern zukünftig lebende Individuen und deren Interessen berücksichtigt. Der Begriff der Generation sei in diesem Zusammenhang ungünstig, da ihm eine Tendenz eigne, konsequentialistische gegenüber deontologischen Handlungsaspekten einseitig vorzuordnen. Bestehende Unsicherheiten bezüglich der Existenz zukünftiger Individuen und der Beschaffenheit ihrer Wünsche ließen sich bewältigen, insofern entsprechende Wahrscheinlichkeitsannahmen rationale Entscheidungen erlaubten und zudem gewisse grundlegende menschliche Bedürfnisse wie der Zugang zu elementaren Ressourcen mit Sicherheit unterstellt werden könnten. Als Zentralkriterien zukunftsgerichteten Handelns nannte von der Pfordten die Reversibilität von Natureingriffen sowie die Schaffung guter Lebensbedingungen für künftige Individuen, etwa durch den Ausbau erneuerbarer Energien. Zudem schlug von der Pfordten die Einführung einer globalen Umweltorganisation vor, die sich am Gleichheitsgebot zu orientieren habe. Hierunter sei jedoch keine starre Pro-Kopf-Gleichheit zu verstehen, da etwa Gleichheit im Unrecht keine Gültigkeit beanspruchen könne und Bedürfnisse in Abhängigkeit von geographischen und zeitlichen Faktoren variierten.

Erik Gawel (UFZ Leipzig) stellte ökonomische Überlegungen an, ob sich Umweltschutz über "Preise für Umweltgüter" realisieren lasse und wie dieser Ansatz mit elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen in Einklang zu bringen sei. Problematisiert werden müsse dabei, inwiefern Preise für Umweltgüter deren tatsächlichen Wert widerspiegeln können, inwieweit sich Knappheit von Ressourcen auf den Preis auswirken dürfe und ob Umweltpreise dem Leistungsfähigkeitsprinzip Genüge leisten können. Zu beachten sei etwa, dass Zahlungsbereitschaft immer auch Zahlungsfähigkeit voraussetze, so dass Preise für Umweltgüter eine soziale Zugangshürde bedeuten können. Dieses gerechtigkeitstheoretische Problem sei gegebenenfalls gegen ökologische Zielsetzungen abzuwiegen. Ein Preissystem, das den beiden Anliegen des Umweltschutzes und der Gerechtigkeit gleichzeitig genügen wolle, müsse die Kostenwahrheit der Güter berücksichtigen, die normativ gesetzten Belastungsgrenzen theoretisch fundieren sowie in der politischen Preisgestaltung Fairness, d.h. gerechte Lastenverteilung, walten lassen.

Christoph Hubig (TU Darmstadt) entwickelte in seinem Vortrag zu "Ethiken der Nachhaltigkeit" einen Ansatz, um vor dem Hintergrund eines bestehenden Wertepluralismus Umweltschutz als Erhalt von Optionswerten für nachfolgende Generationen zu fassen. Hierbei sei ein integratives Konzept von "Nachhaltigkeit" leitend, welches keine einseitigen Schwerpunkte aufgrund entsprechender spezialwissenschaftlicher Fokussierung zugrunde lege, sondern umfassendere Grundwerte wie Persönlichkeitsentfaltung, Wohlstand, Sicherheit, Umweltqualität und Gesundheit berücksichtige. Die Gesamtwertschätzung eines Gutes ergebe sich genauer aus der Summe seines aktuellen Realwerts, seines Optionswerts und seines Vermächtniswerts. Das Problem des Wertekonflikts könne hierbei nicht umgangen werden. Vielmehr habe eine Ethik der Klugheit gerade zum Ziel, die Bedingungen für einen Wertepluralismus und damit auch für mögliche Wertdissense weitestgehend zu erhalten, wobei moralische und ökologische Kosten Grenzkriterien hinsichtlich des Erhalts der Optionswerte darstellen sollten.

In der abschließenden Diskussion ging es um Fragen der interdisziplinären Zusammenarbeit, der unterschiedlichen Verwendung von Zentralbegriffen wie Umwelt und Gerechtigkeit sowie der Perspektiven für eine erfolgreich institutionalisierte Umweltpolitik, etwa mit Blick auf die Arbeit globaler umweltpolitischer Organisationen.


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Quelle:
IWE Brief Nr. 1/2010, Seite 2 - 3
Herausgeber: Institut für Wissenschaft und Ethik e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2010