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DIAGNOSTIK/371: Europas erstes fetales MEG-Gerät eröffnet am Uniklinikum Tübingen (idw)


Universitätsklinikum Tübingen - 17.07.2009

Europas erstes fetales MEG-Gerät eröffnet am Uniklinikum Tübingen

Untersuchung von Hirnaktivität und funktioneller Gehirnentwicklung beim Ungeborenen möglich


Am Universitätsklinikum Tübingen geht das europaweit einzige fetale Magnetenzephalographie-Zentrum zur Untersuchung der funktionellen Gehirnentwicklung und vorgeburtlichen Diagnostik in Betrieb. Die fetale Magnetenzephalographie (fMEG) ist eine neue, nicht invasive Untersuchungsmethode in der Geburtshilfe, die Mutter und Kind nicht belastet.

Die Beurteilung der neurologischen Entwicklung des Ungeborenen war in der Geburtshilfe bislang nicht möglich, obwohl gerade das Gehirn ein sehr - oft irreversibel - verletzliches Organ darstellt. Mit dem fMEG kann jetzt die Aktivität und der Entwicklungstand des Gehirns gemessen werden. Zudem können die Herztätigkeit, die Kindsbewegung und die mütterliche Wehenaktivität registriert werden. Am Uniklinikum Tübingen wird mit dem Gerät innerhalb von Studien der Entwicklungsprozess des Fetus im Bauch erforscht. Diese Grundlagenforschung dient der Ermittlung von Normwerten für einen späteren klinischen Einsatz. So hoffen die Wissenschaftler in etwa zwei Jahren das Risiko einer Frühgeburt aufgrund der Uterusaktivität vorhersagen zu können. In einer weiteren Studie werden Auswirkungen von bestimmten Vorerkrankungen der Mütter auf die Herzaktivitäten der Feten untersucht.

Die innovative Methode und das weltweit erste Modellgerät wurden in Zusammenarbeit von Instituten der Universität Tübingen und der University for Medical Sciences of Arkansas (Little Rock, Arkansas, USA) entwickelt. Dort ist es seit dem Jahr 2000 in Betrieb. Das Nachfolgegerät wurde nun am fMEG-Zentrum in Tübingen installiert. Angewandt wird das neue Verfahren in enger interdisziplinärer Zusammenarbeit von Universitäts-Frauenklinik, der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin (Abteilungen Neonatologie und Entwicklungsneurologie), der Universitätsklinik für Neurologie und dem Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie Tübingen. Das fMEG-Zentrum wurde aufgrund der in Tübingen bestehenden hervorragenden Forschungs- und klinischen Voraussetzungen (MEG-Zentrum und Perinatalzentrum Tübingen) mittels einer DFG-Förderung und der Förderung des Landes eingerichtet.


Was ist ein Magnetenzephalogramm?

Die Magnetenzephalographie (MEG) ist eine nicht invasive Methode zur Messung sehr schwacher magnetischer Felder, wie sie in der menschlichen Hirnrinde entstehen. Die Technologie des MEG existiert seit 30 Jahren und wurde seither zur Untersuchung Erwachsener genutzt. Zur Messung der Hirnaktivität werden Magnetfelder über der Körperoberfläche abgeleitet. Hierzu werden hochsensible Sensoren - so genannte SQUIDs (superconducting quantum interference device) - verwendet. Diese Sensoren erlauben es, kleinste Magnetfelder bis zu femtoTesla (10-15 Tesla) zu registrieren (Erdmagnetfeld rund 10-4 Tesla, Hirnaktivität 10-13 Tesla). Das fMEG System umfasst 156 solcher Sensoren.


Das neue fetale Magnetenzephalogramm

Die neue Methode des fetalen Magnetenzephalogramm (fMEG) bietet, basierend auf dem bereits bekannten Verfahren des MEGs, die Möglichkeit, erstmals eine nicht invasive Zustands- und Funktionsbeschreibung der fetalen Hirnleistung im Mutterleib (intrauterin) vorzunehmen. Wie auch beim EEG kann die Hirnaktivität mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung gemessen werden. Die EEG- Ableitung erfolgt jedoch über Elektroden, die direkt auf der Kopfoberfläche des Fetus angebracht werden. Dies ist erst nach einem Blasensprung möglich. Die Ableitung fetaler Magnetfelder per fMEG erfolgt nicht invasiv über die Bauchwand der Mutter und ist schon in früheren Schwangerschaftswochen möglich.

Aufgrund der geringen Feldstärke der biomagnetischen Signale ist das fMEG System in einer magnetischen Abschirmkammer installiert. Die 156 SQUID-Sensoren sind unterhalb einer Schale angebracht, in die sich die Mutter während der Untersuchung mit dem Bauch hineinlehnt und ihn durch die Schwerkraft auf das Sensorsystem drückt.


Was denkt, hört und sieht ein Kind im Mutterleib - was sagt uns das fMEG?

Die Fähigkeit zu Hören und zu Sehen beginnt ab der 20. Schwangerschaftswoche. Der Fortgang des Reifungsprozesses ist entscheidend für die gesamte spätere kognitive Entwicklung des Kindes wie beispielsweise für die Sprachentwicklung.

Zugleich kann die Registrierung der fetalen Hirnentwicklung Aufschluss über das fetale Befinden geben, insbesondere bei Risikoschwangerschaften. Cirka zehn Prozent aller Schwangerschaften werden heute wegen drohender intrauteriner Minderversorgung des Kindes durch einen Kaiserschnitt beendet. Besonders hoch ist dieser Anteil im Bereich der Risikoschwangerschaften, wie z.B. bei fetaler Wachstumsretardierung oder bei mütterlichen Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes. Die Entscheidung über das Vorgehen in diesen Fällen geschieht unter Abwägen der Risiken einer kindlichen Minderversorgung in utero zu den Risiken einer Frühgeburtlichkeit. Insbesondere hier ist die Beurteilung des kindlichen Zustandes von großer Wichtigkeit. Bislang werden Informationen über die Herztätigkeit und das Blut herangezogen. Anhand dieser Parameter wird auf einen Bedrohungszustand für das prognostisch relevante Organ, das Gehirn, geschlossen und der optimale Entbindungszeitpunkt bestimmt. Die direkte Möglichkeit zur Erfassung der kindlichen Hirnaktivität und Entwicklung fehlte bislang.

Zur Erfassung der Hirnaktivität werden auditorische Reize (Tonsignale) oder visuelle Stimuli (Lichtsignale) über der Bauchwand der Mutter dargeboten. Das fMEG registriert, ob und wie schnell das Kind diese Reize erfasst. Dazu wird die Reaktionszeit (Latenz) der durch die Licht- bzw. Tonsignale ausgelösten magnetischen Feldänderungen in der fetalen Hirnrinde erfasst und beurteilt. Auch die spontane Hirnaktivität, d.h. wenn kein Reiz dargeboten wird, kann registriert werden.

Mit dem fMEG können Rückschlüsse auf die Integrität und Entwicklung der kindlichen Hirnaktivität gezogen werden. Es liefert einen Einblick in die Hirnfunktion während der fetalen Entwicklung im Mutterleib und bietet die Möglichkeit der Überwachung und Sicherung der normalen Hirnentwicklung.

Zusätzlich erfasst das fMEG die kindlichen Herzaktionen, die kindlichen Bewegungen und die Kontraktionen der Gebärmutter. In Zusammenhang mit den erfassten Hirnströmen bietet das fMEG ein umfassendes Monitoring des Fetus.


Der Ablauf einer fMEG-Untersuchung

Bevor die fMEG-Aufzeichnung beginnt wird ein Ultraschall gemacht, um die Position, die Kopflokalisation und die Größe des Kindes zu bestimmen.

Metallische Gegenstände wie Schmuck, Uhren und Kleidungsverschlüsse würden die sehr sensiblen SQUID-Sensoren des Gerätes bei der Aufzeichnung stören. Deshalb werden diese vor der Aufzeichnung abgelegt und bequeme, metallfreie Kleidung angezogen.

Das Wohlbefinden der Schwangeren ist während der fMEG-Aufzeichnung wichtig. Eine Besonderheit des fetalen MEGs ist es, dass die Mutter sitzend und nicht auf dem Rücken liegend untersucht wird. Die Rückenposition kann bei Schwangeren zu Übelkeit und Kreislaufbeschwerden führen. Außerdem kann sich die Mutter uneingeschränkt bewegen und die angenehmste Position einnehmen. Dazu kann der Sitz des Gerätes sowie die Beinstützen und das Kissen zum Auflegen von Armen und Kopf individuell angepasst werden.

In dieser Sitzposition lehnt die Schwangere sich mit dem Bauch in die Schale des fMEG hinein, unterhalb der sich die SQUID-Sensoren befinden, die die magnetischen Signale des Fetus über die mütterliche Bauchwand hindurch empfangen.

Für die Stimulation mit Tönen befindet sich zwischen dem Bauch der Schwangeren und der Schale ein weicher, dünner Ballon, durch den die Töne während der Untersuchung gegeben werden. Für die visuelle Stimulation wird eine Lichtplatte aus Plastik auf den Bauch gelegt. Die Lichtreize bestehen aus rotem Licht, das die Bauchdecke durchdringen kann. Das Licht ist von geringer Intensität, es ist elfmal schwächer als Tageslicht.

An einem Bauchgurt befinden sich Marker (sogenannte Coils), die zur Markierung des fetalen Kopfes und der mütterliche Position dienen. Die Untersuchung findet in einer magnetisch abgeschirmten Kammer statt. Die Patientin hat die Möglichkeit jederzeit per Video- und Lautsprechersystem Kontakt zum betreuenden Personal nach außen aufzunehmen.

Insgesamt dauert eine Messung etwa eine halbe Stunde, wobei dies verkürzt werden kann, sollte sich die Mutter auf dem Sitz unwohl fühlen.

Am Ende der Untersuchung wird per Ultraschall kontrolliert, ob und wie viel die kindliche Kopf- und Augenposition sich verändert hat.


Ansprechpartner für nähere Informationen:
fMEG Zentrum Tübingen
Otfried-Müller-Str. 47, 72076 Tübingen
E-Mail: UFK.FMEG@med.uni-tuebingen.de

Universitätsklinikum Tübingen
Frauenklinik
Calwerstr. 7, 72076 Tübingen
Dr. Harald Abele (Leitender Oberarzt Perinatalzentrum)
E-Mail: harald.abele@med.uni-tuebingen.de

Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie
MEG-Zentrum
Dr. Hubert Preissl
Otfried-Müller-Str. 47, 72076 Tübingen
E-Mail: hubert.preissl@uni-tuebingen.de

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter:

• http://idw-online.de/pages/de/image96318
Das Kind im Mutterleib: Die 156 Sensoren befinden sich in einer Schale, in die sich die Mutter mit dem Bauch hineinlehnt. Zur Bestimmung der Kindslage und Anordnung der Stimulussender für Ton- und Lichtsignale wird vor der MEG-Aufzeichnung ein Ultraschall gemacht.

• http://idw-online.de/pages/de/image96319
Eine Patientin auf dem fMEG. Während der Messung kann sich die Schwangere entspannen. Der Bauchgurt dient zur Markierung der kindlichen Kopfposition. An diesem Gurt ist auch die Lichtquelle zur visuellen Stimulierung angebracht.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution82


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Tübingen, Dr. Ellen Katz, 17.07.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2009