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VORSORGE/793: Präventologie - Gesund durch Beziehungen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2018

Präventologie
Gesund durch Beziehungen

von Dirk Schnack


Prävention und Gesundheitsförderung stehen seit über 20 Jahren auf der gesundheitspolitischen Agenda. Präventologen setzen sich dafür ein, dass dies in der Praxis umgesetzt wird.


Füreinander Sorge tragen, Ganzheitlichkeit und ökologisches Denken, das sind laut Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Kernelemente bei der Entwicklung von Strategien zur Gesundheitsförderung. Der WHO ging es bei der Verabschiedung der Charta um eine Neuorientierung der Gesundheitspolitik, von der Krankenversorgung hin zur Förderung der Gesundheit. Das impliziert, dass Gesundheit weniger eine Aufgabe der Medizin als eine Herausforderung für die Bürger selbst darstellt. Die Menschen sind gefordert, sich für ihre Gesundheit stark zu machen und sich für gesundheitsfördernde Lebensbedingungen einzusetzen. Was ist von diesem Ziel erreicht, wo stehen wir heute, über 20 Jahre später?

"Zu wenig ist bislang geschehen", schrieb kürzlich Dr. Ellis Huber. Der frühere Präsident der Berliner Ärztekammer verweist darauf, dass immer noch zu wenige Menschen Eigenverantwortung übernehmen, dass es immer noch zu viele Lebenswelten gibt, die die Menschen krank machen. Dennoch zieht er unter dem Strich ein positives Fazit. Denn nach seiner Beobachtung haben die Ottawa-Charta und der anschließende Entwicklungsprozess eine "stille Revolution" in Gang gesetzt, der allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit ermöglicht und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zumindest befähigt.

Huber engagiert sich für dieses Ziel über den Berufsverband der Präventologen, dessen Vorsitzender er ist. Der Verband versteht sich als Netzwerk von Menschen, die sich beruflich oder als Bürger für gesunde Verhaltensweisen und gesunde Verhältnisse einsetzen. Zu diesem Netzwerk zählen u. a. geprüfte Präventologen, unterschiedliche Gesundheits- und Sozialberufe, aber auch Unternehmen der Gesundheitswirtschaft und interessierte Einzelpersonen. Präventologen wie Huber verstehen sich selbst als Experten der Prävention und Gesundheitsförderung, die mit besonderer Kompetenz und Wirksamkeit zur Förderung der Gesundheit der einzelnen Menschen und ihrer sozialen Gemeinschaften beitragen. Ihre Vision ist, dass jeder Mensch sein volles Gesundheitspotenzial entfalten kann. Dazu muss der Einzelne zwar beitragen, ohne die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen aber geht es nicht. Der Berufsverband sieht Präventologen deshalb als Teil einer Neuorientierung in der Gesundheitspolitik.

Der in WHO-Programmen erfolgreich erprobte "Setting-Ansatz" für Städte, Dörfer, Schulen, Betriebe oder Unternehmen stellt das Instrumentarium und die Methodik bereit, mit denen Gesundheitsförderung praktisch umgesetzt werden kann. Präventologen zeichnen sich dabei durch eine besondere kommunikative und soziale Kompetenz aus. "Sie sind vor allem Beziehungsspezialisten", heißt es auf der Homepage des Verbandes. Denn nach ihrem Verständnis ist die Qualität der menschlichen Beziehungen der wichtigste Einzelfaktor, der über die Gesundheit oder Krankheit eines Individuums entscheidet: "Die Beziehungskrankheiten sind in der Kommunikationsgesellschaft an die Stelle der Infektionskrankheiten des letzten Jahrhunderts getreten und Beziehungslosigkeit ist der gefährlichste Krankheitserreger der modernen Welt und Beziehungsfähigkeit das Antibiotikum der Wissensgesellschaft." Eine offene Kommunikations- und Kooperationskultur innerhalb der Professionen und Institutionen der Prävention und Gesundheitsförderung oder ein lebendiges gegenseitiges Beziehungsnetz hilft nach diesem Ansatz allen beteiligten Personen.

Ein Arzt, der die Ziele der Präventologen in Schleswig-Holstein aktiv unterstützt, ist Allgemeinmediziner Dr. Johann-Christian Hackbarth. Der Hausarzt aus Jevenstedt bei Rendsburg ist klassischer Landarzt in Einzelpraxis. Er macht gerne Hausbesuche im Pflegeheim, spricht gerne mit seinen Patienten über deren Lebensumstände - und macht damit vieles von dem, was seine jüngeren Kollegen angeblich nicht mehr so schätzen.

Dem Hausarzt "alten Schlages" merkt man an, dass ihm sein Arbeitsalltag, abgesehen von den bürokratischen Anforderungen, auch nach 27 Jahren in der Niederlassung noch immer Spaß macht. Ein Grund dafür ist die langjährige Begleitung der von ihm behandelten Patienten. "Ich habe heute erwachsene Patienten, deren Eltern schon in meiner Praxis waren und sich mit dem Gedanken an ihr erstes Kind getragen haben", sagt der Landarzt.

1991 hat er sich in Jevenstedt niedergelassen, zunächst in Gemeinschaftspraxis, seit 1994 ist er Einzelkämpfer. Neben seiner gibt es eine weitere Praxis am Ort. Mit Umland sind in Jevenstedt rund 3.500 Patienten zu versorgen. Im benachbarten Rendsburg finden seine Patienten Krankenhaus und fachärztliche Versorgung.

Bei Hackbarth finden sie eine allgemeinmedizinische Versorgung, die weit über das hinausgeht, was man als Patient erwarten darf. Man spürt echtes Interesse an den Patienten, ihren Familien und ihren Lebensumständen. "Man ist auch ein wenig Seelsorger", ist eine Erfahrung Hackbarths, die ihn aber nicht abschreckt. Das liegt auch an seiner Einstellung zu den Menschen und zur Medizin, die von der Präventologie beeinflusst ist. Der Allgemeinmediziner versucht beispielsweise, seine Patienten dazu zu motivieren, in ihrem Alltag bewusster auf Ernährung und Bewegung zu achten, Stress zu verringern und damit ihre Gesundheit zu fördern. "Das gelingt nur bei einem eigenverantwortlichen Umgang mit der eigenen Gesundheit", sagt Hackbarth.

Nicht bei allen Patienten hat er damit Erfolg, wie er einräumt. Auch in seiner Praxis in Jevenstedt gibt es Patienten, die trotz schwerer, schon eingetretener gesundheitlicher Schäden weiterhin rauchen und die sich trotz starken Übergewichts weiterhin ungesund ernähren und zu viel essen. Weil Eigenverantwortung immer wieder an ihre Grenzen stößt, begrüßt er gesetzliche Regelungen wie etwa das Rauchverbot an öffentlichen Plätzen: "Wer hätte vor Jahren gedacht, dass wir heute rauchfrei in Gaststätten essen können? Solche Fortschritte lassen sich nur politisch erreichen", nennt der Allgemeinmediziner als Beispiel.

Daneben aber versucht er als Präventologe bei den Einzelnen in kleinen Schritten Fortschritte zu erzielen und stößt durchaus auf Resonanz. Zum Teil sind es einfache Maßnahmen, die manche Patienten zum Nachdenken anregen. So hängt in seiner Praxis etwa ein Maßband mit einer Länge von 100 Zentimetern. Daneben ein Hinweis: "Wenn dieses Maßband über ihrem Bauch nicht mehr zusammenfindet, sprechen Sie mich an."

Neben seiner Praxistätigkeit setzt Hackbarth auch Impulse für die Dorfentwicklung, um dem von ihm beobachteten Trend zur Urbanisierung und zum Vereinsamen entgegenzuwirken. Zusammen mit dem örtlichen Gewerbeverein hat er beispielsweise ein 24-stündiges Staffelgehen organisiert. Ergebnis war Bewegung an der frischen Luft auch für viele seiner Patienten und ein Gemeinschaftsgefühl. Eigenverantwortung stärken, Menschen zusammenführen - darin sieht der Landarzt zwei seiner Aufgaben, die sich mit der Vision der Präventologen decken.

Wie lange Hackbarth noch als Landarzt arbeiten wird, will der 64-Jährige aktuell noch nicht entscheiden - "mindestens noch drei, vier Jahre". Er ist überzeugt: Ohne seinen Beruf, den er mehr als Berufung versteht, wäre sein Alltag ärmer.


Info
Weitere Informationen über den Berufsverband der Präventologen e.V. im Internet:
www.praeventologe.de


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201807/h18074a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juli-August 2018, Seite 22 - 23
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2018

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