Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → FAKTEN


HYGIENE/143: Hygienemanagement - Bericht vom Hygieneforum in Heide am 20.02.2020 (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2020

Forum
Unterschätzte Hygiene

von Astrid Schock und Stephan Göhrmann


Zweites Hygieneforum des 6 K-Verbundes am 20. Februar 2020 in Heide. Compliance bei Handhygiene ausbaufähig. Hohes Keimaufkommen an Abflüssen und Waschbecken.


Parasiten, Bakterien, Viren - unerwünschte Gäste, die wohl kein Mensch unmittelbar in seiner Umgebung wissen möchte. Unter Umständen lebensbedrohlich sind sie im Krankenhaus. Im Bildungszentrum des Westküstenklinikums in Heide fand zum zweiten Mal das Hygieneforum statt. Rund 300 Besucher aus dem Bereich Hygiene in Gesundheitseinrichtungen waren gekommen. Kurzfristig als Referent in das Programm aufgenommen wurde Dr. Michael Siemann. Er informierte seine Zuhörerschaft über den zu diesem Zeitpunkt aktuellen Stand des Coronavirus.

Der Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie am Städtischen Krankenhaus Kiel stufte es als problematisch ein, dass eine relativ große Zahl der Fälle symptomlos verläuft, alle jedoch unvorhersehbar. Es gebe weder einen Impfstoff, noch eine validierte Therapie. Zum Zeitpunkt des Forums ging Siemann noch davon aus, dass es in absehbarer Zeit voraussichtlich zu keinem Ausbruch in Norddeutschland kommen werde. Medizinern riet er, die richtige Fragen zu stellen. Ein meldepflichtiger Verdachtsfall könne in zwei Fällen gegeben sein: Erstens ein Mensch zeigt Symptome und hatte Kontakt zu einem bestätigten Krankheitsfall. Zweitens der Patient zeigt Symptome und war innerhalb der letzten 14 Tage in einem Risikogebiet. Wer 14 Tage keine Symptome zeigt und einen negativen Test aufweist, könne nicht infiziert sein. Diesem Verfahren ("Containment") folgten die meisten Staaten. Im Zweifel solle man Rücksprache mit dem Gesundheitsamt halten.

Anfang Texteinschub
80 % der Ärzte begründeten ihre Masernschutzimpfung mit dem Patientenschutz. Ärzte seien auch die Gruppe im Gesundheitswesen, die am häufigsten zweifach geimpft ist. Während bei den Pflegenden die Angst vor den Nebenwirkungen vor einer Impfung abschreckt, geben die Ärzte an, sich aus organisatorischen Gründen nicht impfen lassen zu können. Diese Daten gehen aus der OKapII-Studie des Robert-Koch-Instituts hervor.
Ende Texteinschub

Dass auch Impfen ein Baustein des Hygienemanagements ist, thematisierte Dr. Anne Marcic aus dem Kieler Gesundheitsministerium. Die Neuerungen zum Masernschutzgesetz, die die Impfung seit dem 1. März 2020 zu einer Pflichtimpfung für einige Personengruppen macht, sieht Marcic als unumgänglich an. Der Schutz der Kollegen in medizinischen Einrichtung sowie der Patienten vor nosokomialen Infektionen müsse stets an erster Interessenstelle aller Beteiligten stehen. "Masern gehören zu den ansteckendsten Infektionskrankheiten des Menschen, deren Verbreitung durch Prävention vermieden werden kann", so Marcic. Zur umfassenden Sorgfaltspflicht eines Arbeitgebers zählt Marcic auch die Pflicht, den Impf- und Serostatus zu erfragen, um Patienten und Personal schützen zu können. Ist keine Impfung dokumentiert, muss geimpft werden. Um die Ausbreitung von Bakterien in medizinischen Einrichtungen verhindern zu können, sei auch die Influenza-Impfquote bei klinischem Personal wichtig. Marcic zitierte die OkaPII-Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI), die eine deutliche Steigerung in den letzten beiden Saisons aufzeigt.

Mit der OkaPII-Studie wurde der Fokus auf die Impfraten der drei größten Berufsgruppen im Gesundheitswesen gerichtet: der Ärzteschaft, den Mitarbeitern in der Pflege und den verwalterischen und technischen Berufen. Ergebnis in der Saison 2016/2017: Der ärztlicher Dienst war zu 60,8 % geimpft, das Pflegepersonal zu 32,7 %. In der Saison 2018/2019 hatte sich dies gesteigert: Ärztlicher Dienst 76 % Impfquote, Pflegepersonal 46 %. Diese Entwicklung sei zwar erfreulich, meinte Marcic - dennoch plädierte sie dafür, das Impfangebot für Mitarbeiter attraktiver zu gestalten. "Der Aufwand muss so gering wie möglich gehalten werden, damit eine bestmögliche Impfquote erreicht werden kann", sagte sie. Marcic hält eine Impfung als Voraussetzung für Neueinstellungen für sinnvoll. Die genauen Studienergebnisse stellte anschließend Nora Küpke vom RKI den Teilnehmern in einem eigenen Vortrag vor.

Ein Baustein des Hygienemanagements ist die Reinigung der Einrichtungen. Melanie Reese stellte Prozessoptimierungen der Krankenhausreinigung vor, die die Verbreitung von Viren und Bakterien auf ein Minimum reduzieren soll. Reese stützte ihre Ausführungen auf eine Studie, für die Bewegungsmuster von Reinigungskräften anhand von Schrittzählern ausgewertet und optimiert. "Die Reinigung von Fenster-, Tür und Schranktürgriffen ist häufig nicht Bestandteil des Leistungskatalogs und wird somit vernachlässigt", sagte Reese. Doch gerade an diesen kritischen Hautkontaktpunkten sei die Reinigung von größter Bedeutung. Das von ihr vorgestellte Reinigungsmodell zeichnet sich durch farbliche Kennzeichnung der Reinigungsbereiche aus. Jeder Bereich - Toilette, Waschbecken, Patientenbett, etc. ist bei diesem Modell gekennzeichnet und sieht spezielle Reinigungsmethoden und -tücher vor. Aus diesem Modell wurde eine DIN-Norm erarbeitet. "Eine gesetzliche Verpflichtung zur Anwendung der DIN Norm besteht nicht. Passiert jedoch etwas und es wurde nicht die neuste Technik angewandt, könnte die Geschäftsführung der entsprechenden Einrichtung eventuell Probleme bekommen", so Reese.

Dass auch bei ordnungsgemäßer Reinigung Probleme auftreten können, schilderte Prof. Martin Exner vom WHO Kollaborationszentrum für Wassermanagement und Risikokommunikation zur Förderung der Gesundheit in Bonn. Das Problem abwasserführender Systeme sei durch Infektion einer Patientin erstmalig aufgefallen. Diese hatte sich mit Serratia Liquefaciens infiziert, als sie bei einem Heilpraktiker eine Vitamin C-Infusion erhielt. Bei genauerem Hinsehen sei aufgefallen, dass der Schlauch der Infusion um die Armatur des Waschbeckens gelegt und so mit dem Bakterium verunreinigt wurde. Auch in einer weiteren Einrichtung konnte hohes Keimaufkommen an Waschbecken und Abgüssen festgestellt werden. Abwassersysteme sind nicht von Zimmer zu Zimmer voneinander getrennt, sondern stellen eine unterirdische Verbindung dar. "Kommt es dann noch zu einer Verstopfung des Systems, sind die Wege für die Bakterien frei", so Exner. Er empfahl, diesen Gesichtspunkt schon bei der Bauplanung zu berücksichtigen und etwa randlose Toiletten und einfach zu reinige Abgusssysteme zu verbauen. "Auch Waschbecken ohne Rücklauf vermindert das Risiko deutlich", so Exner.

Bei der Verbreitung von Bakterien und Viren spielt mangelnde Händehygiene eine tragende Rolle. Uni.-Prof. Iris F. Chaberny vom Universitätsklinikum Leipzig erläuterte die Bedeutung korrekter Handhygiene und verdeutlichte, dass die Vermittlung der richtigen Anwendung entscheidend ist. "Hygiene wird häufig als Stress empfunden und nicht als Instrument, auch sich selbst schützen zu können", so Chaberny.

Dieses Gefühl bestätigt auch Gabriele Lorenzen-Fey. Die leitende Hygienefachkraft des Klinikums Itzehoe hat laut eigener Aussage mit viel Gegenwind der ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter zu kämpfen. "Dabei geht Hygiene uns alle an. Nur wer Hygienemaßnahmen richtig anwenden kann, ist auch in der Lage sich und die Patienten schützen zu können", so Lorenzen-Fey.

Dr. Katja Clasen, Fachärztin für Chirurgie in der Chirurgischen Praxis im MVZ Klinik Dr. Winkler in Husum, berichtete über eine hohe Motivation für notwendige Hygienevorgaben seitens der Mitarbeiter in ihrer Klinik. Sie sagte: "Hygiene ist im ersten Moment sehr teuer. Personal, das Einhalten von Vorgaben und das Vorhalten von Einrichtungen kostet Geld. Eine Anpassung im Vergütungssystem wäre wünschenswert."

Anfang Texteinschub
1,4 - 2,5 von dieser Basisreproduktionszahl geht die Weltgesundheitsorganisation bei Corona im schlimmsten Fall aus. Das heißt: auf einen Infizierten kommen im schlimmsten Fall - 2,5 neue Infektionen. Zum Vergleich: Das Masernvirus besaß laut AWMF im Jahr 2019 eine Basisreproduktionswert von 18.
Ende Texteinschub


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202003/h20034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, März 2020, Seite 30 - 31
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang