Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2019
Keine präzise "Genomchirurgie"
Medizinische Anwendungen von Genome Editing-Verfahren
von Dr. Isabelle Bartram
Die Idee der Gentherapie, einer Behandlung von Menschen durch das Einbringen von körperfremdem Genmaterial, ist nicht neu. Doch durch Genome Editing-Technologien wie CRISPR-Cas9 hat der Forschungszweig neue Fahrt aufgenommen. Aller Risiken zum Trotz ist auch der erste Fall von vererbbaren genetischen Veränderungen Realität geworden.
In den 1970er Jahren entdeckten WissenschaftlerInnen, dass
bestimmte Viren Genmaterial in Zellen schleusen und in deren Erbgut
einbauen. Schnell wurden eine Vielzahl von Anwendungen für die
Grundlagenforschung im Labor entwickelt, die in den 1980er Jahren die
Basis für die Erforschung therapeutischer Anwendungen darstellten.
1990 erfolgte die erste erfolgreiche Anwendung am Menschen, und
Gentherapien wurden zur Hoffnung für viele Menschen mit für unheilbar
gehaltenen Erkrankungen.
Doch dieser Hype kam nach mehreren Todesfällen bei klinischen Studien zu einem abrupten Ende. Die verwendeten Viren lösten schwere Immunreaktionen aus, außerdem führten sie durch die Schädigung wichtiger DNA-Sequenzen zu Krebserkrankungen. Zudem wurde die Kritik an den Versprechen der Gentherapien lauter. Die HerstellerInnen veranschlagten enorm hohe Kosten für die Therapien, während sich die Anzahl potenzieller PatientInnen als äußerst gering herausstellte. Denn die allermeisten Erkrankungen sind nicht genetisch gesteuert, und noch weniger werden die Veränderungen von nur einem Gen ausgelöst.
Die Entdeckung von Genome Editing-Methoden hat den Enthusiasmus um Gentherapien jedoch in den letzten Jahren wiederbelebt. Die Arbeitsgruppen um die Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entdeckten 2012 das Potenzial einer Immunreaktion von Bakterien: CRISPR-Cas9 kann im Labor Gene in Zellen gezielt verändern. Im medialen und wissenschaftlichen Hype um CRISPR-Cas9, in dem sich Wissenschaft und finanziell motiviertes Marketing mischen, gilt die neue Technologie als präzise Wunderwaffe. Die Schnelligkeit, vermeintliche Präzision und Effizienz der Methode lassen die Gentherapie als "medizinische Revolution" wieder in greifbare Nähe rücken.
Neue Gentherapien
Sogenannte somatische Anwendungen, also nicht-vererbbare genetische
Veränderungen, sind ethisch wenig umstritten. Als Neuauflage der
Gentherapie beschränkt sich ihre Problematik auf die Risikoabwägung
für PatientInnen. Wie 2 Jahrzehnte zuvor steht die Therapie von
angeborenen Erkrankungen, bei denen jeweils nur eine kleine Abweichung
in einem Gen zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen führt, im
Fokus. Nur 7 Jahre nach der Entdeckung von CRISPR-Cas9 haben bereits
klinische Tests begonnen oder stehen kurz bevor. Knapp 40 Studien mit
verschiedenen Genome Editing-Verfahren, die vor allem in den USA und
China durchgeführt werden, sind momentan im international genutzten
Register für klinische Studien clinicaltrials.gov zu finden. Die
meisten sind noch nicht abgeschlossen, wie zum Beispiel eine aktuelle
Studie des US-amerikanischen StartUps CRISPR Therapeutics, das von
CRISPR-Cas9-Entwicklerin Emmanuelle Charpentier mitgegründet wurde.
Sie testet die Verträglichkeit und Effizienz eines gentherapeutischen
Ansatzes bei Thalassämie-PatientInnen. Bei der seltenen Erkrankung
verursacht eine Genabweichung eine verminderte Sauerstoffaufnahme der
Blutzellen. Auch Kliniken in Deutschland sind an der Studie beteiligt,
bei der Blutstammzellen der ProbandInnen mit CRISPR-Cas9 genetisch
verändert werden.
Sind andere Organe als das Blutsystem betroffen, können Zellen nicht entnommen und im Labor behandelt werden. Das macht es schwieriger, ungewollte Nebenwirkungen vorzubeugen, denn die CRISPR-Komplexe werden nach wie vor mit Viren in die Zellen transportiert. Zwar wurde viel daran geforscht, diese Viren ungefährlicher zu machen. Doch ihre Wirkung ist beim direkten Einsatz im Körper schwer vorherzusagen und ist von der nur teilweise kontrollierbaren Immunreaktion der PatientInnen abhängig. Den ersten Versuch einer solchen "In vivo"-Anwendung stellte die klinische Studie der US-amerikanischen Firma Sangamo Therapeutics dar, deren Ergebnisse im Februar vorgestellt wurden. Durch die Genome Editing-Methode Zinkfingernukleasen wurde versucht, die durch eine Mutation nicht-funktionale Sequenz des IDS-Gens bei Morbus Hunter-PatientInnen durch eine funktionale zu ersetzen. Das Ergebnis war ernüchternd und ließ die Aktienwerte der Firma sinken. Zwar wurden die gewünschten genetischen Veränderungen in den Leberzellen umgesetzt, doch die Symptome der Stoffwechselerkrankung wurden durch die Behandlung nicht gemildert.
Krebstherapien mit CRISPR-Cas9
Auch nicht erbliche Erkrankungen wie Krebs sollen durch CRISPR-Cas9
mittels Gentherapie behandelbar werden. Schon seit Längerem wird an
Therapien geforscht, bei denen PatientInnen mit eigenen, im Labor
genetisch veränderten Immunzellen behandelt werden. Bei der
sogenannten CAR-T-Zelltherapie werden körpereigene Zellen so
verändert, dass sie die Krebszellen angreifen und zerstören sollen.
Bei Studien mit anderen Gentechnik-Methoden konnten damit einige
PatientInnen erfolgreich therapiert werden, bei denen etablierte
Medikamente nicht angeschlagen hatten. Unter dem Namen Kymriah
(Novartis) wurde daher Ende 2017 die erste Therapie dieser Art in den
USA für bestimmte BlutkrebspatientInnen zugelassen. Die EU-Zulassung
erfolgte im August 2018. Wie bei konventionellen Gentherapien ist der
Preis pro PatientIn hoch: Eine erste deutsche Krankenkasse
unterschrieb Anfang des Jahres einen Vertrag mit Novartis: 320.000
Euro pro PatientIn soll die Therapie kosten.
Doch längst nicht alle PatientInnen können so geheilt werden und viele PatientInnen leiden an schwersten Nebenwirkungen, es kam bereits zu mehreren Todesfällen in klinischen Studien. Zudem wird die Therapieform CAR-T-Zellen in Zukunft auch nur bei sehr speziellen Krebsformen einsetzbar sein. Denn sie basiert darauf, dass die angezielten Krebszellen einen speziellen Angriffspunkt besitzen, der im gesunden Gewebe nicht vorhanden ist bzw. mitzerstörtes gesundes Gewebe ersetzt werden kann. Von der Wunderheilung für alle erdenklichen Erkrankungen durch CRISPR-Cas9, die in den Schlagzeilen versprochen wurde, ist dieser Ansatz daher weit entfernt.
Vererbbare Veränderungen
Auch in einem ethisch weit problematischeren Anwendungsfeld klaffen
Versprechen und Realität weit auseinander. Im Oktober 2018 schockierte
der chinesische Wissenschaftler He Jiankui von der Southern University
of Science and Technology die Welt mit einem PR-Stunt. Mittels
Youtube-Video verkündete er, dass die ersten genetisch manipulierten
Babys das Licht der Welt erblickt hätten. Die Zwillingsschwestern Lulu
und Nala seien Mitte 2018 geboren worden und mit einer genetischen
Resistenz gegen HIV ausgestattet. Untersuchungen von chinesischen
Behörden bestätigten Hes Behauptung: Die Zwillingsmädchen gibt es, die
versuchte genetische Veränderung im Embryonenstatus auch. Nun sollen
sie lebenslang unter Beobachtung bleiben und He, den Ruhmsucht
angetrieben haben soll, wurde unter Hausarrest gestellt. Doch so
isoliert wie es zunächst dargestellt wurde, hat He nicht gehandelt.
Mehrere renommierte WissenschaftlerInnen berichteten inzwischen, dass
sie vorab von He über seine Experimente informiert worden waren. An
der Stanford University (USA) gaben der Ethiker William Hurlbut, der
Bioingenieur Stephen Quake und der Gentherapieforscher Matthew Porteus
an, sie hätten He von seinen Plänen abgeraten. Doch keiner von ihnen
schlug Alarm. Die Bioethikerin Natalie Kofler von der Yale University
(USA) sieht in ihrem Schweigen ein Symptom einer Krise der
Wissenschaftskultur, in der Werte und Ziele nicht übereinstimmen.
Kein grundsätzliches Hinterfragen
Zunächst sah es so aus, als könne der Fall der "CRISPR-Babies" zu
einem neuen Nachdenken über vererbbares Genome Editing führen. Selbst
einige der CRISPR-Cas9-EntwicklerInnen forderten im Februar ein
temporäres Moratorium für vererbbares Genome Editing. Doch Forderungen
nach einem dauerhaften Stopp dieser Art von Forschung und ein
grundsätzliches Hinterfragen ihrer Ziele sind selten. Auch der
Deutsche Ethikrat forderte im Mai 2019 zwar ein internationales
Moratorium, aber stellte gleichzeitig fest, dass vererbbares Genome
Editing grundsätzlich ethisch vertretbar sei. Der Bericht ist unter
der Prämisse geschrieben, dass die Risiken von Genome Editing in
Zukunft "auf ein vertretbares Maß" reduziert werden können.
Nicht nur Hes Versuche haben gezeigt, dass die Forschung von risikolosem Genome Editing weit entfernt ist. Laut seiner Daten wiesen nur wenige der behandelten Embryonen die angestrebten genetischen Veränderungen auf, viele waren genetische Mosaike - das heißt nur einige Zellen waren wie gewünscht verändert worden, andere Zellen desselben Embryos nicht. In einer Studie mit embryonalen Zellen von Mäusen aus dem letzten Jahr hinterließ CRISPR-Cas9 zum Teil gravierende Schäden im Genom der behandelten Zellen. Nach einer neuen Studie verursacht selbst eine vermeintlich harmlosere Variante, das "Base Editing", bei dem nur einzelne Bausteine der DNA verändert werden, wesentlich mehr ungewollte Änderungen als vermutet. Ob diese Effekte jemals vollständig verhinderbar sein werden oder Teil der Funktionsweise von Genome Editing-Verfahren sind, ist zu diesem Zeitpunkt reine Spekulation.
Autorin Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und
Mitarbeiterin des Gen-ethischen Netzwerkes.
Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für
Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der
deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger
Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring,
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR)
e.V.
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Quelle:
Rundbrief 2/2019, Seite 22 - 23
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 920
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2019
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