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GESCHICHTE/635: Hart erkämpft und verteidigungswert - Seit 50 Jahren gibt es die Lohnfortzahlung auch für Arbeiter (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 4 vom 24. Januar 2020
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Hart erkämpft ...
... und unbedingt verteidigungswert: Seit 50 Jahren gibt es die Lohnfortzahlung auch für Arbeiter

von Christa Hourani


Es war ein langer Kampf, bis endlich alle abhängig Beschäftigten Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bekamen. Und die Kapitalisten versuchten immer wieder, diese Errungenschaft zu kassieren. Sie werden dies auch weiter tun. Bleiben wir wachsam.

Bereits seit 1861 musste kranken Angestellten sechs Wochen lang das Gehalt weiterbezahlt werden. Rund 100 Jahre wurde Arbeiterinnen und Arbeitern diese Errungenschaft vorenthalten. Nur durch einen hartnäckigen Kampf der Metallerinnen und Metaller konnte diese Diskriminierung beendet werden. 1956/57 hatten mehr als 34.000 Metallarbeiter in Schleswig-Holstein in einem monatelangen Arbeitskampf einen Tarifvertrag über die Lohnfortzahlung erstritten. 114 Tage hatten sie dafür gestreikt. Es war der längste Streik seit 1905 und der drittlängste der Bundesrepublik. Die Solidarität mit diesem Kampf war in der ganzen Bundesrepublik groß. Es war den Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen bewusst, dass dies ein wichtiger Kampf für die gesamte Arbeiterklasse war, der insbesondere von den Arbeitern in der Werftindustrie ausgefochten wurde, die hoch organisiert und kampfstark waren. So wurden vom DGB tausende Pakete mit dem Lebensnotwendigen nach Schleswig-Holstein geschickt.

Dieser Arbeitskampf setzte den Bundestag unter Druck, das Thema endlich anzugehen. Und so entstand 1957 das "Arbeiterkrankheitsgesetz". Es gestand Arbeitern zum ersten Mal in der Geschichte bei Krankheit einen Anspruch auf Unterstützung durch den Arbeitgeber zu, zunächst allerdings nur auf einen Zuschuss. Arbeiter, die wegen Krankheit nicht arbeiten konnten, bekamen früher Krankengeld von den Krankenkassen. Es war erheblich niedriger als der vorherige Lohn. Das "Arbeiterkrankheitsgesetz" verpflichtete die Arbeitgeber von jetzt an, die Beträge aufzustocken: zunächst auf 90 Prozent des Lohns ab dem dritten Fehltag. Nach einer Gesetzesänderung 1961 dann auf 100 Prozent ab dem zweiten Fehltag - und zwar bis zu sechs Wochen lang. Erst ab Januar 1970 - mit dem "Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfall" - wurde die faktische Gleichstellung erreicht und es gab auch für ArbeiterInnen einen unabdingbaren Anspruch auf 100 Prozent Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für 6 Wochen durch den Arbeitgeber.

Bis heute gibt es immer wieder Angriffe auf diese Errungenschaft, sei es durch über Medien verbreitete Diskussionen wie "ein Anreiz für Drückeberger", begünstigt das "Blaumachen" und "Krankfeiern" und anderes mehr. In den 90ern gab es die Forderung nach mindestens einem Karenztag, an dem es keine Lohnfortzahlung gibt - angestoßen von Wolfgang Schäuble. Norbert Blüm, damals Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung im Kabinett Kohl, legte dann nach mit Lohnverzicht für die ersten beiden Krankentage. Danach hat die schwarz-gelbe Koalition ein Sparpaket aufgelegt, das unter anderem eine Kürzung der Lohnfortzahlung von 100 auf 80 Prozent beinhaltete. Dies ist zum 1. Oktober 1996 in Kraft getreten. Ende September forderte Gesamtmetall die Metallunternehmen auf, die Entgeltfortzahlung ab Oktober auf 80 Prozent zu senken und setzte sich damit über den Tatbestand hinweg, dass zumindest in einer großen Zahl der Metalltarife eigenständige Regelungen zur hundertprozentigen Entgeltfortzahlung enthalten waren. Der Vorstand der Daimler-Benz AG übernahm die Vorreiterrolle und beschloss, die neue gesetzliche Regelung anzuwenden. Dies sorgte für eine riesige Empörung bei den Daimler-Kollegen. Über 30.000 legten Ende September die Arbeit nieder, 23.000 kamen nicht zu vereinbarten Sonderschichten. Selbst tausende von Daimler-Angestellten beteiligten sich am Streik.

Dies war das erste Mal, dass ich erlebte, dass aus den Bürogebäuden die Kollegen zu den Protesten am Werkstor strömten. In wenigen Tagen summierten sich die Produktionsausfälle infolge der Protestaktionen nach Presseberichten auf rund 200 Millionen DM. Im gesamten Bundesgebiet kam es in der Metallindustrie, aber auch in zahlreichen anderen Branchen zu Arbeitsniederlegungen, an denen sich mehrere Hunderttausende beteiligten. Daraufhin zog Gesamtmetall nach einem Spitzengespräch mit der IG Metall am 7. Oktober 1996 seine Aufforderung zurück.

So konnte dieser Angriff des Kapitals abgewehrt werden. Allerdings gab es dann zwei Jahre lang gesetzlich nur noch 80 Prozent Lohnfortzahlung. 1998 wurde sie unter Kanzler Gerhard Schröder wieder auf 100 Prozent erhöht. Als Folge dieses gesetzlichen Eingriffs in eine so wichtige Errungenschaft wurde dann in den folgenden Jahren die volle Lohnfortzahlung in Dutzenden Tarifverträgen fest verankert.

Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigten: Immer wenn es wirtschaftlich "kriselt", verschärfen sich die Angriffe auf wichtige Errungenschaften. Jüngst war in den Medien wieder großes Jammern angesagt, dass sich zwischen 2010 und 2018 die Ausgaben der Unternehmen für die Lohnfortzahlung von 37 Milliarden auf knapp 62 Milliarden Euro erhöht hätten. Seien wir wachsam, dies könnten schon wieder Vorboten für einen neuen Angriff sein. Wir sagen klar und deutlich: Finger weg von unserer hart erkämpften Lohnfortzahlung!

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 52. Jahrgang,
Nr. 4 vom 24. Januar 2020, Seite 2
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2020

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