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GESCHICHTE/634: Kassenärztliche Vereinigung in Schleswig-Holstein (3) - Nach dem Krieg (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2019

Serie
Mit Misstrauen und Widerstand gestartet

von Karl-Werner Ratschko


Nach dem Krieg musste die KV ihre Arbeit ohne verlässlichen Rechtsrahmen, begleitet von Widerständen, Misstrauen und schlechter Stimmung unter den Ärzten, wieder aufnehmen.


Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes hatten auch die Reichsärztekammer in München und die Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands in Berlin ihre Tätigkeit eingestellt. In Schleswig-Holstein herrschte in den Verwaltungsstellen der Kammer und KV von Mai bis Juli ein Interregnum. Der Amtsleiter der Kassenärztlichen Vereinigung und Vorsitzende der Ärztekammer, Dr. Hans Rinne, und der geschäftsführende Arzt der Ärztekammer und KV-Verwaltungsstelle, Dr. Oskar Voigt, waren verhaftet und interniert. 1946/1947 befanden sie sich im Internierungslager für NS-Führungskräfte in Eselsheide, dem Civil Internment Camp, CIC No. 79, zwischen Bielefeld und Paderborn. Von dort wurden sie 1948 nach Bad Segeberg entlassen. In ihren früheren Positionen fanden sie weder im Krankenhaus (Rinne) noch bei Kammer und KV wieder Verwendung. Rinne starb schon Ende 1948 an Krebs.(36)

Eine arbeitsfähige ärztliche Organisation war jedoch in den Wirren der Nachkriegszeit dringend erforderlich. Dies erkannte auch die britische Besatzungsmacht. Sie beauftragte den aus Oberschlesien stammenden ehemaligen Amtsarzt und seit 1945 in Kiel tätigen praktischen Arzt Dr. med. Berthold Rodewald (1891-1966)(37) Ende Juni 1945, die Geschäfte der Ärztekammer einschließlich die der kassenärztlichen Verwaltungsstelle zu übernehmen. Obwohl die schleswig-holsteinische Kammer und KV bis zum Zusammenbruch 1945 nur Untergliederungen der Reichsärztekammer ohne eigene Rechtspersönlichkeit waren, wurden sie nach dem Willen der Besatzungsmacht provisorisch als selbstständige Einrichtung weitergeführt, wobei die Provinzstelle der KVD bis zum August 1948 in die Landesärztekammer eingegliedert war. Die an die veränderten Verhältnisse angepasste Reichsärzteordnung wurde einfach weiter angewendet.(38)

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1948 nahm die KVSH ihre Arbeit als selbstständige Organisation auf.
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Die Militärregierung befürchtete im Chaos der ersten Nachkriegszeit im völlig mit Flüchtlingen und internierten deutschen Soldaten übervölkerten Schleswig-Holstein bei anfänglichem Arztmangel den Zusammenbruch der ärztlichen Versorgung sowie den Ausbruch von Seuchen. Die Zahl der Kassenärzte bedurfte einer Regulierung. Die geordnete Zulassung einer ausreichenden Menge von Ärzten zur Kassenpraxis war ein Gebot der Stunde. Auch zeigten sich in der Ärzteschaft Zerfallserscheinungen. Kleine und kleinste Abrechnungsstellen entstanden, örtlich wurden Vertragsverhandlungen zwischen einzelnen Ärzten und regionalen Krankenkassen aufgenommen. In mühsamer Kleinarbeit gelang es Rodewald mit anderen aktiven Ärzten, die Ärzteschaft regional trotz der schwierigen Verkehrsverhältnisse und der unsicheren Postwege in Versammlungen über die neuen Verhältnisse zu unterrichten.(39) Erstaunlich schnell wurden wieder ärztliche Kreisvereine gebildet. Weitgehend unbelastete Ärzte mit berufspolitischer Erfahrung wurden gefunden, die als Vorsitzende gewählt und von der Militärregierung bestätigt werden konnten. Diese Kreisvereinsvorsitzenden bildeten den aus 20 Obmännern bestehenden Beraterkreis für den "Kammerkommissar", für den sich bald die Dienstbezeichnung "Präsident" fand. Damit gab es eine Art parlamentarisches Organ, das sich "Landesärztekammer" nannte. Die erste vorbereitende Ärztekammersitzung fand schon am 30. Juni 1945 in Bad Segeberg statt. Auf Anweisung der Militärregierung wurde ein fünfköpfiger Vorstand gebildet.(40) Die Verwaltungsarbeiten wurden zunächst von Dr. med. Karl Haedenkamp (1889-1955), der bald darauf in die Geschäftsführung des Nordwestdeutschen Kammerausschusses wechselte, dann von Dr. med. Dr. rer. nat. Curt Walder und Alfred Evert (1901-1995) nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im August 1945 in den nächsten zwei Jahrzehnten geleitet.(41)

Walder, am 10. Februar 1895 in Berlin geboren, begann 1914 in Freiburg i.Br. das Medizinstudium, meldete sich noch im Herbst als Freiwilliger zum Kriegsdienst, wurde 1918 schwer verwundet und als Leutnant d. R. entlassen. Nach dem Studium der Medizin in Freiburg, Staatsexamen und Promotion 1922 zum Dr. med. schloss sich das Studium der Staatswissenschaften und 1924 die Promotion zum Dr. rer. pol. an. Es folgten die ärztliche Weiterbildung in der Charité, drei Jahre als praktischer Arzt in Berlin, dann 1928 die Aufnahme der Tätigkeit als ärztlicher Geschäftsführer des Deutschen Ärztevereinsbundes, 1936 mit dessen Auflösung die Übernahme durch die Reichsärztekammer. 1939 wurde er zum Kriegsdienst erst als Artillerieoffizier eingezogen, dann war er im Sanitätsdienst, zum Schluss als Divisionsarzt tätig. Im Krieg verlor er seine Frau, eine Tochter und seinen Sohn. Am Ende des Krieges wurde er als Oberstabsarzt d. R. in Schleswig-Holstein entlassen und stellte sich mit seiner umfassenden Erfahrung Rodewald zur Verfügung. 1952 heiratete er erneut.

Die anstehenden Arbeiten waren schwierig. Die Aufgaben hatten einen Umfang, wie es sie für Kammer und KV seit ihrem Bestehen noch nicht gegeben hatte. Hunderttausende von ärztlich unversorgten Flüchtlingen (1,2 Millionen bei einer Gesamtbevölkerung von 2,65 Millionen) standen anfangs einer übergroßen Zahl von Ärzten gegenüber.(42) Mitte 1949 gab es neben den 508 Kassenärzten, die bereits 1939 niedergelassen waren, noch 528 Kassenärzte mit vorübergehender Niederlassungsgenehmigung sowie 465 an der kassenärztlichen Versorgung beteiligte Ärzte, insgesamt also 1.495 Kassenarztpraxen gegenüber ca. 700 im Jahr 1939.(43) Die sozialhygienischen Probleme, das starke Ansteigen der Geschlechts-, Tuberkulose-, Typhus- und Malariaerkrankungen bei oft schwierigen Unterbringungsverhältnissen und einem Mangel an allen erforderlichen Materialien erschwerten die Arbeiten zusätzlich.(44) Die vermehrte Zahl der Ärzte und der schlechte Gesundheitszustand der Flüchtlinge, fast vollständig sehr junge und sehr alte Personen, hatten auch ein Absinken der ärztlichen Vergütungen zur Folge. Die Krankenkassen zahlten damals eine Kopfpauschale nach Zahl der Versicherten an die KV-Abrechnungsstelle, die dann die undankbare Aufgabe hatte, eine einigermaßen gerechte Bezahlung der Ärzte zu organisieren. Die große Zahl der zu behandelnden Fälle führte zu einer Verminderung der eigentlich nach abgerechneten Leistungen erforderlichen Zahlungen auf bis zu 50 Prozent.(45) Erst einige Zeit nach der Währungsunion 1948 begannen sich die Verhältnisse langsam zu bessern.

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1,2 Mio. Flüchtlinge waren nach dem Krieg in Schleswig-Holstein bei einer Gesamtbevölkerung von 2,65 Millionen Menschen zu versorgen. Mitte 1949 gab es neben den 508 Kassenärzten, die bereits 1939 niedergelassen waren, noch 528 Kassenärzte mit vorübergehender Niederlassungsgenehmigung sowie 465 an der kassenärztlichen Versorgung beteiligte Ärzte, insgesamt also 1.495 Kassenarztpraxen.
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Überschattet wurde alles von der unsicheren rechtlichen Lage. Die Untergliederungen nahmen ihre Aufgabe als Funktionsträger der de jure noch fortbestehenden Reichsärztekammer wahr. Diese Auffassung festigte sich jedoch erst durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster 1951 sowie des Verwaltungsgerichtshofs des 3. Karlsruher Senats 1952.(46,47) Bis dahin war die notwendige, aber nicht unumstrittene Arbeit der Bad Segeberger ärztlichen Organisation ohne verlässliche Rechtsgrundlage. Hinzu kam die schlechte Stimmung in der Ärzteschaft. Die Nachfolgeorganisation der Reichsärztekammer wurde mit Misstrauen betrachtet. Es gab starke Widerstände aus der Ärzteschaft, gepaart mit Unzufriedenheit und Erbitterung. Besonders als nachteilig empfundene Entscheidungen der Kammer führten zu persönlichen Angriffen und Verunglimpfungen gegenüber den kommissarisch bestellten Leitern. Schwerer noch wogen die Hemmnisse durch inkomptente, von der Besatzungsmacht eingesetzte Kommissare der unteren Verwaltungsebenen, die den Fortgang der Arbeit gelegentlich nachhaltig gefährdeten.(48) Kompliziert wurde die Lage, wenn sich regionale Behörden berechtigt glaubten, über die Zulassung von Ärzten entscheiden zu können. Dabei spielten nicht selten unsachliche Motive und persönliche Beziehungen eine unheilvolle Rolle.

Bei der ambulanten Versorgung der Bevölkerung sollte die von nationalsozialistischen Inhalten befreite Zulassungsordnung Anwendung finden. Das Verhältnis von einem Kassenarzt auf 600 versicherte Kassenmitglieder war allerdings nicht anwendbar, da die Flüchtlinge anfangs noch nicht in Schleswig-Holstein krankenversichert waren. Das früher bestehende Zahlenverhältnis von Arzt zu Gesamtbevölkerung von 1:2200 konnte wegen des desolaten Gesundheitszustandes, der ungünstigen Altersverteilung und Unterbringung sowie der miserablen Verkehrsverhältnisse keine Anwendung finden. Rodewald entschied sich, ein Verhältnis von 1:1700 anzustreben. Die Zahl der Kassenärzte erhöhte sich dadurch von 730 im Jahr 1939 auf 1.512 Ende 1948.

Ereignisse in der amerikanischen Zone drohten im Frühjahr 1948 die halbwegs stabilen Verhältnisse bei den ärztlichen Organisationen der Westzonen zu zerstören. In München sollte die dortige Ärztekammer als "Naziorganisation" aufgelöst werden. Auswirkungen auf alle Ärztekammern wurden befürchtet. Damit drohte auch die Auflösung der in die Kammer einbezogenen und für das wirtschaftliche Überleben der niedergelassenen Ärzte wichtigen Verwaltungsstellen der KV. Als Reaktion wurden in den Westzonen die Kassenärztlichen Vereinigungen aus den Ärztekammern ausgegliedert und selbstständig weitergeführt. Nun brauchte auch die KV eigene Leitungsstrukturen. Deswegen erfolgte in Schleswig-Holstein im Juli 1948 landesweit die Wahl der Organe der Kassenärztlichen Vereinigung, die im August 1948 im Klosterkamp 12 offiziell ihre Tätigkeit, nun als selbstständige Einrichtung weiterführte. Den Vorsitz beider Einrichtungen behielt Rodewald. In 17 der damals 21 Kreise kam es zwischen Vorsitzenden von Ärztevereinen und von Kassenärztlichen Kreisstellen zur Personalunion.(49) Die bis dahin als Verwaltungsstelle der Ärztekammer geführte Privatärztliche Verrechnungsstelle wurde ab 1. Oktober 1948 privatisiert.(50) Eine Zulassungsordnung vom 21. April 1948 schaffte klare Regelungen für die Zulassung der Kassenärzte. Das Arztregister wurde nunmehr bei der KV geführt. Die Übergangsbestimmungen bezüglich der rund 500 nur auf Widerruf zugelassenen Ärzte, denen mit der Zulassungsordnung nunmehr die kassenärztliche Tätigkeit dauerhaft ermöglicht wurde, führte noch für einige Zeit zu Ungewissheiten.

Nachdem in einer Arbeitstagung am 15./16. Juni 1947 in Bad Nauheim eine Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Ärztekammern, die spätere Bundesärztekammer, gegründet worden war, folgte jetzt am 16. Oktober 1948 in Stuttgart anlässlich des 51. Deutschen Ärztetages auch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft der Landesstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen, aus der in der Folgezeit die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KVB) entstand.(51) Es gelang den Vertretern des KV-Bereichs, als gleichberechtigte Verhandlungspartner der Krankenkassen zunächst in der Britischen Zone anerkannt zu werden. Bis zur Schaffung eines neuen Kassenarztrechtes sollte es jedoch noch bis zum 17. August 1955 dauern.

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1948 wurde in Stuttgart beim 51. Deutschen Ärztetag die Arbeitsgemeinschaft der Landesstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen gegründet dies ist der Vorläufer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
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Die angemietete Villa im Klosterkamp 12 stand der provisorisch errichteten Ärztekammer und der von ihr treuhänderisch verwalteten KV-Landesstelle allerdings zunächst nicht mehr zur Verfügung. Sie war von der Besatzungsmacht für eigene Zwecke zum 1. Juli 1945 beschlagnahmt worden und wurde erst im Oktober 1947 wieder für die Landesärztekammer freigegeben. Bis dahin mussten die Aufgaben der beiden Verwaltungen einschließlich der zur Ärztekammer gehörigen Privatärztlichen Verrechnungsstelle im Wesentlichen in den Räumen der Eutiner Straße 3 bearbeitet werden. Auch nach Räumung der Villa durch die Briten forderte die Stadt noch das Verfügungsrecht über den 1. Stock der Villa Klosterkamp 12, um Wohnraum für den Oberkreisdirektor Dr. Jendis zu beschaffen. Die Arbeit der Ärztekammer musste also nicht nur mit den schwierigen politischen Bedingungen der Nachkriegszeit, sondern auch mit außerordentlich beengten räumlichen Verhältnissen fertig werden. Dem Vernehmen nach wurde ein einigermaßen erträglicher Übergang Mitte 1945 auch durch das Engagement der Mitarbeiterinnen einschließlich der "Bunge-Drillinge" Anni, Irma und Elli ermöglicht, die bei der von den Briten angeordneten überstürzten Räumung der Villa im Klosterkamp 12 die wichtigsten Akten der Kassenärztlichen Vereinigung vorübergehend in der Malerwerkstatt Bunge in der Lübecker Straße 40 unterbrachten, sodass die für die Abrechnung notwendigen Unterlagen sichergestellt wurden und der "Geschäftsbetrieb" insbesondere der Abrechnungsstelle für die Kassenärzte möglich blieb.(52)

Ein unter diesen Umständen "glücklicher" Umstand war, dass der Geschäftsumfang der Privatärztlichen Verrechnungsstelle, die das Gebäude in der Eutiner Straße bis 1945 allein genutzt hatte, in der ersten Nachkriegszeit stark rückläufig war. So konnten dort erst einmal alle unterkommen. Eine nachhaltige Besserung der Raumsituation gab es auch in der Folgezeit nur in geringem Umfang. Die PVS konnte in der Moltkestraße 1 unmittelbar neben dem Gebäude von Kammer und KV ein eigenes Verwaltungsgebäude errichten. Dadurch stand in der Eutiner Straße zusätzlicher Platz zur Verfügung. Ein größerer und ein kleinerer Anbau nutzten auch die letzten Erweiterungsmöglichkeiten. In dieser Situation wurden die nicht mehr brauchbaren Räume in der Klosterkamp im Jahr 1951 gekündigt. Der Raumbedarf der KV wurde jedoch in den Folgejahren immer größer, insbesondere durch die Vergrößerung der Kassenarztzahl, aber auch durch die weitere Ausgestaltung des kassenärztlichen Vertragswesens, des Prüfungswesens und durch Neuregelungen der Honorarverteilung. Entlastungsversuche durch Rationalisierungsmaßnahmen und den Einbau erster Vorstufen einer mechanisierten Datenverarbeitung schufen keine dauerhafte Abhilfe. Insgesamt war dies eine bedrängende Arbeitssituation, da auch die Räume von Rinnes ursprünglicher Privatklinik den Ansprüchen an ein zeitgemäßes Bürogebäude kaum gewachsen waren. Bis zu einer befriedigenden Lösung Mitte der sechziger Jahre musste noch eine Menge Geduld aufgebracht werden.

1952 stellen sich Honorare, Arzneikosten und Kosten für
Krankenhauspflege der Schleswig-Holsteiner im Vergleich zum
Bundesgebiet wie folgt dar:

Verhältnisse 1952
pro Jahr in DM
Honorare

Arzneikosten

Krankenhauspflege

Schleswig-Holstein
22,80
10,29
26,73
Bundesgebiet
22,49
12,22
23,53

Honorare, Arzneikosten und Krankenhauspflege in Schleswig-Holstein im Vergleich zum Bundesgebiet.


Die Kassenärzte in Schleswig-Holstein befanden sich trotz der schwierigen Flüchtlingssituation in einer wirtschaftlich vergleichbaren Lage wie die Ärzte im übrigen Bundesgebiet. Die Zahl der Mitarbeiter/-innen in der Geschäftsstelle der KV war dem steigenden Bedarf angepasst worden. Waren es 1945 etwa 25 Mitarbeiter, so gab es Ende 1952 neben dem wie bisher zur Hälfte von der KV bezahlten geschäftsführenden Arzt Curt Walder den kaufmännischen Geschäftsführer Alfred Evert, einen hauptamtlich tätigen Prüfarzt, 46 kaufmännische Angestellte, einen Kraftfahrer und einen Hausmeister. 1965 waren es schon 75 Mitarbeiter. 1952 fanden immerhin 12 Vorstandssitzungen und 7 Sitzungen der Abgeordnetenversammlung statt. Am 7. Mai 1952 fanden Wahlen statt, wobei auf 75 Kassenärzte pro Kreis ein Abgeordneter gewählt wurde, hinzu kamen 7 auf einer Landesliste gewählte Abgeordnete sowie einige hinzugewählte Vertreter ärztlicher Verbände. Bei den Vorstandswahlen am 14. Juni 1952 kam es zu einem Patt in der Wahl des 1. Vorsitzenden zwischen Berthold Rodewald und Rudolf Reichert mit jeweils 16 Stimmen. In der Stichwahl wurde Rodewald mit 17 Stimmen erneut KV-Vorsitzender.

Die weitere Entwicklung der KVSH

Aufgrund eines überraschenden Rücktritts Rodewalds kam es am 9. Juli 1952 zu einer erneuten Wahl des 1. KV-Vorsitzenden. Nun wurde Rudolf Reichert (1907-1995), Frauenarzt aus Kiel, gewählt, der dieses Amt bis 1981 für fast drei Jahrzehnte bekleiden sollte.(53) Reichert, am 2. Juli 1907 in Stuttgart geboren, studierte in Tübingen, Innsbruck und Kiel und legte 1931 sein Staatsexamen in Tübingen ab. Danach folgte die Niederlassung als praktischer Arzt in Kiel, Wehrdienst bei der Marine von 1939-1945, danach ab 1946 weiterhin Niederlassung in Kiel, nun aber als Frauenarzt. Reichert war seit der Wiedergründung der KVSH 1948 Vorsitzender der KV-Kreisstelle Kiel und gehörte seit diesem Zeitpunkt auch der Abgeordnetenversammlung an.

Das Gesetz über das Kassenarztrecht vom August 1955 schuf auch in Schleswig-Holstein endgültig wieder rechtlich geordnete Verhältnisse. Es gab nunmehr auf gesetzlicher Grundlage gewählte Vorsitzende, Vorstände und Abgeordnetenversammlungen. Auch bestanden wieder wie vor 1933 Schiedsämter, Landesausschüsse und (anstelle eines Reichsausschusses) ein Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die anfangs von den KV-Kreisstellen durchgeführt wurden, kam dazu. Die Ergebnisse der notwendigerweise häufig subjektiven Prüfungen konnten jedoch nicht befriedigen. Grundsatzurteile des Bundessozialgerichts 1962/63 führten ab Mitte der sechziger Jahre zu einem bundesweit vorbildlichen Verfahren der KVSH. Die schleswig-holsteinischen Kassenärzte erhielten nun einmal im Jahr die sämtlichen Daten ihres Leistungs- und Verordnungsverhaltens mitgeteilt und hatten so die Möglichkeit, dieses Wissen bei ihrer Arbeit zu berücksichtigen.(54)

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1965 bezogen KV und Ärztekammer ein neues Verwaltungsgebäude in der Bismarckallee. Bis dahin hatten beide Organisationen unter räumlich schwierigen Bedingungen arbeiten müssen. Die Kammer blieb zunächst Untermieter der KV und bezog 1977 ein eigenes Gebäude in der Nachbarschaft.
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Im Oktober 1965 konnten die Kassenärztliche Vereinigung und die Ärztekammer endlich ein neues Verwaltungsgebäude in der Bismarckallee 1 beziehen. Bauherr musste jetzt aus wirtschaftlichen Gründen die KV sein, die "arme" Ärztekammer wurde Untermieter. Es war Evert gelungen, ausreichende Flächen auf einem etwa 100 Meter von dem Ärztekammergebäude Eutiner Straße 3 ortsauswärts gelegenen Eckgrundstück der Bismarckallee für einen Verwaltungsbau zu erwerben. Im Erdgeschoss und im 2. Obergeschoss des neuen KV-Hauptverwaltungsgebäudes befand sich 1965 die modernste Technik der damaligen Zeit. Neben einer konventionellen Lochkartenanlage war eine elektronische Datenverarbeitung installiert. Es bestand nunmehr die Möglichkeit, über ein Lochstreifengerät aus den Arztabrechnungen die Gebührenordnungsnummer mithilfe von "Locherinnen" in einen Lochstreifen zu übernehmen und durch Verwendung der elektronischen Rechenanlage die Honorarabrechnung mit sämtlichen Arbeitsabläufen durchzuführen. Im ersten Obergeschoss gab es einen großen Sitzungssaal, kleinere Sitzungs- und Besprechungsräume sowie Räume für den KV-Vorsitzenden, den Kammerpräsidenten und die Geschäftsführer. Das Verwaltungsgebäude mit ausreichenden Räumen für die Mitarbeiter/innen, einer damals hochmodernen EDV sowie einer architektonisch und künstlerisch eindrucksvollen Gestaltung war zweifellos der Höhepunkt der langjährigen Tätigkeit von Alfred Evert für die KV.(55)

1973 erfolgte ein weiterer Neubau der KV, das Rechenzentrum, auf dem gegenüberliegenden Eckgrundstück, einem Teil des Kurparks. Das Gebäude musste schon 1981 erweitert werden. Hier befand sich nicht nur eine moderne Großrechenanlage, die die Lochkartentechnik abgelöst hatte, sondern sogar ein KV-eigenes Schwimmbad. Eine Fußgängerbrücke über die Bismarckallee in Höhe des 1. Stockwerks verbindet die beiden Verwaltungsgebäude. Anstelle des Schwimmbades entstanden in den neunziger Jahre dringend benötigte Büroräume. Im August 1977 konnte auch die Ärztekammer ein eigenes Gebäude in der Bismarckallee 8-12 beziehen.

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1981 musste das KV-Gebäude erweitert werden. Platz wurde u.a. für weiteres Personal, das aufgrund steigender Aufgaben eingestellt wurde, aber auch für eine damals moderne Großrechenanlage benötigt.
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Zweieinhalb Jahre nach dem Bezug des neuen Gebäudes wechselte der kaufmännische Geschäftsführer. An die Stelle von Alfred Evert trat 1968 Berthold Schüttrumpf (1924-1996), der, bereits seit 1946 Mitarbeiter der KV, das Amt bis 1987 wahrnahm. Schon vorher war 1965 an die Stelle von Curt Walder der Bad Segeberger Internist Dr. med. Gerd Iversen (1916-2004) getreten. Iversen wurde nach dem plötzlichen Tod des Kammerpräsidenten Prof. Dr. med. Edmund Christiani (1908-1977) im Januar im März 1977 zum Kammerpräsidenten gewählt. Die dann im August 1978 erfolgte Nachbesetzung der Position des geschäftsführenden Arztes durch Dr. med. Karl-Werner Ratschko (geboren 1943) erfolgte nicht mehr für die KV, sondern allein für die Ärztekammer.

Nachfolger Reicherts wurde 1981 der Kieler Internist Dr. med. Guido Piepgras (1927-2008). Piepgras, am 24. Dezember 1927 in Kiel geboren, war seit 1975 Mitglied der Abgeordnetenversammlung der KV und von 1973 bis 1980 KV-Vorsitzender in Kiel. Bereits Mitte der siebziger Jahre war er auch Mitglied des KV-Vorstandes. 1989 wurde er durch den damaligen 2. KV-Vorsitzenden Dr. med. Eckhard Weisner unerwartet mit 34 zu 18 Stimmen abgelöst.

Weisner, geboren am 16. Juni 1937 in Kiel, kam aus einer in der ärztlichen Standespolitik tief verankerten Kieler Arztfamilie. Großvater Julius (gestorben 1925) und Vater Georg (1895-1971) waren beide in Kiel niedergelassen, Dr. med. Julius Weisner noch als Augen- und Ohrenarzt, Dr. med. Georg Weisner als Hals-Nasen-Ohrenarzt. Julius Weisner war nach dem Ersten Weltkrieg Vorsitzender des Provinzialverbandes Schleswig-Holstein des Hartmannbundes, des Vorläufers der schleswig-holsteinischen KV, eine Funktion, die auch sein Sohn Georg kurzfristig 1933 innehatte. Eckhard Weisner war Allgemeinarzt und ließ sich 1968 in Preetz nieder. So überrascht es nicht, dass er als Vertreter der damals jüngeren Generation in der Kassenärztlichen Vereinigung seinen Weg machte. Seit 1976 war er Mitglied der Abgeordnetenversammlung, einer, wie er selbst in seinen Erinnerungen schreibt, "leicht verknöcherten" KV. Mitglied des KV-Vorstandes wurde er 1981, 1985 dann bis 1989 ihr 2. Vorsitzender. Seit 1981 war er für 20 Jahre auch Mitglied der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Zwei Monate nach seiner Wahl 1989 kam er in den KBV-Vorstand. Dies war nicht selbstverständlich für den Vertreter einer kleinen KV. 1997 wurde Weisner auch zum 2. Vorsitzenden der KBV und zum Vorsitzenden des Zentralinstituts für Kassenärztliche Versorgung der KBV gewählt. Eckhard Weisner war von 1984 bis 1997 Mitglied der Kammerversammlung der Ärztekammer. Er stand in einer schwierigen Situation der Ärztekammer für das Amt des Kammerpräsidenten zur Verfügung, wurde im März 1998 auch gewählt und gab nicht leichten Herzens dafür den KV-Vorsitz auf.(56) Weisner war insgesamt neun Jahre Vorsitzender der KVSH, eine Zeit, in der es mit der KVSH spürbar voranging.

Sein Nachfolger wurde Dr. med. Klaus Bittmann, niedergelassener Frauenarzt aus Plön, geboren 1943, im Amt 1998-2006, im letzten Jahr hauptamtlich. Es folgten nun schon hauptamtlich Dr. med. Ralf Büchner (geboren 1958, im Amt 2006-2008), Dr. med. Ingeborg Kreuz (geboren 1960, im Amt 2008-2012) und Dr. med. Monika Schliffke (geboren 1951, im Amt 2012 bis heute).

Name

Ort

Fachrichtung

Geburt- ggfs.
Todesdatum
Amtszeit

Berthold Rodewald
Kiel
prakt. Arzt
1891-1966
1948-1952
Rudolf Reichert
Kiel
Frauenarzt
1907-1997
1952-1981
Guido Piepgras
Kiel
Internist
1927-2008
1981-1989
Eckhard Weisner
Preetz
Allgemeinarzt
1937
1989-1998
Klaus Bittmann
Plön
Frauenarzt
1943
1998-2006
Ralf Büchner
Klanxbüll
Allgemeinarzt
1958
2006-2008
Ingeborg Kreuz
Flensburg
prakt. Ärztin
1960
2008-2012
Monika Schliffke,
Dipl. med. oec.
Ratzeburg

Allgemeinärztin

1951
ab 2012

Die Vorsitzenden der KVSH seit 1948


Noch in die Amtszeit von Piepgras fiel 1987 der Wechsel der Geschäftsführung von Schüttrumpf zu Dr. phil. Bodo Kosanke (1944-2013). Kosanke war Soziologe, hatte seine Prägung im Zentralinstitut für Kassenärztliche Versorgung in Köln erhalten und brachte mit seinen Ideen frischen Wind in die KV. In seiner Zeit gab es mit Unterstützung des Vorsitzenden Eckhard Weisner in der KVSH wesentliche strukturelle Veränderungen und einen nicht immer bequemen Modernisierungsschub, dessen Auswirkungen bis weit in das 20. Jahrhundert reichten.(57) 2005 wechselte Kosanke, nachdem der Vorstand der KV durch Gesetzesänderungen nun hauptamtlich besetzt sein musste, bis 2006 zusammen mit Bittmann in den hauptamtlichen Vorstand der KVSH. Sein Nachfolger als Hauptgeschäftsführer wurde Ralph Ennenbach (geboren 1962), der 2006 auch Kosanke in dem nunmehr zweiköpfigen hauptamtlichen Vorstand der KV ablöste. Ennenbach nimmt dieses Amt als 2. Vorsitzender neben dem auch weiterhin mit Ärzten bzw. Ärztinnen besetzten 1. Vorsitz bis heute wahr.

Die Geschichte der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein seit 1948 war anfangs geprägt von der Bewältigung der Kriegsfolgen, dann von einer fortschreitenden Modernisierung zunächst des Abrechnungswesens durch immer stärkeren Einsatz der EDV. Als Folge der zunehmenden Spezialisierung der Ärzteschaft seit den siebziger Jahren kam es zu einer beeindruckenden Weiterentwicklung. Heute gibt es neben modernen Leitungsstrukturen mit leistungsfähigen Abteilungen der inneren Verwaltung wie Personal, Finanzen und Recht zahlreiche Sachgebiete für das stark gewachsene kassenärztliche Leistungsspektrum. Dazu gehören, um nur einige zu nennen, die Akupunktur, das ambulante Operieren, die Chirotherapie, die Dermatohistologie, die Dialyse, Früherkennungsuntersuchungen, Hautkrebs-Screening, die Herzschrittmacherkontrolle, die Hörgeräteversorgung, die invasive Kardiologie, das Langzeit-EKG, ambulante Eingriffe am Auge, Mammografie, Psycho- und Sozialtherapie, Röntgendiagnostik und -therapie, Schmerztherapie, Sonografie u. a. m. Hierbei handelt es sich um heute ambulant mögliche ärztliche Tätigkeiten, an die in der ambulanten Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten zu Beginn der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts noch nicht zu denken war. Damit war es aber nicht getan. Die autoritären Strukturen und Arbeitsweisen der KV wurden aufgebrochen und sind mehr und mehr einer vom Servicegedanken geleiteten Verwaltung einer demokratisch verstandenen Körperschaft gewichen. Neben den immer schon vorhandenen Bereichen Arztregister, Abrechnung, Zulassung, Niederlassung, Ermächtigung, Sprechstundenbedarf, ärztlicher Bereitschaftsdienst, Hilfsmittel u. a. m. gibt es nun Sachgebiete für Niederlassungsberatung, Qualitätssicherung, Qualitätszirkel und Qualitätsmanagement, es gibt eine aktive Öffentlichkeitarbeit mit einem hauptamtlichen Pressesprecher und einem monatlich erscheinenden KV-Magazin sowie den gesellschaftsbezogenen Bereich Gesundheitspolitik und Kommunikation.

Die Beschreibung der Entwicklung im Einzelnen, die kontinuierlich von den ehren- und hauptamtlich Tätigen sowie dem KV-Vorstand und den Mitarbeitern über die Jahrzehnte geleistet wurde, ist vielfältig und sehr komplex. Sie kann hier nicht geleistet werden und muss einem gesonderten Beitrag vorbehalten bleiben. Peter Zastrow, Bad Segeberg und Martin Maisch, KVSH, bin ich für Anregungen und Bildmaterial dankbar.

Literatur beim Verfasser
Dr. Dr. phil. Karl-Werner Ratschko, Bad Segeberg


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201910/h19104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Oktober 2019, Seite 24 - 28
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2019

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