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FORSCHUNG/2721: So führt Hunger zu Darmstörungen (idw)


IMBA / Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH
- 25.07.2012

So führt Hunger zu Darmstörungen, Erkenntnisse wertvoll im Kampf gegen entzündliche Darmerkrankungen



Forscher am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie klären den Mechanismus, der bei Mangelernährung zu Störungen des Immunsystems, Durchfall und Darmentzündungen führt. Die medizinische Anwendung dieser Erkenntnisse könnte Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen helfen. Publiziert werden die Ergebnisse am 26. Juli in der Titelgeschichte des renommierten Fachmagazins "Nature".

Weltweit sind mehr als eine Milliarde Menschen mangelernährt, in Europa sind es etwa 30 Millionen. Die oft dramatischen Folgen der Mangelernährung machen sie somit zur einer der häufigsten Todesursachen. Bei einem Mangel an Eiweiß kommt es vor allem zu Symptomen wie Störungen des Immunsystems, Durchfall und Darmentzündungen, die den Körper schwächen und oft zum Tod führen. Ärzte und Wissenschaftler beobachten diesen Zusammenhang seit mehr als hundert Jahren, wie allerdings der molekulare Mechanismus funktioniert, wusste man bisher kaum. Die Wissenschaftler Thomas Perlot und Tatsuo Hashimoto aus der Forschungsgruppe von Josef Penninger, dem Direktor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA), können nun erklären, wie Mangelernährung zu Immunstörungen und Darmentzündungen führt.

Sie arbeiteten am Enzym ACE2, das an Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Herzversagen beteiligt ist. 2005 wurde ACE2 auch als essenzieller Rezeptor bei SARS-Virusinfektionen und akutem Lungenversagen identifiziert. Plötzlich entdeckten die Forscher eine völlig neue Funktion von ACE2: Das Enzym reguliert auch die Aufnahme der essenziellen Aminosäure Tryptophan aus dem Darm. Selbst Josef Penninger war überrascht: "Seit mehr als zehn Jahren forsche ich bereits an diesem Enzym, aber dass wir hier einen komplett neuen Zusammenhang zwischen ACE2 und der Aminosäure-Balance im Darm finden würden, hat mich verblüfft. Die Biologie ist wirklich erstaunlich."

Mäuse, die den Regulator ACE2 nicht besitzen (ACE2 knock-out Mäuse), können Tryptophan kaum mehr aus dem Darm aufnehmen und entwickeln alle Symptome einer Eiweiß-Mangelernährung: Immunschwäche im Darm, Durchfall, Darmentzündungen. Im gesunden Organismus bleibt ein Teil des aufgenommenen Tryptophans lokal in der Darmschleimhaut und fördert dort die Produktion sogenannter Defensine, die wie ein natürliches Antibiotikum zur Abwehr von Bakterien wirken. Zuwenig Tryptophan bedeutet folglich zu wenige Defensine, was zu einer anderen Bakterienzusammensetzung im Darm führt und die dort angesiedelte Darmflora stört. Eine gestörte Darmflora wiederum führt zu Durchfall und Darmentzündungen.

Entzündliche Darmerkrankungen: Beschwerden lindern durch Tryptophan?

In den Studien, die die Wiener gemeinsam mit dem Wissenschaftler Philip Rosenstiel und anderen Kollegen der Universität Kiel durchführten, zeigte sich, dass die vermehrte Zugabe von Tryptophan über die Nahrung den Mäusen, die massiv an Darmentzündungen litten, helfen konnte. Die Darmflora der Tiere normalisierte sich wieder, Entzündungen gingen zurück und die Mäuse zeigten sich auch weniger anfällig für erneute Darmentzündungen. Josef Penninger sieht in diesen erfolgreichen Forschungsergebnissen eine große Chance für eine medizinische Anwendung: "Menschen, die an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen leiden, könnte man mit diesem neuen Therapieansatz möglicherweise helfen. Zudem wären Nebenwirkungen durch die verstärkte Zufuhr einer ohnehin in der Nahrung vorkommenden Aminosäure kaum zu befürchten." Ein Erfolg in klinischen Studien hätte große Relevanz, in Österreich leiden etwa 80.000 Menschen an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, wie Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn.

Prophylaxe über die Ernährung?

"Unsere Forschungsergebnisse zeigen, wie unmittelbar Bestandteile der Nahrung auf die Zusammensetzung der Darmflora Einfluss nehmen", erklärt Erstautor Thomas Perlot. "Das Wissen um diese molekularen Zusammenhänge kann in Zukunft sicher genutzt werden, um über eine spezielle Diät bzw. die Zufuhr bestimmter Nahrungsbestandteile einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Darmentzündungen entgegenzuwirken."

Die Erkenntnisse werden unter dem Titel "ACE2 links amino acid malnutrition to microbial ecology and intestinal inflammation" am 26. Juli in der Fachzeitschrift "Nature" publiziert.


Rückfragehinweis:
IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie GmbH
Mag. Evelyn Devuyst, Pressesprecherin IMBA
Dr. Bohr Gasse 3
1030 Wien
evelyn.devuyst@imba.oeaw.ac.at

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Darmbakterien

Josef Penninger:
Österreichischer Genetiker auf dem Gebiet der Molekularen Medizin und seit 2002 wissenschaftlicher Direktor am IMBA in Wien. Zu seinen Forschungsleistungen zählen bahnbrechende Erkenntnisse über die molekulare Basis von Knochenschwund und Brustkrebs, sowie die Erforschung von Autoimmunkrankheiten und Herz- und Lungenerkrankungen. Penninger ist Autor und Mitautor von mehr als 400 wissenschaftlichen Arbeiten, von denen eine große Zahl in führenden Journalen wie "Nature" und "Science" publiziert wurde. Zu seinen wichtigsten Auszeichnungen zählen der Descartes-Preis als höchster Wissenschafts-Preis der EU, der Ernst Jung-Preis für medizinische Spitzenforschung, die Carus-Medaille der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der ERC Advanced Grant.

IMBA:
Das IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie ist ein international anerkanntes Forschungsinstitut mit dem Ziel, molekulare Prozesse in Zellen und Organismen zu erforschen und Ursachen für die Entstehung humaner Erkrankungen aufzuklären. Unabhängige wissenschaftliche Arbeitsgruppen arbeiten an biologischen Fragestellungen aus den Bereichen Zellteilung, Zellbewegung, RNA-Interferenz und Epigenetik, ebenso wie an unmittelbaren medizinischen Fragestellungen aus den Gebieten Onkologie, Stammzellforschung und Immunologie. Das IMBA ist eine 100% Tochtergesellschaft der ÖAW.
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ÖAW:
Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist die führende Trägerin außeruniversitärer akademischer Forschung in Österreich. Die mehr als 60 Forschungseinrichtungen betreiben anwendungsoffene Grundlagenforschung in gesellschaftlich relevanten Gebieten der Natur-, Lebens- und Technikwissenschaften sowie der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften.
www.oeaw.ac.at

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
IMBA - Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften GmbH
Mag. Evelyn Devuyst, 25.07.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2012