Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke - 11.07.2017
Bitterrezeptoren in Mund und Magen wirken regulierend auf koffeinbedingte Magensäureausschüttung
Der anregend wirkende Bitterstoff Koffein kann die Freisetzung von Salzsäure im Magen sowohl stimulieren als auch verzögern, je nachdem, ob er Bitterrezeptoren im Magen oder im Mund aktiviert. Dies ist das Ergebnis einer europäischen Kooperationsstudie, an der auch Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) beteiligt waren. "Wie unsere Ergebnisse zeigen, spielen Bitterrezeptoren generell eine Rolle bei der Regulation der Magensäureausschüttung. Es wäre daher denkbar, dass sich Bitterstoffe oder Bitterblocker zukünftig als Therapeutika einsetzen ließen, um eine Übersäuerung des Magens zu behandeln", sagt Studienleiterin Veronika Somoza von der Universität Wien.
Das Team um die Ernährungsphysiologin Somoza und Erstautorin Kathrin Liszt vom Institut für Ernährungsphysiologie und Physiologische Chemie der Fakultät für Chemie an der Universität Wien, zu dem neben DIfE-Forschern auch Jakob Ley von der Symrise AG in Holzminden und Wissenschaftler des Blizard Instituts London gehören, publizierte seine Ergebnisse nun in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS; Kathrin Liszt et al., 2017; DOI: 10.1073/pnas.1703728114).
Koffein ist die weltweit am häufigsten konsumierte psychoaktive Droge. Sie wirkt nicht nur anregend auf das zentrale Nervensystem und erhöht den Blutdruck, sondern sie stimuliert auch die Freisetzung von Magensäure. Ebenso weisen neuere Studien darauf hin, dass neben Koffein auch andere Bitterstoffe, zum Beispiel aus Hopfen, die Säureproduktion im Magen ankurbeln. Über welche Mechanismen dies geschieht, ist allerdings noch nicht hinreichend erforscht.
Zudem ist bekannt, dass der Mensch Bitterstoffe über rund 25 verschiedene Bitterrezeptor-Typen wahrnimmt, die sich im Mund und Rachenraum auf den Spitzen der Geschmacksrezeptorzellen befinden und vor dem Verschlucken giftiger Substanzen warnen sollen. Fünf von ihnen reagieren unter anderem auf Koffein. Seit kurzem häufen sich die Studien, die zeigen, dass sich Geschmacksrezeptoren für Bitteres auch an anderen Orten des Verdauungssystems finden, so zum Beispiel im Magen. Welche Funktion die Rezeptoren dort erfüllen, ist weitgehend unbekannt und noch ebenfalls wenig erforscht.
Die bestehenden Fakten lassen annehmen, dass Koffein die Magensäureausschüttung über Bitterrezeptoren im Mund und Magen beeinflusst. Daher gingen die Forscher in der aktuellen Studie der Frage nach, ob tatsächlich ein solcher Zusammenhang besteht. Hierzu führten die Wissenschaftler an gesunden weiblichen und männlichen Studienteilnehmern pH-Wert Messungen im Magen durch. Zudem verwendeten sie menschliche Gewebeproben des Magens sowie ein etabliertes zelluläres Modellsystem (HGT-1-Zellen) zur Untersuchung der Magensäurefreisetzung, um den Zusammenhang auch auf zellulärer und molekularer Ebene überprüfen zu können.
Nahmen die Studienteilnehmer 150 mg Koffein verkapselt in Form einer Pille ein, die sich erst im Magen auflöste, führte dies nach etwa 30 Minuten zu einer verstärkten Ausschüttung von Magensäure. Erhielten die Teilnehmer dagegen eine entsprechende Koffeinlösung, die neben den Rezeptoren im Magen auch die Bitterrezeptoren in der Mundhöhle stimulierte, verzögerte sich die Magensäureausschüttung. Dabei korrelierte die empfundene Bitterkeit des Koffeins mit der Menge der ausgeschütteten Magensäure. Darüber hinaus wiesen die Forscher sowohl in menschlichen Gewebeproben des Magens, als auch in den HGT-1-Zellen Bitterrezeptoren nach, die auf Koffein reagieren. Am Modellsystem der HGT-1-Zellen zeigten sie zudem, dass der Bitterrezeptor TAS2R43 zumindest einer der Rezeptoren ist, über den Koffein die Magensäureausschüttung reguliert. Ein Ausschalten des TAS2R43-Rezeptors auf Genebene (knock out-Modell) bestätigte dieses Ergebnis zusätzlich. Ebenso verminderte sich der stimulierende Effekt des Koffeins durch Zugabe von Homoeriodictyol*, einem Bitterblocker, der auch TAS2R43 hemmt. Anschließend mit Studienteilnehmern durchgeführte Tests, bei denen die Teilnehmer den Bitterblocker gemeinsam mit Koffein einnahmen, führten ebenfalls zu einer Reduktion der Koffeineffekte.
"Obwohl in vielen Kulturen nach dem Essen ein Gläschen Magenbitter oder ein Kaffee üblich ist, um Verdauungsproblemen zu begegnen, wissen wir heute noch erstaunlich wenig über das molekulare Zusammenspiel von Bitterstoffen und dem Verdauungssystem", sagt Somoza vom Institut für Ernährungsphysiologie und Physiologische Chemie an der Universität Wien. "Diese Zusammenhänge aufzuklären, könnte künftig dazu beitragen, neue Therapeutika gegen die Refluxkrankheit oder Magengeschwüre zu entwickeln", so die Professorin weiter. "Jedenfalls sind unsere Ergebnisse vielversprechend und belegen, dass Bitterrezeptoren über ihre Funktion als Geschmackssensoren hinaus an der Regulation von Verdauungsprozessen beteiligt sind", ergänzt Koautor Wolfgang Meyerhof vom DIfE. "Die Erforschung der Bitterrezeptoren, die von uns auch schon im Darm, in Herzmuskel- und Schilddrüsenzellen** nachgewiesen wurden, zeigt nicht nur in diesem Zusammenhang ganz neue Perspektiven und Ansatzpunkte auf, denen wir auch in Zukunft mit unseren Kooperationspartnern nachgehen wollen", so DIfE-Geschmacksforscher Maik Behrens abschließend.
Literatur:
Kathrin Liszt et al., Caffeine induces gastric acid secretion via bitter
taste signaling in gastric parietal cells. Proceedings of the National
Academy of Sciences of the United States of America 2017;
http://www.pnas.org/lookup/doi/10.1073/pnas.1703728114
• Hintergrundinformationen:
* Homoeriodictyol ist ein sekundärer Pflanzeninhaltsstoff, der in Yerba Santa (Eriodictyon californicum) enthalten ist. Die Pflanze gehört zu den Heilpflanzen Amerikas und Mexicos. In der Volksheilkunde wird sie innerlich bei Erkrankungen der Atemwege, wie Asthma oder Bronchitis angewendet. Die Indianer Nordamerikas verwendeten die Droge auch bei Magen- und Darmstörungen sowie bei Erkrankungen des Urogenitaltraktes (1). Homoeriodictyol ist zudem eines der 4 Flavanone, die von der Symrise AG in dieser Pflanze identifiziert wurden, die geschmacksmodifizierende Eigenschaften besitzen. Das Homoeriodictyol-Natriumsalz reduziert die Bitterkeit von Salicin, Amarogentin, Paracetamol und Chinin um 10 bis 40 Prozent (2).
** siehe DIfE-Abteilung Molekulare Genetik (MOGE); Forschungsprojekt: Extraorale Bitterrezeptoren
(1) http://www.spektrum.de/lexikon/arzneipflanzen-drogen /eriodictyon-californicum/4293
(2) Ley et al., Identification of enterodiol as a masker for caffeine
bitterness by using a pharmacophore model based on structural analogues of
homoeriodictyol. JAFC 2012
http://www.dife.de/forschung/abteilungen/projektdetail.php?id=255&abt=MOGE
Kontakt:
Prof. Dr. Wolfgang Meyerhof
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Abteilung Molekulare Genetik
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal/Deutschland
E-Mail: meyerhof@dife.de
Prof. Dr. Veronika Somoza
Institut für Ernährungsphysiologie und Physiologische Chemie
Fakultät für Chemie
Universität Wien
Althanstrasse 14
Zimmer 2B522-528 & 2B572-579
1090 Wien/Österreich
E-Mail: veronika.somoza@univie.ac.at
Dr. habil. Maik Behrens
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Abteilung Molekulare Genetik
Arthur-Scheunert-Allee 114-116
14558 Nuthetal/Deutschland
E-Mail: behrens@dife.de
Dr. Kathrin Liszt
Translational Research Center for Gastrointestinal Disorders (TARGID)
Gut Peptide Research Lab
KU Leuven
O&N1 Herestraat 49 - bus 701
3000 Leuven/Belgium
E-Mail: kathriningrid.liszt@kuleuven.be
Dr. Jakob Ley
Director Research Biobased Ingredients Research & Technology Flavor Division
Symrise AG
Mühlenfeldstraße 1
37603 Holzminden/Deutschland
E-Mail: jakob.ley@symrise.com
- Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) ist
Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen
ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention,
Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen
Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen
Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie
(Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle
der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen
von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. Mehr unter www.dife.de. Das
DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen
Zentrums für Diabetesforschung (DZD). Weitere Informationen zum DZD finden
Sie unter
www.dzd-ev.de
- Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 91 selbständige
Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-,
Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und
Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute
widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen.
Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den
übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten
wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte
Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im
Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und
informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - u.a.
in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen
Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und
unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen
Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft
gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 18.600 Personen,
darunter 9.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat
der Institute liegt bei mehr als 1,7 Milliarden Euro. Mehr unter
www.leibniz-gemeinschaft.de
- Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten
Europas: An 19 Fakultäten und Zentren arbeiten rund 9.500 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, davon 6.600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die
Universität Wien ist damit die größte Forschungsinstitution Österreichs
sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund
94.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit
174 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. Die
Universität Wien ist auch eine bedeutende Einrichtung für Weiterbildung in
Österreich. Mehr Informationen unter
www.univie.ac.at
- Die Symrise AG ist ein globaler Anbieter von Duft- und Geschmackstoffen,
kosmetischen Grund- und Wirkstoffen sowie funktionalen Inhaltsstoffen mit
Hauptsitz in Holzminden/Deutschland. Zu den Kunden gehören Parfum-,
Kosmetik-, Lebensmittel- und Getränkehersteller, die pharmazeutische
Industrie sowie Produzenten von Nahrungsergänzungsmitteln und
Heimtiernahrung. Mit einem Umsatz von mehr als 2,9 Mrd. Euro im Geschäftsjahr
2016 gehört das Unternehmen zu den global führenden Anbietern im Markt für
Düfte und Aromen. Der Konzern mit Sitz in Holzminden ist in mehr als
40 Ländern in Europa, Afrika und dem Nahen sowie Mittleren Osten, in Asien,
den USA sowie in Lateinamerika vertreten. Gemeinsam mit seinen Kunden
entwickelt Symrise neue Ideen und marktfähige Konzepte für Produkte, die aus
dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken sind. Wirtschaftlicher Erfolg und
unternehmerische Verantwortung sind dabei untrennbar miteinander verbunden.
Symrise - always inspiring more
www.symrise.com
Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.dife.de/forschung/abteilungen/kurzprofil.php?abt=MOGE
DIfE-Abteilung Molekulare Genetik
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution166
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke
Dr. Gisela Olias, 11.07.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juli 2017
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang