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DROGEN/389: Gefahr durch gestrecktes Cannabis (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2021

Gefahr durch gestrecktes Cannabis

von PM/RED


CANNABINOIDE. Toxikologe warnt, weil Konsumenten veränderte Zusammensetzung nicht sofort wahrnehmen. Aufwendiger Nachweis.


Die EMCDDA (European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction) warnte im November 2020, dass beschlagnahmtes Haschisch und Marihuana, aber auch E-Liquids und präparierte Papiere, mit synthetischen Wirkstoffen wie MDMB-4en-PINACA, 5F-MDMB-PICA oder 4-fluoro MDMB-BUTINACA versetzt waren. Diese Nachweise häufen sich und geben u.a. im LADR Zentrallabor Dr. Kramer & Kollegen in Geesthacht Anlass zur Sorge.

"Der Konsument wird die veränderte Zusammensetzung nicht sofort wahrnehmen, da die beigemischten Wirkstoffe die Cannabiswirkung imitieren. Dieses Unwissen kann lebensgefährliche Folgen haben", warnt Dr. Lars Wilhelm, Leiter der Toxikologie im Geesthachter LADR Zentrallabor.

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Info

• Synthetische Cannabinoide als Beimengung bundesweit auf dem Vormarsch.

• Hohes Risiko für schwere Nebenwirkungen und Vergiftungen.

• Nachweis von Verfälschungen nur in spezialisierten Laboren möglich.

Weitere Informationen zum Thema:
https://ladr.de/betaeubungsmittel/chemisch-gestrecktes-cannabis

Kontakt: Dr. rer. hum. biol. Lars Wilhelm
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Darum sind synthetische Cannabinoide gefährlich

Die Ursache für das Auftreten von Vergiftungen liegt in den pharmakologischen Eigenschaften der Substanzen. Der eigentliche Cannabiswirkstoff ΔTHC aktiviert Signalwege in den Nervenzellen, mit der entsprechenden rauschhaften Wirkung. Synthetische Cannabinoide wie das MDMB-4en-PINACA wirken auf vergleichbare Weise, allerdings deutlich intensiver und länger anhaltend. So kann es zu unerwünschten Nebenwirkungen wie Psychosen, z.T. mit schweren Krampfanfällen, rascher Ohnmacht, Herzrasen, Bluthochdruck oder aggressivem, gewalttätigem Verhalten kommen. Auch starkes Craving (Verlangen nachzulegen) kann auftreten.

Die ungleichmäßige Verteilung des Wirkstoffs in der Droge erschwert die Dosierung und erhöht zusätzlich die Gefahr von Überdosierungen. "Sollte man nach dem Konsum von Cannabisprodukten ungewohnte oder besonders heftige Wirkungen feststellen, sollte man deshalb nicht zögern, einen Notarzt zu rufen", rät Wilhelm. "Vermutlich werden sich viele scheuen, das zu tun, weil ihr Konsum dann auffliegt, aber unter Umständen kann das lebensrettend sein."

Sprunghafter Anstieg bei der Verbreitung von MDMB-4en-PINACA

MDMB-4en-PINACA ist seit 2017 in Europa im Umlauf. Der Fachbereich Toxikologie des LADR Zentrallabors in Geesthacht hat die Substanz im August 2019 erstmals in einer Stoffprobe identifiziert. "Seitdem spüren wir MDMB-4en-PINACA routinemäßig in unseren Analysen im Urin und seit Oktober 2020 auch im Kapillarblut auf", sagt Wilhelm.

Im Jahr 2020 registrierten die Toxikologen im LADR Zentrallabor eine deutlich steigende Anzahl an positiven Ergebnissen. Im Oktober stellten sie nahezu eine Verdreifachung fest. Dieser Trend hat sich bis zum Jahresende 2020 fortgesetzt.

"Ein Grund, warum synthetische Cannabinoide vermehrt auftreten, liegt sicher darin, dass auf diese Weise minderwertige Cannabisprodukte vermeintlich aufgewertet werden können", erklärt Wilhelm. Das heißt, sie wirken wie gewohnt oder stärker, allerdings um den Preis, dass sie noch heftigere Nebenwirkungen haben." Laut Wilhelm gibt es inzwischen erste Hinweise, dass auch sehr junge und unerfahrene Konsumenten diese Substanzen angeboten bekommen.

Die Erfahrungen, die die Experten im LADR Zentrallabor derzeit machen, decken sich mit denen aus dem Drug Checking (staatliche oder halbstaatliche Stellen mit dem Auftrag zur Testung der Zusammensetzung von Drogen), dem Arbeitskreis "Analytik der Suchtstoffe" der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie sowie mit Berichten in diversen Internet-Foren.

Der Nachweis der synthetischen Cannabinoide ist aufwendig. Das Testen vor Ort, das sogenannte Point-of-Care-Testing (POCT), ist daher nicht möglich. "Bei LADR setzen wir chromatografische Methoden mit massenspektrometrischer Detektion ein", unterstreicht Wilhelm die Herausforderungen in der Diagnostik und sieht genau darin eine potenzielle Gefahr: "Da der Nachweis sehr anspruchsvoll ist, droht eine schleichende Weiterverbreitung dieser gefährlichen Substanzen. Umso wichtiger ist die Aufklärung, gerader junger Konsumenten über die möglichen Gefahren."

Wilhelm rät dringend vom wissentlichen Konsum der synthetischen Substanzen ab. Denn MDMB-4en-PINACA etwa kommt verschiedenen Berichten zufolge auch in weißer oder gelblich-brauner Pulverform auf den Markt, vermutlich unter dem Straßennamen "Heavy Weight". Synthetische Cannabinoide würden demnach häufig inhaliert, indem man sie entweder auf Materialien aufbringt und diese raucht oder indem man sie in Flüssigkeit löst und verdampft.

Im Fachbereich Toxikologie des LADR Zentrallabors werden Fragen zum Gebrauch und Missbrauch von Medikamenten und Drogen bearbeitet. Jährlich analysiert das Labor nach eigenen Angaben rund 100.000 Proben von Blut und Kapillarblut, Urin, Speichel, Haaren und Mekonium. Dabei werden moderne Analysetechniken eingesetzt, vor allem Immunoassays, Chromatografische Verfahren und Massenspektrometrie. Die Ausstattung und Innovationen sind Voraussetzungen dafür, neue Substanzen zügig und auf hohem analytischem Niveau detektieren zu können. Im Fachbereich Toxikologie entwickelt das Labor auch in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Universitäten im Rahmen von Bachelor-, Master- und Promotionsarbeiten seine Analysetechniken weiter.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Graphik:
Positive Proben für den Analyten MDMB-4en-PINACA aus Urin und Kapillarblut für den Zeitraum Januar bis Dezember 2020 (N=248); eigene unveröffentlichte Daten des LADR Zentrallabors Dr. Kramer & Kollegen.


(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Die Graphik zeigt einen deutlichen Anstieg des Konsums von gestrecktem Cannabis von Juli bis Dezember 2020.

Siehe hierzu auch die Graphik unter:
https://ladr.de/betaeubungsmittel/chemisch-gestrecktes-cannabis

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 4, April 2021, 74. Jahrgang, Seite 24-25
Herausgeber: Ärztekammer Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-0, Fax: 04551/803-101
E-Mail: info@aeksh.de
Internet: www.aeksh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2021

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