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BILDUNG/757: Erwartungen junger Mediziner - Auch Familie, Freizeit und Freiheit gehören dazu (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2011

Erwartungen junger Mediziner
Auch Familie, Freizeit und Freiheit gehören zur ärztlichen Zukunft

Von Dirk Schnack


Über Erwartungen und Wünsche des ärztlichen Nachwuchses. Erfahrene Kollegen halten die Einstellung der jungen Ärzte für richtig - und für gesünder.


Egal wo, egal was: Unter dieser Voraussetzung starteten Mediziner wie Landarzt Dr. Reimar Vogt einst in ihre Assistenzzeit. Hauptsache, man bekam eine Stelle. Viele der jetzt praktizierenden Ärzte in schleswig-holsteinischen Kliniken und Praxen haben dies in den 80er und 90er Jahren genauso erfahren wie der in Pahlen praktizierende Arzt.

Diese Zeiten sind seit einigen Jahren vorbei, junge Ärzte sind heute gesucht wie selten. Eigentlich eine komfortable Situation, die dazu führen sollte, dass ihre Erwartungen und Wünsche von Arbeitgebern besser berücksichtigt werden und die Rahmenbedingungen für die Ausübung ihres Berufs sich entsprechend ändern. Auf diesem Weg wurde manches erreicht - aber der Alltag, der den Nachwuchs auf den Krankenhausstationen erwartet, sieht oft anders aus.

Das sagt Caroline Fleischmann, Präsidentin des Bundesverbandes der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd). Sie berichtete jüngst auf einem Symposium der Bundesärztekammer in Berlin über die Perspektiven junger Ärzte in der Patientenversorgung von einer noch immer extrem hohen Arbeitsbelastung und von ebenso hohen Ansprüchen der Patienten. "Hierarchien erschrecken und schrecken ab, genau wie Kostendruck und Bürokratisierung", sagte die junge Frau.

Das bestätigt auch Virginie Marx, die derzeit im PJ in der Kieler Hausarztpraxis von Dr. Michael Lauterbach arbeitet. "Man kann nicht jede Forderung durchsetzen", sagt die 31-Jährige. Die angehende Hausärztin freut sich auf ihren Beruf, ist aber von der Bürokratie, mit der ihr Praxischef zu kämpfen hat, ernüchtert. Einen Ausweg kann sie nicht erkennen: "Wir werden uns wohl damit abfinden müssen."

Mit anderen Bedingungen aber finden sich junge Ärzte nicht ab, wie Vogt berichtet. Junge Kollegen haben heute nach seiner Einschätzung sehr genaue Vorstellungen, wann und was sie erreichen wollen und können. "Das gilt sowohl für das Berufsleben als auch für den privaten Bereich", sagt Vogt. Viele junge Ärzte haben nach seiner Einschätzung einen "Gesamtplan": Sie wissen, welches Fachgebiet es sein soll, an welcher Klinik sie tätig sein werden und sie legen Wert auf bestmögliche Einarbeitung und Förderung. "Der Arztnachwuchs ist viel selbstbewusster als wir früher, Duckmäusertum konnte ich bei keinem angehenden Arzt feststellen", sagt Vogt.

Miriam Wagner, die in Kiel Medizin studiert und derzeit ebenfalls Erfahrungen im praktischen Jahr sammelt, unterstreicht das Selbstbewusstsein ihrer Generation, wenn sie sagt: "Wir wissen, dass wir auf dem Arbeitsmarkt gute Chancen haben und dass die Gehälter gestiegen sind - aber die Arbeitsbelastung ist ebenfalls enorm." Noch sind nach ihrer Ansicht längst nicht alle Probleme gelöst, die angehenden Ärzten den Weg ins Berufsleben erschweren. Zum Thema Familienfreundlichkeit etwa sagt sie: "Es gibt positive Tendenzen, aber es läuft noch längst nicht optimal. Ich sehe noch immer Schwierigkeiten für Ärzte, die Familie und Beruf miteinander vereinbaren wollen."

Für Virginie Marx steht fest, dass sie ihrem Beruf längst nicht alles unterordnen wird: "Ich werde nicht jede Nacht verfügbar sein." Für sie ist der Arztberuf "ein Beruf wie jeder andere, nur mit mehr Verantwortung."

Klar ist für die jungen Medizinerinnen auch, dass "altväterliche" Ratschläge nach dem Motto "dann hätten Sie vielleicht besser etwas anderes studieren sollen" nicht gefragt sind. Was aber erwarten, was wünschen sich die jungen und die angehenden Ärzte konkret, um ihren Beruf in Klinik oder Praxis ausüben zu können?

Immer wieder wird bei den Wünschen die Weiterbildung thematisiert. Einer Umfrage des Hartmannbundes zufolge verknüpfen junge Ärzte hohe Erwartungen mit der Weiterbildung - diese sollte flexibel, familienfreundlich und planungssicher sein. "Wenn wir die nachwachsende Generation im Land und in der kurativen Medizin halten wollen, müssen wir uns dieser Herausforderung stellen", sagt KlausPeter Schaps, Vorsitzender des Arbeitskreises Ausund Weiterbildung im Hartmannbund, dazu.

Die Mehrheit der vom Verband Befragten befürwortet einen modularen Aufbau der Weiterbildung mit klar definierten Einheiten, die mit Teilprüfungen abgeschlossen werden können. "Einerseits geben Teilprüfungen Sicherheit in Bezug auf die spätere Anerkennung, andererseits machen Module, die für den einen Facharzttitel obligat und für den anderen fakultativ sind, eine Umorientierung während der Weiterbildung leichter", so Schaps.

Ebenfalls gefragt ist eine Teilzeitweiterbildung. Zwei Drittel der Befragten halten eine Teilzeitweiterbildung von bis zu 25 Prozent der Regelarbeitszeit unter der Maßgabe für sinnvoll, dass sich die tatsächliche Weiterbildungszeit im Vergleich zur vorgesehenen Mindestzeit maximal verdoppelt. "Ärzte in der Weiterbildung befinden sich in einer Lebensphase, in der die Familienplanung und -gründung eine wesentliche Rolle spielt. Es muss daher möglich sein, während der Weiterbildung vorübergehend auch Teilzeittätigkeiten mit weniger als 50 Prozent der Regelarbeitszeit ausüben zu können", so Schaps. Das erleichtere den Wiedereinstieg und könne dazu führen, dass auch während einer möglichen Elternzeit die Weiterbildung nicht aussetzt.

Auch der bvmd hat die Weiterbildung im Blick. Weil das Lernen auch nach sechs Jahren Studium noch nicht abgeschlossen ist, erwarten die angehenden Mediziner, dass sie in der Weiterbildung nicht nur als Arbeitstiere, sondern auch als Lernende angesehen werden. Sie erwarten die Einhaltung des Ausbildungskataloges, einen geregelten Rotationsplan, eine gute Betreuung und regelmäßige Fortbildungen für Assistenzärzte. Die weiteren Erwartungen der Medizinstudierenden umriss Fleischmann auf dem Symposium in Berlin:

Geregelte Arbeitszeiten: Dazu gehört für sie auch, dass eine 40-Stunden-Woche wenigstens annäherungsweise angestrebt wird. Sie berichtet von einer Befragung des Internationalen Zentrums für Hochschulforschung in Kassel, wonach bei Assistenzärzten 18 Monate nach Studienabschluss die vertraglich festgelegte Wochenarbeitszeit von durchschnittlich 41 Stunden im Mittel um zusätzliche zwölf Stunden überschritten wird. Realität scheint es auch noch zu sein, dass Überstunden nicht aufgeschrieben werden und eine Abgeltung durch Ausgleichszahlungen oder Freizeitausgleich nicht üblich ist. "Für Absolventen hat der Umgang mit dieser Situation Priorität - sie suchen nach Arbeitgebern, die entweder um die Einhaltung der Wochenarbeitszeit bemüht sind oder Mehrarbeit finanziell oder durch freie Tage ausgleichen", sagte Fleischmann in Berlin.

Kinderbetreuung: Immer mehr, aber noch längst nicht alle Kliniken bieten den bei ihnen beschäftigten Ärzten die Möglichkeit einer Kinderbetreuung an. Dies wird laut Fleischmann von den jungen Kolleginnen aber als elementar angesehen. "Schließlich haben die meisten ihre Familienplanung noch vor sich bzw. wird sie greifbarer als dies vielleicht noch während des Studiums für viele der Fall war."

Wissenschaftliche Weiterqualifikation: Sich ständig fortzubilden, nicht stehen zu bleiben und auch in der Karriere flexibel zu sein - dies schließt auch einen Perspektivenwechsel mit ein und ist ein häufig geäußerter Wunsch von Studierenden beim Übergang in das Berufsleben. Viele würden es begrüßen, wenn sie auf einer halben Stelle forschen könnten und die andere Hälfte ihrer Arbeitszeit der Patientenversorgung widmen könnten.

Nette Chefs, flache Hierarchien: Studierende erleben im Studium nach Beschreibung Fleischmanns oft eine Ellbogenmentalität und strikte Hierarchien - was nach ihrer Ansicht die Ausbildung der PJler und Assistenzärzte nicht fördert und das Arbeitsklima belastet. "Kollegialität zwischen allen Hierarchieschichten und allen Professionen ist hingegen etwas, das Studierenden sehr wichtig ist, schließlich ist man auf die Unterstützung gerade am Anfang dringend angewiesen. Man hat Fragen, ist vielleicht unsicher, man macht Fehler. Ein offener Umgang, ein gutes Klima sowie gute Führung und Supervision sind deshalb unabdingbar", meint die bvmd-Präsidentin.

Erfahrene Kollegen, die viel mit dem Nachwuchs zu tun haben, sprechen mit viel Hochachtung von den angehenden Ärzten und bescheinigen ihnen eine neue Einstellung. Dr. Gerrit Schenk aus Lensahn nennt diese Einstellung "gesünder". In seiner Lehrpraxis beobachtet er, dass sich die Prioritäten verschoben haben. "Freizeit und Familie haben bei den jungen Ärzten einen höheren Stellenwert", sagte Schenk dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt. In der Ausbildung hat er festgestellt, dass heute mehr hinterfragt wird. Bei allem fachlichen Selbstbewusstsein spürt er auch die Sorgen des Nachwuchses. Diese betreffen insbesondere die Bereiche, über die an der Uni nichts vermittelt wird - das wirtschaftliche Risiko bei einer Niederlassung etwa oder die Bürokratisierung. Das bestätigt auch Hausarzt Thomas Miklik aus Kiel, der bei den angehenden Ärzten hohes Engagement und viel Motivation beobachtet, die aber von der Bürokratie abgeschreckt werden: "Die schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie sehen, mit wie viel Bürokratie wir in der Praxis zu kämpfen haben", berichtet Miklik. Trotz wenig erfreulicher Nachrichten über die kassenärztliche Tätigkeit spürt er in seiner Lehrpraxis eine große Aufgeschlossenheit für die Niederlassung, allerdings bei den meisten "wenigstens stadtnah". Mit anderen Worten: Die ärztliche Tätigkeit allein lockt angehende Mediziner nicht aufs Land, die Infrastruktur sollte vorhanden sein. "Den jungen Leuten ist Freiraum für Privates wichtig. Sie ordnen dem Beruf nicht alles unter", sagt Miklik.

Ähnlich fasst Dr. Michel Lauterbach seine Erfahrungen zusammen. Er bescheinigt dem Nachwuchs höhere Ansprüche an die eigene Lebensqualität - und findet diese Einstellung auch vernünftig. "Das Privatleben hat für die jungen Ärzte einen höheren Stellenwert als dies früher bei uns der Fall war", lautet seine Einschätzung. Insbesondere bei Ärztinnen beobachtet er, dass diese es ablehnen, die mit einer Niederlassung verbundenen Begleiterscheinungen wie wirtschaftliches Risiko oder Bürokratie allein zu bewältigen. Lauterbach unterstützt diese Haltung, weil sie dazu dient, sich den Rücken für die Medizin freizuhalten. "Wer Nonstop arbeitet, zahlt dafür einen hohen Preis", lautet die Erfahrung des in Kiel niedergelassenen Kammerabgeordneten.

Das ist allerdings keine exklusive Erkenntnis der jungen Generation, wie Landarzt Vogt dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt bestätigt. "Schon meine Generation macht sich nicht mehr so krumm wie es die "Alten" getan haben, die jetzt in Rente gehen. Ich verzichte weder auf meine Freizeiten noch auf meine Freiheiten. Ein täglicher Arbeitstag von 6:00 bis 22:00 Uhr ist für mich undenkbar und eine ständige Erreichbarkeit ebenso." Und er prophezeit: "Diese Motivation wird von den Jungen noch konsequenter weiterentwickelt werden."


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

"Der Arztnachwuchs ist viel selbstbewusster als wir früher, Duckmäusertum konnte ich bei keinem feststellen."
Dr. Reimar Vogt

"Ein offener Umgang, ein gutes Klima sowie gute Führung und Supervision sind unabdingbar."
Caroline Fleischmann, bvmd

"Das Privatleben hat für die jungen Ärzte einen höheren Stellenwert als dies früher bei uns der Fall war." Dr. Michael Lauterbach


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201111/h11114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de



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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt November 2011
64. Jahrgang, Seite 12 - 15
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2011