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GENETIK/392: Genetische Variabilität neurodegenerativer Erkrankungen (umg)


umwelt · medizin · gesellschaft - 4/2010
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

Genetische Variabilität neurodegenerativer Erkrankungen

Von Eckart Schnakenberg


In den kommenden Jahren ist eine zunehmende Zahl an Menschen zu erwarten, die an einer neurodegenerativen Erkrankung leiden wird. Zu den häufigsten neurodegenerativen Krankheiten zählen M. Alzheimer, M. Parkinson und die Amyotrophe Lateralsklerose. Neben der Lebensführung, Virusinfektion, Schwermetall- und Pestizidbelastung spielt die individuelle genetische Disposition in der Pathogenese eine bedeutende Rolle. Die wichtigsten Gene zur Disposition sporadischer neurodegenerativer Krankheiten sind die Katechol-O-Methyltransferase (COMT), Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR), Glutathion S-Transferase P1 (GSTP1) und das Apolipoprotein E (ApoE). Sequenzvarianten dieser Gene erhöhen das Erkrankungsrisiko erheblich, insbesondere dann, wenn gleichzeitig umwelt-assoziierte Faktoren die Pathogenese ungünstig beeinflussen. Nur in wenigen Fällen (5-10 %) findet man eine familiäre Häufung neurodegenerativer Erkrankungen. Neben dem Erkrankungsrisiko unterliegt auch die Therapie neurodegenerativer Erkrankungen einer genetisch bedingten Variabilität.

Schlüsselwörter: Neurodegenerative Erkrankungen, DNA-Methylierung, MTHFR, Katechol-O-Methyltransferase, Glutathion S-Transferasen, Apolipoprotein E, Therapie, Cytochrom P450.


Genetik der Alzheimer-Krankheit

Eine ständig zunehmende Zahl von Menschen erkrankt an neurodegenerativen Erkrankungen wie M. Alzheimer, M. Parkinson oder Amyotropher Lateralsklerose. In Deutschland leiden derzeit etwa 1 Million Menschen an einer neurodegenerativen Demenzerkrankung. Für das Jahr 2030 gehen Schätzungen von 1,9 bis 2,5 Millionen Demenz-Kranken aus, darunter etwa 1,0 bis 1,4 Millionen Alzheimer Patienten. Männer und Frauen haben das gleiche Erkrankungsrisiko. Aufgrund der längeren Lebenserwartung für Frauen sind etwa 70 % der Alzheimer Patienten weiblichen Geschlechts. In den westlichen Industrienationen tritt die Alzheimer-Erkrankung mit der gleichen Häufigkeit auf. Bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit wirken erbliche Faktoren, Alterungsprozesse des Gehirns und Umwelteinflüsse zusammen. Die Wahrscheinlichkeit an M. Alzheimer zu erkranken beträgt 10% im Bevölkerungsdurchschnitt. In Familien mit einer Alzheimer-Krankheit ist das Erkrankungsrisiko erhöht, was eine genetische Beteiligung in der Krankheitsentstehung nahe legt. Diese Fälle (5-10 %) werden mit genetischen Varianten drei verschiedener Alzheimer Gene assoziiert (Amyloid Precursor Protein, Presenilin 1, Presenilin 2). Patienten mit Mutationen in einem dieser drei Gene erkranken in der Regel unter 60 Jahren. Das Erkrankungsalter ist bei Mutationen im Amyloid-Vorläufer-Gen besonders niedrig (um das 40. Lebensjahr), bei Presenilin-2-Mutationen kann es in manchen Fällen auch jenseits des 70. Lebensjahres liegen. Wenn der Familienstammbaum eines früh erkrankten Patienten Anhaltspunkte für die Vererbung der Alzheimer-Krankheit nach Mendelschen Regeln ergibt, kann in seinem Blut festgestellt werden, ob er Träger einer Mutation in einem der drei gegenwärtig bekannten Gene ist.

In 90-95% der Fälle tritt die Alzheimer-Erkrankung jedoch sporadisch auf. Anhand von Assoziationsstudien sind ca. 300 Gene bekannt, die an der Disposition zur Alzheimer-Erkrankung beteiligt sind. Dazu zählen sog. Suszeptibilitätsgene, die Menschen für die Alzheimer-Erkrankung empfindlich machen, insbesondere dann, wenn die Betroffenen im Berufs- und/oder Alltagsleben eine Exposition mit Chemikalien, Metallen und/oder anderen Schadstoffen haben/hatten. Aus klinisch-genetischen Studien geht hervor, dass Glutathion S-Transferasen (GST), insbesondere das Gen Glutathion S-Transferase P1 (GSTP1), die Katechol-O-Methyltransferase (COMT) und das Apolipoprotein E (ApoE) ursächlich an der sporadischen Form der Alzheimer-Krankheit beteiligt sind (1, 2). Sind in diesen Genen Sequenzvarianten nachweisbar, die mit einer Funktionsänderung der korrespondierenden Proteine assoziiert sind, führen diese Varianten zu einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit an Alzheimer zu erkranken.

Das ApoE-Gen kommt in drei häufigen Sequenzvarianten vor, die als Allele ε2, ε3 und ε4 bezeichnet werden. Das ApoE Eiweißmolekül ist am Fettstoffwechsel des Menschen beteiligt und kann bei Vorliegen einer Mutation erhöhte Triglycerid- und Cholesterinspiegel verursachen. Die Häufigkeit des ε4-Allels beträgt 10% bei gesunden Personen, aber 30-42% bei Alzheimer-Patienten. Das Vorliegen einer oder zweier Kopien des ε4-Allels erhöht also die Wahrscheinlichkeit, die Alzheimer-Krankheit zu bekommen. Allerdings stellt das ε4-Allel weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung für die Krankheit dar. Deswegen kann die Bestimmung des ε4-Allels nicht für prognostische Zwecke herangezogen werden, sondern dient in erster Linie zur diagnostischen Absicherung einer Alzheimer-Erkrankung, insbesondere dann, wenn frühe Symptome eine klare Zuordnung erschweren.

Das COMT-Gen wird hinsichtlich seiner Beteiligung am Östrogenstoffwechsel als weiteres Kandidatengen der Alzheimer-Erkrankung gesehen. Es konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden, dass Hormonersatztherapien den Krankheitsausbruch protektiv beeinflussen. Daher wird ein Zusammenhang zur Alzheimer-Erkrankung vermutet (3, 4). Östrogene werden vor allem durch Cytochrom P450-abhängige Enzyme metabolisiert und nachfolgend durch sog. Phase II Enzyme wie Sulfotransferasen, UDP-Glucuronosyltransferasen und Katechol-O-Methyltransferasen (COMT) metabolisiert. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass eine genetische Variante, die für eine hohe COMT Aktivität repräsentativ ist, insbesondere bei Menschen, die gleichzeitig das ApoE ε4 Allel tragen, signifikant zu einer Risikoerhöhung für die Alzheimer-Erkrankung beiträgt (1).

Glutathion S-Transferasen spielen bei neurodegenerativen Erkrankungen in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle: zum einen nehmen sie durch Konjugation von Glutathion an der Ausscheidung von Fremdstoffen teil, zum anderen sind sie am Abbau von Östrogenen beteiligt. Eine reduzierte Glutathion Aktivität wurde bereits mit zahlreichen Erkrankungen und antioxidativen Prozessen wie z. B. toxische Enzephalopathie, erhöhte Chemikaliensensitivität, verzögerter Abbau reaktiver Sauerstoffradikale, Beteiligung an Tumorerkrankungen und Resistenz bei Arzneimitteltherapien in Zusammenhang gebracht (5, 6). In der Vulnerabilität zu Alzheimer ist das Vorliegen einer Sequenzvariation des Gens Glutathion S-Transferase P1 (GSTP1), das sog. GSTP1*C Allel, von besonderer Bedeutung und mit einer signifikanten Erkrankungswahrscheinlichkeit (OR: 1,9) assoziiert. Bei gleichzeitigem Vorliegen des ApoE ε4- und GSTP1*C-Allels erhöht sich das Risiko sprunghaft um das ca. zehnfache (OR: 19,98; p<0,0001) (2).

Zu den Symptomen der Alzheimer-Krankheit tragen Veränderungen in zwei chemischen Signalübertragungssystemen bei: auf Grund des Untergangs von Nervenzellen in einem Kerngebiet an der Basis des Stirnhirns besteht ein Mangel an Acetylcholin, und der Zerfall von Nervenzellen in der Hirnrinde führt zu einer übermäßigen Ausschüttung von Glutamat. Beide Veränderungen versucht man mit Medikamenten teilweise auszugleichen.


Wirkstoff
Enzyme/Gene
Donezepil
Galantamin
Risperidon
Aripiprazol
Haloperidol
Clozapin
Olanzapin
Quetiapin
Citalopram
Fluoxetin
Paroxetin
Sertralin
CYP2D6
CYP2D6
CYP2D6, MDR1, CYP3A4,
CYP2D6, CYP3A4
CYP2D6, CYP3A4, CYP1A2
CYP1A2, CYP2C19, CYP3A4, CYP2D6, CYP2A6, CYP2C8, CYP2C9
CYP1A2, UGT1A4
CYP3A4, MDR1
CYP2C19, CYP2D6
CYP2D6, CYP2C8, CYP2C9, CYP2C19, CYP2B6, CYP1A2
CYP2D6
CYP2D6, CYP2C19, CYP3A4

Tab. 1: Häufig eingesetzte Wirkstoffe in der Therapie von Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen und am Metabolismus beteiligten Enzyme (Haupt-/Nebenstoffwechselweg).


Therapie der Alzheimer-Erkrankung

Das Behandlungsergebnis der Alzheimer-Krankheit ist individuell sehr unterschiedlich. Es wird geschätzt, dass der therapeutische Erfolg zu 75-85% von pharmakogenetischen Einflüssen abhängig ist (7). Die meisten der zur Alzheimer-Therapie einsetzbaren Wirkstoffe werden unter Beteiligung des Leberenzyms Cytochrom P450 2D6 (CYP2D6) metabolisiert (siehe Tab. 1). Der Abbau dieser Wirkstoffe ist durch das CYP2D6 Enzym in hohem Maße genetisch festgelegt: es sind bei jedem Menschen in dem zugrunde liegenden Gen des CYP2D6 Enzyms Sequenzvarianten nachweisbar, die für einen individuellen Metabolismus und Abbau von Alzheimer Medikamenten und anderen Arzneimitteln verantwortlich sind (siehe Abb. 1). Während einige Menschen (ca. 7 %) unserer Bevölkerung Sequenzvarianten des CYP2D6 Gens tragen, die für einen sehr schnellen Abbau von Medikamenten sorgen (sog. ultraschnelle Metabolisierer; UM), sind bei einem weiteren Teil der Menschen (ca. 10 %) Genvarianten nachweisbar, die zu einer fehlenden Enzymaktivität führen (sog. schlechte Metabolisierer; PM). In der erstgenannten Gruppe ist das Risiko für das Ausbleiben eines therapeutischen Erfolges deutlich erhöht und in der Gruppe der schlechten Metabolisierer ist das Risiko für das Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen signifikant erhöht. Häufig schneiden schlechte und ultraschnelle Metabolisierer des CYP2D6 Gens (PM und UM) bei einer Therapie mit den in Tab. 1 gelisteten Wirkstoffen schlecht ab, insbesondere dann, wenn sie gleichzeitig Träger der homozygoten ApoE ε4/ε4 Variante sind (8, 14-16). Demgegenüber profitieren Träger eines intermediären bzw. extensiven CYP2D6 Stoffwechsels von den genannten Medikamenten häufiger. Zusätzlich muss bedacht werden, dass ein multimorbider Symptomkomplex die Einnahme verschiedener Wirkstoffe zum selben Zeitpunkt nach sich zieht, so dass neben pharmakogenetischen Einflüssen auf den Metabolismus der Medikamente auch pharmakokinetische Faktoren zum Tragen kommen. Beispielsweise führt die Einnahme von Johanniskraut zu einer erheblichen Stimulation der Cytochrom P450 Leberenzyme. Werden gleichzeitig Wirkstoffe zur Alzheimer-Therapie in der normalen humantherapeutischen Dosierung eingenommen, die über Cytochrom P450 Enzyme metabolisiert werden, steigt das Risiko, dass erforderliche Wirkstoffspiegel des Alzheimer Präparates aufgrund der Johanniskraut-bedingten Stimulation der Cytochrom Enzyme nicht erreicht werden. Es muss in solchen Situationen in Erwägung gezogen werden, die Therapie, unter gleichzeitiger Kontrolle der Plasmawirkstoffspiegel, durch Dosissteigerung anzupassen. Umgekehrt führt die gleichzeitige Einnahme von Wirkstoffen, die inhibierend auf das Cytochrom P450 System wirken, zu einem verzögerten Abbau des eingenommenen Alzheimer Präparates und somit zum Risiko für das Auftreten erhöhter Wirkstoffspiegel. Dies kann eine Dosisreduktion erforderlich machen.


Methylierung bei Alzheimer-Erkrankung

Die Mehrzahl neurodegenerativer Erkrankungen ist sporadisch; nur wenige lassen sich monogen erklären. Es werden verschiedene Ursachen in der Pathogenese neurodegenerativer Krankheiten vermutet: Exposition mit Schadstoffen, virale Erkrankungen, Abwehrfähigkeit des menschlichen Organismus, genetische Disposition sowie das Zusammenspiel der genannten Faktoren. Darüber hinaus werden weitere nicht den Mendelschen Gesetzen unterlegene genetische Faktoren in der Pathogenese von Alzheimer und anderen neurodegenerativen Krankheiten vermutet: pathologische Spiegel der Folsäure und des Homocysteins, die zur regulierenden Homöostase der Methylierung im Gehirn von Alzheimer-Patienten beitragen sowie der u. a. epigenetisch regulierte circadiane Rhythmus. Nach einer Zellteilung und der vorab stattfindenden Verdopplung des genetischen Materials, entsteht im Genom von eukaryontischen Zellen ein neues Methylierungsmuster, das durch endogene und exogene Faktoren beeinflussbar ist. Die wichtigste epigenetische Veränderung ist die Methylierung von ausschließlich Cytidin Basen der DNA, die innerhalb von Cytosin-Guanosin Basen (sog. 'CpG islands') liegen. Häufig finden sich methylierte Basen in der Region vor einem Gen und führen zu einer veränderten Genexpression.

Einen wichtigen Schlüsselmechanismus in der Bereitstellung von Methylgruppen, und somit Methylierung von DNA, stellt unter den Enzymen der DNA-Methyltransferasen die Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) dar. Als Methylgruppendonor wird von den Methyltransferasen S-Adenosylmethionin (SAM) heran gezogen. Dabei wandelt MTHFR irreversibel 5,10-Methylentetrahydrofolat zu 5-Methyltetrahydrofat um, welches wieder als Methylgruppendonor für die SAM Synthese via Methionin bereit gestellt wird (siehe Abb. 2). Auch wenn dies nicht der einzige Weg der Methylgruppensynthese darstellt, so ist das Fehlen von Methylgruppen mit einer vermehrten Entstehung von S-Adenosylhomocystein sowie erhöhten Plasma Homocysteinkonzentrationen, einem wichtigen und gut bekannten Kofaktor neurodegenerativer Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson, assoziiert.

Eine Hyperhomocysteinämie, als Folge einer eingeschränkten MTHFR-abhängigen Remethylierung, ist ein unabhängiger Risikofaktor der Alzheimer-Erkrankung, was in epidemiologischen und klinischen Studien gezeigt werden konnte (9-12). Der Homocysteinspiegel wird neben der genetisch bedingten Form der MTHFR normalerweise durch eine ausreichende Versorgung mit Vitamin B6, Vitamin B12 und Folsäure geregelt. Eine Störung des Homocysteinhaushaltes kann also durch eine defizitäre Zufuhr aber auch durch eine genetisch bedingt mangelnde Remethylierung von Homocystein entstehen. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der Remethylierung ist dabei das Enzym MTHFR. Eine genetische Variante dieses Enzyms führt zu einer Aktivitätsreduktion von ca. 30% (heterozygot) bzw. 60% (homozygot). Träger einer homozygot veränderten Genvariante zeigen bei in-vitro Messungen im Blut einen reduzierten Folat- und einen erhöhten Homocysteinspiegel. Diese Verschiebung des MTHFR-abhängigen Stoffwechsels reflektiert auch eine signifikant veränderte Methylierung der DNA: der durchschnittliche Methylierungsspiegel ist bei Trägern der Genvariante (MTHFR c.677T) um ca. 50% reduziert im Vergleich zu Trägern der unveränderten Genvariante, die für eine normale MTHFR Aktivität repräsentativ ist (Abb. 3) (13). Diese genetisch bedingte Eigenschaft lässt sich durch eine erhöhte Zufuhr von Folsäure kompensieren.

Gegenwärtig existiert ein einziges routinemäßig anwendbares diagnostisches Verfahren, das im Blut von Patienten mit kolorektalem Tumor hochsensitiv das methylierte Septin Gen bereits zu einem Zeitpunkt der Erkrankung detektiert, bei denen mit herkömmlichen bildgebenden Verfahren kein tumorpathologischer Prozess nachweisbar ist. Als Folge einer erhöhten Methylierung der Erbsubstanz kommt es zu einer veränderten Genexpression. Für neurodegenerativen Krankheiten ist bislang kein spezifisch methyliertes Gen beschrieben, das als unabhängiger Marker in der Diagnostik eingesetzt werden kann. Es kann jedoch spekuliert werden, dass sich der Nachweis einer Hypo- bzw. Hypermethylierung künftig als eigenständiger Marker für den Nachweis neurodegenerativer Krankheiten entwickelt.


Genetik und Therapie der Parkinson-Erkrankung

Eine weitere häufige neurodegenerative Erkrankung ist die Parkinson-Krankheit. Abgesehen von sekundären Parkinson-Syndromen ist die Ursache der idiopathischen Parkinson-Erkrankung, die den überwiegenden Teil der Parkinson-Erkrankungen ausmacht, unklar. Es werden zahlreiche Gene beschrieben, deren Sequenzvariationen mit der Parkinson-Krankheit assoziiert sind. Verschiedene Neurotransmitter wie Dopamin, Acetylcholin, Glutamat, Gamma-Amino-Buttersäure, Noradrenalin und Serotonin spielen eine Schlüsselrolle in der Entstehung der Parkinson-Krankheit. Vor allem die Störung der Dopamin Produktion ist ein charakteristisches Kennzeichen der Parkinson-Erkrankung. Eine genetisch bedingte Inaktivierung des Enzyms Tyrosinhydroxylase führt dabei zu einer Unterbrechung der Produktionskette Phenylalanin-Tyrosin-Dopamin. Ebenso wie bei der Alzheimer-Erkrankung sind erhöhte Homocysteinspiegel mit neurologischen Beschwerdebildern, veränderter Kognition und Depression mit der Parkinson-Erkrankung assoziiert. Die Hyperhomocysteinämie ist auch ein typisches Kennzeichen einer Therapie mit Levodopa. Levodopa wird unter wesentlicher Beteiligung des Enzyms Katechol-O-Methyltransferase (COMT) metabolisiert. Eine genetische Variante des COMT Enzyms (158Met) führt zu einer 3-4fach reduzierten Aktivität und stellt, neben der Therapie mit Levodopa, einen zusätzlichen und eigenständigen Risikofaktor in der Entstehung einer Hyperhomocysteinämie dar. Ebenso wie die MTHFR ist die COMT ein S-Adenosylmethionin-abhängiges Enzym. Die Gabe von Levodopa führt zu einer Depletion von S-Adenosylmethionin und gleichzeitig zur signifikanten Erhöhung von S-Adenosylhomocystein, der Vorläufersubstanz einer Hyperhomocysteinämie. Dies hat für den Erkrankten zur Konsequenz, dass eine verstärkte SAM de novo Synthese einsetzen sollte bei gleichzeitiger Fähigkeit der Remethylierung von Homocystein, was in vielen Fällen jedoch nicht ohne weiteres passiert. Ähnlich wie bei Alzheimer ist eine vermehrte Aufnahme von Folsäure, Vitamin B6, Vitamin B12 und SAM eine therapeutische Option.

Ziel der Parkinson Therapie ist die Erhöhung der Dopamin Konzentration im menschlichen Körper. Tabelle 2 zeigt eine Auswahl von Wirkstoffen, die dazu im Rahmen der Therapie eingesetzt werden. Es ist erkennbar, dass, ähnlich wie bei den Wirkstoffen zur Therapie der Alzheimer-Krankheit, ein Teil der Wirkstoffe unter Beteiligung der Leberenzyme des Cytochrom P450 Systems bzw. der genetisch variablen Katechol-O-Methyltransferase metabolisiert werden.


Wirkstoff
Enzyme/Gene
Levodopa
Carbidopa
Benserazid
Bromocriptin
Lisurid
Pergolid
Apomorphin
Pramipexol
Ropinirol
Entacapon
Selegilin
Rasagilin
Amantadin
Budipin
Biperiden
COMT
COMT/Decarboxylase
COMT/Decarboxylase
CYP3A4
CYP2D6, CYP3A4
CYP3A4
CYP1A2, CYP2C19, CYP3A4
­-
CYP1A2, CYP3A4
multiple CYP Hemmung
CYP1A2, CYP2B6, CYP2C8, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6
CYP1A2
­-
CYP2D6
­-

Tab. 2: Häufig eingesetzteWirkstoffe in der Therapie von Parkinson und am Metabolismus beteiligten Cytochrom P450/COMT Enzyme


Genetik anderer neurodegenerativer Krankheiten

Für alle genannten neurodegenerativen Erkrankungen werden Umwelteinflüsse wie Pestizide, Metalle, Chemikalien, Virusinfektionen, genetische Suszeptibilität als wichtige Kofaktoren in der Pathogenese beschrieben. Demgegenüber können monogen bedingte Erkrankungen ursächlich auf ein Gen bzw. auf eine Sequenzvariante eines Gens zurückgeführt werden. Der Einfluss äußerer Faktoren wie Umweltschadstoffe, Ernährung, sportliche Aktivitäten, ist bei monogen bedingten Krankheiten in der Regel gering (siehe Abb. 4). Beispielsweise ist das Erkrankungsrisiko für die neurodegenerative Krankheit Chorea Huntington bei Trägern eines veränderten Huntington Gens nahezu 100%, unabhängig davon, ob die betroffene Person mit Schadstoffen oder anderen krankheitsauslösenden Faktoren exponiert ist. Aufgrund einer erblich dominanten Mutation im Huntington-Gen bilden sich Symptome wie hyperkinetische Bewegungsstörungen, Gang- und Sprachstörungen, Wesensveränderungen, Psychosen und Demenz im Alter zwischen 26 und 60 Jahren aus. Die Mutation tritt mit einer Häufigkeit von etwa 5-10:100.000 auf. Gegenwärtig existiert keine Therapie und das Vorliegen der genetischen Mutation führt unweigerlich zum Ausbruch der Krankheit. Unbekannt ist lediglich der Zeitpunkt.

Die meisten neurodegenerativen Krankheiten sind sporadischer Natur und die Folgen und das Resultat des Zusammenspiels genetischer Faktoren, biochemischer Homöostase und Umwelteinflüssen. Beeindruckend in diesem Zusammenhang sind die Ergebnisse der sog. Nonnenstudie, die ab 1986 an etwa 600 amerikanischen Nonnen durchgeführt wurde. Die Besonderheit dieser Studie ist die Homogenität der Beteiligten hinsichtlich der Wohnumgebung, Nahrungsaufnahme und Lebensführung über einen langen Zeitraum. Bei den an Alzheimer erkrankten Nonnen konnte post mortem gezeigt werden, dass das Maß der Gehirnatrophie mit einem reduzierten Folsäurespiegel im Serum signifikant korrelierte (17). Auch das ApoE ε4-Allel konnte als genetischer Marker für die Alzheimer-Krankheit in diesem einzigartigen Studienkollektiv bestätigt werden (18).

Andere neurodegenerative Krankheiten, wie die Amyotrophe Lateralsklerose, werden eher im Zusammenhang mit erhöhtem oxidativen Stress als Resultat einer Schadstoffbelastung diskutiert. Im Gegensatz zur Alzheimer-Krankheit ist bei der Amyotrophen Lateralsklerose vorzugsweise die Degeneration von Nervenzellen betroffen, die für Muskelbewegungen von Bedeutung sind. Die Störung der Motoneuronen führt vor allem zu Sprech- und Schluckstörungen mit einer in der Regel zunehmenden Parese und Amyotrophie. In etwa 10% der Fälle werden Sequenzvariationen des Gens Superoxiddismutase 1 als Ursache beschrieben sowie weitere Gene, die im Zusammenhang von Familienuntersuchungen identifiziert wurden. Die restlichen 90% der sporadischen Amyotrophen Lateralsklerosen werden, im Gegensatz zur Parkinson- und Alzheimer-Erkrankung, in besonderem Maße im Zusammenhang mit Schadstoffexpositionen wie Pestizidbelastungen, Schwermetallbelastungen mit Blei und Quecksilber und Nikotinkonsum beschrieben. Die Tatsache, dass Kriegsveteranen häufiger im Vergleich zur Normalbevölkerung erkranken, unterstützen die Hypothese einer Schadstoff-induzierten Pathogenese.


Schlussbetrachtung

Es zeigt sich am Beispiel neurodegenerativer Erkrankungen, dass, im Rahmen einer genetisch bedingten Vulnerabilität, mehrere 'Stellschrauben' die Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen beeinflussen. Wichtige Enzyme in diesem Zusammenhang sind die Katechol-O-Methyltransferase (COMT), Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR), Glutathion S-Trans-ferase P1 (GSTP1) und das Apolipoprotein E (ApoE). Angeborene Sequenzvarianten dieser Gene können das Erkrankungsrisiko signifikant erhöhen. Es wird sich in den kommenden Jahren zeigen, ob weitere Gen-regulierende Faktoren, z. B. Methylierung von Genen, zum besseren Verständnis hinsichtlich Ursache und Therapie neurodegenerativer Krankheiten beitragen. Es kann zum jetzigen Zeitpunkt festgehalten werden, dass das Ansprechen einer Therapie individuell unterschiedlich ist, und insbesondere bei Gabe von Psychopharmaka durch angeborene Genvarianten beeinflusst wird. Hierbei spielt das Enzymsystem der Leber, Cytochrom P450, eine wichtige Rolle. Die Genvarianten dieser Leberenzyme können das Risiko für das Auftreten einer unerwünschten Arzneimittelreaktion bzw. das Nicht-Ansprechen einer Therapie erhöhen.


Kontakt:
Dr. rer. nat. Eckart Schnakenberg
Institut für Pharmakogenetik und Genetische Disposition (IPGD)
Ostpassage 9
30853 Langenhagen
Tel.: 0511/20 30 448
Fax: 0511/20 30 447
E-Mail: es@ipgd.org
Web: www.ipgd.org


Nachweise

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Häufigkeiten der Metabolisiererstatus von CYP2D6 abhängigen Medikamenten in der hiesigen Bevölkerung.

Abb. 2: Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR) als Schlüsselenzym der Homocysteinsynthese.

Abb. 3: DNA Methylierung in Abhängigkeit vom MTHFR Genotyp und Plasma Folatspiegel.

Abb. 4: Geschätzter Anteil genetischer Disposition bzw. Umweltfaktoren an der Pathogenese sporadischer neurodegenerativer Erkrankungen.


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Quelle:
umwelt · medizin · gesellschaft Nr. 4/2010, (Dezember 2010)
23. Jahrgang, S. 309 - 314
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2011