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CHIRURGIE/493: Volumentherapie - Anästhesisten initiieren neue Leitlinie für mehr Patientensicherheit (idw)


Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften - 18.09.2014

Volumentherapie: Anästhesisten initiieren neue Leitlinie für mehr Patientensicherheit



Berlin, 16.09.2014 (dk) - Eine deutlich höhere Sicherheit für Patienten gewährleistet die neue medizinische S3-Leitlinie "Intravasale Volumentherapie beim Erwachsenen" [1]. Diese bietet Ärzten Handlungsempfehlungen zur Kreislaufstabilisierung von Patienten während einer Narkose oder bei der Behandlung auf der Intensivstation. Der Anfang September publizierte Konsensus wurde in Fachkreisen bereits mit Spannung erwartet. Die Inhalte schließen eine Informationslücke, denn seit Oktober 2013 ist der Einsatz einer jahrelang praktizierten Standardtherapie stark eingeschränkt.

Entstanden ist die Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) und unter Beteiligung von weiteren 13 Fachgesellschaften. Weltweit gab es bisher keinen Standard zur Volumentherapie auf einem vergleichbar hohen wissenschaftlichen Niveau. Anästhesisten schätzen daher die nationale und internationale Relevanz der Leitlinie sehr hoch ein. Der aktuelle Expertenkonsensus wird erstmals im Rahmen des Hauptstadtkongresses der DGAI für Anästhesiologie und Intensivtherapie (HAI) 2014 vorgestellt. Dieser findet vom 18. bis 20. September 2014 in Berlin statt.

"Diese Leitlinie hat eine große Tragweite, denn sie stellt die Volumentherapie auf eine neue wissenschaftliche Grundlage", hebt der DGAI-Präsident Professor Dr. med. Christian Werner deren Bedeutung hervor. "Die Patienten profitieren in erster Linie von einer höheren Sicherheit bei operativen Eingriffen und intensivmedizinischen Behandlungen", bestätigt Professor Dr. med. Gernot Marx, der die Leitlinie koordiniert hat. "Aber auch für Ärzte dient der Standard als fundierte Basis, um für jeden einzelnen Patienten die bestmögliche Versorgung gewährleisten zu können", so der Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum der RWTH Aachen. Für Professor Dr. med. Bernhard Zwißler, Kongresspräsident des HAI 2014 und Direktor der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum der Universität München, ist die neue Leitlinie eines der vorrangigen Themen des Kongresses: "Auf dem HAI 2014 können sich die Kollegen über den gerade erst publizierten Standard informieren und diesen anschließend direkt in die Praxis umsetzen."

Auswertung der Studienlage bringt neue Erkenntnisse

Zur Realisierung gehört auch, jahrelang praktizierte Behandlungen anhand der neuen Evidenz umzustellen. "Wir haben alte Zöpfe abgeschnitten", kommentiert Marx die 42 Empfehlungen und 6 Statements der Leitlinie. So sprechen sich die Autoren klar gegen die Verwendung von reinen Kochsalzlösungen aus, da diese Nierenschäden bis hin zum Nierenversagen hervorrufen können. "Leider wird deren Gabe noch in einigen Leitlinien empfohlen", sagt Marx. Zudem wurde die Messung des zentralen Venendrucks im Falle einer notwendigen Volumentherapie erstmals verworfen. Neu in die Leitlinie aufgenommen wurde dagegen das Hochlagern der Beine. Der so erzielte Effekt auf den arteriellen Blutdruck hilft Ärzten zu entscheiden, ob eine Volumentherapie durchführt werden sollte. Generell wird geraten, balancierte Lösungen einzusetzen, da diese der physiologischen Zusammensetzung des menschlichen Plasmas sehr nahe kommen. Grundlage der Leitlinie war eine umfangreiche Literaturrecherche. In zweieinhalb Jahren wurden 17.898 internationale Studien ausgewertet, beurteilt und mit bereits vorhandenen Leitlinien verglichen. Marx erwartet eine verbesserte Patientensicherheit durch die neuen Standards: "Komplikationen werden seltener auftreten, wenn die Patienten evidenzbasiert behandelt werden."

Neue Leitlinie gibt Ärzten Orientierung

Auch zu dem in Fachkreisen kontrovers diskutierten Einsatz der Hydroxyethylstärke (HES) gibt die Leitlinie Empfehlungen. HES wird in Deutschland und weltweit am häufigsten als künstliches Volumenersatzmittel verwendet [2]. Benötigt wird dieses, um bei einem massiven Blutverlust, wie er zum Beispiel bei einem Unfall, einer schweren Infektion (Sepsis), im Schockzustand oder auch bei einer Operation auftreten kann, einen Kreislaufkollaps zu verhindern. Als Ersatz für das verlorene Blut kommen unter anderem so genannte kolloidale Lösungen in Frage, etwa aus Gelatine, Bluteiweiß oder Stärke, wie bei HES. Letzteres steht im Verdacht, schwere Nebenwirkungen wie Nierenschäden zu verursachen. Daher hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA auf Initiative des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im März 2013 ein Prüfverfahren hierzu eingeleitet. Das Ergebnis war, dass HES seit Oktober 2013 nur noch stark eingeschränkt eingesetzt werden soll. "Die Anästhesisten mussten die Umsetzung der Volumentherapie in der Praxis neu überdenken", berichtet Werner. "Unsere Fachgesellschaft hat die Notwendigkeit gesehen, möglichst schnell eine belastbare Evidenz herzustellen", betont er. Laut der neuen Leitlinie ist der Einsatz von modernen HES-Lösungen (6% HES 130) bei einem akuten Blutverlust während eines Eingriffes möglich. Bei kritisch kranken Patienten sollte diese Infusionslösung jedoch nicht verwendet werden.

Die umfassende Literatur-Recherche und Ausarbeitung wurde von klinischen und methodischen Experten gemeinsam durchgeführt. Für den methodischen Teil verantwortlich waren Mitarbeiter des Instituts für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM) der Universität Witten/Herdecke unter der Leitung von Professor Dr. Prof. h.c. Edmund A. M. Neugebauer. Der klinische Beitrag kam von der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum der RWTH Aachen und wurde von dessen Direktor Marx koordiniert. 14 Fachgesellschaften haben die Inhalte in drei Konsensuskonferenzen verabschiedet. Marx weiß die neue Auswertung der Studienlage zu schätzen: "Dank dem nun vorliegenden, weltweit aktuellsten Kenntnisstand können Ärzte zukünftig besser und evidenzbasiert entscheiden, welche Volumentherapie für ihre Patienten am besten geeignet ist."


An der Leitlinie beteiligte Fachgesellschaften:

-Initiator: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI)

  • Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e. V. (DGAV)
  • Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH)
  • Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG)
  • Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM)
  • Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin e. V. (DGIIN)
  • Deutsche Gesellschaft für Kardiologie e. V. (DGK)
  • Deutsche Gesellschaft für Neurointensiv- und Notfallmedizin e. V. (DGNI)
  • Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (DGOU)
  • Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft e. V. (DGP)
  • Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie e. V. (DGTHG)
  • Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU)
  • Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. (DIVI)
  • Deutsche Sepsis-Gesellschaft e. V. (DSG)


Weitere Informationen im Internet:

Hauptstadtkongress der DGAI für Anästhesiologie und Intensivtherapie (HAI) 2014 in Berlin:
www.hai2014.de

Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und lntensivmedizin e. V.:
www.dgai.de


Quellen:

[1] "S3-Leitlinie Intravasale Volumentherapie beim Erwachsenen"
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Stand 31.07.2014
http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/001-020.html, abgerufen am 15.09.2014

[2] Gattas D, Dan A, Myburgh J, et al.: Fluid resuscitation with 6% Hydroxyethyl Starch (130/0,4) in acutely ill patients: An updated systematic review and meta-analysis. Anesth Analg 2012; 114: 159-69.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.hai2014.de - Kongress-Homepage


Über die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI):
Die im April 1953 gegründete Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und lntensivmedizin e. V. (DGAI) vereinigt über 13.000 Mitglieder und ist damit die drittgrößte medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft Deutschlands. Nach ihrer Satzung hat sie die Aufgabe, "Ärzte zur gemeinsamen Arbeit am Ausbau und Fortschritt der Anästhesiologie, lntensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie zu vereinen und auf diesen Gebieten die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen". Gemeinsam mit dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten e. V. (BDA) trägt die DGAI die Deutsche Akademie für Anästhesiologische Fortbildung e. V. (DAAF), die regelmäßig Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen für Anästhesisten durchführt. Die DGAI veranstaltet jährlich den Deutschen Anästhesiecongress (DAC), den Hauptstadtkongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (HAI) und richtet darüber hinaus internationale Anästhesiekongresse aus. Präsident der DGAI ist Prof. Dr. med. Christian Werner, Mainz.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution76

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften, Wolfgang Müller M.A., 18.09.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2014