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ONKOLOGIE/1602: Studie - Mit einer Kombitherapie das Wachstum von Leberkrebs verzögern (idw)


Universitätsklinikum Tübingen - 14.09.2014

Nature Medicine: Mit Kombitherapie Tumorwachstum verzögern - mehr Überlebenszeit bei Leberkrebs



Wissenschaftlern am Universitätsklinikum Tübingen ist es gelungen, einen wichtigen Signalweg beim Wachstum von Lebertumoren zu identifizieren und zu blockieren und damit das Tumorwachstum signifikant zu verzögern. Leibniz-Preisträger Prof. Dr. med. Lars Zender und sein Team konnten zeigen, dass die Wirksamkeit des Leberkrebs-Medikamentes Sorafenib, die mit zunehmender Therapiedauer leider sinkt, durch die Blockade des neu identifizierten Genproduktes deutlich gesteigert und verlängert werden kann. Eine Studie mit Leberkrebspatienten soll baldmöglichst zeigen, inwieweit sich die Überlebenszeit der Patienten dadurch verlängert.

Leberkrebs ist schwierig zu bekämpfen. Nicht alle Tumoren können durch eine Operation oder die Zerstörung, beispielsweise durch Hitze, behandelt werden. Kann der Leberkrebs weder operativ entfernt noch anderweitig vollständig zerstört werden, sind die Patienten auf eine medikamentöse Therapie mit dem Tyrosinkinasehemmer Sorafenib angewiesen. Diese Behandlung kann fortgeschrittenen Leberkrebs nicht heilen, jedoch das Wachstum des Tumors für eine gewisse Zeit zum Stillstand bringen und das Überleben verlängern.

Die Wirkung des Medikaments Sorafenib beruht darauf, dass es einen Signalweg in der Zelle blockiert. Das Zellwachstum stagniert. Leider ist diese Blockade nicht von Dauer, die Zelle sucht sich - vereinfacht gesagt - einen "Umweg", um das für das weitere Wachstum nötige Signal auf anderem Weg zu bekommen. Sobald das fehlende Signal durch die "Umleitung" wieder verfügbar ist, kann der Tumor weiterwachsen. In der Medizin spricht man hierbei von einer Resistenz gegen das Medikament, es verliert quasi seine Wirkung. Für Patienten mit Leberkrebs bedeutet dies, dass der Tumor nach einer gewissen Zeit wieder zu wachsen beginnt.

Das Tübinger Forscherteam mit den Erstautoren der Studie Dr. Ramona Rudalska und Dr. Danel Dauch konnte nun mit einer bestimmten Technologie (RNA Interferenz* Screens) den Teil der Erbsubstanz identifizieren, der der Zelle den "Umweg" erlaubt. Ebenfalls konnte mittels RNA-Interferenz* im Labor gezeigt werden, dass die Blockade des Zielgens (Mapk14) bzw. dessen Genproduktes zu einer deutlich verbesserten und verlängerten Wirkung von Sorafenib führt, ebenso wie zu einer verlängerten Überlebenszeit von Mäusen mit Leberzellkarzinomen.

Das Zielgen, das identifiziert wurde und gehemmt werden sollte, war in Tübingen kein Unbekanntes. Professor Dr. Stefan Laufer vom Pharmazeutischen Institut der Universität Tübingen beforscht seit langem Proteinkinase-Inhibitoren und hat mit ca. 4000 eigenen Substanzen die wohl größte akademische Wirkstoffbibliothek in Deutschland auf diesem Gebiet. Glücklicherweise waren speziell für p38 MAPK (Mapk 14) die bisher selektivsten Wirkstoffe enthalten. Diese sind bereits umfassend präklinisch untersucht und stellen damit hoffnungsvolle Entwicklungskandidaten dar..

Durch eine Kombination von Sorafenib und den Inhibitoren gegen Mapk14 konnte das Tumorwachstum sowohl im Mausmodell** als auch in Zellkulturen menschlicher Leberzellkarzinome deutlich länger gestoppt werden. Für Patienten mit Leberkrebs erhoffen sich die Experten, dass diese Kombinationstherapie den Tumor länger am Wachsen hindert, d.h. die Überlebenszeit sich verlängert.

Professor Stefan Laufer: "So fanden präklinische Wirkstoffforschung und klinische Anwendung nahezu perfekt zusammen, im besten Sinne "translational"."

Krebsspezialist Professor Dr. med. Lars Zender: "Klinisch häufige Tumore wie z.B. Dickdarmkrebs oder Leberkrebs stellen immer noch eine große Herausforderung für uns Ärzte dar. Wir forschen daran, neue Therapiekonzepte zu entwickeln, die eine nachhaltigere Tumorkontrolle bei guter Lebensqualität auch bei aggressiven Karzinomen ermöglichen und somit die Überlebenszeit verlängern. Dazu wollen wir das neue Therapiekonzept so schnell wie möglich in einer klinischen Studie überprüfen und bei Erfolg den Patienten anbieten. Aufgrund der translationalen*** Ausrichtung der Universität Tübingen und der exzellenten Strukturen im Rahmen des Südwestdeutschen Tumorzentrums ist Tübingen der ideale Ort um entsprechende klinische Studien möglichst bald zu beginnen."


Titel der Originalpublikation in Nature Medicine

In vivoRNAi screening identifies a mechanism of sorafenib resistance in liver cancer
Ramona Rudalska 1,16; Daniel Dauch 1,16; Thomas Longerich 2; Katherine McJunkin 3; Torsten Wuestefeld 1; Tae-Won Kang 1,4; Anja Hohmeyer 1,4; Marina Pesic 1; Josef Leibold 1; Anne von Thun 5,6; Peter Schirmacher 2; Johannes Zuber 7; Karl-Heinz Weiss 8; Scott Powers 9; Nisar P Malek 10; Martin Eilers 5,6; Bence Sipos 11; Scott W Lowe 12,13; Robert Geffers 14; Stefan Laufer 15 & Lars Zender 1,4
Advance Online Publication (AOP) on Nature Medicine's website on 14 September at 1800 London time / 1300 US Eastern Time, doi:10.1038/nm.3679

1 Division of Translational Gastrointestinal Oncology, Department of Internal Medicine I, University of Tuebingen, Tuebingen, Germany.
2 Institute of Pathology, University Hospital Heidelberg, Heidelberg, Germany.
3 The Watson School of Biological Sciences, Cold Spring Harbor Laboratory, Cold Spring Harbor, New York, USA.
4 Translational Gastrointestinal Oncology Group within the German Center for Translational Cancer Research (DKTK), German Cancer Research Center (DKFZ), Heidelberg, Germany
5 Comprehensive Cancer Center Mainfranken, University of Wuerzburg, Wuerzburg, Germany
6 Theodor Boveri Institute, Biocenter, University of Wuerzburg, Wuerzburg, Germany.
7 Research Institute of Molecular Pathology, Vienna, Austria.
8 Department of Gastroenterology, University Hospital Heidelberg, Heidelberg, Germany.
9 Cancer Genome Center, Cold Spring Harbor Laboratory, Cold Spring Harbor, New York, USA.
10 Department of Internal Medicine I, University of Tuebingen, Tuebingen, Germany.
11 Institute of Pathology, University of Tuebingen, Tuebingen, Germany.
12 Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, New York, USA.
13 Howard Hughes Medical Institute, USA.
14 Helmholtz Centre for Infection Research, Braunschweig, Germany.
15 Department of Pharmaceutical Chemistry, University of Tuebingen, Tuebingen, Germany.
16 These authors contributed equally to this work.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.medizin.uni-tuebingen.de
Universitätsklinikum Tübingen


* RNA-Interferenz - Krebsgene im lebenden Organismus gezielt untersuchen
Die RNA-Interferenz ist eine Methode, die es erlaubt, Gene gezielt stillzulegen ohne sie zu manipulieren. Eine Anwendung der Technologie in vivo, d.h. im lebenden Organismus, ist besonders in der Tumorforschung entscheidend, da Tumore komplexe dreidimensionale Strukturen mit besonderer Gefäßversorgung sind, die auch mit dem Immunsystem des Wirts interagieren. Während Untersuchungen in Zellkulturen häufig mit Fehlern behaftet sind, ist es ein großer Vorteil, RNA-Interferenz Untersuchungen direkt im lebenden Organismus durchführen zu können. Zusammen mit nur wenigen anderen Laboren weltweit ist das Labor von Prof. Zender in der Lage, sogenannte RNA Interferenzscreens zur direkten Identifizierung neuer Krebsgene in vivo in der Maus durchzuführen.

** Mausmodelle des Leberzellkarzinoms
Für wissenschaftliche Studien in der Krebsforschung werden Tumor-Mausmodelle benötigt, welche das Verhalten menschlicher Tumore realistisch widerspiegeln. Neue Generationen von Mausmodellen des Leberzellkarzinoms, den sogenannten mosaiken (chimaeren) Tumormodellen erlauben die Erforschung des Leberzellkarzinoms und anderer gastrointestinaler Tumore. Im Gegensatz zu klassischen Transgenen- oder Knockout Mäusen ermöglichen diese speziellen Modelle eine deutlich schnellere und effizientere Entschlüsselung der komplexen Interaktion von Krebsgenen und deren Beitrag zur Tumorentstehung und -progression.

*** translationale Medizin
Die translationale Medizin beschäftigt sich mit der Übersetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis, sie ist Schnittstelle zwischen präklinischer Forschung und klinischer Entwicklung. Durch sie soll Forschungswissen in die Behandlung von Patienten eingehen.

Zur Person
Prof. Dr. med. Lars Zender ist Oberarzt und Sektionsleiter an der Tübinger Medizinischen Universitätsklinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektionskrankheiten und leitet dort den Bereich für Gastrointestinale (den Magen-Darm-Trakt betreffende) Onkologie. Er forscht an der Entwicklung neuer Methoden zur Behandlung von Tumorerkrankungen des Magen-Darmtraktes und des Leberversagens. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Forschung besteht in der Identifizierung neuer Krebsgene, welche an der Entstehung von Tumoren des Magen-Darm-Trakts beteiligt sind und zur Entwicklung effektiver neuer Tumortherapien genutzt werden können.

Zender wurde im März 2013 mit dem Deutschen Krebspreis der Deutschen Krebsgesellschaft ausgezeichnet. Seine wissenschaftlichen Arbeiten haben die Tür für ein vertieftes Verständnis zellulärer und molekularer Mechanismen der Tumorentstehung und der damit verbundenen immunologischen Wirtsreaktion weit geöffnet. 2014 erhielt er den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Damit zählt der Tübinger Gastroenterologe zur deutschen Forschungs-Elite, gilt der Leibniz-Preis unter Wissenschaftlern doch als der hochkarätigste Forschungspreis.


Das Universitätsklinikum Tübingen
Das 1805 gegründete Tübinger Universitätsklinikum
(www.medizin.uni-tuebingen.de) trägt als eines der 33 Universitätsklinika in Deutschland zu dem erfolgreichen Verbund von Medizin, Forschung und Lehre bei und hat sich mit seinen 17 Kliniken als eines der führenden Zentren der deutschen Hochschulmedizin etabliert. Ärzte und Wissenschaftler arbeiten Hand in Hand mit dem Ziel, die Ergebnisse der exzellenten Forschung rasch in die klinische Praxis und in die Behandlung der Patienten zu überführen. Dazu werden Krebserkrankungen am Südwestdeutschen Tumorzentrum - Comprehensive Cancer Center Tübingen (CCC) gezielt erforscht und das Universitätsklinikum ist Mitglied des Deutschen Konsortiums für Translationale*** Krebsforschung (DKTK).

Die Universität Tübingen
Innovativ. Interdisziplinär. International. Seit 1477. Die Universität Tübingen ist eine von elf deutschen "Exzellenz-Universitäten". Zu ihren Schwerpunkten gehört die Translationale*** Medizin. Im Rahmen der Exzellenzinitiative wurde die Forschungsplattform "Klinische Forschung" eingerichtet, sie verknüpft Forschungsschwerpunkte der Medizinischen Fakultät (Neurowissenschaften, Immunologie und Onkologie, Infektionsbiologie, Diabetes und Vaskuläre Medizin) mit den Helmholtz-Gesundheitsforschungszentren Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZI) und Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK). Die Medizinische Fakultät der Universität Tübingen ist enger Partner des Universitätsklinikums Tübingen und mit über 1000 wissenschaftlichen Mitarbeitern die größte Fakultät der Universität und Ausbildungs- und Forschungsstätte auf höchstem Niveau.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution82

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universitätsklinikum Tübingen, Dr. Ellen Katz, 14.09.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2014