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NEUROLOGIE/2046: Bildung von Nervenzellen aus bestimmten Stamm- und Vorläuferzellen nur in steifen Hirnregionen möglich (idw)


Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 06.02.2020

Harte Zeiten stehen bevor: Neurogenese ist nur in steifen Hirnregionen möglich


Neurale Stammzellen kommen im Gehirn von erwachsenen Säugetieren nur in wenigen bestimmten Bereichen vor, sogenannten Stammzellnischen. Nur in diesen Nischen, können neue Nervenzellen gebildet werden. Forschende entschlüsselten nun erstmals das Proteom dieser Nischen, also die gesamte Menge der dort vorhandenen Proteine, und verglichen dieses mit dem Proteom anderer Hirnregionen. Dabei entdeckten sie zentrale Regulatoren für die Bildung von Nervenzellen, der Neurogenese. Diese Erkenntnisse sind ausschlaggebend für die weitere Forschung, um künftig nach Gehirnverletzungen die Neurogenese gezielt zu aktivieren.

Was unterscheidet die neurale Stammzellnische von anderen Hirnregionen? Warum befinden sich neurale Stammzellen nur in diesen Nischen und nicht auch im Rest des Gehirns? Bislang war nicht bekannt, was den Nischen ihre besondere Funktion verleiht. Auch darüber, wie sich neue Nervenzellen in bestehende neuronale Netze im erwachsenen Gehirn integrieren können, war bisher wenig bekannt. Ein Vergleich des Proteoms der neuralen Stammzellnische und der Gehirnregion, in welche sich neu gebildete Nervenzellen integrieren, mit dem des restlichen Teils des Gehirns sollte daher Aufschluss über die Besonderheit der Nische geben - dem einzigen Ort, an dem Neurogenese im erwachsenen Säugetiergehirn möglich ist.

Eine Nische mit besonderen Eigenschaften

Zunächst erforschten Magdalena Götz und ihr Team das Proteom dieser besonderen Bereiche im Gehirn. Dafür betrachteten sie einerseits die größte Stammzellnische des Gehirns in der subependymalen Zone sowie andererseits den Riechkolben im vorderen Teil des Gehirns, da neugebildete Nervenzellen hierhin wandern, sich dort ausdifferenzieren und in das neuronale Netz integrieren. Im Anschluss verglichen sie diese Proteome mit dem der Großhirnrinde, da dort, wie fast überall im Gehirn erwachsener Säugetiere, weder Neurogenese noch die Integration neuer Neuronen stattfinden. Das Team beobachtete dabei, dass das Proteom der neurogenen Nische eine nischenspezifische extrazelluläre Matrixarchitektur besitzt. Besonders charakteristisch ist die hohe Löslichkeit der extrazellulären Matrix, wohin gegen andere charakteristische Proteine, wie die des multifunktionalen Enzyms Transglutaminase 2 schwer löslich, also stark vernetzt sind. Das Team konnte sowohl mit pharmakologischen Inhibitoren wie auch genetischen Experimenten zeigen, dass Transglutaminase 2 eine entscheidende Rolle in der Regulierung der Neurogenese spielt. Darüber hinaus könnte das Enzym aufgrund seiner vernetzenden Eigenschaft zur besonderen, steifen Beschaffenheit der neuralen Stammzellnische im ansonsten weichen Hirngewebe beitragen.

Wie eine verletze Hirnregion zur neuralen Stammzellnische wird

Das Wissen über Unterschiede im Proteom von neurogenen und nicht-neurogenen Hirnregionen ist sehr wichtig. Es könnte dabei helfen, Wege zu finden, um eine nicht-neurogene Region künftig mit der Fähigkeit zur Neurogenese auszustatten. Ebenso wichtig ist es, eine gute Umgebung für die Integration neuer Nervenzellen in der Großhirnrinde für eine Zellersatztherapie zu generieren, indem man Faktoren aus dem Riechkolben, wo ständig neue Nervenzellen integriert werden, aktiviert. In einem nächsten Schritt werden Götz und ihr Team die analysierten Proteome mit denen verletzter Hirnregionen vergleichen. Ihr Ziel ist es, die Bildung von neuen Nervenzellen nach einer Hirnverletzung herbeizuführen, indem sie die verletzte Region in eine neurale Stammzellnische umwandeln. Da das Gewebe in verletzen Gehirnregionen jedoch einen veränderten Phänotyp aufweist, könnte dies die Neurogenese verhindern: "Einer unserer Kollegen an der University of Cambridge fand heraus, dass das Narbengewebe im Gehirn besonders weich ist - eine ungünstige Umgebung für die Neurogenese. Diese Hürde müssen wir überwinden. Wir müssen eine Umgebung schaffen, die für die Reparatur verletzter Hirnregionen geeignet ist. Daran werden wir weiter forschen", erklärt Götz.

Magdalena Götz ist Leiterin der Abteilung Physiologische Genomik am Biomedizinischen Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet das Institut für Stammzellforschung am Helmholtz Zentrum München.

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.500 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 19 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.
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Das Institut für Stammzellforschung (ISF) untersucht die grundlegenden molekularen und zellulären Mechanismen der Stammzellerhaltung und -differenzierung. Daraus entwickelt das ISF Ansätze, um defekte Zelltypen zu ersetzen, entweder durch Aktivierung ruhender Stammzellen oder Neuprogrammierung anderer vorhandener Zelltypen zur Reparatur. Ziel dieser Ansätze ist die Neubildung von verletztem, krankhaft verändertem oder zugrunde gegangenem Gewebe.
www.helmholtz-muenchen.de/isf

Originalpublikation:
J. Kjell et al., 2020:
Defining the adult neural stem cell niche proteome identifies key regulators of adult neurogenesis.
Cell Stem Cell
DOI: 0.1016/j.stem.2020.01.002.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution44

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 06.02.2020
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2020

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