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HNO/281: Bei akuter Entzündung Gaumenmandeln teilweise oder ganz entfernen? (IQWiG)


Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) - 03.03.2017

Tonsillotomie: kurzfristig weniger Nebenwirkungen, aber erneute Entzündung und OP möglich

- Kurzfristig weniger Schmerzen, Schluck- und Schlafstörungen
- Durch nachwachsendes Gewebe aber erneute Entzündungen möglich


Wiederholte akute Entzündungen und Vergrößerungen der Gaumenmandeln (Tonsillen) betreffen besonders Kinder und Jugendliche. In Deutschland hat sich bisher keine einheitliche Indikationsstellung zum operativen Entfernen der Gaumenmandeln etabliert, ob teilweise (Tonsillotomie) oder vollständig (Tonsillektomie). Die Operationshäufigkeiten unterscheiden sich regional bisweilen erheblich.

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) untersucht, ob die Tonsillotomie Vorteile bietet. Demnach stehen sich kurzfristige Vorteile und langfristige Nachteile der Tonsillotomie im Vergleich zur Tonsillektomie gegenüber:

Die Tonsillotomie ist innerhalb der ersten beiden Wochen mit weniger Schmerzen sowie Schluck- und Schlafstörungen verbunden. Nachwachsendes Gewebe kann nach einer Tonsillotomie aber Nachteile mit sich bringen: So kann es auch Jahre nach einer Tonsillotomie wieder zu Entzündungen der Gaumenmandeln kommen. Deshalb kann auch eine erneute Operation notwendig werden.

Für den Vergleich mit einer konservativen Therapie, z. B. "abwartendes Beobachten" (watchful waiting), sind Nutzen oder Schaden der Tonsillotomie unklar, da sich dazu keine Studien identifizieren ließen.

Schmerzhafte Beschwerden beim Schlucken, Atmen und Schlafen

Zu den häufigsten Indikationen einer Tonsillektomie bei Kindern und Jugendlichen zählen die rezidivierende akute Tonsillitis und die Vergrößerung (Hyperplasie) der Tonsillen. Die Entzündung der Gaumenmandeln (Tonsillitis) wird durch Viren oder Bakterien ausgelöst und geht einher mit Schmerzen, Schluckbeschwerden und Fieber. Eine Tonsillen-Hyperplasie kann zu verengten Atemwegen (Obstruktion) und dadurch auch zu Atmungsstörungen beim Schlaf (z. B. Schlafapnoe-Syndrom) führen.

Kurzfristig weniger postoperative Beschwerden

Innerhalb von zwei Wochen nach dem Eingriff traten bei der Tonsillotomie weniger Schmerzen und weniger Schluck- und Schlafstörungen auf als bei der Tonsillektomie. Daraus lässt sich ein Anhaltspunkt für beziehungsweise ein Hinweis auf einen geringeren Schaden der Tonsillotomie ableiten.

Für den weiteren Verlauf nach dem Eingriff zeigte sich aber kein Anhaltspunkt für einen höheren oder geringeren Nutzen oder Schaden beim Vergleich von Tonsillotomie und Tonsillektomie.

Langfristige Nachteile durch nachwachsendes Gewebe möglich

In Bezug auf rezidivierende Tonsillitis und HNO-Infektionen fand sich ein Anhaltspunkt für einen geringeren Nutzen der Tonsillotomie: Bei fünf von 43 Patienten mit Tonsillen-Hyperplasie, die in der Studie Chaidas untersucht wurden, traten sechs Jahre nach einer Tonsillotomie erneut Entzündungen am verbliebenen Tonsillengewebe auf. Bei den 48 Studienteilnehmern, bei denen die Tonsillen vollständig entfernt wurden (Tonsillektomie), zeigten sich dagegen keine weiteren Entzündungen.

Weil das Gaumenmandelgewebe bei der Tonsillotomie nur teilweise entfernt wird, besteht ein Risiko für das Nachwachsen und damit auch für das Wiederauftreten von Symptomen. Außerdem könnte eine weitere Operation nötig werden. Mangels hinreichender Daten zur erneuten Tonsillenoperation gibt es zu diesem Endpunkt aber keinen Anhaltspunkt für Nutzen oder Schaden der Tonsillotomie im Vergleich zur Tonsillektomie.

Nutzen und Schaden bleiben in vielerlei Hinsicht unklar

Nur eine von 19 relevanten Studien zur Tonsillotomie gilt als nicht verzerrt, alle anderen 18 Studien liefern nur mäßig verlässliche bis unsichere Ergebnisse. Zudem ist die Studienlage zum Endpunkt gesundheitsbezogene Lebensqualität mit einer Studie mehr als dürftig.

Mögliche Vorteile der Tonsillotomie, die in der wissenschaftlichen Literatur häufig genannt werden - z. B. eine geringere Rate postoperativer Komplikationen (u. a. Infektionen und Blutungen) und eine schnellere Genesung -, werden durch die vorliegenden Studiendaten nicht bestätigt: Bezüglich patientenrelevanter Endpunkte wie postoperative Blutungen, Krankenhaus-Aufenthaltsdauer und (erneute) Hospitalisierung sowie die gesundheitsbezogene Lebensqualität fanden sich in den Studiendaten keine Anhaltspunkte für Nutzen oder Schaden der Tonsillotomie im Vergleich zur Tonsillektomie. Mangels Daten zur Sterblichkeit (Mortalität) lässt sich auch zu diesem Endpunkt keine Nutzenaussage machen.

Zum Vergleich der Tonsillotomie mit einer konservativen Behandlung (z. B. watchful waiting) ließen sich gar keine Studien identifizieren, sodass hier Nutzen und Schaden ebenfalls unklar bleiben.

Zum Ablauf der Berichtserstellung

Die vorläufigen Ergebnisse, den sogenannten Vorbericht, hatte das IQWiG im November 2016 veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. Nach dem Ende des Stellungnahmeverfahrens wurde der Vorbericht überarbeitet und als Abschlussbericht im Januar 2017 an den Auftraggeber versandt. Die eingereichten schriftlichen Stellungnahmen werden in einem eigenen Dokument zeitgleich mit dem Abschlussbericht publiziert. Der Bericht wurde gemeinsam mit externen Sachverständigen erstellt.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.iqwig.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution906

Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Dr. Anna-Sabine Ernst, 03.03.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2017

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