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DERMATOLOGIE/603: Neurodermitis - Wo der Juckreiz herkommt (DFG)


forschung 2/2011 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Wo der Juckreiz herkommt

von Natalija Novak


Neurodermitis ist eine der häufigsten Hautkrankheiten - und eine der quälendsten. Entstehung und Verlauf des chronischen Leidens werden von zahlreichen Faktoren bestimmt. Besonders bedeutsam sind molekulare Mechanismen, die wie die Teile eines Puzzles ineinandergreifen.


Trockene und gerötete Haut, schuppende Ekzeme, quälender Juckreiz: Die Neurodermitis, auch atopische Dermatitis genannt, gehört zu den häufigsten Hautkrankheiten überhaupt - und ist in ihrer Entstehung zugleich ein komplexes und faszinierendes Puzzle. Einfach gesagt handelt es sich um eine chronische Entzündung der Haut mit wiederkehrenden akuten Ekzemschüben. Während die Erkrankung in manchen Fällen mild verläuft, geht sie in anderen mit heftigen, zumeist nächtlichen Juckreizattacken einher, die zu Schlafmangel und Leistungseinbußen führen. Die Krankheit kann zu einer empfindlichen Belastung werden.

In Deutschland ist heutzutage jedes fünfte Kleinkind von einer atopischen Dermatitis betroffen. Bei vielen verliert sich die Erkrankung bis zur Pubertät, aber immerhin bei einem bis drei Prozent der Erwachsenen bleibt sie bestehen. Mitunter tritt die atopische Dermatitis überhaupt erst im Erwachsenenalter auf. Je nach Lebensabschnitt finden sich die Ekzeme im Gesicht, in Ellbeugen oder Kniekehlen, an Kopf, Hals oder Händen. Doch was genau steckt hinter dem Hautleiden?

Man weiß, dass eine Vielzahl von Einflüssen bei der Neurodermitis im Spiel ist - sowohl bei ihrer Entstehung als auch beim Aufflammen der Entzündungsherde. Zu diesen sogenannten Triggerfaktoren zählen etwa Hautbakterien, Viren und Pilze, Allergene aus Nahrung und Luft, psychischer Stress sowie mechanische Irritationen durch Schwitzen oder bestimmte Textilien.

Bemerkenswert ist der Stellenwert der genetischen Veranlagung. So verdoppelt sich das Risiko eines Kindes, an Neurodermitis zu erkranken, wenn bereits ein Elternteil an einer atopischen Erkrankung leidet. Zu den Atopien - die alle durch immunologische Überempfindlichkeitsreaktionen charakterisiert sind - zählen neben der Neurodermitis etwa Heuschnupfen oder Asthma. Sind beide Eltern von einer Atopie betroffen, verdreifacht sich bei ihren Kindern das Neurodermitis-Risiko sogar.

Was die Sache allerdings knifflig macht, ist, dass sich diese erbliche Komponente - anders als bei klassischen Erbkrankheiten - nicht auf ein einzelnes genetisches Merkmal zurückführen lässt. Vielmehr scheinen multiple Gene untereinander sowie mit Umweltfaktoren in Wechselwirkung zu stehen.

Ein mutmaßliches Schlüsselelement in diesem komplexen Krankheitsprozess konnten jüngere Forschungen gleichwohl dingfest machen: Filaggrin. Dabei handelt es sich um ein spezielles Eiweiß, das von bestimmten Hautzellen, den Keratinozyten, produziert wird. Offenbar können Veränderungen im Filaggrin-Gen die Barrierefunktion der Oberhaut (Epidermis) stören. Bemerkenswerterweise sind diese Mutationen bei Neurodermitis-Patienten besonders häufig.

Ein anschauliches Modell für die epidermale Barriere, die als Schutzschild des Organismus fungiert, ist eine Backsteinmauer (siehe [in der Originalpublikation] Grafik unten). Entscheidend zum Verständnis ist, dass die obersten "Backsteine", die Hornzellen der Haut (Korneozyten), kontinuierlich nach außen abgestoßen werden und sich die "Mauer" durch das Nachrücken der darunter liegenden Keratinozyten erneuert. Auf ihrer Wanderung nach oben verwandeln sich Keratinozyten zu komplett verhornten Korneozyten.

Genau hier kommt Filaggrin ins Spiel. Das Eiweiß ist unerlässlich, damit sich eine feste Hornhülle um die Zellen bildet und die mechanische Hautbarriere aufrechterhalten wird. Die Spaltprodukte des Filaggrins, die Filaggrin-Peptide, sind darüber hinaus an der Regulierung des Wasserhaushalts und des pH-Werts der Haut beteiligt. Beides spielt für die Hautfunktion eine bedeutende Rolle. So beginnt bei Neurodermitis-Patienten mit Mutationen im Filaggrin-Gen die Krankheit sehr früh und verläuft lange und schwer.

Doch was hat die Störung der mechanischen Hautbarriere mit der chronischen Entzündung zu tun, die für die atopische Dermatitis so charakteristisch ist? Eine einfache Antwort liegt darin, dass bei einer geschwächten Hornschicht Allergene und Keime von außen leichter in die Haut eindringen und dort immunologische Entzündungsprozesse in Gang setzen können. Tatsächlich trägt die Immunabwehr ganz wesentlich zur Schutzwirkung des Hautmantels bei. Diese Immunmechanismen sind allerdings bei Patienten mit atopischer Dermatitis nicht selten verändert. Zur Schwächung der mechanischen Hautbarriere kommen dann immunologische Fehlregulationen hinzu.

Heute weiß man, dass bei der Entstehung der Neurodermitis sowohl Störungen des angeborenen als auch des erworbenen Immunsystems eine Rolle spielen können. Das angeborene Immunsystem stellt ein evolutionär sehr altes und effizientes System von Abwehrmechanismen gegen feindliche Signale aus der Umwelt dar.

Beispielsweise dienen spezielle Zellrezeptoren, sogenannte Pattern-Recognition-Rezeptoren, auf den Hautzellen dazu, charakteristische Bestandteile von Krankheitserregern zu detektieren. Für manche dieser Rezeptoren (darunter die Toll-like-Rezeptoren 2, 4 und 9) sind inzwischen Modifikationen und Strickfehler in den zugehörigen Genen bekannt, die sich bei Menschen mit atopischer Dermatitis häufiger finden als in der Allgemeinbevölkerung. Bei einem Teil der Patienten könnte also eine defiziente Signalerkennung durch das angeborene Immunsystem zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber bakteriellen oder viralen Infektionen führen. Zudem ist bekannt, dass die von Hautzellen natürlicherweise gebildeten antimikrobiellen Peptide (wie etwa Beta-Defensine oder Cathelicidin) in der Haut von Neurodermitis-Patienten vermindert freigesetzt werden.

Noch wichtiger für den Krankheitsprozess dürften indes die sogenannten dendritischen Zellen sein. Diese Immunzellen durchspannen mit feinen Ausläufern (Dendriten) die oberen Hautschichten und fungieren als immunologische Wachposten des Körpers: Sie verleiben sich eingedrungene Antigene ein, wandern in die Lymphknoten und alarmieren dort ihre immunologischen Partner, die T-Zellen. Auf diese Weise bilden dendritische Zellen eine Schnittstelle zwischen der vergleichsweise einfachen angeborenen und der hoch anpassungsfähigen erworbenen (adaptiven) Immunabwehr, die wesentlich durch T-Zellen gesteuert wird.

Der klassische Vertreter der dendritischen Zellen in der Haut ist die "Langerhans-Zelle". Im akuten Ekzemschub bei Neurodermitis nehmen Langerhans-Zellen Allergene in sich auf und aktivieren spezifische T-Zellen. Zudem locken sie mit Signalstoffen weitere dendritische Zellen in die oberen Hautschichten. Diese verstärken nun ihrerseits durch hoch aktive Immunbotenstoffe das Entzündungsgeschehen (siehe [in der Originalpublikation] Grafik oben).

Noch ein anderer, bisher nur unvollständig aufgeklärter immunologischer Mechanismus trägt zur Verselbstständigung der Erkrankung bei: die sogenannte IgE-Autoreaktivität. Gemeint ist damit das Phänomen, dass sich bei einer atopischen Dermatitis bestimmte Antikörper mitunter gegen die Haut selbst richten. Ein möglicher Grund dafür liegt darin, dass durch das häufige Kratzen auf juckenden Hautpartien auch Proteine von außen eindringen, die körpereigenen Eiweißstrukturen stark ähneln ("molekulares Mimikry"). Antikörper, die das Immunsystem gegen diese äußeren Antigene produziert, würden daher in der Folge ebenso die eigene Haut angreifen. Zumindest teilweise könnte dies erklären, warum es bei einigen Patienten auch ohne erkennbaren äußeren Auslöser zu schweren Erkrankungsschüben kommen kann.

Klar ist indes, dass all diese Mechanismen trotz ihrer Komplexität nur einen Ausschnitt des Erkrankungsprozesses abbilden. Noch viele weitere Faktoren sind nach heutigem Verständnis bei der Neurodermitis im Spiel, wobei die jeweils unterschiedliche Kombination und Gewichtung der einzelnen Ursachen dazu führt, dass die Erkrankung von Patient zu Patient ganz verschieden verläuft. Ziel heute ist, über die verfügbaren Standardtherapien hinaus auch individualisierte, auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Behandlungsansätze für die Neurodermitis zu entwickeln. Das wachsende Wissen um ihre Entstehungsmechanismen wird helfen, dieses Ziel zu erreichen.


Prof. Dr. Natalija Novak leitet die Allergologie, Neurodermitis-Sprechstunde sowie Experimentelle Allergologie und Immundermatologie an der Universitäts-Hautklinik Bonn.

Adresse: Klinik für Dermatologie und Allergologie, Universität Bonn, Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn

DFG-Förderung bis zum Jahr 2010 als Heisenberg-Stipendiatin und Heisenberg-Professorin sowie aktuell im Rahmen des SFB 704.

www.ukb.uni-bonn.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafiken der Originalpublikation:

Das Backsteinmauermodell der Hautbarriere: Die Zellen in der oberen Hornschicht, die Korneozyten, gleichen Backsteinen. Werden diese nach außen abgestoßen, rücken andere Zellen, die Keratinozyten, von unten nach und bilden eine feste Hornhülle. Eine Störung dieses Verhornungsprozesses begünstigt die Neurodermitis.

Schema des akuten Ekzemschubs bei Neurodermitis: Am Anfang des komplexen Entzündungsprozesses stehen "Langerhans-Zellen" (LC), die Allergene aufnehmen und bestimmte T-Zellen (Th0) aktivieren. Später scheint die Balance zwischen LC, entzündlichen dendritischen Zellen (IDEC) sowie verschiedenen T-Zell-Typen mit ihren jeweiligen Botenstoffen (IL) über den Verlauf der Krankheit zu entscheiden.


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Quelle:
forschung 2/2011 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 9-12
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2012