Westfälische Wilhelms-Universität Münster - 21.08.2017
Expertengruppe schlägt umfassende Reform des Heilpraktikerberufs vor
Eine 17-köpfige Expertengruppe mit Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert (Universität Münster) an der Spitze hat Vorschläge erarbeitet, wie das Heilpraktikerwesen zum Nutzen der Patienten reformiert werden sollte. Der Appell der Experten richtet sich gegen die ihrer Einschätzung nach "unangemessene Ausbildung und die meist unhaltbaren Krankheitskonzepte" der Heilpraktiker. Demnach sollte der Beruf entweder abgeschafft oder durch die Einführung spezialisierter "Fach-Heilpraktiker" als Zusatzqualifikation für bestehende Gesundheitsfachberufe abgelöst werden.
Auf Initiative von Bettina Schöne-Seifert, Professorin für Medizinethik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), hat eine 17-köpfige Expertengruppe ("Münsteraner Kreis") Vorschläge erarbeitet, wie das Heilpraktikerwesen zum Nutzen der Patienten reformiert werden sollte. Der Appell der Experten richtet sich gegen die ihrer Einschätzung nach "unangemessene Ausbildung und die meist unhaltbaren Krankheitskonzepte" der Heilpraktiker.
Der Münsteraner Kreis hat jetzt das "Münsteraner Memorandum Heilpraktiker" verabschiedet, über das im Deutschen Ärzteblatt berichtet worden ist. Darin werden zwei Lösungsvorschläge skizziert: 1. Der Heilpraktikerberuf wird abgeschafft 2. Der Heilpraktikerberuf wird abgelöst durch die Einführung spezialisierter "Fach-Heilpraktiker" als Zusatzqualifikation für bestehende Gesundheitsfachberufe.
• Zum Hintergrund: Im deutschen Gesundheitswesen existieren nach Meinung
der Expertengruppe zwei Parallelwelten - die Welt der akademischen Medizin
und die Welt der Heilpraktiker. Während die akademische Medizin auf
wissenschaftlichen Fakten beruhe und nach begründetem Fortschritt strebe,
seien Heilpraktiker in der sogenannten "Komplementären und Alternativen
Medizin (KAM)" verankert. Auch der Ausbildungsgang ist verschieden: Während
Mediziner ein langes Studium absolvieren, ist die Ausbildung zum
Heilpraktiker kurz und weitgehend unreguliert. Da Heilpraktiker gleichwohl
das Etikett "staatlich anerkannt" bekämen, könnten Patienten leicht den
Eindruck gewinnen, dass es sich bei Medizinern und Heilpraktikern um
gleichwertige Alternativen handele.
Seit vielen Jahren gibt es immer wieder teilweise intensiv geführte
Diskussionen um das Thema Komplementäre und Alternative Medizin. Zu den
hunderten von Verfahren wurden zahlreiche klinische Studien durchgeführt,
deren Qualität allerdings häufig sehr gering ist. Überzeugende Belege für
eine Wirksamkeit fehlen meist. Zudem widersprechen die tradierten
Krankheitskonzepte und Interventionen oft fundamentalen
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.
Die Autoren sind überzeugt, dass ihre Lösungsvorschläge das Vertrauen in das deutsche Gesundheitswesen stärken und die Versorgung verbessern würden. Das Label "staatlich anerkannt" wäre in Folge einer Reform wieder ein echtes Qualitätsmerkmal, an dem sich Patienten orientieren könnten. Der Münsteraner Kreis ruft Institutionen und Einzelpersonen auf, sich dem Statement anzuschließen. Dadurch sollten Politiker motiviert werden, das Heilpraktikerwesen nicht nur kosmetisch, sondern grundlegend zu reformieren.
"Im Lauf der Jahre ist bei meinen Mitarbeitern und mir das dringende Bedürfnis entstanden, der Problematik von Alternativmedizin auf den Grund zu gehen", betont Bettina Schöne-Seifert. Aus diesem Grund hatte sie im Juni 2016 ausgewiesene KAM-Experten verschiedener Fachrichtungen nach Münster eingeladen, um über KAM und das Heilpraktikerwesen zu diskutieren. Einige Experten des daraufhin gegründeten "Münsteraner Kreises" brachten dazu ihre eigenen Forschungsergebnisse zu den von Heilpraktikern angebotenen Verfahren sowie der Motivation der Patienten ein. "Wir wollten ausloten, wie ein solidarisches Gesundheitswesen verantwortlich und fair mit dem Clash zwischen gefährlicher Pseudowissenschaft und Selbstbestimmung umgehen sollte", unterstreicht die Medizin-Ethikerin. "Um es deutlich zu sagen: Wir wollten den gegenwärtigen Irrsinn nicht länger hinnehmen."
Um nicht nur medizinische, sondern auch ethische, wissenschaftstheoretische, psychologische und juristische Aspekte einzubeziehen, wurde der Münsteraner Kreis bewusst interdisziplinär aufgestellt. Die Arbeit der Gruppe wurde nicht von Dritten finanziell unterstützt, und die Mitglieder sind frei von Interessenkonflikten.
Die Autoren des "Münsteraner Memorandums Heilpraktiker" im Einzelnen
(* federführende Hauptautoren):
Prof. Dr. Manfred Anlauf, Mitglied der Arzneimittelkommission der
Bundesärztekammer, Bremerhaven; Dr.-Ing. Norbert Aust,
Informationsnetzwerk Homöopathie, Hamburg; Dr. Hans-Werner Bertelsen,
Praxis für Zahnmedizin, Bremen; Juliane Boscheinen, Medizinrecht
(Rechtsanwältin), Saarbrücken; Prof. Dr. Dr. Edzard Ernst, University of
Exeter; Dr. Daniel R. Friedrich*, Institut für Ethik, Geschichte und
Theorie der Medizin, WWU Münster; Dr. Natalie Grams, Informationsnetzwerk
Homöopathie, Roßdorf; Prof. Dr. Paul Hoyningen-Huene, Zentrale Einrichtung
für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsethik, Universität Hannover;
Prof. Dr. Jutta Hübner, Stiftungsprofessorin für Integrative Onkologie der
Deutschen Krebshilfe am Universitätsklinikum Jena; Prof. Dr. Dr. Peter
Hucklenbroich, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, WWU
Münster; Prof. Dr. Dr. Heiner Raspe, ehem. Institut für Sozialmedizin,
Universität Lübeck, jetzt Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der
Medizin, WWU Münster; Dr. Jan-Ole Reichardt*, Institut für Ethik,
Geschichte und Theorie der Medizin, WWU Münster; Prof. Dr. Norbert
Schmacke, Versorgungsforschung, Institut für Public Health und
Pflegeforschung, Universität Bremen; Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert*,
Lehrstuhl für Ethik der Medizin, WWU Münster; Prof. Dr. Oliver R. Scholz,
Philosophisches Seminar der WWU Münster; Prof. Dr. Jochen Taupitz,
Medizinrecht, Universität Mannheim; Dr. Christian Weymayr*, freier
Wissenschafts- und Medizinjournalist, Herne.
Weitere Informationen finden Sie unter
http://daebl.de/BB3 Münsteraner Memorandum Heilpraktiker
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution72
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Norbert Robers, 21.08.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2017
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