Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → REPORT


INTERVIEW/008: Europas Auge - Konsens, Plural und Programme ...    Anne Durupty im Gespräch (SB)


Mit Offenheit und Transparenz Brücken bauen

Interview am 5. Februar 2016 in Hamburg


Die Generaldirektorin von ARTE France, Anne Durupty, hat im Januar 2016 die Nachfolge von Véronique Cayla angetreten, die bis dahin an der Spitze von ARTE GEIE (Groupement Européen d'Intérêt Économique) stand. An dieser Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung mit Sitz in Strasbourg sind ARTE Deutschland und ARTE France gleichberechtigt beteiligt. Aufgrund des turnusmäßigen Wechsels an der Spitze des deutsch-französischen Kulturkanals nimmt Anne Durupty nun die Position der Vizepräsidentin des Senders ein, während SWR-Intendant Peter Boudgoust seit Januar des Jahres als sein Präsident fungiert. Am Rande der arte-Jahrespressekonferenz in Hamburg hatte der Schattenblick Gelegenheit, Anne Durupty einige Fragen zur Politik und Organisation des Senders zu stellen.


Auf der arte-Jahrespressekonferenz - Foto: © 2016 by Schattenblick

Anne Durupty
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Madame Durupty, in der Pressekonferenz haben Sie die Werte erwähnt, die für arte verbindlich sind. Könnten Sie umreißen, worum es dabei geht?

Anne Durupty (AD): Wenn ich den wichtigsten Wert nennen sollte, würde ich sagen, daß es sich um Offenheit handelt, die Offenheit für den anderen, für andere Länder, für andere Kulturen, für die Welt. arte ist ein Sender, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, aus einer gewissen Distanz heraus mit Hilfe der Kultur, mit Aktualität und Aufklärung die Bevölkerungen Europas in die Lage zu versetzen, einander besser zu verstehen.

SB: 2015 war aufgrund der Anschläge in Paris ein besonders bedeutsames Jahr für Frankreich. Inwiefern verfolgt arte eine Strategie, den sich aufbauenden Kulturkampf zwischen der islamischen und der europäischen Welt zu entschärfen? Gibt es Versuche, Aufklärung und Integration in Richtung Islam zu verbessern?

AD: Wir versuchen auf jeden Fall immer, Erklärungen und Hintergründe in Form von Dokumentationen verfügbar zu machen, die aber eigentlich über das Maß aktueller Berichterstattung hinausgehen. Um so dramatischen Ereignissen wie den Attentaten oder auch aktuellen Themen in Europa, die sehr komplex sind wie die Flüchtlingskrise, gerecht zu werden, besteht unser Konzept darin, daß wir in einem Abstand von wenigen Wochen Themenabende anbieten. So ging es im Falle der Anschläge darum, deren Hintergründe mit verschiedenen Dokumentationen etwa über den Islamischen Staat (IS) zu beleuchten, die dann im Rahmen eines solchen Themenabends gezeigt werden, um zum tieferen Verständnis dieser Ereignisse beizutragen.

SB: Angekündigt für dieses Jahr ist zum Beispiel eine historische Dokumentation über die Geschichte des Niedergangs des Osmanischen Reiches. Wie wird innerhalb des Senders mit der Frage umgegangen, wer über die erhebliche Deutungsmacht, über die Medien im audiovisuellen Bereich verfügen, in einem so komplexen Thema verfügt?

AD: Ich weiß nicht, wie es in diesem Fall ist, aber oft ist es so, daß wir große Dokuserien produzieren, die von mehreren Ländern zusammen produziert werden. Das haben wir beispielsweise über den Ersten Weltkrieg mit "Des armes et des mots"/"Tagebücher des Ersten Weltkriegs" oder zum Ende des Kommunismus mit "Adieu camarades!/Lebt wohl, Genossen!" etc. gemacht. Auf diese Weise sind zumindest die Sichtweisen der französischen und deutschen Autoren repräsentiert, oft aber auch von Autoren aus vier, fünf oder sechs europäischen Ländern. Diese Meinungsvielfalt, so glaube ich, ist eine Antwort auf die Komplexität der Themen.

SB: Wir hatten in der Bundesrepublik gerade eine aktuelle Diskussion, bei der es um die Frage ging, ob die rechtspopulistische Partei AfD an einer TV-Debatte zum Landtagswahlkampf auftreten sollte oder nicht. Wie wird damit in Frankreich hinsichtlich des Front National umgegangen? Gibt es einen offiziellen Standpunkt von arte zu dieser Frage?

AD: Die Frage stellt sich für arte eigentlich nicht so direkt in dieser Form, da arte zwar in seinen Nachrichtensendungen über Wahlkämpfe informiert, aber keine innenpolitisch akuten Fragen der nationalen französischen Politik behandelt. Eine Diskussionsrunde zum Beispiel zu einem nationalen Thema wie Wahlen in Frankreich oder Wahlen in Deutschland, wo es dann um die Frage gehen könnte, ob man jemanden einlädt oder nicht, wird es bei arte in der Form nicht geben. Da würde eher eine Dokumentation rund um dieses Thema herum oder die Aussage der einen oder anderen gewählten Person ausgestrahlt.

SB: In einer Mitte 2015 auf arte ausgestrahlten Dokumentation über Datenschutz im Internet meinte der ehemalige Präsidentenberater Jaques Attali zur Verabschiedung neuer geheimdienstlicher Überwachungsmöglichkeiten in Frankreich, daß sich die Exekutive der richterlichen Kontrolle entziehe, er darin aber erst ein Problem sehen würde, wenn der Ausnahmezustand ausgerufen würde. Inzwischen herrscht in Frankreich der Ausnahmezustand, was insbesondere für investigativ tätige Journalisten ein Problem etwa des Informantenschutzes darstellen kann. Wie geht arte mit einer solchen Entwicklung um?

AD: Das sind im Grunde zwei Fragen. Zuerst dazu, wie arte selbst mit personenbezogenen Daten umgeht. Technisch ist das eine recht komplizierte Angelegenheit, aber wir versuchen dennoch, größtmögliche Transparenz gegenüber dem Zuschauer zu wahren, indem wir ihm sagen, was mit seinen Daten, die wir erheben, wenn er auf unsere Angebote zurückgreift, überhaupt geschieht. Es geht im wesentlichen darum, diese Transparenz sicherzustellen, weil die entsprechenden Algorithmen zur Erfassung der Daten mitunter problematisch sein können. So sollen sich die Empfehlungen des Senders auf die Programme beziehen und nicht im Endeffekt eine Funktion der Algorithmen darstellen.

Die andere Frage, die Sie stellen, ist komplizierter, denn es geht ja um den Ausgleich, den man zwischen Datenschutz und persönlicher Freiheit finden muß. Im Zusammenhang mit den Anschlägen in Frankreich und den Sicherheitsmaßnahmen kann man wirklich sagen, daß ein Krieg auf der digitalen Ebene, auf der Ebene der Daten stattfindet. Ich habe nicht mehr alle Einzelheiten dieses Gesetzestextes im Kopf, aber wenn ich mich recht erinnere, ist es dennoch so, daß die letztliche Entscheidung über die Verwendung der Daten etwa für Ermittlungen bei einem Richter liegt. Wir leben in Frankreich genauso wie in Deutschland in einem Rechtsstaat, in dem es verfassungsrechtlich verbriefte Grundsätze gibt, die sicherstellen, daß die Kontrolle durch einen Richter in letzter Instanz gewährleistet ist.

SB: In Paris fand Ende letzten Jahres der UN-Klimagipfel statt, der von arte mit zahlreichen Berichten über klimatische Veränderungen in aller Welt begleitet wurde. Inwiefern fühlen Sie sich auch in Zukunft sozialökologischen Themenstellungen verpflichtet? Gibt es so etwas wie eine Programmpolitik, die festlegt, daß solche Themen auch jenseits hochaktueller Anlässe betreut werden?

AD: Das Thema Umwelt ist an vielen Stellen im arte-Programm zu finden. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, wird es in Kürze eine Dokumentation über Überschwemmungen geben. Vor kurzem ging es im Schwerpunkt des Abendprogramms um Luftverschmutzung. Das arte-Programm repräsentiert auf der einen Seite die Kultur, ist auf der anderen Seite aber auch um die Entschlüsselung der heutigen Welt und der großen Herausforderungen der Gesellschaft bemüht. Das ist auf eine gewisse Neuausrichtung im arte-Programm vor etwa fünf Jahren zurückzuführen. Man möchte mehr auf aktuelle Themen und ihre Hintergründe und Zusammenhänge eingehen, und in diesen Bereich fällt natürlich auch das Thema Umwelt.

SB: Welche Instanz innerhalb des Senders entscheidet letztendlich über Fragen der inhaltlichen Ausrichtung?

AD: Die große redaktionelle Linie und das Grundkonzept des Programmschemas werden von der französisch-deutschen Mitgliederversammlung beschlossen. Die konkrete Programmauswahl wird dann im Anschluß von der Programmkonferenz getroffen. Der Vorsitzende der Programmkonferenz, in die die deutsche und französische Seite eingebunden sind, ist der Programmdirektor von ARTE GEIE, der arte-Zentrale in Straßburg. Man muß sagen, daß es wirklich eine sehr gemeinschaftliche Form des Arbeitens ist, denn in 95 Prozent der Fälle werden die Entscheidungen anhand eines Konsenses getroffen, da herrscht Einigkeit. Falls es dennoch erforderlich sein sollte, hat der Programmdirektor der arte-Zentrale das letzte Wort, denn er ist auch für die Koordinierung der deutschen und französischen Zusammenarbeit verantwortlich.

SB: Madame Durupty, vielen Dank für das Gespräch.


Bericht über die arte-Jahrespressekonferenz

BERICHT/007: Europas Auge - arte im Wandel ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mreb0007.html

15. Februar 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang