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PREIS/1891: Rolf Gössner erhält den Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik 2012 (NRhZ)


NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung
Online-Flyer Nr. 352 vom 02.05.2012

Auszeichnung für den Bürgerrechtler und Publizisten Rolf Gössner

Dritter Kölner Karls-Preis

Von Peter Kleinert



Am Dienstag, 15. Mai, wird die NRhZ zum dritten Mal den "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" vergeben. Der Namensgeber des Preises, Karl Marx, war vom 1. Juni 1848 bis zu deren Verbot am 19. Mai 1849 Redakteur der radikaldemokratisch-sozialistischen Neuen Rheinischen Zeitung in Köln. Den Preis 2012 erhält der Bremer Bürgerrechtler, Publizist und Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner für seine Bücher und Vorträge, aktuell aber auch als Anerkennung für seinen Doppelsieg über die NRW-Verfassungsschutzbehörde und das Bundesamt für Verfassungsschutz, das ihn seit 1970 ununterbrochen - so das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln - "unverhältnismäßig und grundrechtswidrig" überwachen ließ. NRhZ-LeserInnen und weitere interessierte KölnerInnen sind ab 19 Uhr zu dieser Preisverleihung in die Gaststätte "Weißer Holunder" in der Gladbacher Straße 48, nahe dem Mediapark, herzlich eingeladen.

Die Laudatio auf Rolf Gössner wird der Kölner Publizist und erste Karls-Preis-Träger aus dem Jahr 2008, Werner Rügemer, halten. Vor der Preisverleihung zeigt das Kölner KAOS Kunst- und Video-Archiv den Fernsehfilm "Ein Staat sieht ROT - Opfer des Kalten Krieges - Warum Ex-Nazi-Richter unter Adenauer Antifaschisten zum zweiten Mal verurteilen durften", den Rolf Gössner 1994 als Co-Autor zusammen mit dem KAOS Film- und Video-Team gemacht hat. Für Unterhaltung wird unter anderem Klaus der Geiger sorgen.

Seit dem 16. August 2005 versucht die www.nrhz.de mit ihren ohne Honorare arbeitenden Redakteuren, Autoren, Fotografen und Informanten die Tradition der ursprünglichen Neuen Rheinischen Zeitung fortzusetzen. Mit journalistischen Beiträgen zu Themen, die in den üblichen Medien tabu sind oder zensiert werden, mit engagierter Literatur, Kunst, Satire, Videos und Fotografie. Weil auf dem Gebiet der Literatur schon seit Jahren Beliebigkeit vorherrscht und prämiert wird und kritische Publizistik kaum noch Verbreitung findet, sondern oft durch Gerichte zensiert wird, wird der Kölner Karls-Preis an Persönlichkeiten vergeben, die sich in der Tradition der Neuen Rheinischen Zeitung auf diesem Feld verdient gemacht haben. Da der Namensgeber am 5. Mai 1818 geboren wurde, erhält Rolf Gössner in diesem Jahr ein Preisgeld von 194 Euro, eine Karl Marx-Münze und - wenn er Zeit dafür findet - einen Urlaub auf der heute türkischen Datca-Halbinsel zwischen Rhodos und Kos, wo einst der griechische Künstler Praxiteles seine weltbekannte Aphrodite über den Hafen des antiken Knidos gestellt hat. (1)

Rolf Gössner stand seit 1970 ununterbrochen unter Beobachtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) - schon als Jurastudent, später als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechtsanwalt und parlamentarischer Berater, später auch als Präsident/Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und als Mitherausgeber des alljährlich erscheinenden Grundrechte-Reports, der Zeitschrift Ossietzky, seit 2007 als gewähltes (parteiloses) Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft und sogar noch als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Erst am 13.11.2008, unmittelbar vor der ersten mündlichen Verhandlung in Köln, wurde die Beobachtung überraschend eingestellt. Es dürfte die längste Dauerbeobachtung einer unabhängigen Einzelperson durch den Geheimdienst gewesen sein, die bislang dokumentiert werden konnte - ohne dass diese jemals selbst als "Extremist" oder "Verfassungsfeind" eingestuft wurde.


Fast vier Jahrzehnte Überwachung

Im Februar 2011 erklärte schließlich das Verwaltungsgericht Köln die fast vier Jahrzehnte lange Überwachung Rolf Gors (64) durch das Bundesamt für Verfassungsschutz für unverhältnismäßig und grundrechtswidrig. Doch der Bürgerrechtler war außerdem vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht worden. Auch diese Überwachung und die Speicherung seiner Daten waren rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Düsseldorfin seinem im Dezember 2011 rechtskräftig gewordenen Urteil vom 19.10. 2011 nach dreieinhalbjährigem Prozess feststellte.

Nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten von Rolf Gössner, des Freiburger Anwalts Udo Kauß (Humanistische Union), wird dieses Urteil bundesweit erhebliche Auswirkungen auf die Datenverarbeitung aller 17 VS-Ämter des Bundes und der Länder haben. Udo Kauß: "Erstmals wird eine Geheimdienstbehörde durch ein Gericht verpflichtet, ihre Datenverarbeitung so zu organisieren, dass die VS-Bediensteten nur auf die gespeicherten Daten zugreifen ko, auf die das Gesetz für die jeweilige Aufgabe einen Zugriff erlaubt." Das Gericht hat den VS auch verpflichtet, durch technische Vorrichtungen sicher zu stellen, dass die Rechtmäßigkeit eines jeden Datenzugriffs im Nachhinein jederzeit überprüft werden kann. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so Kauß, "dann ist jegliche Speicherung und jeglicher Zugriff rechtswidrig und ein Eingriff in das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen."

Die Internationale Liga für Menschenrechte (ILMR) und die Humanistische Union werten das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf als eine "längst überfällige datenschutzrechtliche Absicherung des Grundrechts auf Informationelle Selbstbestimmung". Auf der Grundlage dieses Urteils fordern beide Organisationen nachdrücklich, bundesweit die gesetzwidrigen Praktiken unverzüglich einzustellen, wie dies in NRW inzwischen auch geschehen sein soll.

"Erschreckend sind die überkommenen Feindbilder und die Besessenheit, von denen sich der Verfassungsschutz auf Bundesebene bei seinem Vorgehen gegen einen anerkannten und hochgeschätzten Bürgerrechtler offenkundig leiten ließ", so ILMR-Präsidentin Fanny-Michaela Reisin, "und dies vier Jahrzehnte lang und - wie das Verwaltungsgericht Kou Beginn dieses Jahres eindeutig festgestellt hat - von Anfang an rechtswidrig! Ein Verfassungsskandal im Schutzgewand."

Rolf Gössner: "Dass ein Geheimdienst wie der Verfassungsschutz über vier Jahrzehnte unkontrolliert und rechtswidrig eine unabhängige Einzelperson beobachten, personenbezogene Daten erfassen, sammeln, auswerten und übermitteln kann und dass er dann auch noch den größten Teil der Personenakte geheim halten darf, beweist die These, dass es sich letztlich um eine demokratieunverträgliche Institution handelt, für die das Prinzip demokratischer Transparenz und Kontrollierbarkeit praktisch nicht gilt." Dieses Urteil sei "eine herbe Niederlage für den Inlandsgeheimdienst, dessen geheime Dauerüberwachungstätigkeit in vollem Umfang für unverhältnismäßig und rechtswidrig erklärt wird." (PK)

Anmerkung
(1)‍ ‍www.gebekum.de, www.praxiteles-stipendium.de


Einige Bücher von Rolf Gössner:

- Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes - Kriminelle im Dienst des Staates - Neuauflage 2012 als e-book mit aktuellem prolog bei droemer-knaur. Link zum downloaden für 6,99 Euro: http://bit.ly/J8XWNC oder bei anderen online-Buchhändlern. Die erste Auflage erschien beim Knaur-Verlag, München 2003, ISBN 3-426-77684-7

- Menschenrechte in Zeiten des Terrors. Kollateralschäden an der "Heimatfront", konkret-Literatur-Verlag, Hamburg 2007, ISBN 978-3-89458-252-4

- "Big brother" & Co.: der moderne Überwachungsstaat in der Informationsgesellschaft, konkret-Literatur-Verlag, Hamburg 2000, ISBN 3-89458-195-6

- Erste Rechts-Hilfe. Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 1999, ISBN 3-89533-243-7

- Die vergessenen Justizopfer des Kalten Krieges. Verdrängung im Westen - Abrechnung mit dem Osten?, Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-7466-8026-3

- Das Anti-Terror-System. Politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat, VSA-Verlag, Hamburg 1991, ISBN 3-87975-576-0

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Quelle:
NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2012