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INTERNATIONAL/010: Nigeria - Gespräche mit der Filmanalytikerin Foluke Ogunleye (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 114, 4/10

Film als Message
Gespräche mit der Filmanalytikerin Foluke Ogunleye über ihre Gedanken zum Film in Nigeria

Von Julia Krojer


Was steckt hinter der nigerianischen Filmproduktionsindustrie, die zu den drei größten, neben Hollywood in den USA und Bollywood in Indien, weltweit zählt? Wie spiegelt sich die nigerianische Gesellschaft in ihren Filmen wider? Welche Themen werden von den unabhängigen FilmemacherInnen aufgegriffen, und welche Ziele werden damit verfolgt?
Foluke Ogunleye spricht mit Julia Krojer über Entwicklungen und Sichtweisen des nigerianischen Filmbusiness.


Foluke Ogunleye arbeitet als Lektorin an der Obafemi Awolowo University, Ile Ife in Nigeria. Sie beschäftigt sich mit Theaterkunst und Film. Sie hat dazu verschiedene Publikationen herausgegeben und organisiert unter anderem das Filmfestival an derselben Universität, welches vor allem Frauen eine Plattform bieten soll, um sich im männerdominierten Filmbusiness etablieren zu können. Ihr Hauptinteresse liegt im Bereich "Film als Message". Kurz gesagt liegt ihr Fokus auf der Interaktion zwischen den ZuschauerInnen und den Filmen. Vor allem hat sie sich auf die Darstellung von Politik in Filmen spezialisiert und analysiert auch diese in Hinblick auf Kritik an der Korruption, die in Nigeria stattfindet.


Die Filmindustrie in Nigeria - ein eigener Weg

Nollywood ist der Name, unter dem wir die nigerianische Filmproduktionsindustrie außerhalb von Nigeria kennengelernt haben. Der Begriff wurde erstmals in der New York Times 2002 von Matt Steinglass erwähnt. Doch die nigerianische Filmindustrie hat mehr zu bieten als nur "Nollywood". Meist wird der Name mit den Entertainment-Produktionen in Verbindung gebracht, doch auch hier gibt es wesentliche Unterschiede. Ogunleye kritisiert diesen Namen aufgrund der terminologischen Ableitung der US-amerikanischen Filmindustrie "Hollywood". "Doch eigentlich haben die nigerianischen Filme nichts damit zu tun", meint sie. Ganz im Gegenteil dazu sind unabhängige FilmemacherInnen bestrebt, ihre eigene Ästhetik, ihre eigene Art und Weise, Filme zu machen, die speziell nigerianisch sind, als eigenständige Kunst zu etablieren, abseits der westlichen Welt und im Schatten derer. Deshalb fragt sich Ogunleye selbst, warum sie nicht ihren eigenen Namen haben können, der ihre eigene nigerianische Identität reflektiert und nicht mit einem Bindestrich versehen auf die USA zeigt.

Die Interviewpartnerin sieht die Rolle der nigerianischen Filmindustrie als einen künstlerischen Prozess, in dem schlechte Erfahrungen in kreative und lustige Arbeiten transformiert und verarbeitet werden. Weiters beschreibt sie Filmen als ein Fenster für die politische Geschichte Nigerias. Angefangen bei den Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien, die das Medium nach Afrika gebracht haben und es für Propagandazwecke verwendet haben. Weiters wurde Film für Regierungszwecke verwendet, und nur wenige der Zivilgesellschaft, wie beispielsweise Wole Soyinka, haben sich mit der eigenen Kultur und ihren Traditionen im Film beschäftigt. Heute sieht es ganz anders aus, und es gibt eine Bandbreite von FilmemacherInnen wie beispielsweise Tunde Kelani, Lola Fani-Kayode und Amaka Igwe, um nur wenige zu nennen. Ihre Aufgabe ist es aber nicht, dem Publikum zu zeigen, was und wie es denken soll, sondern vielmehr sollten die Filme einen Anstoß dazu geben, kritisch zu sein. Im informierenden, bildenden und gleichzeitig unterhaltenden Film liegt in diesem Sinne der Erfolg, laut der Interviewpartnerin.


POLITISCHE FILME UND DIE ROLLENZUSCHREIBUNG VON FRAUEN

Es gibt zwei Arten von politischen Filmen, einerseits jene, die von den PolitikerInnen selbst in Auftrag gegeben werden, die sogenannten Propagandafilme, und andererseits diejenigen, die von der Zivilgesellschaft produziert werden. Für die Propagandafilme verwendet Ogunleye den Begriff "hidden persuader - geheime/r VerführerIn", weil das Medium dafür verwendet wird, das Publikum im eigenen Interesse zu manipulieren und zu beeinflussen. Nigerianische PolitikerInnen verwenden dieses, um sich im besten Licht präsentieren zu können.

Im Gegensatz dazu werden Kritik und Lösungsvorschläge von unabhängigen FilmemacherInnen in Komödien und Dramen gepackt. In den Filmen wird die Gesellschaft mit ihren Herausforderungen, denen sie im alltäglichen Leben begegnen, reflektiert. In diesem Zusammenhang sieht Ogunleye Film in Nigeria als "popular art", welche von NigerianerInnen für NigerianerInnen gemacht wird, um Ausschnitte des Lebens darzustellen. Frauen nehmen oft in Spielfilmen stereotype Rollen ein, wie zum Beispiel einerseits als "Dekoration" im Sinne von schönen Gesichtern, andererseits werden sie als materialistisch geizig und eifersüchtig porträtiert, indem sie als Hexen, Rivalinnen, Prostituierte, Opfer usw. dargestellt werden. Laut nigerianischen KritikerInnen ist diese negative Darstellung von Frauen eine schlechte Reflexion der Gesellschaft. Aber es gibt auch populäre FilmemacherInnen, die diesen Stereotypisierungen von Frauen entgegentreten. Vor allem möchte ich hier den Filmemacher Tunde Kelani herausstreichen, dem es wichtig ist, mit starken Persönlichkeiten als Protagonistinnen, in ihren Rollen im Kontext zwischen Tradition und Moderne, zu arbeiten. Somit kann er den üblichen stereotypisierenden Frauenbildern in den sogenannten "Nollywood-Produktionen" entgegenwirken. In diesem Zusammenhang sind seine Filme "Thunderbolt 'Magun'", "The Narrow Path", "The Campus Queen" und "Arugbá" als wichtig zu erwähnen.


"Power of Film" - Film als Massenmedium für Bildung

Foluke Ogunleye vertritt weitgehend die Meinung, dass Filme einen wichtigen Beitrag für Bildung leisten können und die neuen Bücher von heute werden könnten. Aufgrund der hohen Analphabetenrate könnte somit einer großen Anzahl von Menschen der Zugang zur Bildung gewährleistet werden. Eine weitere Unterstützung dafür ist es, dass viele Filme neben Englisch auch in nigerianischen Sprachen, wie beispielsweise in Yoruba, Hausa und Igbo, produziert werden. Film ist zu einem Instrument für Bewegungen der nigerianischen Gesellschaft geworden, welche informierend, allgemein- und bewusstseinsbildend sind. Die Bevölkerung leidet aufgrund der schlechten Regierungsführung an strukturellen und politischen Problemen. Dies sehen aktive FilmemacherInnen als Anlass dazu, die politischen Themen zu adoptieren, in der Hoffnung, dass die PolitikerInnen diese auch wahrnehmen. Weiters bietet das Spielfilmformat ihnen die Möglichkeit, das Publikum hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten zu sensibilisieren. Für den Erfolg ist es wichtig, dass sich die Zielgruppe mit den Themen selbst identifizieren kann. Auf die Frage, ob die Lösungen, die in den Filmen angeboten werden, in dem westafrikanischen Land realisierbar sind, meinte Foluke Ogunleye, dass dies eine Frage der Zeit sei, da die Situation, wie sie jetzt ist, so nicht bleiben könne. Sie ist davon überzeugt, dass Filme zur sozialen Veränderung in Afrika beitragen können.


Literaturtipps:
- Ogunleye, Foluke (Hg.): African Video Film Today. (Manzini 2003)
- Ogunleye, Foluke (Hg.): Africa through the eye of the video camera. (Manzini 2008)

Webtipps:
http://folukeogunleye.yolasite.com
http://ifefilmfest.yolasite.com

Filmtipps: - Igwe, Amaka: Violated (I und II). (1996)
- Kelani, Tunde: Saworoide. (2000) /1 Kelani, Tunde: Agogo Ewo. (2002)



Anmerkungen:
(1) Name von der Redaktion geändert
(2) Siehe www.petitiononline.com/wlchan


Zur Autorin:
Julia Krojer hat sich im Zuge ihres Studiums Internationale Entwicklung an der Universität Wien auf Afrika und Film spezialisiert und schreibt derzeit ihre Diplomarbeit zum Thema "(Video-) Film in Afrika und seine Relevanz für Entwicklung am Beispiel der nigerianischen Filmproduktionsindustrie", für die sie vor Ort geforscht hat. Sie lebt in Wien und im Burgenland.

Webtipps:
www.sacom.hk
www.fair-spielt.de
www-evb.ch
www.suedwind.at


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 114, 4/2010, S. 12-13
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2011