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BERICHT/213: Prawda bedeutet Wahrheit (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 19 vom 11. Mai 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Prawda bedeutet Wahrheit
In revolutionärer Tradition

von Nina Hager

Die "Prawda" erlebte in den letzten 100 Jahren eine wechselvolle Geschichte. Vor wenigen Tagen, am 5. Mai 2012, feierte die Zeitung in Moskau runden Geburtstag und die UZ hat vor Ort gratuliert. Darüber werden wir in unserer nächsten Ausgabe berichten.

"Prawda" bedeutet, in unsere Sprache übersetzt, "Wahrheit". Das war und ist ein hoher Anspruch.

Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV

Die erste Ausgabe der Zeitung
Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV


1910: Ein neuer revolutionärer Aufschwung

Nach der Niederlage der russischen Revolution von 1905 bis 1907, nach harten Jahren des Kampfes gegen die Reaktion und der schwierigen Reorganisation der revolutionären Kräfte gegen Liquidatoren und den Opportunismus in der Arbeiterbewegung, kam es seit Mitte 1910 zu einem neuen Aufschwung der revolutionären Bewegung in Russland.(1)

Eine wichtige Rolle spielte in diesem Zusammenhang die V. Parteikonferenz der SDAPR, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, in Paris (21.-27. Dezember 1909), die einen Wendepunkt auf dem Weg der Festigung und Neuorientierung der Partei nach der Niederlage in der Revolution darstellte. Lenin schrieb später - zurückblickend -, dass es in jener Zeit nötig war "die Arbeit möglichst umfassend, richtig und energisch wiederaufzunehmen" (LW, Bd. 31, S. 12).

Mit Streiks in Moskau, Riga, Odessa, Warschau, Saratow und Kasan wandten sich im Jahr 1910 Arbeiterinnen und Arbeiter gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Ausbeutung. Im Jahr 1911 streikten bereits über 105.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. Zum ersten Mal seit mehreren Jahren gab es auch wieder politische Streiks im Land. Von Januar bis März 1911 kam es zudem zu einem allgemeinen Streik der Studierenden an fast allen Hochschulen des Landes gegen die reaktionäre Hochschulpolitik und die Verfolgung fortschrittlicher Studentinnen und Studenten. An der Moskauer Universität brachen Studentenunruhen aus. Aus Protest gegen die Repressalien der Polizei verließen 21 Professoren und viele Dozenten demonstrativ die Universität - unter ihnen bedeutende Gelehrte wie der Physiker Lebedjew, der Chemiker Selinkski sowie der Geochemiker Wernadski.

Nach heftigen Auseinandersetzungen und der Reorganisation der Parteiorganisationen der SDAPR nahmen diese ab 1910 wieder ihre Arbeit auf. Auf der VI. Parteikonferenz der Partei in Prag im Januar 1912 kam es zu einer Trennung der Bolschewiki, der revolutionären Kräfte in der SDAPR, von sogenannten Liquidatoren und opportunistischen Kräften und zur Ausarbeitung einer revolutionären, auf den Sturz des Zarismus gerichteten Strategie. Beraten wurde, wie in Russland angesichts des Aufschwungs der demokratischen antizaristischen Kräfte und der Arbeiterbewegung die illegale Arbeit mit legalen Formen des Kampfes verbunden werden könnte. "Womit beginnen?", hatte Lenin bereits elf Jahre zuvor in seiner gleichnamigen Broschüre gefragt und in diesem Zusammenhang auch auf die Rolle der Zeitung der Partei verwiesen (LW, Bd. 5, S. 3-13). "Wir brauchen vor allem eine Zeitung - ohne sie ist jene systematische Durchführung einer prinzipienfesten und allseitigen Propaganda und Agitation unmöglich, die die ständige und wichtigste Aufgabe der Sozialdemokratie im allgemeinen und eine besonders dringliche Aufgabe des gegenwärtigen Moments darstellt ..." Er betonte unter anderem: "Die Rolle der Zeitung beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Verbreitung von Ideen, nicht allein auf die politische Erziehung und die Gewinnung politischer Bundesgenossen. Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator. Was das letztere betrifft, kann sie mit einem Gerüst verglichen werden, das um ein im Bau befindliches Gebäude errichtet wird; es zeigt die Umrisse des Gebäudes an, erleichtert den Verkehr zwischen Drehern einzelnen Bauarbeitern, hilft ihnen, die Arbeit zu verteilen und die durch die organisierte Arbeit erzielten gemeinsamen Resultate zu überblicken. Mit Hilfe der Zeitung und in Verbindung mit ihr wird sich ganz von selbst eine beständige Organisation herausbilden, die sich nicht nur mit örtlicher, sondern auch mit regelmäßiger allgemeiner Arbeit befasst, die ihre Mitglieder daran gewöhnt, die politischen Ereignisse aufmerksam zu verfolgen, deren Bedeutung und Einfluss auf die verschiedenen Bevölkerungsschichten richtig zu bewerten und zweckmäßige Methoden herauszuarbeiten, durch die die revolutionäre Partei auf diese Ereignisse einwirken kann." Seit dem 29. Dezember 1910‍ ‍erschien in Russland in St. Petersburg bereits die Zeitschrift "Swesda" ("Stern"). Ab Januar 1911 wurde sie zweimal, ab März dreimal wöchentlich herausgegeben. Die Zeitschrift "Swesda" wurde wiederholt verboten, von insgesamt 63 Ausgaben wurden 30 beschlagnahmt.

Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV

1912: Die 'Prawda' wird gesetzt
Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV


Die revolutionäre Bewegung braucht ein Organ

Drei Monate nach der VI. Parteikonferenz kam es in Sibirien an der Lena zu einem Ereignis, das zum Fanal für die Arbeiterbewegung Russlands wurde: Am 4. April 1912 wurden streikende Arbeiter der "Lena-Gesellschaft für Goldgewinnung", die zu etwa drei Vierteln im Besitz englischer Kapitalgesellschaften war, zu dessen Eigentümern aber auch die Mutter des russischen Zaren und hohe Würdenträger gehörten, niedergemetzelt. Die Arbeiter hatten seit Februar unter der Führung von Bolschewiki für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen sowie für kürzere Arbeitszeiten gekämpft. Der Polizeiterror forderte 270 Tote, 250 Verwundete.(2)

Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV

Ermordete Arbeiter an der Lena
Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV

Ein Sturm der Empörung erfasste das Land. Allein in der damaligen Hauptstadt streikten 140.000 Arbeiterinnen und Arbeiter. 1912 kam es in Russland zu 3.000 Streiks mit 1,4 Millionen Teilnehmern, ein Jahr später streikten bereits zwei Millionen (hier differieren die Zahlen in den unterschiedlichen Quellen) und 1914, im August begann der 1. Weltkrieg, 1,3-1,4 Millionen. - Diese Zahlen mögen aus heutiger Sicht vielleicht gering erscheinen, aber Russland war damals ein in der industriellen Entwicklung zurückgebliebenes Land mit einer relativ kleinen Arbeiterklasse: etwa 3,5 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter, 150‍ ‍Millionen Bauern (meist bettelarm) bildeten die Mehrheit der Bevölkerung.

Notwendig wurde eine revolutionäre Tageszeitung. Die Zeitschrift "Swesda" hatte dafür die Grundlagen gelegt. Ab 5. Mai 1912 (nach dem alten, damals in Russland geltenden Kalender am 22. April) erschien die erste Ausgabe der "Prawda" in Petersburg. Bis 1914 wurde sie insgesamt achtmal verboten. Immer wieder erschien die Zeitung - unter anderem Namen (wie "Rabotschaja Prawda", "Sewernaja Prawda", "Prawda truda" usw. usf. - siehe Bild).

Das historische Foto zeigt eine Festgesellschaft. -Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV

Das Volk hungert - die Herrschenden feiern.
Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV

Zu den aktiven Mitarbeitern der Zeitung gehörten Dichter, Politiker - Lenin, Stalin und andere führende Mitglieder der Bolschewiki - und vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter, die ihre Zeitung auch aktiv finanziell unterstützten. Stalin war zeitweise auch Chefredakteur. Eine wichtige Rolle spielte die "Prawda" für die streitbaren innerparteilichen Diskussionsprozesse. Dort veröffentlichte Lenin viele grundsätzliche Beiträge und setzte sich mit Opponenten auseinander. Aber auch Stalin, Trozki, Bucharin und andere publizierten in der Zeitung und debattierten oft kontrovers. Dies änderte sich erst gegen Ende der zwanziger Jahre.

Die Leserschaft blieb trotz aller Verfolgungen und Verbote ihrer Zeitung treu. Mit einer Auflage von durchschnittlich 40.000 Exemplaren, aber weitaus mehr Leserinnen und Lesern, war sie schon zwischen 1912 und 1914 die politisch entscheidende und wichtigste Zeitung der revolutionären proletarischen Bewegung Russlands. Sie wurde bei Kriegsausbruch 1914 verboten und doch zum Agitator und "kollektiven Organisator" der Revolution.

Geduldig wurde in den Jahren zwischen 1912 und 1914 den Arbeiterinnen und Arbeitern die Politik der Bolschewiki vermittelt. Denn die Zeitung war keine auf parteiinterne Debatten orientierte Publikation. Sie wandte sich unmittelbar an Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Verbündete, sie ermutigte sich zu organisieren, sich zusammenzuschließen, zu kämpfen, verbreitete - wenn auch durch die zaristische Zensur zur "Sklavensprache" gezwungen - die Wahrheit über die zaristische Politik und die Lage der Unterdrückten. Sie veröffentlichte in der kurzen Zeit ihres halblegalen Wirkens zudem Tausende von Beiträgen von Arbeiterinnen und Arbeitern und vermittelte damit wesentliche Erfahrungen aus Betrieben, aus Kämpfen, aus Lernprozessen in der Klasse. Durch die "Prawda", durch andere Veröffentlichungen, durch die aktive Arbeit der Bolschewiki vor Ort wurde eine "Saat" gelegt, die in der Februarrevolution 1917 und in der Oktoberrevolution aufging.

Die "Prawda" erschien auch in Tagen der höchsten Bedrohung Sowjetrusslands bzw. der Sowjetunion - während der schwersten Zeit des Bürgerkrieges sowie 1941, als die faschistische Wehrmacht und ihre Verbündeten kurz vor Moskau standen. Sie mobilisierte die Verteidiger der Revolution, der Sowjetmacht zum Widerstand und zum sozialistischen Aufbau.

Die Prawda lesender Soldat auf dem Roten Platz -Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV

Tägliches Leben während des Krieges: Moskau zwischen Oktober und Dezember 1941
Quelle: RAI NOVOSTI ARCHIV

Als Zentralorgan der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) existierte die Zeitung bis zum Ende der Sowjetunion und erreichte viele Millionen Leserinnen und Leser im ganzen Land. Sie war jedoch immer auch ein Spiegel der Politik der Partei und der innerparteilichen Demokratie: in Zeiten des revolutionären Aufbaus und Enthusiasmus ebenso wie in jener bitteren Zeit der Verfolgung der eigenen Leute in den 30er Jahren, bei der Verteidigung der Sowjetmacht, in den Aufschwungjahren des Wiederaufbaus des Landes nach dem Sieg über den Faschismus, des beginnenden kalten Krieges, des "Tauwetters" nach dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 und den späteren Jahren der Stagnation bis hin zu der durch Gorbatschow und Co. bestimmten Politik der KPdSU. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 und der Auflösung der KPdSU geriet auch die "Prawda" in große finanzielle Schwierigkeiten. Heute existieren verschiedene Zeitungen unter diesem bzw. einem ähnlichen Namen. Die heute in Moskau erscheinende Tageszeitung "Prawda" sowie das Wochenblatt "Russlands Prawda" sind mit der KPRF, der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation, verbunden.


Anmerkungen:
(1)‍ ‍Vgl. Geschichte der UdSSR, Berlin 1976, S. 177
(2)‍ ‍Vgl. ebenda, S. 179

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 19 vom 11. Mai 2012, Seite 15
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2012