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BERICHT/181: Philippinen - Blutiges Ende von Geiselnahme vor laufenden Kameras, Medien kritisiert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. August 2010

PHILIPPINEN:
Blutiges Ende von Geiselnahme vor laufenden Kameras - Medien kritisiert

Von Kara Santos (*)


Manila, 31. August (IPS) - Nach einer missglückten Polizeiaktion zur Befreiung von Geiseln aus einem Touristenbus in Manila stehen die philippinischen Medien im Kreuzfeuer der Kritik. Ihnen wird vorgeworfen, die Tragödie durch Sensationsberichte mit verschuldet zu haben.

Die Polizei, die elf Stunden nach dem Überfall am 23. August den Bus stürmte, tötete den Kidnapper, der zuvor acht Urlauber aus Hongkong mit einem Sturmgewehr erschossen hatte. Der ehemalige philippinische Polizist Rolando Mendoza hatte die Touristen in seine Gewalt gebracht, um seine Wiedereinstellung zu erzwingen

Beobachtern zufolge berichtete das Fernsehen so detailliert über die Ereignisse, dass Mendoza im Voraus über die Strategien der Polizei informiert war. Der Wettlauf der Medien um eine Berichterstattung in Echtzeit, die den Zuschauer nah ans Geschehen rückt, bringe deutliche Risiken mit sich, meinten Kritiker. Möglicherweise habe Mendoza gerade deshalb die Nerven verloren und geschossen, weil die Sender draußen live über die Festnahme seines Bruders, ebenfalls ein Polizist, berichteten.

"Die Medien tragen sicherlich nicht die gesamte Schuld, doch sie haben Blut an ihren Händen", kommentierte ein aufgebrachter Filipino in dem Online-Netzwerk 'Facebook'. "Ist es nicht kompletter Schwachsinn, live anzukündigen, was die Polizei als nächstes machen wird?", fragte sich ein Nutzer des Portals 'Twitter'.

Der Zorn der Bevölkerung richtete sich auch gegen die Polizei-Sondereinheit SWAT, die nur mit Mühe in den Bus vordringen und den Kugeln des Gangsters ausweichen konnte. Empörte Reaktionen kamen auch aus Hongkong, wo die Fernsehzuschauer das blutige Ende des Geiseldramas direkt miterlebten.


Sender verteidigen sich

Der neue Präsident Benigno Aquino III., der seit Juni im Amt ist, äußerte sich ebenfalls ungehalten. Auch er kritisierte, dass die Berichte über die Festnahme des Mendoza-Bruders den Geiselnehmer wahrscheinlich "in weitere Aufregung" versetzt hätten.

Die Medien verteidigten sich gegen die Vorwürfe. Der Fernsehsender ABS-CBN räumte zwar ein, genau über die Stürmung des Busses durch die Polizei berichtet zu haben. Dabei seien die Reporter aber maßvoll vorgegangen, so der Kanal.

"Wir haben die Drohungen des Kidnappers, der eine Frist bis drei Uhr nachmittags setzte, nicht live gesendet. Damit wollten wir verhindern, dass die Öffentlichkeit in Panik geriet", erklärte ABS-CBN. Nach Beginn der Erstürmung habe man die Kameras von den Polizisten abgewendet. Hätte die Regierung eine Nachrichtensperre verhängt, wäre überhaupt nichts mehr gesendet worden.

Der konkurrierende Sender GMA-7 kündigte neue Richtlinien für die Berichterstattung an. Nach Meinung von Beobachtern hätten jedoch die Fernseh- und Radiosender, die während der Geiselnahme zwölf Stunden am Ort waren, von vornherein vorsichtiger sein müssen.

Jedes Medium müsse selbst prüfen, ob in einer bestimmten Situation live berichtet werden sollte, forderte die Reporterin Luz Rimban, die auch Journalisten ausbildet. Berichterstattung in Echtzeit sei bei Naturkatastrophen notwendig, etwa bei dem Taifun Ketsana, der 2009 schwere Überschwemmungen verursachte. Mit Hilfe der Medien hätte man das Ausmaß der Schäden einschätzen und Rettungseinsätze koordinieren können. Bei Geiselnahme verhalte es sich jedoch anders, stellte Rimban fest.

Die meisten Regeln für die Krisenberichterstattung seien am 23. August vergessen worden, kritisierte Red Batario, der Koordinator des 'International News Safety Institute' für den Asien- und Pazifikraum. Das Institut bietet Journalisten in aller Welt Sicherheitstraining an. Die Sender hätten in Manila versucht, sich gegenseitig auszustechen und die besten Bilder zu liefern, sagte Batario. "Dabei hätten die Journalisten aber bedenken müssen, dass sie ihr eigenes Leben und das anderer Menschen in Gefahr bringen konnten."


Zwiespältiges Verhalten der Behörden

Vergel Santos vom 'Center for Media Freedom and Responsability' rechnet allerdings damit, dass Reporter auch weiterhin so nah wie möglich an das Geschehen heranrücken würden, wenn die Polizei keine Gegenmaßnahmen verkündet. "Von den Medien wird erwartet, dass sie um jeden Preis die ganze Geschichte bringen." Santos kritisierte, dass während der Geiselnahme anwesende Polizeibeamte die Sender sogar noch ermutigt hätten, ausführlich über alles zu berichten.

Der Journalistenverband in Hongkong nannte es unrealistisch, von Kollegen zu erwarten, dass sie nicht live über ein international wichtiges Ereignis berichten würden. Der Verband appellierte aber an alle Medien, freiwillige Selbstverpflichtungen einzugehen, die im Einklang mit international akzeptierten Standards stünden. (Ende/IPS/ck//2010)


(*) Dieser Bericht stammt vom 'Asia Media Forum', das vom IPS-Regionalbüro für Asien und den Pazifikraum koordiniert wird.

Links:
http://www.newssafety.com/
http://cmfr-phil.org/
http://www.hkja.org.hk/site/portal/Site.aspx
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=52651

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. August 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2010