Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

WILDCAT/031: Grüne Visionen


Wildcat 95 - Winter 2013/2014

Grüne Visionen


Grüne Energietechnologien bilden nicht die Basis eines selbsttragenden Aufschwungs. Sie saugen wenig lebendige Arbeit ein, da die Produktion hoch rationalisiert ist. Der Umbau der Energiebasis muss somit aus der Lohnsumme und aus der Mehrwertabpressung in anderen Sektoren finanziert werden. Der Umbau ist jedoch weitestgehend Reparatur, ohne die Bedingungen für die Kapitalakkumulation in den anderen Sektoren zu verbessern. Der Ausbau von Kapazitäten zur Energieerzeugung kann über einen längeren Zeitraum nicht durch Blasenbildungsprozesse von der Realisierung der Kosten abgekoppelt werden. Die Durchsetzung eines solchen "grünen Kapitalismus" ist auch nur ein Projekt von Austerität und Verarmung. Mit dem "Umbau" sollen die strukturellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich Energiekonzerne bedeutende Teile der Lohnsumme und der Mehrwertmasse als Rente aneignen.


Seit der Krise Anfang der 1970er Jahre und dem Ende eines weltweiten Zyklus von Arbeiterkämpfen gibt es die Vision einer "grünen" Produktionsweise, die mit sanften Technologien den Raubbau an der Natur beendet. Die entstehende "Umweltbewegung" verabschiedete sich von alten Revolutionsvorstellungen und spätestens 1989 auch von allen Vorstellungen eines "geplanten" Sozialismus/Kommunismus. Das Projekt "grün reformierter Kapitalismus" ist die Einsicht dieser Niederlage.

In den 90er Jahren wurde die Idee eines "grünen Kapitalismus" zum Leitziel auf internationalen Konferenzen. Doch nicht nur das dort immer wieder formulierte Ziel, den Anstieg der Erderwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, ist kassiert. Die klimatischen Veränderungen verschärfen die Situation in der Landwirtschaft und in der Fischerei mit überfischten und teils schon kollabierten Fischbeständen. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln und die Nutzung von Ackerflächen für die Herstellung von Öko-Treibstoffen führt - wie schon 2008 - zu einem starken Anstieg der Nahrungsmittelpreise und damit zu einer massiven Ausweitung des Hungers.

Seit der "Ölkrise" wird ein Ende der energetischen Basis des Kapitalismus vorausgesagt. Der Peak Oil konnte bislang immer wieder hinausgeschoben werden, doch der Aufwand zur Gewinnung von Erdöl und Gas steigt beständig und schließt in einem zunehmenden Ausmaß die Nutzung von Teersanden und Erschließungsmethoden wie das Fracking(1) ein. Durch Fracking erschlossene Quellen sind sehr schnell erschöpft; zurück bleiben kontaminiertes Wasser und zerstörte Landflächen.

Mit den verschiedenen Spielarten des sogenannten Green New Deal existiert eine kapitalistische Vision der gleichzeitigen Überwindung der fundamentalen Krise des Kapitalismus und der Energie- und Ökologie-Krise. Die Basis dafür sind grüne Technologien, die einen "ökologischen Umbau der Industriegesellschaft" ermöglichen und gleichzeitig die Grundlage für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung bilden sollen. Das Rückgrat der Vision sind Energie-Technologien.

Als kapitalistische Vision wäre ein Green New Deal an der tatsächlichen Akkumulationsfähigkeit zu messen und müsste zeigen, dass der Kapitalismus das Untergraben der Erde unterlassen oder zumindest in einem geringeren Umfang betreiben kann.

In einem ersten Schritt wollen wir diese "Vision eines grünen Kapitalismus" beim Wort nehmen und auf ihre Machbarkeit abklopfen; denn viele Vorstellungen eines (linken) radikalen Reformismus arbeiten sich daran ab. Dabei geht es um die Kampfbedingungen der nächsten Zeit - dafür ist der Artikel aber erst mal der Einstieg.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien knirscht...

Mit Subventionen und staatlich garantierten Einspeisevergütungen haben verschiedene Staaten in den letzten zehn Jahren versucht, den Aufbau eines Erneuerbare-Energien-Sektors zu forcieren. Der dabei erfolgte Ausbau von Stromerzeugungskapazität war insbesondere bei der Förderung von Photovoltaik- und Windenergieanlagen mit dem Ziel verbunden, eine nationale Fertigungsindustrie aufzubauen. Dies ist mehr oder weniger schnell an zwei Grenzen gestoßen: Eine ist durch die Möglichkeit der Refinanzierung der Stromerzeugungskosten gesetzt, die zweite durch die Infrastruktur, also die Möglichkeit, stark fluktuierende Stromeinspeisungen zu speichern, zu verteilen und eine regelbare Stromversorgung zu gewährleisten.

Der Absatz von Photovoltaikanlagen erfolgt seit Jahren auf Märkten, die auf staatliche Subventionen angewiesen sind (s. KASTEN 1). Der so entfachte "Solar-Boom" ist meist von kurzer Dauer und hatte in Spanien unübersehbar die Form einer Blase angenommen, die von der spekulativen Preisentwicklung für ländliche Grundstücke für Solarparkflächen getragen wurde. Spätestens mit dem Kriseneinbruch 2009 konnte Spanien die (absehbaren) Kosten nicht mal mehr perspektivisch über die Stromrechnung eintreiben. Die Grenze der Refinanzierung war überschritten, die Blase platzte.

Diese Kosten den ArbeiterInnen in Rechnung zu stellen, ist in der BRD ungleich besser gelungen: Die Zahlungen für staatlich garantierte Einspeisevergütungen belaufen sich hier seit Inkrafttreten des "Erneuerbare Energien Gesetzes" (EEG) im Jahr 2000 bislang auf eine Gesamtsumme von 90 Mrd. Euro. Mit der kürzlich beschlossenen erneuten Erhöhung der EEG-Umlage wird allein 2014 die Umlagesumme, die über die Stromrechnungen eingetrieben wird, auf über 20 Mrd. Euro ansteigen. Ausnahmeregelungen sorgen dafür, dass das überwiegend als Abzug von der Lohnsumme realisiert wird.

Im Gegenzug stieß der Ausbau an eine infrastrukturelle Grenze, die nur zum Teil durch den aktuellen Erhaltungs- oder Ausbau-Zustand des Stromleitungsnetzes bestimmt ist. Was fehlt, sind vielmehr neu zu schaffende Voraussetzungen wie Speicher, Regelungs- und passende Kraftwerkinfrastruktur.

Mit den Änderungen des EEG in den Jahren 2011 und 2012 wurde in der BRD beim weiteren schnellen Zubau von Photovoltaikanlagen die Reißleine gezogen und die Förderung von Windenergieanlagen an Land leicht zurückgefahren. Vordergründig erscheint die Änderung der Förderungspolitik als eine Abkehr von der dezentralen Stromerzeugung hin zu einer Stärkung von Offshore-Großkraftwerken.(2)

Beides hat aber wenig mit der Abwahl der grünen Partei aus der Regierung zu tun, wie schon ein Blick auf das Volumen der Öko-Umlage zeigt. Es ist vielmehr eine Auseinandersetzung innerhalb des Kapitals um die Verteilung des Kuchens und um die strategischen Ziele des "ökologischen Umbaus der Energiewirtschaft" vor dem Hintergrund zweier Probleme: Erstens ist unklar, inwieweit die Kosten weiter über die Stromrechnung eingetrieben werden können, zweitens befindet sich die deutsche Solarindustrie in einer tiefen Krise, was ihre Verhandlungsposition schwächt.

Der Niedergang der Solar- und Windindustrie - die "inneren Grenzen" der Green Economy

Die Fertigungsindustrien für Solar- und Windenergieanlagen wurden als Schlüsseltechnologie-Branchen angesehen und mit massiven direkten und indirekten Subventionen aufgebaut und abgesichert. Seit 2011 ist in der Solarenergie-Branche eine Firma nach der anderen Pleite gegangen, darunter mit Q-Cells der ehemalige Weltmarktführer in der Herstellung von Solarzellen. Die einst als Solarwunder gefeierten großen deutschen Konzerne (Solarworld, sma Solar, Q-Cells, Conergy, Solon, Solar Millennium, Centrotherm, Phoenix Solar) hatten auf dem Höhepunkt des Booms einen Börsenwert von 25 Milliarden Euro. Heute ist er auf fünf Prozent dieses Werts verbrannt. Die Zahl der Beschäftigten bei den Herstellerfirmen ist von rund 10.000 auf 6000 gefallen, der Weltmarktanteil deutscher Unternehmen von 20 Prozent im Jahr 2005 auf heute vermutlich unter 5 Prozent. Im selben Zeitraum ist der Anteil chinesischer Unternehmen von ca. acht Prozent auf weit über 50 Prozent angestiegen - aber auch die chinesischen Firmen schreiben rote Zahlen.

Für die Hersteller von Windenergieanlagen sieht es nur wenig besser aus. Die beiden wichtigsten Märkte sind die USA und China. China gilt als Boomland, das einen schnellen Ausbau der Windenergie betreibt. Kredit ist dabei das zentrale Instrument für den Aufbau, solange die Kosten nicht über die in Rechnung gestellten Stromkosten realisiert werden können. Die Gesamtfertigungskapazität der Hersteller in China allein wäre ausreichend, um den jährlichen weltweiten Zubau von Windenergieanlagen abzudecken, die weltweiten Fertigungskapazitäten sind vermutlich zu weit weniger als 65 Prozent ausgelastet.

In den USA sollten 2012 Subventionsregelungen für Windenergie auslaufen. Um sich Steuervorteile zu sichern, haben viele Investoren den Bau von Windenergieanlagen vorgezogen, was zu einem Sonderboom geführt hat. 2013 ist der Markt für Windenergieanlagen in den USA zusammengebrochen. Der Rückgang der weltweiten Neuinstallationen liegt vermutlich bei einer Größenordnung von 25 Prozent.

Der weltgrößte Windkraftanlagenbauer Vestas erwirtschaftete 2011 einen Verlust von 166 Millionen Euro, 2012 einen Verlust von fast einer Milliarde Euro, den er 2013 fortschreibt. Im vergangenen Jahr sind 5400 Leute entlassen worden. Heute sind noch 17.200 ArbeiterInnen und Angestellte dort beschäftigt.

In der Photovoltaikindustrie ist die Überkapazität in der Fertigung noch höher als in der Windenergieanlagen-Industrie. Innerhalb weniger Jahre ist die Produktionskapazität für Solarzellen und -module auf deutlich über 60 GW gestiegen, während der weltweite jährliche Zubau etwa die Hälfte der Produktionskapazität beträgt.

Wenig Arbeitsplätze - wenig Mehrwert

Die Produktion mit und von "grünen Technologien" beginnt auf dem heute allgemein erreichten Stand der Automatisierung. Das betrifft "neue" Energieerzeugungstechnologien und "aufgepeppte alte Produkte": Ein Elektroauto bleibt ein Auto. Der bereits erreichte Automatisierungsgrad der Produktion kann an einigen Kennzahlen verdeutlicht werden (siehe KASTEN 2). Eine ist der Anteil der Lohnkosten in der Fertigung von Solarzellen und -modulen, der bei nur fünf Prozent liegt.

Der Anteil der Lohnarbeit am Produktionsprozess ist niedrig. Die Beschäftigungseffekte sind gering im Vergleich zu den extrem hohen Investitionskosten in die notwendige Infrastruktur. Eine "selbsttragende Kapitalverwertung" der "grünen Leitsektoren" ist somit unwahrscheinlich. Die Refinanzierung aller Kosten muss über Steuern oder über die Stromrechnung aus all jenen "traditionellen" Sektoren erfolgen, deren tiefe Krise mit einem Green New Deal überwunden werden soll.

Kein Hersteller kann aktuell auch nur die Produktionskosten erwirtschaften. Dies gilt ebenso für alle großen chinesischen börsennotierten Solarfirmen, einschließlich der Weltmarktführer wie Yingli, Trina Solar oder Suntech, die Verluste schreiben. Über das Verdichten der Arbeit und das Drücken der Lohnsumme sind keine entscheidenden Vorteile zu erzielen, da deren Anteil an den Produktionskosten gering ist. Die Firmen, die den ruinösen Preisverfall überleben, können sich nur dank staatlicher Förderung über Wasser halten.

Zentrales Ziel der weltweiten massiven staatlichen Subventionierung ist deshalb die Absicherung und Etablierung einer Exportindustrie: Die Windenergieanlagen- und vor allem die Solaranlagenhersteller befinden sich in der Phase einer ruinösen Konkurrenz. Asbeck, Chef der deutschen Solarworld, spricht von einem "Wirtschaftskrieg" und Subventionen, die es chinesischen Herstellern erlauben, Solaranlagen 30 Prozent unter den Produktionskosten zu verkaufen.

Die Luft wird dünn - Entwertungswettbewerb

Die Investitionen in erneuerbare Energien fallen weltweit seit zwei Jahren deutlich. Trotz der massiven Fördermaßnahmen, mit der z. B. die japanische Regierung versucht, den Ausbau des nationalen Solarsektors zu forcieren (u. a. mit Einspeisevergütungen, die doppelt so hoch sind wie in der BRD), fallen auch die weltweiten Investitionen im Photovoltaik-Bereich.

Die Herstellerfirmen sind in einen Entwertungswettbewerb eingetreten. Weil sie von ihren Staaten massiv unterstützt werden, gelingt es ihnen, die Entwertung ihres Kapitals hinauszuschieben. Den Unternehmen, die nach Pleiten und Übernahmen übrig bleiben, wird es durch die Entwertung des fremden Kapitals gelingen, ihre Profitrate zu sanieren. Durch die billige Übernahme von Produktionsmitteln wäre eine nachhaltige Stabilisierung niedriger Preise möglich. Sollten die Preise nicht wieder deutlich ansteigen, wäre es einfacher, den Ausbau von Energieerzeugungskapazität im EE-Bereich bis an die Kapazitätsgrenzen der Stromnetze auszudehnen (einschließlich Erhalt des Altbestands und Ersetzung von Altanlagen).

Die Kosten für das Hinausschieben der infrastrukturellen Grenzen, gegeben durch Verteilungs-, Speicher- und regelbare Erzeugungs-Kapazitäten, steigen jedoch nicht linear mit dem erreichten Ausbau der Energieerzeugungskapazität, sondern übersteigen die reinen Installationskosten von Solar- und Windenergieanlagen um ein Vielfaches. Dies sind gesellschaftliche Kosten - und reine Reparaturkosten: Sie ermöglichen keine qualitative Ausweitung der Kapitalakkumulation in neue Sektoren oder eine Verbesserung der Akkumulationsbedingungen in den bereits bestehenden.

"Great Bubble Transfer" mit "Green Technology"!?

Seit dem Kriseneinbruch der frühen 70er Jahre hat der Kapitalismus nie wirklich seinen krisenhaften Zustand überwunden. Die Diskussionen drehen sich seit Jahrzehnten um Krisen, Kredit und Blasen, die "aufgeblasen und abgelassen" werden müssen."Stabilität" bedeutet nur noch, dass eine Blase ein paar Jahre hält und halbwegs "geräuschlos" abgelassen bzw. in eine andere überführt werden kann. Eine Bedingung dafür scheint zu sein, dass es zumindest eine Zeit lang einen "realen Boom" gibt, also Arbeitskraft in den Verwertungsprozess eingesaugt wird. Die New Economy Ende der 90er Jahre und die nachfolgenden Blasen waren nicht nur zeitlich mit einer Mobilisierung von vielen Millionen Wanderarbeitern und dem Aufbau der Weltmarktfabriken in China verbunden. Fiktives Kapital kommandiert lebendige Arbeit. Es besteht nicht nur eine bloß konsumvermittelte Rückwirkung einer Blase auf die Realwirtschaft, z.B. durch die Nutzung von Spekulationsgewinnen für Konsum. Die Rückwirkungen sind fundamentaler, das zeigt nicht zuletzt Chimerica.(3)

Die bestehende Liquititätsblase und die anhaltende weltweite expansive Geldpolitik bilden nur auf den ersten Blick den idealen Ausgangspunkt für eine die Energiebasis real transformierende Blasenbildung. Es gibt bedeutende Unterschiede zwischen den möglichen Blasenbildungsprozessen bei Aktien und Immobilien sowie im Sektor der "grünen Energie".

Die Immobilienblase in den USA, die bis 2008 eine fundamentale Funktion für die Weltökonomie erfüllt hat, hat insofern weitgehend "selbsttragend" funktioniert, als sie bis zum Kollaps an keine bedeutende aktuelle Realisierung von Ansprüchen aus der tatsächlichen gesellschaftlichen Mehrwertmasse oder Lohnsumme in den USA gebunden war. Im Gegenteil, die US-amerikanische Arbeiterklasse konnte mittels immer weiter steigender Immobilienpreise über Jahre hinweg mit Hypothekenkrediten einen bedeutenden Teil ihres Konsums über Schulden finanzieren.(4)

Die Blasenbildung im Bereich erneuerbarer Energien beinhaltet Aktien- und Bodenspekulationen oder genauer: wird davon getragen. Der tatsächliche Zubau von Energieerzeugungskapazität und Infrastruktur ist jedoch an eine relativ kurzfristige Realisierung der tatsächlichen Stromerzeugungskosten und Rendite-Erwartungen gebunden.

Exkurs zum "Fracking"-Boom

Ein Abstecher in den "braunen" Energiesektor kann, trotz aller Unterschiede, diesen Punkt deutlicher machen.

Der Shale-Gas-Boom ("fracking boom") in den USA zeigt das Potential einer Blase im Energiesektor. Er hat den USA scheinbar unbegrenzt billige Energie beschert. Der schon nach kurzer Zeit fragile Zustand dieser Blase zeigt jedoch, dass eine Entkoppelung der Ausweitung der Erzeugung bzw. Förderung von der Realisierung der Energieerzeugungskosten offensichtlich nur kurzfristig gelingt.

Betrachtet man den Anteil von Spekulation mit Ausbeutungsrechten an den Profiten der großen Firmen wie z. B. Chesapeake Energy, erscheint die Gasförderung fast wie ein Nebengeschäft. Die Spekulation mit Boden- und Ausbeutungsrechten ist im Shale-Gas-Boom sowohl die Ursache eines ruinösen Preisverfalls für Gas als auch notwendige Refinanzierungsquelle.

Da erworbene Ausbeutungsrechte oft innerhalb einer bestimmten Zeit (drei bis fünf Jahre) wahrzunehmen sind oder verloren gehen (hold-by-production-Pachtverträge), besteht ein Zwang zur Ausweitung der Gebietserschließungen durch Bohrungen. Die Ersterschließung überführt den geschätzten Gasbestand des Felds in die Bücher einer Firma, die damit in die Lage versetzt wird, Kredit-Linien auszuweiten, um neue Fördergebiete zu "claimen". Die Menge des geschätzten Gasbestands bestimmt ferner das Ausmaß der Wertsteigerung der Ausbeutungsrechte und damit den möglichen spekulativen Gewinn. Folglich werden bei der Ersterschließung die fördermengenstärksten und relativ leicht erschließbaren Quellen angebohrt. Shale-Gas-Bohrungen zeigen einen extrem schnellen Abfall der Fördermenge in der Größenordnung von 80-95 Prozent nach nur drei Jahren. Allein für die Aufrechterhaltung der Fördermenge muss jedes Jahr zwischen 30 und 50 Prozent der Produktion in einem Feld durch neue Bohrungen ersetzt werden. Mit dem Erschöpfen der sweet spots und der hoch produktiven Gasfelder steigt der Förderaufwand enorm.

Die durch die Blasenbildung "zwanghafte" Ausweitung der Förderung hat zu einem rasend schnellen Verfall der Gaspreise geführt. Diese können schon längst nicht mehr die Förderkosten decken. Die Verluste der Gasproduzenten in diesem Bereich werden für 2012 auf ca. zehn Milliarden Dollar geschätzt. Aus der Konkurrenz um das Sichern der Fördergebiete ist inzwischen ein Rennen geworden, in dem es darum geht, die Vermögenstitel im Shale-Gas-Bereich loszuwerden. Eine Pleite der hochverschuldeten Chesapeake Energy könnte für ein abruptes Ende der Blase sorgen.

...oder geht dem "Green New Deal" schon bald die Puste aus?

Noch weit schlechter stehen die Chancen für eine solche Entkoppelung des Ausbaus der Energiebasis von der Realisierung der Erzeugungskosten im Bereich der erneuerbaren Energien.

Dass die Investitionen in diesem Bereich 2012 und 2013 eingebrochen sind, obwohl massenhaft überschüssige Liquidität bzw. anlagesuchendes Kapital vorhanden ist, zeigt aktuelle und zukünftige Schwierigkeiten der Kosten- und Rendite-Realisierung. Der Zubau bleibt an die staatliche Durchsetzung ausreichend hoher Strompreise oder eine direkte staatliche Finanzierung gebunden. Dabei geht es um die Frage, in welchem Umfang die Kosten weiter der Klasse aufgedruckt werden können bzw. in welchem Ausmaß es den Staaten gelingt, ihre Verschuldung für diesen Zweck auszuweiten.

Seit 2008 sind weltweit die Staatsschulden durch Bail-outs, Konjunkturprogramme und Geldpolitik explodiert. Gleichzeitig sollen Austeritätsprogramme die massive Entwertung des fiktiven Kapitals verhindern. Die Staaten versuchen, sich vor dem Bankrott zu retten und die Refinanzierung der Staatsschulden zu sichern. Die Situation in Griechenland, Portugal und Spanien lässt keinen Zweifel an der Entschlossenheit der Regierungen, Sparmaßnahmen in einem Ausmaß durchzusetzen, das Hunger und Tod mit einschließt.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Investitionen im Green-Economy-Bereich in den nächsten Jahren wieder ansteigen. Diese Investitionen werden jedoch weder zu einem Überfluss an grüner Energie noch zu "grünen blühenden Landschaften" führen. Weitaus wahrscheinlicher werden mit diesen Mitteln die strukturellen Voraussetzungen der Energiekonzerne verbessert, sich bedeutende Teile der Lohnsumme und der Mehrwertmasse als Rente anzueignen. Einen Widerspruch zwischen dem Ausbau lokaler Energieerzeugungskapazität durch kleine und mittelgroße Anlagen (z. B. Dachsolaranlagen) und den von E.ON & Co. betriebenen grünen Großkraftwerken (wie Offshore-Windparks, Solarkraftwerken etc.) gibt es nicht. Die Produktion kann lokal erfolgen, ohne die Realisierung von Renten in Frage zu stellen, wenn die Erzeugung zentral kontrolliert wird. Wer die Netze kontrolliert, kontrolliert Versorgung und Produktion! Deshalb versuchen Energieversorger wie E.ON, die Kontrolle über die Netze zu sichern, den Ausbau aber staatlich oder durch die Klasse finanzieren zu lassen. Die Änderungen der Förderpolitik, einschließlich denen von CDU und SPD anvisierten,(5) können hier verortet werden.

Lokale Energieerzeugung ist nicht als solche ein Schritt in eine bessere Energiezukunft. Ebenso wenig besteht ein Widerspruch zwischen Super-grid- und Smart-grid-Technologien! Smart-grid-Technologien sind Überwachungs- und Regeltechnologien, die die Kontrolle über Stromerzeugung und Verbrauch nur perfektionieren. Intelligente Kühlschränke und Waschmaschinen, Energiearmut und die Realisierung von Renten gehen in der Tat sehr gut zusammen. Denn diese ist nicht an die Menge des verkauften Stroms gebunden. Das kapitalistische Zukunfts-Versprechen lautet also auch hier Austerität. Und so besteht auch darin kein fundamentaler Widerspruch zwischen grünen Ideologien und Interessen von E.ON, RWE und Co.

Der Kapitalismus braucht eine spezifische Energiebasis

Das im Energiesektor akkumulierte Kapital verhindert nicht nur dessen Umbau, weil es seiner Entwertung widerstrebt. Die Struktur des Sektors entspricht den Erfordernissen der kapitalistischen Produktion, die nach einer spezifischen Energiebasis verlangt: An den "braunen Energieträgern" hängt nicht nur etwas "Liebgewonnenes" wie der individuelle Autoverkehr, sondern die Form der Abpressung des Mehrwerts selbst. Die Produktion von Solaranlagen, smarter grüner Stromzähler und Windenergieanlagen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der übrigen kapitalistischen Produktion. Sie nutzen die gleiche Technik beim Untergraben derselben Erde und beim Ausbeuten der gleichen ArbeiterInnen und tun dies im gleichen Umfang. Seit der Krise der 70er Jahre wurde viel über die Möglichkeit eines neuen kapitalistischen Akkumulationszyklus auf der Basis eines neuen Produkts und einer neuen Produktionsweise diskutiert. Trotz aller großen Krisen wurde die bisherige Produktionsweise nur immer weiter ausgedehnt. Daran hat auch die kapitalistische Nutzung "erneuerbarer Energien" wenig geändert. Auch iPhones werden in einer Kombination von kapitalintensiver Chip-Produktion und Ausbeutung von BauernarbeiterInnen zu Niedriglöhnen nach tayloristischen Methoden hergestellt.

Die erreichte Verdichtung der Arbeit ist ebenso wie das Ausmaß des weltweiten In-Konkurrenz-Setzens der Arbeiterklassen an die "Mobilisierung" von ArbeiterInnen, an die Fähigkeit, Maschinen und Fabriken schnell verlagern zu können, und den flexiblen Transport von riesigen Warenmengen gebunden - nicht zufällig waren und sind die Umstrukturierungen im Transportsektor Voraussetzung und Folge davon. All das verlangt nach einem Energieträger mit hoher Energiedichte, die eine solche kapitalistische Mobilität von Menschen, Maschinen und Waren ermöglicht. Ein "Umbau" würde eine "Energie-Umwandlungskapazität" erfordern, die Energie aus regenerativen Quellen in Energieträger mit hoher Energiedichte überführt. Dieser Umbau stößt aber nicht nur an die Grenzen der Finanzierbarkeit. Die Umwandlung von Ackerland in Produktionsflächen für Öko-Treibstoffe macht deutlich, dass das Kapital dabei nicht vor dem Verhungernlassen "unproduktiver" Bevölkerung zurückschreckt. Kein Wunder also, dass es seit 2008 in diesem Bereich immer wieder und verstärkt zu Kämpfen kommt: gegen die Erhöhung der Lebensmittelpreise, neue Landeinhegungen und infrastrukturelle Großprojekte. In diesen Revolten wird die Klasse als handelndes Subjekt sichtbar.

Elmar Altvaters Thesen über "das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen"(6) wurden nach dem Krisenausbruch 2008/2009 bis hinein in die bürgerlichen Medien aufgegriffen: Das Schicksal des Kapitalismus an seine fossile Energiebasis zu binden machte bis ins Bürgertum hinein eine Überwindung des Kapitalismus zumindest im Feuilleton denkbar und sogar "vernünftig".

Der Kapitalismus fährt ungebrochen fort, seine Energiebasis zu verbrennen. Damit zerstört er gleichzeitig die Grundlage für die Schaffung einer anderen Energiebasis der gesellschaftlichen Reproduktion nach dem Kapitalismus. Die "Blasenökonomie" ist Resultat und Teil kapitalistischer Fixes [Reparaturmaßnahmen] des krisenhaften Zustands der kapitalistischen Reproduktion. In den letzten Jahren haben die Visionen eines "grünen Kapitalismus" ihre Realität gezeigt: Sie sind gleichfalls Teil dieser immer kürzer wirkenden Fixes. Sie sind mit massiven Angriffen auf die Arbeits- und Reproduktionsbedingungen der Arbeiterklasse und der "Überflüssigen" verbunden. Der Kapitalismus wird nicht allein am Verlust seiner Energiebasis zugrunde gehen - diese bildet aber ein immer stärker umkämpftes Terrain für die Klassenkämpfe!(7)

Das Dreieck aus kapitalistischer "Blasenökonomie", Zerstörung der Energiebasis und den seit 2008 an allen Ecken der Welt ausbrechenden Klassenkämpfen und Mobilisierungen gegen schlechtere Lebensbedingungen wird in den nächsten Jahren das Kampfterrain bestimmen. Wirkliche Visionen werden wir nur aus der Perspektive dieser Kämpfe entdecken können.



KASTEN 1

"Solarboom" in Europa

Spanien galt ab 2004 durch die hohen gesetzlich garantierten Einspeisevergütungen für "Solarstrom" und hohe Subventionen als ein Land mit verheißungsvoller Zukunft für die klimafreundliche Energieerzeugung und die nationale Fertigungsindustrie. Doch nach Rekordinvestitionen von 15 Mrd. Euro im Jahr 2008 ist der spanische "Solar"Boom" innerhalb weniger Jahre zusammengebrochen. An seinem Höhepunkt hatte er die Form einer Blase angenommen. Ursprung dieser Blase waren die relativ hohen Renditen (ca. 14 Prozent), über die Einspeisevergütungen. Die Preise für geeignete ländliche Grundstücke wurden in Erwartung des Baus von Solarparks um ein Vielfaches aufgepumpt. 2009 wurden nicht nur die staatlichen Förderungen drastisch zurückgefahren, sondern auch die Einspeisetarife für neu installierte Anlagen reduziert und der weitere Ausbau gedeckelt. Ende 2010 wurde eine rückwirkende (!) De-facto-Kürzung der Einspeisetarife für bereits installierte Anlagen vorgenommen.

Zu diesem Zeitpunkt wurden zwölf Prozent der spanischen Energiekosten durch die Einspeisung von Strom aus Photovoltaikanlagen verursacht. Die Einspeisevergütungen beliefen sich auf 6,5 Mrd. Euro und führten zu einem Defizit der spanischen Stromversorgungsunternehmen in Höhe von vier Mrd. Euro. Die Refinanzierung der Schulden, inklusive der Altschulden, erfolgte seit 2009 durch die Emission staatlich abgesicherter Papiere. Langfristig sollten die Schulden über höhere Strompreise schrittweise der Klasse in Rechnung gestellt und bis 2020 abgetragen werden. Stattdessen ist das Defizit auf heute mehr als 30 Mrd. Euro angewachsen, Die spanische Regierung versucht nun einen direkteren Weg zum Abbau des Defizits und hat eine Sondersteuer auf Solarstrom beschlossen.

Deutschland und Italien waren 2010 und 2011 mit Abstand die wichtigsten Märkte für Photovoltaikanlagen. Massive staatliche Förderung bei Aussicht auf die baldige Reduzierung der hohen garantierten Einspeisevergütungen hat 2011 in Italien zu einem Rekordzubau von Photovoltaikanlagen geführt, der höher als in der BRD liegt. 2012 wurde die Reißleine gezogen. Der Zubau wurde gedeckelt und die Einspeisevergütungen deutlich reduziert, entsprechend stark ist die Solaranlagen-Installation in Italien eingebrochen.

In der BRD hafte der Versuch, durch die Reduzierung der Einspeisevergütung den schnellen Kostenanstieg und den weiteren Zubau von Photovoltaikanlagen zu begrenzen, zusammen mit den stark gefallenen Preisen für Solarmodule zunächst den gegenteiligen Effekt. 2011 und in den ersten Quartalen 2012 gab es einen Sonderboom in der Installation von Solaranlagen. Heute ist der Markt für Solarparks ganz zusammengebrochen. Die Gesamtinstallation von Photovoltaikanlagen wird sich in der BRD 2013 im Vergleich zu 2012 mindestens halbieren.



KASTEN 2

"Grüne" Arbeitsplätze?

Der bereits erreichte Automatisierungsgrad der Produktion kann an den Kennzahlen neu geplanter Fabriken verdeutlicht werden. Bosch plante die Errichtung einer Produktionsanlage in Malaysia, die den gesamten Fertigungsprozess von Siliziumkristallen, Solarzellen bis zu den Modulen umfasst. Mit 2000 Arbeitern sollte eine Produktionskapazität für Solarzellen und Module mit einer Gesamtleistung von 640 MW bzw. 150 MW pro Jahr erreicht werden. Die Produktivität bei der Fertigung von Windenergieanlagen ist ebenso hoch. Enercon, ein deutscher Produzent von Windenergieanlagen, produziert einen Anteil von ca. neun Prozent der weltweit installierten Anlagen mit insgesamt nur 15.000 Arbeiterinnen und Angestellten weltweit. Hinzu kommen Arbeiterinnen in der Zuliefererindustrie, die jedoch selbst einen hohen Automatisierungsgrad erreicht hat. Die Gesamtzahl der in der Windenergieanlagenherstellung Beschäftigten wird in der BRD auf 38.000 geschätzt, die zurzeit jährlich Anlagen mit einer Gesamtleistung von 5-6 GW produzieren.

Die Herstellung der für den Bau von Solarthermischen Kraftwerken benötigten Basiskomponenten wie Spiegel, Industriegläser und Stahlträger weist bereits einen hohen Automatisierungsgrad auf. Eine Studie im Auftrag der Desertec-Industrie-Initiative rechnet optimistisch mit einer weltweit installierten Leistung solarthermischer Kraftwerke von 100 GW im Jahr 2025 und 1300 Arbeitsplätzen pro GW installierter Kapazität für deren Fertigung und Bau.

Davon sollen laut Auftragsstudie bis zu 450 Arbeitsplätze pro EG langfristig für deren Betrieb erforderlich sein. Das liegt in der Größenordnung der Anzahl der Jobs. die für Wartungsarbeiten in der Windindustrie genannt werden (17.000 in der BRD bei einer installierten Kapazität von über 30 GW).



Anmerkungen

(1) Beim Fracking wird durch Tiefenbohrungen Wasser, dem zumeist Sand und chemische Zusatzstoffe beigemischt sind, in den Boden gepresst, um Gesteinsschichten aufzusprengen und lokale Gas- oder Öl-Vorkommen zu erschließen.

(2) Laut Koalitionsvertrag soll die Förderung von Windenergieanlagen an Land stark zurückgefahren werden. Gleichzeitig werden die Ausbauziele für Offshore-Windparks reduziert; der bisherige Ausbau liegt aber bislang eh weit hinter den Zielen zurück.

(3) Zum Great bubble transfer siehe Wildcat 84 und 85.

(4) Ohne diesen über Wohneigentum vermittelten Mechanismus schlägt eine Immobilienblase natürlich in stark steigende Mieten um.

(5) So soll eine "Direktvermarktung"nach einem "Marktprämien-Modell" vorgeschrieben werden. Kein Kleinst-Energieerzeuger wird diese angestrebte "Marktintegration" auch nur kostendeckend überstehen, wenn er den Strom selbst vermarktet. De facto wird es zu einer Übertragung und Konzentration der Vermarktung auf wenige große Energiekonzerne führen.

(6) Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen: Eine radikale Kapitalismuskritik. Münster 2011 (Westfälisches Dampfboot).

(7) Markus Wissens Artikel "Ökokapitalismus versus grüner Sozialismus" in analyse&kritik Nr. 588 fragt richtigerweise nach der "Macht zur Transformation": Zunächst hatte er R. Fücks Buch Intelligent Wachsen. Die grüne Revolution vorgeworfen, den Verwertungszwang der kapitalistischen Produktion auszublenden und so eigentlich nur Ideologie zu reproduzieren. Diese Verwertung bzw. die Veränderungen im Produktionsprozess thematisiert aber Hans Thie in Rotes Grün. Pioniere und Prinzipien einer ökologischen Vergesellschaftung. Für Wissen deshalb verwunderlich, dass Thie in der Arbeiterklasse keine "soziale Kraft" zur Veränderung sieht bzw. nur in der "Wissensproduktion"und den Commons-Projekten. Dieses Manko will M. Wissen mit der Frage nach der Rolle der Gewerkschaften und der Forderung nach "radikaler Demokratie" füllen.

*

Quelle:
Wildcat 95 - Winter 2013/2014, S. 52 - 58
Eigendruck im Selbstverlag, V.i.S.d.P.: P. Müller - Wildcat
E-Mail: redaktion@wildcat-www.de
Internet: www.wildcat-www.de
 
Einzelheft: 4 Euro
Abo: 6 Ausgaben (incl. Versand)
Deutschland und Österreich 20 Euro / Förderabo 40 Euro
Abo sonstiges Ausland: 30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2014