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VORWÄRTS/1577: Patriarchaler Kitsch


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 27. März 2020

Patriarchaler Kitsch

von Damian Bugmann


Trotz theoretischer Gleichstellung und gesetzlichem Diskriminierungsschutz sind Fernsehen und Blockbuster-Filme immer noch gut bestückt mit sexistischen, sowie homo- und transphoben Inhalten. Auch chauvinistische, imperialistische und antikommunistische Mythen sowie Überzeugungen sind darin noch weit verbreitet.

"Büezerbueb" Gölä, der sich laut eigener Aussage mehr als Unternehmer denn als Musiker versteht, gibt sich in der SRF-Talentshow "Voice of Switzerland" als ein von Testosteron und Adrenalin überschäumender Macho im Büezeroverall. Ein Beispiel, das sich in Variationen wiederholt: Nachdem eine junge Kandidatin mit AC-DC-Mütze hinreissend einen Rock'n'Roll hingelegt hatte, sprang der rechtsbürgerliche Kitschrocker auf und überschlug sich vor Begeisterung. Jedes dritte Wort seines euphorischen Feedbacks war "geil", "Schnäbi" oder "Hoden". Ohne Bedenken überliessen die übrigen Coaches die junge Frau diesem Mannsbild. Vielleicht gibt es in zwanzig Jahren Klagen wegen sexueller Belästigung - es gilt die Unschuldsvermutung.


Homophobe Reflexe

Von extremen Ausnahmen abgesehen, sind verbale oder handfeste sexuelle Belästigungen in neueren Fernsehshows, Spiel- und Dokumentarfilmen seltener geworden. Bis in die Neunziger Jahre hinein waren die Medien ziemlich voll davon. Mit dem fortschreitenden Einsickern feministischer Diskurse treten Filmmachos vorsichtiger auf und einzelne Frauen dürfen in Serien und Filmen auch mithauen, -stechen, -schiessen und -bomben. Ist der männliche Superheld verliebt, wird die Auserwählte geschüzt und von den gefährlichsten Aktionen ferngehalten. Manchmal stehen Frauen auch als Superwoman oder Charlie´s Angels im Vordergrund - weil der Markt danach verlangt. Diskriminierende Darstellungen von Schwulen, homophobe Reflexe und homophobe Distanzierungen von hetero- und transsexueller Figuren (und ihrer Regisseure) gehören immer noch zum guten Ton. Sie rufen bei den heteronormativen Figuren Ekel- und Speireflexe hervor, als sei ihnen das "falsche" Geschlechtsorgan in den Mund geraten.


Sexarbeiterin oder Ehefrau

Als kleine Betrüger und Pferdediebe signalisieren Bud Spencer und Terence Hill, in ihren immer noch viel ausgestrahlten Italowestern der Siebziger und Achtziger, dass sie ganz sicher keine Gegner des kapitalistischen Wettbewerbs und deshalb vor allem auf Geld aus sind - aber cool, witzig und hart im Austeilen. Der Grossteil der Filmfiguren sind weisse Männer mit unterschiedlichem, differenziertem Profil. Die wenigen Frauenfiguren sind meist in der Geschlechterrolle, als Sexarbeiterin oder Ehefrau und eher konturlos und dekorativ. Brutalen Killern, die gegen sie auftreten, reissen die beiden Protagonisten ohne Umschweife die Kleider vom Leib, dann rennen diese, als Schwuchteln enttarnt, in ihrer rosa Unterwäsche jammernd und heulend davon. Mexikaner werden dargestellt als dumm, arbeitsscheu, disziplinlos und oft vom Alkohol abhängig, Banditen und ihre Anführer als dumm und brutal. Mexikanische Ehefrauen sind abwesend oder stumm, dienend am Herd und werden vom grossen Bud herablassend als Waschweiber bezeichnet. Indianerfiguren sind im Klischee kindisch und emotional, werden als Menschen und Krieger nicht ernst genommen, ganze Horden werden von Spencer allein locker in die Flucht getrieben.


Westalliierte Draufgänger

Interessant auch ein Blick auf den Hollywood-Streifen "Force 10 From Navarone" von 1978, frei nach dem Spielfilm "The Guns of Navarone" von 1961, der im zweiten Weltkrieg in Griechenland spielt. Das Remake zeigt Widerstandskämpfer in Jugoslawien im zweiten Weltkrieg. Die Nazis können am Überqueren der Brücke über den breiten Fluss mit Artilleriefeuer und Anschlägen gehindert werden. Da der bisherige Widerstand sehr verlustreich gewesen ist, wagt es der Kommandant der kommunistischen Partisanen nicht, die von den Deutschen schwer bewachte und gesicherte Brücke zerstören zu lassen. Zwei britische und zwei US-amerikanische Offiziere (einer davon der junge Harrison Ford), Spezialisten, Draufgänger mit lebendigem Profil, kommen da gerade recht und wagen das Unmögliche. Trotz Verbot des Kommandanten schleichen sie ab, um die Brücke clever und dramatisch zu zerlegen, was ihnen natürlich gelingt.


Kitschige Heldentat

Die Jugoslawen kommen in diesem Film schlecht weg: Die Partisanen sind Dutzendgesichter, Frauen fehlen weitgehend. Der Kommandant scheut das Risiko, sein erster Offizier erweist sich bald als deutscher Spion, den die Westler umlegen, bevor er noch mehr Unheil anrichten kann. Der afroamerikanische Sergeant ist ungeschickt, zögerlich und defensiv. Im Zweikampf mit einem Tschetnik-Hauptmann wächst er über sich hinaus und bringt den Goliath nach einem schlimmen Kampf um. Diese kitschige Heldentat verdankt er der Tatsache, dass er auf der Seite der Guten steht. Die Message dieser Fiktion des Zweiten Weltkriegs ist die Geschichtsfälschung, dass die Nazis auch in Jugoslawien vor allem dank der Entschlusskraft und Risikobereitschaft der Amis und Briten besiegt worden seien. Den jugoslawischen Kommunisten traut man wie den sowjetischen - ausser allfälligen Grausamkeiten - nicht viel zu.

Die Feinde des Imperiums in anderen Hollywood-Blockbusters sind oft verschlagene KGB- oder DDR-Spione. Nach 1990 kommen viele Superböse sehr germanisch wie Nazis daher, manchmal gleichzeitig als ehemalige Angestellte einer DDR-Botschaft, die ihre "dunkle" Vergangenheit als Gangster und Massenmörder scheinbar nahtlos fortsetzen.


Mystifizierter Weg des Kriegs

In Hollywood wird oft die Heilsamkeit des Kriegs für Individuum und Gemeinschaft verherrlicht und gepredigt und Krieg geführt zum Schutz der angeblichen bürgerlichen Idylle und der Unternehmer-Freiheit im US/Nato-Imperium.

Die Widersacher der bürgerlichen Halsabschneider werden zu übermächtigen Monstern stilisiert. "Cowboys und Aliens" (2011) zeigt US-Siedler in Arizona Ende des 19. Jahrhunderts. Viele Bewohnerinnen und Bewohner des Städtchens werden von Aliens entführt und beschossen, welche die Erde exzessiv ausbeuten wollen und die entführten Menschen als Energiequellen benutzen. Angesicht der drohenden Zerstörung der Menschheit tun sich Jake (007 Daniel Craig) und seine Banditen, Dorfbonze Colonel Dolarhyde (Harrison Ford) und lokale Indianer zusammen, um die Gefahr heldenhaft trotz der technischen und waffenmässigen Überlegenheit der blutsaugenden Monster abzuwenden.


Wieder auf der Abschussliste

Alle Diskriminierungen und Interessenkämpfe sind vergessen, die Konflikte werden nach aussen projiziert und gierig der Weg des Kriegs beschritten. Die vereinigten "Guten" haben Kultur, Humor, Intelligenz, Mut, Herz, Durchhaltevermögen, Gefühl und Mitgefühl (für ihresgleichen). Den "Bösen" bleiben nur Hinterlist, Hass, Rücksichtslosigkeit und blinde Zerstörungswut. Natürlich siegt nach zähen, verlustreichen Kämpfen "das Gute", alle Aliens und ihre Infrastruktur werden pulverisiert. Die bürgerliche Idylle ist wiederhergestellt, der Colonel macht weiter dicke Geschäfte auf Kosten der anderen, "Kriminelle" und Indianer sind wieder auf der Abschussliste.


Massaker an Osteuropäern

Das Fremde ist lästig und wird in der Propaganda, in der patriarchalen Mythenfälschung, masslos überhöht, um die Legitimität zu haben, es ausmerzen zu können. Die Wirklichkeit im Wilden Westen sah wohl nicht aus wie in "Cowboys und Aliens", sondern wie in der Verfilmung des "Johnson County War" 1890 in Wyoming von Michael Cimino in "Heaven's Gate" (1980), mit Kris Kristofferson, Isabelle Huppert, Christopher Walken und Jeff Bridges. Darin werben reiche Rancher ruchlose Killer an, um 125 arme Einwanderinnen und Einwanderer aus Osteuropa zu massakrieren, die sie als "Diebe und Anarchisten" bezeichnen, weil sie ihren Profitplänen im Weg sind und ihnen aus Hunger Kälber stehlen und braten. Die Armen wehren sich verzweifelt mit der Unterstützung von Schiessprofis. In der konservativen Reagan-Aera wurde der Film zum kommerziellen Flop und erntete nur in Europa Beachtung, Respekt und Lob.


Blut- und Drecklöcher

"Godzilla" 2014 ist ein typisches Epos aus der Hollywood-Küche. Lieutenant Brody, Familienvater, Held und Hansdampf in allen Blut- und Drecklöchern und das japanische Urzeit-Monster retten die Vormacht der USA und die Welt vor zwei dank Radioaktivität furchtbaren und fruchtbaren Monstern, nachdem diese in etlichen Städten Massenpanik und Kollateralschäden hinterlassen haben. Der Film will mit allen technischen und psychologischen Tricks einmal mehr beweisen, dass die USA das Monopol als Weltpolizist verdient haben und die Besten sind im Inszenieren von megabösen Megamonstern, die dann in Fiktion und Realität als Vorwand für ihre weltherrschaftlichen Gelüste und flächendeckenden Verwüstungen und Verseuchungen herhalten müssen. Ihren Krieg erklären sie zum legitimem Widerstand und als notwendig zur Erfüllung ihres edlen Auftrags für das Wohl der Menschheit.


Held, Krankenschwester und Stammhalter

Am Schluss nach der Film-Katharsis (gewaltvolle Reinigung) zieht sich der einsame Monster-Held Godzilla (bis zu seiner nächsten Rettung des US-Imperiums?) wieder in die Tiefsee zurück. Die heteronormative Kleinfamilie Brody überlebt und steht unerschütterlich in den Trümmern: Der Vater (dessen Eltern von den radioaktiven Feindungeheuern getötet worden waren), verletzt, blut- und dreckverschmiert, die Frau, natürlich hübsch und Krankenschwester, und der kleine Stammhalter, nach überstandenem Trauma voll von Bewunderung für den Vaterhelden. Genetisch überlegen und fruchtbar (wegen der radioaktiven Strahlung? Wegen der patriotischen Gesinnung?) werden sie einen wichtigen Beitrag zur Wiederbelebung des grossflächig kriegszerstörten gelobten Lands leisten.

Wir haben in diesem Artikel bewusst auf das Gender* verzichtet.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12 - 76. Jahrgang - 27. März 2020, S. 11
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts,
PdAS und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 8230, 8036 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2020

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