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VORWÄRTS/1565: Schweiz - "Sexuelle Orientierung" ist im Gesetz


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 14. Februar 2020

"Sexuelle Orientierung" ist im Gesetz"

von Damian Bugmann


Die Abstimmungskampagne "Ja zum Schutz vor Hass" ist ein voller Erfolg: Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ist jetzt mit Busse oder Gefängnis strafbar. Die LGBTI-Community feiert den Abstimmungssieg und blickt gespannt auf anstehende Parlamentsentscheide, die weitere Diskriminierungen beheben sollen.


Mit einer knappen Zweidrittelmehrheit, 63,1 Prozent Ja, wurde das Gesetz glänzend von der aktiven Stimmbevölkerung angenommen, gegen das SVP und EDU das Referendum ergriffen hatten. 23 Kantone stimmten zu, Uri, Schwyz und Appenzell-Innerrhoden lehnten ab. TV-Prognostiker Lukas Golder hatte vor der Abstimmung auf etwa Sechzig Prozent Ja und eine hohe Zustimmung aus der Romandie getippt und damit recht behalten.

Anian Liebrand, Nein-Kampagnenleiter der rechtsreligiösen EDU, hatte im Vorfeld medial das Schlimmste befürchtet und in seiner Verzweiflung nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch die Gewerbefreiheit beschworen. Damit hatte er wohl die "Freiheit" der Wirte und Ladenbesitzer gemeint, nichts an homo- und bisexuelle Menschen zu verkaufen. Mit dem Abstimmungsergebnis ist es jetzt definitiv nicht mehr angesagt, Schilder mit einem solchen oder ähnlichen Text anzubringen: "Wir bedienen weder bisexuelle Sexmonster noch homosexuelle Pädo-Grüsel" (heterosexuelle Monster und Pädo-Grüsel würden offenbar bedient). Solche Schilder verstossen gegen die erweiterte Diskriminierungs-Strafnorm in Strafgesetzbuch und Militärstrafgesetz. Geschützt sind jetzt "Aufruf zu Hass und Diskriminierung" aufgrund von "Rasse, Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung", Zuwiderhandlung kann "mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe" bestraft werden.


"Gott erlaubt das nicht"

Diskriminierung bleibt Realität, wird aber vom Gesetz nicht mehr toleriert. Im Bus waren kürzlich von Jugendlichen schlimme Äusserungen über Homo- und Bisexuelle zu hören: "Ich hasse solche Leute", "Gott erlaubt das nicht" und "Sie werden alle in der Hölle brennen!". Es gab in letzter Zeit auch in der Schweiz, nicht nur in Berlin und den USA, tätliche Übergriffe auf Menschen mit anderer als heterosexueller Ausrichtung. In Zürich wurde letztes Jahr ein LGBTI-Infostand abgeräumt und beschädigt. Die Referendumskreise finden, Homophobie gebe es gar nicht und deshalb sei ein Schutz vor Diskriminierung nicht nötig. Dasselbe behauptet zum Beispiel SVP-Nationalrat Gregor Rutz explizit auch von rassistischer Diskriminierung. Die privilegierten weissen heteronormativen Männer sind gegen den Schutz vor Diskriminierung in den Bereichen, Geschlecht, Orientierung, Rasse, Ethnie, Bildung und Arbeit, weil sie ihre eigenen Privilegien dadurch gefährdet sehen. Sie kehren den Spiess propagandistisch um: Sie bezeichnen diesen Schutz als Privilegierung und die Diskriminierung von Benachteiligten sowie ihre eigenen Privilegien als normal und gerechtfertigt.


Ätzende Diskriminierungen

"Lösungen statt Vorurteile" so das Motto der Befürworter*innen des Transitplatzes für ausländische Fahrende bei Wileroltigen an der Autobahn, über den im Kanton Bern am Wochenende abgestimmt wurde. Diskriminierungsschutz setzte sich auch hier durch: Trotz ätzendem xenophobem Gegenwind stimmte die Bevölkerung zu. Auch Homophobie ist wie viele andere Diskriminierungen in der westlichen kapitalistischen Welt Realität. Und sie hat Tradition: In der Zeit der nicht nur fortschrittlichen Aufklärung wurde Homosexualität als "Das Laster wider die Natur", "Die pathologische Liebe" bezeichnet und konsequent mit Pranger und Gefängnis bestraft. So wurde die Grundlage gelegt für das erstrebte Ziel einer heteronormativen Gesellschaft, in der Homosexualität nur noch in städtischen Subkulturen gelebt werden kann.


Transmenschen gehen leer aus

Ausgelassene Stimmung und laute Freude am Abstimmungssonntag bei der LGBTI-Community. Im Restaurant Grosse Schanze auf der Uniterrasse in Bern. "Unzählige Freiwillige unterstützten das JA-Komitee der LGB-Dachverbände und verteilten 220.000 Flyer, was einem Gewicht von über zwei Tonnen Papier entspricht. Über 47.500 Buttons wurden in der ganzen Schweiz verteilt und 20.000 Regenbogenfahnen aufgehängt", freute sich Moderatorin Drag Queen Toby und verkündete dann das Glanzresultat. Drag Queens und Drag Kings im Publikum und auf der Bühne erinnerten daran, dass es den Diskriminierungsschutz für Transmänner und Transfrauen nicht gibt, dass sie von der bürgerlichen Mehrheit der eidgenössischen Parlamente nicht in die Erweiterung der Diskriminierungsstrafnorm aufgenommen worden sind.

Ein freudiges Aufatmen ging am Abstimmungssonntag durch die Community. "Das Resultat gibt uns Schwung für den weiteren Kampf für LGBTI-Rechte", sagte Anna Rosenwasser, Co-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS). "Wir wollen nicht eine Partnerschaft mit ein bisschen mehr Rechten, wir wollen eine Ehe für alle mit genau den gleichen Rechten wie sie heterosexuelle Paare haben. Dazu gehört auch die rechtliche Absicherung von Familien mit Kindern." (Siehe Kurzmitteilung auf Seite 12 in vorwärts Nr. 05/06 vom 14. Februar 2020).


Griffige Massnahmen

Eine Ablehnung der revidierten Strafnorm wäre eine böse Überraschung und ein Rückschritt gewesen. Bei einer Ablehnung wäre wohl die Erfassung von LGBTI-feindlich motivierten Delikten fallen gelassen worden und die "Ehe für alle" hätte vielleicht gar keine Mehrheit im Parlament bekommen. Die Erfassung von LGBTI-feindlich motivierten Delikten wird der Ständerat vermutlich in der Frühlingssession behandeln. Der Nationalrat hat bereits in der Herbstsession zugestimmt. "Mit der Erfassung könnte das Ausmass dieser Gewalt belegt werden und griffige Massnahmen könnten dagegen ergriffen werden", so Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross. Polizei und Justiz soll die Arbeit durch Hintergründe und Statistiken erleichtert werden (siehe Artikel "Transmenschen erleben Hassgewalt" in vorwärts Nr. 05/06 vom 14. Februar 2020).

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 76. Jahrgang - 14. Februar 2020, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2020

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