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VORWÄRTS/1541: Das Gold des 21. Jahrhunderts


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 39/40 vom 29. November 2019

Das Gold des 21. Jahrhunderts

von Siro Torresan


Der Militärputsch in Bolivien gegen die Regierung von Juan Evo Morales Ayma und seiner Partei Movimiento al Socialismo liegt ganz im Interesse der multinationalen Konzerne: In Bolivien befinden sich bis zu 45 Prozent der weltweit bekannten Reserven an Lithium, das für die Herstellung von Batterien und Smartphones benötigt wird.


Mit mehr als 10.000 Quadratkilometern ist der Salar de Uyuni der grösste Salzsee der Welt. Er liegt in Bolivien auf gut 3.600 Metern Höhe über Meer. Rund zehn Milliarden Tonnen Salz sammeln sich in dem gigantischen See. Aber nicht nur: Unter der dicken Salzkruste verbirgt sich ein gigantischer Schatz: Lithium - ein begehrter Rohstoff. Schätzungen gehen davon aus, dass dort zwischen 25 und 45 Prozent der weltweit bekannten Reserven dieses Stoffes liegen.

Lithium ist der Hauptbestandteil für Batterien, die für die Umstellung der Welt auf Elektroautos und Smartphones gebraucht werden. Marktanalysten spekulieren darüber, dass bis Mitte der 2020er Jahre das Angebot an Lithium kaum ausreichend sein wird, um die Nachfrage von Auto- und Mobilgeräteherstellern zu befriedigen. Es wird daher auch das "Gold des 21. Jahrhunderts" genannt. Es liegt daher auf der Hand: Rohstoffhungrige Konzerne haben ihre profitgierigen Blicke schon seit längerem darauf geworfen. Der Militärputsch gegen Evo Morales ist ganz in ihrem Sinne. Doch der Reihe nach.


Weitreichende soziale Umwälzung

Evo Morales wurde 2006 als erster Indigener, als Aymara-Indianer, zum Präsidenten Boliviens vereidigt. Er sagte damals: "Unser Land ist reich, aber gleichzeitig gibt es viel Armut. Die Rohstoffe sind uns im Laufe der Geschichte immer wieder geraubt worden. Sie wurden geplündert oder meistbietend von neoliberalen Regierungen versteigert oder multinationalen Unternehmen überlassen." Morales versprach, dass mit derartiger Ausbeutung nun Schluss sei.

Gesagt, getan! Einer seiner ersten Handlungen war die vollständige Nationalisierung der Kohlenwasserstoffressourcen des Landes. Mit dem aus der nun verstaatlichten Rohstoffindustrie stammenden Geld startete die Regierung Morales ein massives und erfolgreiches Programm zur Armutsbekämpfung. Gemäss den vom US-amerikanischen Center for Economic and Policy Research (Zentrum für wirtschaftliche und politische Forschungen) gesammelten Daten war das Wirtschaftswachstum in Bolivien in den Jahren der Morales-Regierung doppelt so hoch wie sonst in Lateinamerika und der Karibik.

Ehe die von Morales angeführte MAS (Movimiento al Socialismo) an die Macht kam, hatte die Regierung Boliviens kümmerliche 731 Millionen Dollar an jährlichen Einnahmen aus der Kohlenwasserstoffvorkommen herausgeholt. Vom Profit bei Gas und Erdöl behielten internationale Konzerne bis dahin 82 Prozent ein, für die Staatskasse blieben kümmerliche 18 Prozent übrig. Der Gewinnanteil wurde umgedreht. Nach der Verstaatlichung wuchsen die 731 Millionen um mehr als das Siebenfache auf 4,95 Milliarden. Mit den in den meisten Jahren erreichten Überschüssen und dem zunehmenden Handel mit anderen linken Regierungen in der Region war Bolivien in der Lage, ein Mass an ökonomischer Unabhängigkeit zu erreichen, wie es sie vorher nie gehabt hat.

Der Prozentsatz der in Armut lebenden Bevölkerung sank von enormen 60 Prozent auf 35 Prozent im Jahr 2018, während die Zahl der Menschen in extremer Armut in der gleichen Zeit von fast 38 Prozent auf 15 Prozent zurückging. Das Pro-Kopf-Einkommen der elf Millionen Einwohner hat sich in Morales' Amtszeit verdreifacht. Dies alles wurde erreicht durch die Nationalisierung der Rohstoffvorkommen, sowie durch eine Kombination von Umverteilungs-, Lohn- und Investitionspolitik und die Ablehnung erpresserischer Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF).


Nie wieder Potosí

Die Reformen der Morales-Jahre gingen weit über das rein Wirtschaftliche hinaus. Die indigenen Völker in Bolivien erreichten neue Anerkennung und Respekt, ihre Sprachen kamen endlich in die Lehrpläne der öffentlichen Schulen. Der verheerende "Krieg gegen die Drogen", der weite Landstriche verwüstet und das Leben der Kleinbauern ruiniert hatte, wurde eingestellt. Der Coca-Anbau - der medizinischen und anderen Zwecken weit über die Herstellung von Kokain hinaus diente - wurde legalisiert, und die Drogenbekämpfung wurde damit wieder auf den Handel konzentriert. Die Verfassungsreform von 2009 machte den Status Boliviens als eines plurinationalen säkularen Staates vieler Völker und Nationalitäten offiziell und tat damit einen grossen Schritt vorwärts bei der Beendigung der Vorherrschaft einer vom Imperialismus abhängigen Elite im öffentlichen Leben.

Zurück zum "Gold des 21. Jahrhunderts": Immer wieder sprach er über den Cerro Rico, den reichen Berg in Potosí. Die spanischen Eroberer*innen plünderten vom 16. Jahrhundert an das Land aus. Das Silber des reichen Berges finanzierte einen grossen Teil des Haushalts der spanischen Krone. Für die Menschen in den Anden blieb jedoch nichts übrig. Nie wieder Potosí, heisst es deshalb. Gemeint ist damit nicht mehr Silber, sondern der begehrte Rohstoff Lithium, von dem - anders als bei der Plünderung des Silbers - alle Menschen in Bolivien profitieren sollten, statt nur wenigen Weltkonzerne. So war die Regierung von Evo Morales dabei, eine Lithium-Industrie in öffentlichem Eigentum aufzubauen, um die Wirtschaft des Landes zu diversifizieren und weiterhin mehr Menschen aus der Armut zu bringen. Bemühungen multinationaler Bergbaukonzerne aus den USA, Kanada, Südkorea und anderen Ländern, an das kostbare Metall heranzukommen, sind weitgehend ins Stocken geraten. Ein Joint Venture mit einer deutschen Firma ist Anfang November von der bolivianischen Regierung annulliert worden wegen der Besorgnis, dass nicht genug dabei herausspringt für die indigene Bevölkerung, die in der Nähe von Uyuni lebt.


Der Grund des Putsches

Der Aufbau einer staatlichen Lithium-Industrie war nach der Verstaatlichung der Rohstoffindustrie das zweite "Verbrechen gegen den Kapitalismus", so wie es ironisch im Artikel von C.J. Atkins in seinem Artikel in der linken US-amerikanischen Online-Zeitung "People's World" bezeichnet. Evo Morales war und bleibt ein Feind der Profithaie, der internationalen Multis und somit des Imperialismus. Um es mit seinen Worten zu sagen: "Der schlimmste Feind der Menschheit ist der US-Kapitalismus. Das ist es, was Aufstände wie unseren hervorruft, eine Rebellion gegen das System, gegen das neoliberale Modell, das die Ausprägung eines wilden Kapitalismus ist. Wenn die ganze Welt diese Realität nicht zur Kenntnis nimmt, dass Nationalstaaten nicht einmal minimal für Gesundheit, Bildung und Ernährung sorgen, dann werden jeden Tag die grundlegendsten Menschenrechte verletzt." Der wahre Grund des Militärputsches ist somit seine fortschrittliche Politik.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 39/40 - 75. Jahrgang - 29. November 2019, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2019

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