Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1466: Psychoanalyse, Gesellschaft und Politik


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 15/16 vom 16. Mai 2019

Psychoanalyse, Gesellschaft und Politik

Interview mit Emilio Modena von Damian Bugmann


Mit sozialpsychologischen, politischen und feministischen Analysen von Freud, Reich, Parin, Hauser und weiteren gegen die verführerische und zerstörerische Politik von FPÖ, AfD und SVP: Arzt und Psychoanalytiker Emilio Modena erläutert im Interview mit dem vorwärts die Hintergründe der "Rechtspopulismus"-Tagung der Stiftung für Psychotherapie und Psychoanalyse vom 1. Juni im Kosmos Zürich.


Frage: Wie bringen Sie persönlich Wilhelm Reich, Freud und Marx zusammen?

Emilio Modena: Wilhelm Reich war der erste Psychoanalytiker, der als Kommunist daran ging, die von Freud entdeckten subjektiven Faktoren auf die Politik anzuwenden. Er initiierte zum Beispiel mit der "Sexpol" eine Jugendbewegung, welche die Sexualität als Problem ernst nahm und für den antikapitalistischen Widerstand stark machte. Und in seiner Pionierarbeit zur "Massenpsychologie des Faschismus erklärte er, warum viele Arbeiter*innen - gelangweilt von den KP-Bürokraten - "in Liebe zu Hitler entbrannten". In der 68er-Bewegung wieder entdeckt, wurde Wilhelm Reich zu einem meiner wichtigsten Lehrer.

Frage: Wird an der "Rechtspopulismus"-Tagung das Phänomen unter anderem mit den Methoden von Freud, Reich, Parin, Erdheim und eventuell anderen betrachtet und analysiert?

Emilio Modena: An der Tagung werden drei Vertreter*innen der psychoanalytisch orientierten Sozialpsychologie ihre empirischen Befunde auf Grund der Dialektik von Subjektivität und Gesellschaftskritik erläutern. Die Ethnopsychoanalyse Paul Parins und seiner Schüler Mario Erdheim, Maja Nadig und weiteren ist eine Weiterentwicklung des Freudo-Marxismus. Die Feministin Ursula Hauser verbindet diesen ausserdem auch mit der Gruppenanalyse des Psychodramas. Klaus Ottomeyer und Oliver Decker haben in Österreich, beziehungsweise Deutschland den Aufstieg der FPÖ - ersterer seit den Zeiten von Jörg Haider - und AfD sozialpsychologisch mitverfolgt und fortlaufend analysiert. Von der Soziologin und Vollblutpolitikerin Tamara Funiciello erwarte ich zusätzlich die sozio-politische Durchleuchtung unserer eigenen "Volkspartei", der SVP.

Frage: Werden die Analysen der Psychologin und Patriarchatsforscherin Carola Meyer-Seethaler in "Ursprünge und Befreiungen, eine dissidente Kulturtheorie" ebenfalls eine Rolle spielen?

Emilio Modena: Carola Meyer-Seethaler entwickelt ihre dissidente Kulturtheorie auf dem Boden eines von der Sozialpsychologie verschiedenen Wissenschaftsparadigmas. Ihre Befunde gründen auf den Entdeckungen der Archäologie und Anthropologie sowie auf Symbolforschung. Das Patriarchat ist nach einer früheren langen Menschheitsepoche - vereinfacht gesagt - zur Zeit der neolithischen Revolution vor ungefähr 10.000 Jahren entstanden, als sich Ackerbau und Viehzucht in Anatolien und Mesopotamien ausbreiteten. Der Krieg - verstanden als organisierter Feldzug von Menschengruppen gegeneinander - wurde damals zur Gewinnung von Sklav*innen "erfunden". Nach dem Untergang der Sklavenhaltergesellschaften diente er im Feudalismus der Eroberung von Land (mit Leibeigenen) und noch später - im Kapitalismus - von Einflusssphären und Märkten. Der feministische Gesichtspunkt, auch von Meier-Seethaler, ist in der gegenwärtigen Gender-Diskussion als wichtige Ergänzung zu Psychoanalyse und Marxismus von grosser Bedeutung.

Frage: Geben Sie ein paar konkrete Beispiele für die im Programm erwähnten "autoritären Strukturen im Ich und in der Gesellschaft".

Emilio Modena: Im individuellen Seelenleben ist das Verhältnis der rational handelnden Instanz (dem "Ich") mit der tradierten moralisch-ethischen Instanz (dem "Über-Ich") für das Verhalten massgebend. Menschen mit einem relativ schwachen Ich neigen dazu, sich an als stark empfundenen Identifikationsfiguren anzulehnen. Zusätzlich kommt es in Zeiten ökonomischer und politischer Krisen zu einer massenhaften Verunsicherung auf Grund derer auch ehemals starke Individuen zur Regression auf Kindheitsmuster neigen, so dass man/frau bei Führergestalten und emotional Halt bietenden Organisationen Zuflucht sucht. Beispiele für autoritäre Strukturen sind aber auch in "normalen" Zeiten in der Zivilgesellschaft häufig. Zum Beispiel Jugendliche, die sich am Ausgang ihrer Adoleszenz bereitwillig dem Establishment in der Arbeitswelt oder im Militär unterwerfen. Oder Arbeiter*innen, die nach dem "Velofahrerprinzip" funktionieren, indem sie vor den Vorgesetzten buckeln und gegen wehrlose Minderheiten treten, wie "Asylanten" oder "Sozialschmarotzer". Oder das Phänomen der geschlagenen Frauen, die sich - trotz Hilfe in Frauenhäusern - nicht von ihren gewalttätigen Männern trennen können.

Frage: Gibt es Ihrer Meinung nach Linkspopulismus, wenn ja, wo liegen die Unterschiede?

Emilio Modena: In meiner noch unveröffentlichten Arbeit über "Das absurde Theater des Populismus im Lichte einer psychoanalytischen Sozialpsychologie" analysiere ich die strukturelle Logik des Populismus jenseits seiner politischen Orientierung. Ziel ist immer die Machtergreifung und -erhaltung in der Nachfolge eines starken Mannes oder einer starken Frau. Die jeweilige Bewegung wärmt sich emotional auf durch die Abfuhr verdrängter Aggressionen auf Sündenböcke, was sowohl zu einer rechten (faschistischen), als auch zu einer linken (stalinistischen) Diktatur führen kann.

Frage: Bezeichnen Sie die Strukturen der ehemaligen UdSSR und DDR, von Kuba und Venezuela als autoritär oder partizipativ, und weshalb?

Emilio Modena: Ich möchte nicht alle ehemaligen und gegenwärtigen Länder des "real existierenden Sozialismus" über einen Leisten schlagen. Den Regimes der UdSSR (im Grossen) und Kubas (im Kleinen) ist eine echte Revolution voraus gegangen, die anfänglich eine starke partizipative Beteiligung der Massen garantierte. Allerdings hat sich in beiden Staaten in relativ kurzer Zeit (wenige Jahre) eine Partei-Diktatur unter Führung der Bürokratie etabliert, welche die formal demokratische parlamentarische Staatsform zu einer Farce entarten liess. In der DDR dagegen wurde der Sozialismus von Anfang an dank dem Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg von oben herab eingeführt - womit ich nota bene keineswegs die demokratischen Errungenschaften in allen drei Ländern zum Beispiel bezüglich der Gesundheitsversorgung oder dem Zugang zur Bildung entwerten möchte. In Venezuela ist die Situation grundsätzlich verschieden. Da wird ein linkspopulistisches - "bolivarisches" Regime vom US-Imperialismus massiv wirtschaftlich und politisch angegriffen im durchsichtigen Bestreben, die Kontrolle über die riesigen Erdöl-Vorkommen und die anderen Ressourcen des Landes, wie Gold und Kobalt zurückzugewinnen.

Frage: Wie entgehen Sie der Gefahr, bei der Beschäftigung mit Rechtspopulismus nicht den wichtigen Akteur Kapitalismus aus dem Blickfeld, beziehungsweise dem Bewusstsein zu verlieren?

Emilio Modena: Meine Beschäftigung mit dem Rechtspopulismus kann keinen Augenblick lang vom Kapitalismus absehen. Die Geschichte von Faschismus und Nationalsozialismus hat hinlänglich aufgezeigt, wie in Zeiten der Krise - angesichts dem Erstarken der Kräfte der Revolution - liberale, konservative und christlich-soziale Kräfte zur Rettung der freien Marktwirtschaft ihr Heil bei der Inthronisierung gewalttätiger faschistischer Führer gesucht haben. Aktuell sind wir alle Zeitzeugen der Wiederholung eben dieses historischen Musters in Brasilien.


Emilio Modena ist Mitorganisator der Tagung "Rechtspopulismus" am 1. Juni in Zürich.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 15/16/2019 - 75. Jahrgang - 16. Mai 2019, S. 10
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang