Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1356: Arbeitsfrieden statt direkte Aktion


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 03/04 vom 1. Februar 2018

Arbeitsfrieden statt direkte Aktion

von Damian Bugmann


Durch einen Streik erreichte der Bau- und Holzarbeiterverband Genf 1928 einen Gesamtarbeitsvertrag, die Aktionsliga der Bauarbeiter setzte ihn mit direkten Aktionen durch. Ein politisches Geschichtsbuch aus anarchistischer Sicht.


"Jeder Arbeiter, der an einem Samstagnachmittag auf der Baustelle erwischt wird, wird als Saboteur betrachtet und entsprechend behandelt. Jegliche an einem Samstagnachmittag durch Saboteure ausgeführte Arbeit wird zerstört", erklärte der Schweizerische Bau- und Holzarbeiterverband (SBHV) denen, die sich 1930 nicht an den GAV hielten.

Die Gründung der Genfer Aktionsliga der Bauarbeiter war inspiriert durch die Lyoner Aktionsliga der Bauarbeiter, die von 1911 bis 1930 mit direkten Aktionen Lohnniveau und Anstellungsbedingungen bestimmte, die Einhaltung der Bedingungen auf den Baustellen kontrollierte und wenn nötig mit Gewalt intervenierte. Der Name "Aktionsliga" deutet auf die direkte Aktion, ein Kampfmittel vor allem von anarchistischen Gruppen. 1872 wurde in St-Imier im Berner Jura die "antiautoritäre und föderalistische Internationale" gegründet, in der Michael Bakunin mitarbeitete. Im Gegensatz zur sozialdemokratischen Dominanz in der Deutschschweiz und im nationalen Gewerkschaftsbund waren in der Romandie die AnarchistInnen stark. Bis zum Streit 1935 kämpften Mitglieder der sehr kleinen KP Genf solidarisch mit den AnarchistInnen.


Aussperrung und Gründung

Die im Generalstreik 1918 auf nationaler Ebene erkämpfte 48-Stunden-Woche sollte die 59-Stunden-Woche ersetzen, doch die ArbeitgeberInnen scherten sich in der Regel nicht darum. Schweizweit wehrten sich die MaurerInnen heftig dagegen, 1920 schlossen die Patrons Baustellen und sperrten weit über 12.000 ArbeiterInnen aus. Ohne nationalen Zusammenschluss und Streikkasse waren die MaurerInnen in einer schwachen Position und kehrten nach elf Wochen an die Arbeit zurück. Darauf gründeten sie den SBHV.

Im Mai 1928 beschloss die Vollversammlung des Genfer Verbands den Streik und forderte die Erhöhung der Mindestlöhne, die Verringerung der Arbeitszeit, den arbeitsfreien Samstagnachmittag und einen Gesamtarbeitsvertrag. Der Genfer Gewerkschaftsbund unterstützte den Streik der 1700 ArbeiterInnen, die Zentraldirektion des Bau- und Holzarbeiterverbands distanzierte sich. Es wird von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und christlichsozialen StreikbrecherInnen berichtet. Der GAV wurde am 4. Juni 1928 unterzeichnet: höhere Mindestlöhne, Samstagnachmittag arbeitsfrei, maximal 50 Wochenstunden im Sommer, 44 im Winter.


Tödlicher Armeeinsatz

Die Patrons hielten den Vertrag meist nicht ein. Mit Mitteln der direkten Aktion setzte die Aktionsliga deshalb die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrags auf der Strasse und den Baustellen durch. Es kam ab Frühjahr 1930 zu Demonstrationen, Schlägereien, Sachbeschädigungen, Verhaftungen und zahlreichen Prozessen gegen AktivistInnen. Im November 1932 erschoss das Militär 13 Menschen und verletzte mehr als dreissig. Solidaritätsdemos in verschiedenen Schweizer Städten folgten.

Die Liberal-Radikalen und Konservativen konnten in der zweiten Hälfte der Dreissiger Jahre dem aus ihrer Sicht "Terror der Gewerkschaft", der "die Arbeitsfreiheit einschränkt" und das sakrosankte Eigentumsrecht verletzt, ein Ende setzen. Die Schweiz rückte im Vorfeld des Kriegs nach rechts, Gesetze verboten Streiks und direkte Aktion, die Gewerkschaften wurden in die Sozialpartnerschaft mit der Hegemonie der ArbeitgeberInnen gepresst. Das detaillierte Geschichtsbuch beschreibt, analysiert und belegt aus anarchistischer Sicht. Es geht auch ein auf wichtige anarchistische Figuren der Zeit und die damaligen ArbeiterInnenzeitungen der Romandie.


Alexandre Elsig/Übersetzung Daniel Zumbühl:
Die Aktionsliga der Bauarbeiter
Bahoe Books, 2017. 176 Seiten, 36.90 Franken.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 03/04 - 74. Jahrgang - 1. Februar 2018, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang