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VORWÄRTS/1307: Zur Ermordung von Berta Cáceres - "Ihr habt die Kugeln, wir die Worte!"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 25/26 vom 21. Juli 2017

"Ihr habt die Kugeln, wir die Worte!"

Interview mit Thomas Bachmann von Siro Torresan


In Honduras werden Grossprojekte im Interesse des nationalen und internationalen Finanzkapitals vorangetrieben, welche die Lebensgrundlagen der Menschen zerstören. Der Widerstand wächst, aber auch die staatliche Repression. So wurde die Aktivistin Berta Cáceres ermordet. Ein Gespräch mit Thomas Bachmann.

Um die aktuelle Lage in Honduras zu verstehen, müssen wir wohl beim Putsch beginnen.

Thomas Bachmann: Richtig. Im Juni 2009 hat das Militär gegen den Präsidenten José Manuel Zelaya Rosales des Partido Liberal de Honduras geputscht. Der vorgeschobene Grund war, dass Zelaya eine verfassungsgebende Versammlung einberufen wollte, um eine Verfassungsreform in Angriff zu nehmen. Ihm wurde vorgeworfen, durch die angestrebte Reform seine Wiederwahl zu ermöglichen, da in Honduras der Präsident nur einmal gewählt werden kann. Wichtig ist aber Folgendes: Offiziell hat die damalige US-Regierung unter Präsident Obama den Putsch verurteilt. Mittlerweile ist jedoch klar, dass die USA den Putsch unterstützt haben. Es gibt verschiedene Dokumente, die das beweisen und zwar auch anhand des aufgezeichneten Funkverkehrs jener Tage. Zelaya wurde verhaftet und in das gemeinsam von honduranischem und US-amerikanischem Militär genutzten Militärlager Soto Cano in Palmerola gebracht und von da aus nach Costa Rica ins Exil.

Zelaya ist kein wirklich Linker. Was waren die tatsächlichen Gründe des Putsches?

Honduras war Mitglied von Alba, der "Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika - Handelsvertrag der Völker" (spanisch Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América - Tratado de Comercio de los Pueblos), dem auch Länder wie Venezuela, Bolivien, Kuba und Brasilien angehören. Das passte dem honduranischen Finanzkapital und den USA natürlich nicht. Im Jahr 2010, wenige Monate nach dem Putsch, ist Honduras aus Alba ausgetreten. Man sagt auch zurecht, dass der Putsch in Honduras der Startschuss war für alle jene Staatsstreiche, die dann folgten: In Brasilien, in Venezuela, der versuchte Putsch in Ecuador ...

Honduras war also quasi das Übungsfeld?

Ja. Das ist ganz klar eine der Schlussfolgerungen, die man ziehen kann.

Wie war die Entwicklung nach dem Putsch?

Als Interimspräsident wurde Roberto Micheletti vom Parlament gewählt. Danach gab es Wahlen und Präsident wurde Porfirio Lobo. Seit 2014 ist Juan Orlando Hernández des Partido Nacional de Honduras Präsident. Er geniesst die volle Unterstützung von den USA sowie der EU, weil er Grossprojekte wie zum Beispiel das Wasserkraftwerk "Agua Zarca" im Interesse des nationalen und internationalen Finanzkapitals ermöglicht und kräftig vorantreibt. Diese Megaprojekte geben zwar an, dass sie umweltfreundlich sind. Vor allem das mit der Wasserkraft, da behauptet wird, dass es ein Ersatz für fossile Brennstoffe sei. Es ist aber so, dass diese Grossprojekte ganz viele "Schönheitsfehler" haben: Sie heben das Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker auf, sie zerstören die Lebensgrundlage der Bevölkerung in den betroffenen Gemeinden und sie operieren mit falschen Versprechen. Eines davon ist, dass all diese Projekte, wie eben "Agua Zarca", Arbeitsplätze schaffen werden. Es sind aber Arbeitsplätze für hochqualifiziertes Personal und für die Bevölkerung bringen sie nur Armut. Armut auch, weil diese Projekte auf enteignetem Boden entstehen und die Natur zerstören. Natürlich gibt es gegen diese Megaprojekte Widerstand. Eine Folge des Putsches ist, dass die Repression gegen die AktivistInnen sehr stark zugenommen hat und weiterhin ständig zunimmt.

Nach 2009 gingen auch sogenannte Modellstädte in Planung. Es sind Städte, in denen die honduranische Gesetzgebung, zum Beispiel in Sachen Arbeitsrechte, keine Gültigkeit hat, sondern die Regelungen durch die Freihandelsverträge zum Gesetz werden. Die Modellstädte wurden via einem Gesetz vom Kongress verabschiedet, jedoch danach von der höchsten gerichtlichen Instanz des Landes, von der Corte Suprema de Justicia, als verfassungswidrig erklärt. Daraufhin wurden vier der fünf VerfassungsrichterInnen ausgetauscht und zwar jene, die sich gegen die Modellstädte ausgesprochen hatten. Der einzig verbleibende Verfassungsrichter wurde später vom Präsidenten Juan Orlando Hernández zum Generalstaatsanwalt ernannt. Danach wurde dasselbe Gesetz unter einem neuen Namen wieder vom Kongress verabschiedet. Es blieb dann lange ruhig, aber seit diesem Jahr geht es nun vermehrt vorwärts. Honduras soll zum Vorzeigemodell des Neoliberalismus werden. Dazu gehört auch eine Reform des Código Penal, also des Strafrechts, die im aktuellen Präsidenten einen grossen Unterstützer hat. Diese sieht unter anderem vor, dass, wenn der Staat eine Demonstration als Bedrohung für die öffentliche Sicherheit einstuft, den OrganisatorInnen und den TeilnehmerInnen 40 bis 50 Jahre Gefängnis drohen. Die Polizei und das Militär sollen hingegen Straffreiheit geniessen. Sie sollen so freie Hand bekommen.

Du hast das Wasserwerkprojekt "Agua Zarca" genannt. Wer steckt da dahinter?

Das ist ein Jointventure-Projekt, unter anderem hat das deutsche Unternehmen Siemens einen Anteil von 35 Prozent daran. Der verantwortliche Konzern in Honduras heisst Desarollo Energéticos S.A (Desa). Beteiligt ist weiter die Unternehmensgruppe der Familie Atala, einer der reichsten Familien in Honduras. Finanziert wird das Projekt auch von der staatlichen niederländischen Entwicklungsbank FMO, vom finnischen Fonds für industrielle Zusammenarbeit Ltd. Finnfund, von der zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration, dem deutschen Unternehmen VoithHydro, der Bank Ficohsa und der US-Regierung durch das USAID-Projekt Mercado. In Zusammenhang mit diesem Projekt wurde in der Nacht auf den 3. März 2016 Berta Cáceres, einen Tag vor ihrem 45. Geburtstag, ermordet. Sie war die Koordinatorin von COPINH, dem Rat honduranischer Basis- und Indigenenorganisationen. Ein berühmter Satz von ihr ist: "Ihr habt die Kugeln, wir die Worte!" Nach dem Mordanschlag gab es massive Proteste, natürlich auch bei Siemens.

Wie hat Siemens darauf reagiert?

Siemens war bereits vor dem Mord informiert und auch gewarnt worden. Es gibt Leute innerhalb der Solidaritätsbewegung mit Honduras, die AktionärInnen bei Siemens sind. Sie hatten die Tatsache denunziert, dass es eine Todesliste gibt, auf der auch der Name Berta Cáceres stand. Siemens sah jedoch vor dem Mord keine Probleme. Danach wurde der Druck grösser. Es gab eine Petition mit über 200.000 Unterschriften, die Siemens überreicht wurde. Bei der Übergabe wollte bei Siemens niemand zuständig sein. Auch sei kein offizieller Termin abgemacht, hiess es seitens des Unternehmens. Es ist offensichtlich, dass die Verantwortlichen bei Siemens sich vor einer Stellungnahme drücken, obwohl alles auf dem Tisch liegt. Die Forderung war und ist, dass Siemens und alle anderen FinanzinvestorInnen sich zurückziehen sollen und müssen. Aktuell ist es so, dass das Projekt vorläufig sistiert ist. Das ist ganz klar ein Erfolg des Widerstands, auch weil der Druck wirklich gross wurde, und zwar in Honduras, aber auch in Europa. Aber grundlegend hat sich nichts verändert: Vor dem Mord an Berta hat es bereits mehrere Morde gegeben und kurz danach gab es einen weiteren. Die AktivistInnen der COPINH werden weiterhin angegriffen und umgebracht. Im Oktober 2016 ist der Nachfolger von Berta nur knapp den Kugeln seiner VerfolgerInnen entgangen.

Was ist mit den TäterInnen des Mordes? Weiss man, wer sie sind, wer dahinter steckt?

Die Mittäterschaft des honduranischen Staates liegt ziemlich klar auf dem Tisch. Honduras weigert sich auch, eine unabhängige, internationale Untersuchungskommission einzusetzen, sprich zuzulassen. Es gibt weiter klare Hinweise dafür, dass die DrahtzieherInnen der Morde in den Chefetagen der Desa sitzen. Dort wurde Beweismaterial nicht beschlagnahmt, wie Computer oder Telefonaufzeichnungen, die für die Aufklärung wichtig wären. Bereits vor dem Mord gab es viele Angriffe auf alle, die sich gegen die Megaprojekte wehren. Nach dem Mord haben diese Angriffe gar noch zugenommen.

Kommen wir zur Delegation, bei der du mitmachst: Wer organisiert sie und aus wem besteht sie?

Durchgeführt wird sie vom Honduras-Forum Schweiz, das als Verein 2012 gegründet wurde. Es hat zum Ziel, den Verfolgten in Honduras eine Stimme zu geben und auf die gravierende Menschenrechtssituation hinzuweisen. Auch wollen wir hier in der Schweiz und in Europa Öffentlichkeit schaffen und den Druck auf die Konzerne und Regierungen erhöhen. Es ist die dritte Delegationsreise, die das Honduras-Forum Schweiz durchführt. Sie wird aus acht Personen bestehen. Alle haben Erfahrung mit der Solidaritätsarbeit mit Honduras und/oder mit der Solidaritätsarbeit mit Zentralamerika.

Was ist das Ziel eurer Delegation?

Im November finden die Wahlen in Honduras statt und erfahrungsgemäss nehmen in der Zeit davor die Menschenrechtsverletzungen zu. Das Ziel ist es, durch direkte Gespräche mit verschiedenen Organisationen vor Ort Öffentlichkeit zu schaffen, sowie die direkte Unterstützung und natürlich auch der Schutz der MenschenrechtsaktivistInnen. Schutz in dem Sinne, dass die honduranische Regierung wissen soll, dass es Menschen auch in Europa gibt, die genau hinschauen und darüber berichten. So endet die Delegationsreise mit einer Pressekonferenz in Honduras und während des Aufenthalts der Delegation werden laufend kurze Berichte auf der Website des Honduras-Forum Schweiz veröffentlicht. Es wird auch einen Schlussbericht geben, der veröffentlicht werden wird. Ein weiteres Ziel ist es, die Solidaritätsarbeit mit Honduras zu verstärken, indem wir hier Menschen motivieren, aktiv bei uns mitzumachen.

Thomas Bachmann wird an der Delegationsreise des Honduras-Forums Schweiz teilnehmen.
Weitere Infos und Kontakt: www.honduras-forum.ch

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26 - 73. Jahrgang - 21. Juli 2017, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2017

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