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VORWÄRTS/1268: Ziel - Feministisches Baskenland


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 07/08 vom 3. März 2017

Ziel: Feministisches Baskenland

von Sabine Hunziker


Feminismus und Baskenland, das ist Bilgune Feminista von Euskal Herria (EHBF). Die Organisation wurde anfangs der 2000 Jahre gegründet und umfasst 25 lokale Ableger, die in Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen wie Feminismus (zum Beispiel sexuelle Gewalt oder feministische Selbstverteidigung) oder anderen Inhalten wie Antikapitalismus, Internationales oder kulturelle Reflexion aktiv sind. Wichtiges Arbeitsfeld ist auch die Unterstützung von politischen Gefangenen, auf das im zweiten Teil des Artikels näher eingegangenen wird.


Aktuell sind bei Bilgune Feminista circa 200 Aktivistinnen mit dabei, eine feministische Perspektive des Kampfes zu erhalten und weiterzutragen. Eine Stärke von Bilgune Feminista ist, sich mit anderen Gruppen, Bewegungen oder Organisationen zu vernetzen und in verschiedenen Bereichen wie Bildung oder Arbeit zusammen politische Kämpfe voranzutreiben. Die grosse Themenvielfalt wird unter dem Grundsatz vereint, dass das Baskenland unabhängig, die feministische Bewegung gestärkt und patriarchale Strukturen zerstört werden müssen. Ihre Analyse zeigt, dass die Unterdrückung Klasse, Geschlecht und Kultur betrifft. Besonders im Fokus ist dabei die Sprache, die einen wichtigen Teil des Selbstverständnisses einer Baskin oder eines Basken darstellt, bei der einerseits die Förderung des baskischen Sprachgutes im Zentrum steht und andererseits die sexistischen Strukturen darin kritisch hinterfragt werden. Das Baskenland liegt an der Atlantikküste in der Grenzregion der Staaten Spanien und Frankreich. Es umfasst in Spanien die drei Provinzen der "Autonomen Gemeinschaft Baskenland" sowie die Provinz Navarra und in Frankreich das nördliche Baskenland, im Westen des Départements Pyrénées-Atlantiques.


Baskischer Widerstand

Bei den Kämpfen bringen die Aktivistinnen von Bilgune Feminista zum Teil grosse persönliche Opfer, denn die Stimmung in Spanien ist noch repressiver als hier in der Schweiz. Bilgune Feminista arbeitet mit verschiedenen Aktionsformen: angefangen bei Diskussionstagen, über Demonstrationen bis hin zu Besetzungen. Mitglieder der feministischen Organisation sind auch mit anderen Strukturen wie Gewerkschaften vernetzt, um eine feministische Vision des Baskenlandes zu entwickeln. Bilgune Feminista steht in der gleichen Tradition einer politischen Perspektive wie viele andere Gruppen oder Organisationen von StudentInnen, Jugendlichen, Hausfrauen/-männer und ArbeiterInnen der baskischen Unabhängigkeitsbewegung, auch die baskische Widerstandsorganisation ETA gehört dazu. Wie auch andere Teile der Bewegung arbeitet Bilgune Feminista auf "Euskal Herria" hin, was die komplette Selbstbestimmung der Baskinnen und Basken vorsieht - mittels einer eigenen (sozialistischen) Regierung. Der Mangel an Demokratie und die Negierung des Rechtes des baskischen Volkes, frei über seine eigene Zukunft zu bestimmen, sind die Wurzeln des Konfliktes. Im Unterschied zu anderen Teilen der Bewegung betont Bilgune Feminista feministische Aspekte noch stärker. Ihr Konzept der baskischen Herkunft fusst historisch auf die baskische Sprache, die als Eigenbezeichnung Euskara genannt wird. Die baskische Sprache wird im Baskenland von etwa 700.000 Menschen gesprochen, davon über 500.000 in Spanien. Eine bestimmte Zeit wurde das Baskische während der spanischen Republik 1935/36 Amtssprache für das spanische Baskenland. Anschliessend in der Franco-Diktatur (1939 bis 1975) wurde der Gebrauch des Baskischen im gesamten öffentlichen Bereich verboten, was die Anzahl der Baskisch Sprechenden im Laufe dieser Jahre stark absinken liess. Die ETA, wohl berühmteste Organisation der Unabhängigkeitsbewegung, wurde 1959 als Widerstandsbewegung gegen die Franco-Diktatur gegründet mit dem Ziel eines von Spanien unabhängigen, sozialistischen baskischen Staates, der die spanischen autonomen Regionen Baskenland und Navarra sowie das französische Baskenland umfassen sollte. Im November 2011 wurde ein einseitiger Waffenstillstand ausgerufen, wobei sich die ETA zu einem späteren Zeitpunkt bereit erklärte, ihre Waffen abzugeben - den politischen Kampf aber nicht aus den Augen verlieren will. So ist der wohl letzte bewaffnete Kampf in Europa zu Ende gegangen. Das Land hatte viel Gewalt erlebt durch den bewaffneten Kampf und die Repression der Staaten. Jetzt nach dem einseitigen Waffenstillstand haben die AktivistInnen Angst, dass jetzt - nachdem sich die Situation etwas entspannt hat - vergessen wird, warum über 40 Jahre lang gekämpft wurde. Probleme wurden nicht gelöst und Anliegen kaum verwirklicht: das antikapitalistische Projekt hat sich nicht erfüllt. Der spanische wie auch der französische Staat versuchen, sich einer demokratischen Auseinandersetzung um Ideen und Projekte zu entziehen. So wird die grundlegende Lösung behindert, weil offene demokratische Prozesse unterdrückt werden. Erste Schritte sind nun den politischen Konflikt aufzuarbeiten und zu definieren, was Kampf und Frieden überhaupt bedeuten. Frieden entwickelt sich langsam - und ist nicht von einem Tag auf den anderen da. Es ist ja nicht so, dass die Polizei in Spanien keine AktivistInnen mehr verhaftet und foltert. Zwar ist die momentane Situation besser als vor Jahren - aber noch weit entfernt vom Zustand "Frieden".


Unterschiedliche Situation im Knast

Einige Frauen der Bewegung sind und waren Teil der ETA. Im Laufe der Kämpfe wurden ihre Ziele immer weniger wahrgenommen und antikapitalistische/feministische Aspekte rückten, auch aufgrund der täglichen "Selbstverteidigung" gegen die Repression des Staates und der immer grösser werdenden Sackgasse der Kampfstrategien, in den Hintergrund. Neue Möglichkeiten ergeben sich heute: es herrscht eine historisch interessante Situation, die einen Wechsel erneut möglich machen könnte. Die kapitalistische Krise und die "Atempause im politischen Kampf" in Form des Waffenstillstandes haben neue alternative Bewegungen geschaffen und alte gestärkt. Im Zuge dieses Frühlingserwachens dürfen aber alte GenossInnen nicht vergessen werden und so ist die Arbeit mit den politischen weiblichen Gefangenen und Ex-Gefangenen ein wichtiger Punkt. Die Situation der Frauen im Knast unterscheidet sich von der der Männer in der Hinsicht, dass sie weniger Möglichkeiten für Bewegung beim Hofgang haben, weil sie je nach Situation, nur getrennt von den Männern an die frische Luft können. Schwierig ist es auch, bestimmte Hygieneprodukte zu erhalten und für Mütter bietet sich auch noch immer eine unbefriedigende Situation an, weil sie ihre Kinder nicht oder nur bis zum dritten Altersjahr bei sich behalten können. Gefängnisse sind von und für Männer gemacht, so das Fazit von Bilgune Feminista. Wie die männlichen Gefangenen auch sind Frauen zusätzlich in irgendeinem Gefängnis weit weg von den GenossInnen und Familienmitglieder interniert. Schlimmer noch: nicht nur bei Amnesty International (AI) gehen Vorwürfe ein, in Spanien würden baskische Gefangene systematisch gefoltert. AI kritisiert immerhin, dass in Spanien Mindeststandards des Häftlingsschutzes nicht umgesetzt werden.


Bilgune Feminista beantwortet Fragen an der
Infoveranstaltung in Bern am 02. Februar 2017.

Wie sieht die Organisation und Hilfe für die Aktivistinnen im Knast aus?

Die Frauen der ETA hatten sich schon früh in einem Kollektiv, das auch nach aussen gut verankert war, organisiert und auch alle Verhandlungen in diesem Kollektiv geführt. Allerdings hat sich die Situation in den letzten Jahren etwas verändert: viele GewerkschafterInnen, Jugendliche oder auch JournalistInnen wurden verhaftet. Leute, die vorher noch nicht in diesen Strukturen vernetzt waren. Das Kollektiv besteht heute noch und die Unterstützung ist da.

Die Arbeit besteht darin, dass psychologische, rechtliche, politische und ökonomische Hilfe geleistet wird. Familienangehörige werden in der schweren Zeit unterstützt, zum Beispiel werden Fahrdienste angeboten, die regelmässig zu den weit entfernten Gefängnissen in ganz Spanien fahren. Wir machen Demos und Aktionen zum Thema, informieren und protestieren.

Was sind Erfolgsmomente im Knast?

Nach dem einseitigen Waffenstillstand war die Zeit etwas ruhiger geworden. Es gab gute und schlechte Momente, alles war weniger intensiv. Erfolg bedeutet die jährliche Demo im Januar für die Freilassung der politischen Gefangenen in Bilbao mit 100.000 TeilnehmerInnen. Aber auch kleinere Ereignisse sind wichtig, wie Infoabende, Kleindemonstrationen oder Aktionen.

Ist Bilgune Feminista eine Gruppe, in der "Frauen" miteinander kämpfen?

In der feministischen Organisation und der Bewegung darum herum sind Frauen und Trans-gender. Es gibt feministische Allianzen mit Frauengruppen. Bei bestimmten Themen arbeitet Bilgune Feminista auch mit anderen Organisationen wie Gewerkschaften etcetera zusammen. Es kommt auf das Thema an.

Was sind die wichtigsten Themen der Bilgune Feminista?

Wichtig sind feministische Kämpfe innerhalb vom Baskenland. Auch bei sexueller Gewalt sollen die Opfer des Patriarchats besser unterstützt werden. So muss es Anlaufstellen dazu geben, breit informiert und feministische Selbstverteidigung gemacht werden. Öffentliche Aufmerksamkeit schaffen! Das Thema "Abtreibung" wird leider im Moment wenig aufgegriffen. Wichtig sind auch Themen, wie die ökonomische Eigenständigkeit der Frau.

Eine Jahrzehnte andauernde Repression hat mit der Waffenruhe der ETA heute ein klein wenig nachgelassen. Was bedeutet das für die feministische Bewegung?

In den letzten Jahren des bewaffneten Kampfes gingen verschiedene politische Themen unter. Dominiert wurden die Gespräche durch Diskussionen über die Unterscheidung von "bewaffneten" und "nicht bewaffneten" AktivistInnen. Es galt pro oder kontra ETA. Heute ist die Bereitschaft für einen revolutionären Kampf zurückgegangen. Es gibt aber eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen den Gruppen, Organisationen und Bewegungen. Es gibt FeministInnen an vielen Orten: anarchistische FeministInnen, feministische ÖkosozialistInnen oder auch ParteifeministInnen. Durch diese Treffen ergeben sich neben der Power auch neue Arbeitsthemen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08/2017 - 73. Jahrgang - 3. März 2017, S. 8-9
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2017

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